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Lutz Oberkamp trat siegesbewusst aufgereckt aus dem Lehrter Bahnhof. Er schaute sich um. Hier im Bereich der grossen, freien Plätze gab es keine möblierten Zimmer. Denn man tau — mitten in dat Berlin! Er steuerte mit langen Schritten der Dorotheenstadt zu. Er stand im Gewimmel der Friedrichstrasse.

Endlos, schnurgerade lief sie vor ihm in die Weite. In Reihen rollten auf ihr die Pferdedroschken, die zweispännigen Volksomnibusse, die Equipagen. Ein paar Chinesen gingen vor ihm, in herrlichen blauseidenen und altgoldenen Gewändern und mit langen Zöpfen. Die Menschen wimmelten um ihn herum. Er kannte keinen.

Doch — da bleibt einer stehen und feixt ironisch über sein freches Froschgesicht mit dem Zwicker und dem kümmerlichen, schwarzen Schnurrbärtchen. Ein kleiner, säbelbeiniger Kerl . . . auch so Mitte der Zwanzig.

„Dat entfamigte Mul soll ick doch woll kennen!“ sagte Lutz Oberkamp in seiner Überraschung auf platt. „Jong . . . Jong . . . für dat Gegrinse haben wir dich oft genug auf dem Gymnasium in Rostock verhauen . . .“

„Nu — das ist jetzt sieben Jahr her!“ Ein mitleidig überlegenes Lächeln drüben. Eine ausgestreckte Hand. Lutz Oberkamp ergriff sie.

„Also bist du’s wirklich, Cassube?“

„Doktor Cassube!“ Gönnerhaft der einstige Mecklenburger Schulkamerad.

„Wie geht’s dir denn, Minsch?“

„Mir? Ausgezeichnet! Siehst ja . . .“

„Was machst du denn in Berlin, Cassube?“

„Frag’ lieber, was das Städtchen ohne mich machen würde . . .“

„Ich meine — was hast du denn hier für eine Tätigkeit?“

„Du kommst wohl vom Mond?“

„Nee. Aus Mecklenburg! Jetzt eben!“

„Mond und Mecklenburg — das ist dasselbe! Sonst würdest du Unschuld vom Land wissen, welche Position ich in diesem Fischerdörfchen an der Spree einnehme!“ Eine mitleidige Grimasse. „Na — und was willst du hier? Verkaufste Wolle? Kaufste Guano? Haste fette Ochsen?“

„Das kommt mir alles zum Halse ’raus! Ich bin meinem Vater . . . Du weisst doch von ihm . . .?“

„Spass! Wer soll den Buggenhagener nicht kennen! Vorige Woche hat er wieder im Reichstag für Bismarck durch dick und dünn ’ne Rede geschwungen — dem Mann des Jahrhunderts müssen die Ohren geklungen haben!“

„. . . also ich bin meinem alten Herrn ausgekniffen! Ich mops’ mich da draussen zwischen den Tüften und Swinen zu Tod! Ich bin korterhand nach Berlin!“

„Und was erwartest du dir von dem lütten Nest?“

„Gott! Ich lasse die Dinge eben auf mich zukommen! Es wird sich schon was für ’n bisschen dollen Kerl wie mich finden! Ich bin zu allem bereit!“ Lutz Oberkamp stand breitbeinig, feurig, verkehrsstörend auf dem Bürgersteig der Friedrichstrasse. Der salopp gekleidete, kleine Doktor äugte durch den schiefsitzenden stählernen Zwicker halb misstrauisch, halb neugierig zu ihm hinauf.

„Was heisst ,zu allem‘?“ erkundigte er sich gedämpft.

„Na“ — Ein leichtsinniges Lachen oben. „Ich nehme eben, was sich findet! Ich schluck’ den Düwel, wenn’s sein muss!“

„Du fürchtest dich also vor nichts?“

Ein verächtliches Achselzucken als Antwort aus der Höhe.

Die breiten Nasenlöcher des Mecklenburger Schulkameraden weiteten sich nervös und vertraulich. Er fasste den andern am Rockknopf. Er hörte dessen frische Stimme.

„Ich mache natürlich nur bescheidene Ansprüche . .“

„Bescheiden will er auch noch sein!“ Cassube pfiff vielsagend durch die Zähne. „Wo er den wahnsinnigen Dusel gehabt hat, in Berlin als ersten Menschen auf mich zu stossen! Ausgerechnet auf mich!“

„Kannst du mir denn helfen?“

„Wozu ist Berlin denn da?“ sprach der Schulfreund grüblerisch und nickte dann plötzlich entschlossen vor sich hin. „Wie ich hier steh’, siehst du mich gerade auf der Suche nach einer flotten, unverbrauchten, jungen Kraft!“

„Und da wäre ich . . .“

„Angenehme, selbständige Stellung! Glänzend bezahlt! Nach dem Posten lecken sich hundert die Finger!“

„Nu segg’ mal im Vertrauen: Wie kommst du da gerade auf mich?“

Drüben zwei wohlwollende Schlitzaugen hinter den schiefen Gläsern.

„Weil es eine Vertrauenssache ist, mein lieber Lutz! Da schaut man sich die Bewerber gründlichst an! Da nimmt man nur jemanden, den man von Kindesbeinen an kennt, wie wir beide uns von Sexta ab — wenn uns auch das rauhe Schicksal seit dem Abiturientenkommers auseinandergerissen hat!“

„Du — Günther — wann könnte ich denn die Stelle antreten?“

„Na — wir wollen nichts übereilen!“ Günther Cassube sah lässig nach der Uhr. „Sagen wir: in einer Stunde!“

„So schnell? Du — das kommt mir doch komisch vor!“

„Komisch — etwas in Berlin? Die Berliner sind unfreiwillige Komiker! Sie sind so einfach im Gemüt. Ich muss immer über sie lachen!“ Der kleine Doktor grinste wehmütig vor sich hin und wurde düster. „Aber wenn du keine Lust hast, mitzulachen — bitte — zeuch’ heim zu deinen Kartoffeln! Ich halte dich nicht!“

Günther Cassube machte kehrt und trollte sich durch das Gedränge der Friedrichstrasse, die Hände in den Taschen des abgetragenen Überziehers, mit hängendem Kopf misstönig vor sich hinsummend. Von hinten ein Griff an seine Schulter.

„Au!“

„Günther — lauf doch nicht gleich weg!“

„Na — was denn noch?“ Der dürftige Schulfreund wandte sich unwirsch um.

„Ich wär’ ja ein Esel . . .“

„Nicht wahr?“

„. . . . wenn ich nicht da mit Wonne zugriffe! Aber sage mir nur: Worum handelt es sich denn eigentlich?“

„Die Stätte deiner künftigen Tätigkeit ist da gerade um die Ecke! Ja — nicht wahr — das geht bei mir wie geschmiert!“ Cassube nickte herablassend zu dem aufgeregten jungen, blonden Hünen empor. „Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf! Na — komm mal mit mir dorthin, mein Sohn!“

Die um Bismarck

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