Читать книгу Die Schweinedärme kullerten platschend auf den glitschigen Boden - Rudolf Nährig - Страница 13
Der blöde Adi will der Rosl sein neues Fahrrad zeigen
ОглавлениеEin warmer, etwas schwüler Sommertag. Aus der nächsten Ortschaft kam Adalbert, genannt der blöde Adi, mit seinem Fahrrad die Dorfstraße entlang. Das Fahrrad hatte er sich zu seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag mit eigenen Händen zusammengebaut und die nötigen Einzelteile von verschiedenen Bauern geschenkt bekommen. Er war geistesschwach und irr, hatte aber einen praktischen Verstand. Lesen und schreiben konnte er nicht, aber werkeln und basteln. Wenn er Vertrauen zu einem Menschen schöpfte, konnte er auch ganze, schlüssige Sätze bilden. Im normalen Alltag mit den Dorfleuten kamen jedoch nur unvollständige, schwer verständliche Wortfetzen aus seinem Mund. Jede Frage, die er nicht sofort verstand, wurde mit dem immer gleichen Satz „Dat it meine Tate“ beantwortet, was heißen sollte: „Das ist meine Sache.“ Als das Rad fertig war, fuhr er damit von einem Haus zum anderen und von einem Ort zum nächsten, alle sollten sein neues Fahrrad sehen.
Heute, es war Freitag, hatte er also Geburtstag und endlich ein Fahrrad, und zu diesem Festtag hatte er sich sein schönstes Gewand und ein weißes Hemd angezogen. Das für seine fünfundzwanzig Jahre schon viel zu faltige Gesicht war rasiert. Man konnte die noch immer etwas blutigen Scharten der Rasierklinge sehen sowie Reste von Rasierschaum an Hals, Ohren und unter den Nasenflügeln. Aus den Nasenlöchern standen borstige Haare heraus. Die wirren braunen Haare am Kopf, die sehr füllig und widerspenstig waren, versuchte er mit Haarfett und Brillantine nach hinten zu glätten.
Heute wollte Adi besonders gut und interessant aussehen, denn er wollte mit dem neuen Rad auch zur Rosl fahren, um ihr stolz seine neuste Errungenschaft zu zeigen. Zur Rosl hatte er schon seit längerem Zutrauen gefunden. Jedes Mal wenn sie mit ihm sprach, überkam ihn ein erregtes Zittern, und wenn niemand es sah, durfte er ihr sogar an die Brust greifen und streicheln. Sie lachte dabei und sagte immer wieder: „Hör auf, hör auf!“, weggegangen aber ist sie nie. Und heute sollte sie das selbst zusammengebaute, fertige Fahrrad sehen. Alles war dran an dem Rad: Glocke, Licht, Dynamo und Fahrradpumpe. Nur die Rückradbremse funktionierte noch nicht; lediglich die vordere Handbremse war angebracht und tat ihren Dienst. Ganz aufgeregt trat Adi in die Pedale und radelte zu der Wiese, wo er Rosl vermutete. Grade heute war sie nicht da.
Er fuhr in das nächste Dorf. Unser Hundertseelendorf. Dort standen die Dorfbuben zu dritt vor der kleinen Kapelle in romanischem Stil und warfen einen zerlumpten alten Fußball hin und her. Erst schleuderten sie ihn gegen die Stirnmauer der Kapelle, wobei sie versuchten, das oberste Fenster zu treffen, vor dem ein leicht verrostetes gusseisernes Kreuz hing. Als ihnen das nicht gelang, warfen sie sich den Fetzenball gegenseitig an den Kopf. Als sie den blöden Adi sahen, hatten sie die Idee, mit ihm heute irgendetwas Lustig-Böses zu machen.
„Wohin fährst du?“, fragten sie ihn. „Dat it meine Tate“, gab er laut und schwerverständlich zurück. Obwohl er sie nicht leiden konnte, wollte er doch sein neues Rad herzeigen. Der eine, der mit der engen Röhrlhose, nahm ihm das Rad weg und fuhr damit um die Kapelle herum, dabei bemerkte er, dass die Rücktrittbremse nicht funktionierte. „Wieso geht deine hintere Bremse nicht?“, fragte er Adi. „Dat it meine Tate“, antwortete Adi.
Die Burschen wollten heute ihre Gaudi mit dem Adi haben. Sie liefen die Straße hinunter, taten so, als würden sie mit aller Kraft rennen, und heizten Adi an, indem sie riefen, sie seien schneller als er mit seinem Rad. Adi wollte sich das nicht gefallen lassen. Schweißperlen rannen ihm von der Stirn und sein neues schönes weißes Hemd war bald mit vielen nassen Schweißflecken übersät. Er trat mit Wucht in die Pedale und fuhr so schnell wie möglich an den Buben vorbei. Als er ein enormes Tempo erreicht hatte, steckte ihm der Rothaarige mit den vielen Sommersprossen im Gesicht und dem bösen, hinterhältigen Lachen, das sich anhörte wie das Grunzen eines Schweins, einen der Holzstöcke, die sie bei sich hatten, zwischen die Speichen des Vorderrades. Das Rad mit dem Adi überschlug sich und Adi stürzte, blutete an Ellbogen und Kopf.
Er stand auf, nahm das stark verbogene Rad zwischen seine Beine, richtete es mit Berserkerkraft wieder einigermaßen gerade, stieg trotz der Wunden wieder auf sein neues, nun etwas verbogenes Fahrrad, wobei ihm das Blut von den Ellbogen über den Unterarm bis zur Lenkstange hinunterfloss, und fuhr, ohne sich auf den Sattel zu setzen, in hohem Tempo weiter im Kreis um die Kapelle und die Buben herum. Einer der Dorfbuben – der etwas Kleinere mit dem bereits starken Bartflaum an Oberlippe und Kinn; mit seinem pechschwarzen Haar und den funkelnden dunklen Augen sah er aus wie ein Zigeuner – nahm wieder den Holzstock, steckte ihn dem vorbeifahrenden Adi jetzt zwischen die Speichen des Hinterrades, und Adi schlug erneut mit Gesicht und Körper seitwärts auf dem Boden auf. Diesmal war das Rad nur leicht demoliert und Adi brachte es mit einem kurzen kräftigen Ruck wieder in Form.
Dieses böse Spiel reizen sie aus, das Gegröle und die Bösartigkeiten werden immer schrecklicher. Am Anger entlang des Flusses treiben sie ihr Spiel, bis Adi wütend das Tempo so stark erhöht, dass sie nicht mehr folgen können. In höllischer Geschwindigkeit rast er dicht am Ufer einher, rutscht mit dem Vorderrad ab, die Böschung hinunter. Wie nun das Wasser bedrohlich näher kommt, will er bremsen und stemmt den Fuß ins Pedal, der Rücktritt geht aber nicht, das hat er vergessen. In seiner Verzweiflung drückt er mit ganzer Kraft auf den an der rechten Seite der Lenkstange befestigten Hebel der Vorderbremse. Das Vorderrad blockiert, er überschlägt sich und fliegt mit voller Wucht in den Fluss; das Rad auf ihn drauf.
Das Fahrrad sank immer tiefer in das träge dahinfließende Wasser hinab. Das Wasser verfärbte sich mit rötlichen Schlieren.