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In dem grossen Bibliothekraum seines Hauses in der Vossstrasse trat inzwischen der Graf von Lassbach nervös an das Fenster. Die Märznachmittagssonne beschien die hohe, schlanke, elegante Gestalt eines Fünfzigers, dessen gepflegter Haarscheitel und Schnurrbart noch kein graues Haar trug. Jugendlich lebhaft auch noch, trotz der Fältchen, die schönen, etwas weichlichen Züge. Raubritterartig, etwas vorspringend, ein Zeichen alten Blutes, die Nase. Weiblich sein darunter der Mund des von der breiten Stirn bis zu dem sanften, schmalen Kinn sich widerspruchsvoll verjüngenden Gesichts. Unruhig die dunklen Augen.

In stiller Krümmung lag unten die Vossstrasse, ohne Läden, ohne Keller, die unauffällig vornehmste Strasse Berlins. Vor dem Hause des Grafen Lassbach hielt eine Reihe Equipagen. Er klingelte dem Diener.

„Ich gehe auf einen Sprung hinüber zum Jour der Gräfin. Wenn sich ein junger Herr Oberkamp meldet, so führen Sie ihn hierherein und benachrichtigen Sie mich drüben, ohne seinen Namen zu nennen, durch einen Augenwink!“

Graf Anton Lassbach hatte, auf dem Wege zum Mittwochempfang seiner Frau, den leichten, gleitenden Schritt eines Blaublüters, der sein Leben lang auf dem Parkett von halb Europa, in den Salons hoher und allerhöchster Damen zwischen Themse und Donau heimisch gewesen. Drinnen, in den menschenvollen Räumen, summte ein feudaler Bienenstock. Spitzenbesetzte, lange, enge Nachmittagstoiletten, Sporengeklirr, Teetassengeklapper, Musik von nebenan, Handküsse, Ordenskettchen, Haussterne auf Uniformen, Garde, Gotha, Diplomatenfranzösisch. Das leise knarrende Märkisch eines alten Herrn aus einem Häuflein ergrauter Tories in der Ecke, zu denen sich Graf Lassbach unauffällig setzte.

„Seit der Schweinerei von Achtundvierzig bin ich mit Bismarck jahrzehntelang durch dick und dünn gegangen! Aber ich bin nu mal ’n oller Christ! Ich weiss, dass sie mich im Land den heiligen Tobias’ schimpfen! Meine Antwort drauf — nee — die ist hier nichts für die Damen!“

Der kleine, hagere Tobias von Rickwitz auf Rezenow trug unter treuherzigen hellen, blauen Augen einen langen, schlohweissen Husarenschnurrbart in dem braunverwitterten Gesicht. Stille Strenge in dessen Furchen.

„Ich hab’ mir den Rotspon abgewöhnt und mittags mein Butterbrot auf dem Marktplatz gegessen, um bei mir im Dorf ’nen neuen Kirchturm aufzubauen. In der Kirche bin ich vom Pfarrer getauft und eingesegnet, und da bin ich mit meiner lieben Frau getraut und mein Vater und Grossvater und mein Vorfahre Wichart als erster mitten im Dreissigjährigen Krieg, und Gott hat seinen Segen dazu gegeben! Nu kommt vor zehn Jahren aus heiler Haut der gute Bismarck und sagt: Mögt ihr euch auch da trauen lassen . . . . Aber wirklich trauen tut euch ein Major a. D. im schwarzen Leibrock in ’ner Amtsstube drüben im Amtsgericht. — Nee — so ’nen Herrn lasse ich nicht als Stellvertreter unseres Heilandes gelten! Die Ehe ist ein Sakrament und nicht ’n staatlicher Termin. Da kann ich nicht mit. Seit den Maigesetzen haben sich meine Wege von denen Bismarcks getrennt!“

„Meine schon lange!“ sprach der Hausherr leise.

Eine Pause. Rauchwirbel um die Grautöpfe. Eine vorsichtige Wendung eines gebieterischen, bärtigen Hauptes. Ein gedämpftes:

„Also, Lassbach — es ist so weit?“

„Morgen früh steht die Geheiminstruktion in der ,Grossen Trommel‘.“

„Kurz ehe der Zar nach Berlin kommt!“

„Um so besser! Wir müssen diesen tödlichen Zeitpunkt wählen . . .“

Wieder ein bedeutungsvolles Schweigen. Wieder Tonio Lassbachs nervöse, halblaute Stimme:

„Denn wir sind eine mächtige, aber kleine Partei!“

„Neun Zehntel unserer Vettern auf dem Lande beten den grossen Kulturkämpfer an!“ sprach der fromme, alte Junker kummervoll.

„. . . Von uns jenseits der Elbe sagen Sie das nicht!“ Gedämpft die Worte aus dem rauchumwitterten, silbergrauen Vollbart. Graf Lassbach wandte sich dem hannoverschen Granden zu.

„Das haben Sie erst vorige Woche im Reichstag ausgesprochen, lieber Germerode, und Sie hatten recht! Aber mit dem Reden ist es nicht getan. Wir müssen handeln! Wir müssen durch unsern morgigen Coup den unseligen Draht kappen, der uns immer tiefer nach Asien hineinführt! . . . Ich bin Preusse . . .“

„. . . und ich hab’ noch seit zwanzig Jahren, von Langensalza her, eine Preussenkugel im Bein!“ sagte der Reichstagsabgeordnete Freiherr von Germerode. „Wir damals von den hannoverschen Gardes du Corps . . .“

„Aber als Preusse frage ich: Was ist denn für Europa je aus dem Osten gekommen als Hunnen, Tataren, Kosaken und Nihilisten? Der Kompass unserer Kultur weist nach Westen!“

„Nee — meiner zeigt ejal auf Potsdam!“ sagte trocken der alte Rickwitz.

„Gut. Schön. Aber dann gebt uns endlich Spielraum in Preussen!“ Die Stimme des Grafen Lassbach bebte in unterdrückter Leidenschaft. „Morgen tritt Seine Majestät in ein neues Lebensjahr seines neunten — meine Herren — seines neunten Jahrzehnts! Gott schenkt ihm dies gesegnete Alter! Aber die Männer um ihn, seine Berater, brauchen dies Alter nicht zu teilen!“

„Greise — Greise — Greise —“, sprach der Baron Germerode.

„Wie lange sollen wir, die Fünfziger, noch warten, bis unser Leben tatenlos verronnen ist? Der künftige Kaiser Friedrich selbst ist unser Altersgenosse . . .“

Durch die Stille klangen aus der Mitte des Salons helle englische Worte aus dem Mund der Dame des Hauses. Die Gräfin Lassbach war eine kleine, dunkle Frau mit bräunlichem Teint und lebhaften dunklen Augen. Sie sprach mit einem schmächtigen, brünetten, jungen Briten, der vor ihr stand.

„Sie haben heute abend als Queens Messenger nach England zu gehen? Wohl, Mister Hopkins: Grüssen Sie bitte meine Mutter — Sie wissen — Old Priory bei London — und ich liesse ihr sagen, ich hätte hier wiederholt das Glück gehabt, von der Frau Kronprinzessin empfangen zu werden, und ich würde nächstens schreiben!“

Englisch — noch selten, noch fremdartig in der Berliner Gesellschaft. Es war einen Augenblick, als pfiffe der Inselwind über die endlose Terrasse von Windsor, als leuchtete der rote Turban des Leibhindu vom Bock des offenen Zweispänners der Kaiserin von Indien und Grossmutter von Europa . . . . . . . . . . .

„Und da schauen Sie die Mimi zwischen ihrem Jungvolk von Lieutenants und Attachés!“ Tonio Lassbach wies in die Mitte des Salons auf seine einzige Tochter und Erbin seiner Güter. Sie hatte die grossen, schönen, dunklen Augen der Mutter, aber — um ein Vierteljahrhundert jünger als jene, erst zwanzig — ein blasses, etwas bleichsüchtiges, angenehm geschnittenes Gesicht, das nur bei schwachem Lächeln sich jugendlich belebte. Sie hielt sich schlecht, auch im Sitzen, die schmalen Schultern vornübergebeugt. Ihre ganze Gestalt war zart und schmächtig.

„Da wartet nach uns schon die dritte Generation auf das Leben!“ sagte ihr Vater. „Und vorn sperrt eine Phalanx der Achtzigjährigen Licht und Luft! Eine Danse macabre . . .“

„Er — ich sage er — ist erst Anfang siebzig! Vergessen Sie das nicht.“

„Vielleicht stolpert einmal ein Kürassierstiefel über einen Zwirnsfaden!“

„Der Zwirnsfaden — ich meine das Dokument — ist doch ganz gewiss echt, Graf?“

„Es stammt mit absoluter Sicherheit aus der Wilhelmstrasse!“ versetzte Tonio Lassbach. „Ich habe mich dessen jetzt eben noch einmal versichert. Wie würde ich es denn sonst vor Gott und meinem Gewissen und der Weltgeschichte verantworten können? . . Ah — guten Tag, mein lieber Kattmühl! Ohne Kompliment: Sie sind wirklich der bestangezogene Mann von Berlin!“

„Zivil! Zivil!“

„Gerade! Sie sind der einzige Klubmann, der gegen die Uniform aufkommt!“

Ein majestätischer, hochgewachsener Herr zu Anfang Dreissig war eingetreten. Bandlos funkelte ihm das Einglas in dem unbewegten, länglichen Antlitz über dem schwarzen Schnurrbart. Die Mienen der jungen Damen um Mimi Lassbach herum erhellten sich in lächelnder Erwartung. Die Herren betrachteten ernst sein Äusseres. Er trug, zu einer zweimal um den Kragen geschlungenen schwarzen Atlasbinde einen zimtbraunen, offenen, langen Gehrock und ebensolche Beinkleider. Die Biedermeierweste war reich mit Blümchen handgestickt und besass eine Reihe bunter, geschliffener Achatsteine als Knöpfe. Lang und spitz, mit niederen britischen Absätzen, funkelten die Lackschuhe.

„Ich lege mich Ihnen gehorsamst zu Füssen, Gräfin!“ Der Graf von Kattmühl neigte sich in gewollt altmodischer, Potsdamer Höflichkeit über die Hand der Dame des Hauses. Er hatte etwas imponierend Selbstbewusstes im Auftreten. Er ging zu Mimi Lassbach hinüber. Sie reichte ihm im Sitzen die Rechte entgegen. Er drückte sie, ohne eine Miene zu verziehen. Rings neugierige Gesichter.

„Sagen Sie mal: Was treibt der Kattmühl denn so eigentlich in Berlin?“ fragte am Tisch der älteren Herren still unzufrieden der fromme, alte von Rickwitz. Der Hausherr zuckte etwas unbehaglich die Achseln.

„Er ist jüngerer Sohn! Viel trägt die riesige hinterpommersche Sandkiste, das Familiengut, nicht! Nun sieht er so in Berlin zu . . .“

„. . . wo die beste Partie ist!“ sagte, während Graf Lassbach gespannt nach dem eintretenden Diener spähte, leise der welfische Magnat zu dem märkischen Junker. „Sie müssen nicht so indiskret fragen, Herr von Rickwitz! Der Lassbach ist doch mordsreich. Die Partie zwischen der Mimi und dem Kattmühl liegt schon in der Luft!“

„Carlo . . . hier ist ein Platz frei!“ rief drüben aus dem Kreis der Herren um die Tochter des Hauses ein junger, himmelblauer Mecklenburger Dragoner dem majestätischen Elegant zu.

Aber Graf Carlotto von Kattmühl beachtete die Zurufe nicht. Er setzte sich fern von der Komtess Lassbach zu einer Gruppe älterer Damen und begann in seiner feierlichen Weise ein gemessenes Gespräch. Der Mecklenburger Kavallerist wandte sich verblüfft zu einem der Husaren, deren Attilas rot, blau, schwarz und grün die Gemächer belebten.

„Was hat es denn zwischen der Mimi und dem Carlo gegeben?“

„Strategisches Manöver bei Karlchen“, sprach der rote Rennreiter. Der Kamerad in Himmelblau lachte.

„Frei nach Goethe: ,Doch wem nichts daran gelegen scheinet, ob er reizt — ob rührt‘ . . . .“

„Und die kleine Lassbach möchte ihn doch so gerne haben! . . . Na — gehen Sie nur vorbei, alter Freund!“

Es galt dem Diener, der gewandt vorüberschlüpfte. Er näherte sich seinem Herrn und hob leise die Augenbrauen hoch. Graf Lassbach stand auf und verliess unauffällig das Zimmer.

Die um Bismarck

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