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Der sechs Wochen alte Gottlieb schläft in der Abendsonne

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Am Samstagabend gegen sechs Uhr legte sich ein leicht erregtes feierliches Wohlgefühl auf meine Seele. Diese Abende in unserem Dorf genoss ich in meiner oftmals unglücklichen Kinderzeit in vollen, für Augenblicke befreienden Zügen. Die Burschen hatten ihre abgetragene und verschmutzte Feldkleidung abgelegt und gegen andere, nicht festliche, aber bessere Kleidung getauscht. Oft war es nur das karierte Hemd, das einem blauen oder weißen einfarbigen Hemd Platz machte. Manche hatten sich rasiert und die Haare mit Pomade eingefettet. Die reifen Mädchen wuschen sich die Haare, erneuerten ihre Frisuren, hatten modische Faltenröcke angezogen und die Schuhe frisch geputzt. Wenn sie auf der Straße gingen, bewegten sie die Hüften kokett hin und her – was sie unter der Woche bei der Arbeit auf dem Feld nie taten – und ihre braungebrannten Gesichter lächelten neckisch.

Die Alten saßen auf den knorrig-gemütlichen Holzbänken vorm Haus, auf denen schon ihre Väter und ihre Großväter gesessen hatten, schauten mit leerem Blick aus ihren tiefliegenden hohlen Augen auf die ihnen gegenüber für den Winter aufgeschichteten Klafter Brennholzscheite und über den dahinterliegenden, mit verwitterten Holzbrettern eingezäunten Garten, der mit bunten Blumenbeeten von Astern, hochstieligen Sonnenblumen, weißen und roten Dahlien und langen, schmalen Rabatten von stark riechendem Dillkraut sowie dunkelgrüner großblättriger Petersilie und silbrig matt glänzendem Salbei bepflanzt war. Dabei erzählten sie sich die Neuigkeiten, die fast jeder schon kannte. Neuigkeiten, die wieder und wieder neu erzählt und verdreht wurden, bis sie ganz andere Geschichten waren. Lediglich der wahre Kern blieb der gleiche, alles rundherum hatte sich am Ende völlig verändert und verkehrt.

Die Mirkan-Ursl hatte ein Kind von einem verheirateten Mann bekommen. Diese Tatsache war zu bereden. So was passiert nicht alle Tage in dem kleinen, langgestreckten Hundertseelendorf. Jede und jeder zerriss sich das Maul. Die betrogene Ehefrau ertrug es mit Qual. Sie sagte, es sei auch nicht ihre Schuld, dass er zu der um fünfundzwanzig Jahre jüngeren Ursl gegangen sei; sie habe sich ihrem Poildl immer hingegeben, wo er wollte und wann er wollte. Die verachtenden Blicke der übrigen Dorfbewohner seien Schmach und Schande genug für sie, scheiden aber lasse sie sich nicht. Was solle sie auch tun? Wo sollte sie hingehen? Seit er mit der Ursl das außereheliche Verhältnis habe, sage er ihr nur Grobheiten, schlage sie immer wieder und wolle, dass sie aus dem gemeinsamen Haus ausziehe.

Freitag Nachmittag stand ich mit meiner Mutter in der Küche, ich hielt soeben den grausilbrigen Aluminiumtopf mit der heißen Milch fest in beiden Händen und meine Mutter rührte mit einem hölzernen Kochlöffel Grieß ein, um für das Abendessen Grießkoch mit Zucker zu machen, da kam die betrogene Ehefrau weinend und mit schmerzverzerrtem Gesicht, die Hände auf die Schulter gepresst, und zeigte uns den großen Fettfleck, der ihre Kleidung, und den blau unterlaufenen Fleck, der ihre Haut verunstaltete, nachdem ihr Mann eine heiße Bratpfanne mit siedendem Fett nach ihr geworfen hatte. Sie war nicht die Einzige im Dorf mit einem derartigen Schicksal, nur gab es im Fall der anderen Schicksale kein solches lebendiges, strampelndes und brüllendes Corpus Delicti in Windeln, wie es die Mirkan-Ursl vorzuweisen hatte. Wenn ihr Sohn sie nicht zurückgehalten hätte und sie zudem nicht so feige gewesen wäre, so sagte die betrogene Ehefrau, dann hätte sie sich schon umgebracht.

Im Weingarten, droben auf dem Berg, wusste sie weiter zu berichten, da hätten sie sich immer getroffen. Drinnen in der kleinen, behelfsmäßig aus Holz gezimmerten Schutzhütte hätten sie zusammen Wein getrunken und Zärtlichkeiten ausgetauscht. Der Schickler-Ferdl habe einmal gesehen, wie sie zusammen hineingegangen seien, und da hat er sein rechtes Ohr an die groben alten Bretter der Holztür gepresst und gelauscht, was sie redeten, und dabei dem Leopold sein Stöhnen, Ächzen und Prusten und der Ursl ihr „Nein, Nein!“-Gewimmer gehört. Doch alles Nein hat nichts genützt, es ist passiert. Das hat der Ferdl dann alles halblaut im Dorf herumerzählt, wobei er allen mit wichtiger Miene die Pflicht zu schweigen aufgetragen hat.

Auch das hat nichts genützt, die Leute haben es auf den Bänken vorm Haus, auf denen schon ihre Väter und deren Väter saßen, weitergeflüstert und weiterberichtet, bald mit völlig anderen Worten, unter vorgehaltener Hand. Dumm stehe sie nun da, die betrogene Ehefrau. Sie erzählte meiner Mutter, sie wolle sich den Lauf des Schrotgewehrs in den Mund stecken und abdrücken, aber dann würde es ihr womöglich nur den Gaumen, die Zunge und die Kiefer zerfetzen, tot aber wäre sie nicht, nur ein Maulkrüppel auf Lebenszeit.

Nachdem sie meiner Mutter ihr Herz ausgeschüttet hatte, während meine Mutter und ich unterdessen Grießkoch mit Zucker bereiteten, verabschiedete sie sich mit feuchten Augen und ging, einen Fettfleck auf dem Kleid und einen blauen Fleck auf der Haut, zurück in ihr Haus, in dem ihr Mann, der Poildl, sie nicht mehr haben wollte. Voll Qual ertrug sie ihr schlimmes Los weiter, bis sie in auswegloser Verzweiflung eines Tages schließlich ihre paar Sachen packte und mit ihrem Sohn drei Ortschaften weiter zog, um bei einem Bauern als Tagelöhnerin mit Kost und Quartier zu arbeiten.

Unterdessen wurde die Ursl zum zweiten Mal schwanger. Eines Sonntagvormittags lieh sich ihr verheirateter Liebhaber Leopold, dessen Frau nun drei Ortschaften weiter gezogen war, das Moped vom alten Mirkan, dem Vater von der Ursl, um nach Ziersdorf zum Feuerwehrfest zu fahren. An der Kreuzung beim Friedhof in Gettsdorf – eine sehr gefährliche, unfallträchtige Kreuzung – war er beim Linksabbiegen unachtsam. Der Fahrer eines entgegenkommenden, mit Kies beladenen Lastkraftwagens sah ihn zu spät und überfuhr ihn frontal. Er war sofort tot. Als die an der Straße wohnende alte Frau die Rettung verständigte, sagte sie belustigt dazu: „In der Woche kracht’s schon zum dritten Mal.“ Der Krankenwagen ist auch schnell gekommen, doch konnten die Sanitäter nur noch den zerdrückten Körper bergen, dessen aus der geplatzten Bauchdecke quellenden Därme lediglich durch die feste Jacke zusammengehalten wurden. Der Schädel war bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert und das rot-weiß lackierte Puch-Moped MS 50 völlig verbogen.

Heute, an dem wunderschönen Samstag, an dem ich mit meinen kobaltblauen Scherben zusammen mit Franz, Mitzi und der Schickler-Gerti Tempelhüpfen gespielt habe und auf einem Bein von der Hölle über das Fegefeuer in den Himmel gesprungen bin, sitzen auch der alte Mirkan, der nun kein Moped mehr hat, und seine Frau vorm Haus. Ihre Tochter, die Ursl, dazwischen. Der sechs Wochen alte Gottlieb schläft im Kinderwagen in der goldenen Abendsonne.

Die Schweinedärme kullerten platschend auf den glitschigen Boden

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