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Der Tivoli-Saal auf dem Kreuzberg ob Berlin braute im bläulichen Rauchnebel, durch das weiss die Tausende von Gesichtern, die klatschenden Händepaare flackerten. Vom Podium schmetterte der Pfarrer der Inneren Mission Johannes Giese seine Eröffnungsrede in das gelbliche Wabern der Gasflammen, die Hitze, das Pickelhaubengeflimmer der Schutzleute, das Glitzern zahlloser Biergläser, die hundertfachen Zurufe.

Er hatte eine Stimme, die Tote erwecken konnte, obwohl er ein nur mittelgrosser, äusserlich unscheinbarer Mann in der zweiten Hälfte der Dreissig war, mit einem kurzen braunen Vollbart, das Eiserne Kreuz im Knopfloch des langen, schwarzen Geistlichenrocks.

„Am Abend von Sedan, meine Herren, kam König Wilhelm geritten und begrüsste uns. Da riefen wir zu Gott: Das Reich komme!“

Johannes Giese wies mit weit ausholender Handbewegung nach dem Hintergrund der Tribüne. Zwischen grünen Blattpflanzen und dem Schwarz und Weiss und Rot der Fahnen schimmerte da in gipsernem Weiss die Büste des greisen preussischen Generals aus Hohenzollerngeschlecht.

„Und in Versailles, meine Herren, liessen sie mich und ein paar andere junge, eben von ihrer Verwundung genesene Soldaten ganz hinten, hinter die Säulen im grossen Spiegelsaal. Da riefen die deutschen Fürsten den Deutschen Kaiser aus. Da dankten wir Gott! Das Reich war da!“

Der Pfarrer Giese wandte sich wieder voll all den kleinen Geschäftstreibenden und unteren Beamten, den vielen Studenten, den jungen Handwerkern, den jungen Geistlichen zu, die Tisch an Tisch den Riesenraum mit den Massen der neuen Berliner Bewegung füllten.

„Im Krieg haben die Fürsten den Reichsbau mit den weithin ragenden Türmen begonnen! Im Frieden muss das Volk erst den Grundstein legen! Statt des Grundsteins hatten wir die Gründerzeit — die Börsenorgien — den Tanz um das goldene Kalb — den grossen Krach!“

„Hört! Hört!“

„Bismarcks Genius hat uns aus diesen Nöten gerettet! Aber nicht immer wird die unbegreifliche Gnade des Schicksals über uns leuchten: der weiseste Herrscher, der gewaltigste Staatsmann, der grösste Feldherr zugleich für ein einziges Volk! Einmal zahlen auch die Unsterblichen der Zeit ihren Zoll! Dann müssen wir uns selber weiterhelfen, meine Freunde! Zwei Oriflammen leuchten über die Gräber der Grossen hinweg den Pfad: die Gottesfurcht und die Liebe zum Vaterland!“

„Bekennt euch zu diesen beiden feurigen Wegweisern!“ rief Johannes Giese, als der Sturm der Stimmen und das Prasseln der Handflächen in den Ecken des Riesensaals verhallte. „Hinein in die Häuser der Städte! Hinaus auf das Land, wo der Pflug geht! Am Rhein wächst aus Kohlenbergen und Schloten eine neue Welt! Wir breiten die Arme aus! Wir rufen ihnen allen zu: Kommt! Kommt! Zu Gott und zu Deutschland!“

Stille jetzt in dem rauchüberbrüteten Raum. Schwer hallten die Sätze aus dem weissen Bart des eigentlichen Festredners, der dem Pfarrer Giese gefolgt war. Der bärtige Gottesmann mit dem Eisernen Kreuz hatte, noch atemlos, die Tribüne verlassen. Ein Saalordner meldete ihm:

„Der grosse, blonde junge Herr dort drüben wartet darauf, Sie zu sprechen!“

Der Volkspfarrer drückte Lutz Oberkamp die Hand. Er zog ihn in ein leeres Seitenzimmer, wo die Herren vom Vorstand ihre Röcke und Mäntel abgelegt hatten.

„Eine Gewissensfrage an mich, Vetter?“

„Ja — sieh mal — du bist doch nicht ein Bonze wie die andern!“ Die Stimme des jungen Mecklenburgers schwankte vor Aufregung. „Du bist ein freudiger Christ, wie Mama immer sagt! Du stehst mitten im Leben!“

„Ich bin von der Inneren Mission. Ich stehe bei Stöcker. Wir wollen nicht die Wilden bekehren, sondern die Berliner! Das ist ein härteres Stück Arbeit!“

„Und du bist Offizier von Achtzehnhundertsiebzig! Also höre, Johannes! Ich habe nämlich eine furchtbare Dummheit gemacht.“

„Das ist bei dir doch nichts Neues!“ sagte der Sozialpfarrer seelenruhig.

„Ich habe jemandem mein Ehrenwort gegeben, eine Mappe mit bestimmten Briefen aufzubewahren! Was für Briefe, ist ja gleich!“

„Sagen wir: Liebesbriefe — um in deinem Vorstellungskreis zu bleiben!“

„Gut. Liebesbriefe! Nun ergibt es sich, dass mit diesen Briefen, die ich natürlich nicht kenne — die Mappe ist ja verschlossen — also ich weiss mit absoluter Bestimmtheit, dass mit diesen Briefen ein schmählicher Missbrauch getrieben werden soll!“

„Hat der Betreffende dir etwas über diesen Zweck der Briefe angedeutet, als er sie dir gab?“

„Mit keiner Silbe! Dann hätte ich sie doch niemals an mich genommen!“

„Dieser Herr hätte meines Erachtens die Pflicht gehabt, einen so unerfahrenen Menschen wie dich auf die Tragweite seiner Zumutung aufmerksam zu machen!“

„Uff!“

„Gehe morgen zu ihm und sage ihm — wenn du willst, auch unter Berufung auf mich — hier liege ein Unterlassungsfehler seinerseits vor, der dich nach deiner Anschauung zum Rücktritt von deinem Wort berechtigte!“

„Gott sei Dank!“

„Wenn er selbst unsere Standesanschauungen teilt . . .“

„Gott — der ist hochfeudal! Gröbste Klasse!“

„. . . um so besser! Dann wird er sich diesem Argument hoffentlich — ich sage hoffentlich — nicht entziehen!“

Ein ungeheurer Lärm von Kehlen und Händen dröhnte aus dem Saal. Der Pfarrer Giese öffnete die Tür. Da drinnen war alles aufgesprungen, hob sich auf die Fussspitzen, stieg auf die Stühle, schwenkte die Hüte. Vom Eingang her bahnten die Ordner einem breitschulterigen, glattrasierten Fünfziger und seinem Gefolge von jungen Geistlichen eine Gasse. Eine fast grausame Energie lag auf seinen dünnen Lippen, trotz des feinen Lächelns, mit dem er rechts und links die Seinen begrüsste.

„Du weisst nicht, wer das ist?“ schrie Johannes Giese dem Vetter vom Lande ins Ohr. „Das ist doch Adolf . . .“

Der Lärm verschlang seine Worte.

„Wer, Johannes?“

„Adolf Stöcker! Der Führer der neuen Bewegung!“

Der Hof- und Domprediger Adolf Stöcker stieg zu seinem Stab oben auf dem Podium empor und schüttelte dem verstummten, weissbärtigen Redner die Hand. Unten brausten die Zurufe, und dazwischen schrie seitwärts der Pfarrer Giese.

„Also geh morgen zu dem bewussten Herrn, bitte ihn, dir dein Ehrenwort zurückzugeben und gib ihm dafür die Briefe wieder!“

Die um Bismarck

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