Читать книгу Die um Bismarck - Rudolf Stratz - Страница 14

11

Оглавление

„Gnädige Frau: Ein Herr Oberkamp lässt melden, er sei da!“

In ihrem Ankleidezimmer stand Etta von Möllinghoff vor dem grossen offenen Kleiderschrank. Ihr schmales, kluges, hübsches Gesicht war nachdenklich versonnen. Sie hielt nach ihrer Gewohnheit die Unterlippe grüblerisch zwischen den weissen Zähnen, so wie wenn sie sonst mit ihrem Mann und anderen Geheimräten, in die Weltlage vertieft, ernst, fast sorgenvoll politisierte.

„Gnädige Frau“, wiederholte die Jungfer, und es ging Etta Möllinghoff wieder, wie in letzter Zeit immer, durch den Kopf: ,Gnädige Frau — wie lange noch? Dann heisst es: Exzellenz! Klemens ist dicht daran!‘ Sie wiederholte sich schon manchmal, wenn sie allein war, mit halb geschlossenen Augen wie im Traum die Anrede: Euer Exzellenz!

„Gnädige Frau! Der Herr Oberkamp . . .“

„Mein Neffe soll nur unten warten!“

In dem grossen Barockschrank hingen reihenweise die Röcke und Roben, mit Rüschen und Fransen, mit Schleifen und Schärpen garniert, gestickt, plissiert. Es leuchtete in allen Farben. Die Geheimrätin von Möllinghoff war eine der elegantesten jungen Frauen von Berlin.

Sie wählte nach langem Grübeln: Einen hüftschmalen, schottisch blau und grün gemusterten Rock mit einer vielknöpfigen glatten Taille, und betrachtete kritisch den Eindruck im Spiegel. Es war eines der Staatskleider. Die rückkehrende Jungfer staunte.

„Gnädige Frau erwarten doch heute keine Gäste?“

„Ach — kümmern Sie sich doch um Ihre Angelegenheiten, Kind!“

„Ich habe den Herrn Neffen in das Wohnzimmer geführt, gnädige Frau!“

„Gut!“

In dem ebenerdigen Familiengemach lief Lutz Oberkamp ungeduldig auf und ab. Die Fenster zitterten leise vom Dröhnen der Lastwagen draussen. Fortwährend rasselten kleine Pferdedroschken mit Reisenden und Gepäck zum Anhalter Bahnhof hinüber. Alle zehn Minuten klingelte die Pferdebahn vorbei. Es war keine schöne Gegend, wo der Geheime Legationsrat von Möllinghoff wohnte, aber dafür auch nur ein Katzensprung von der Königgrätzer Strasse hinüber zum Amt, wenn S.D. befahl. Tag und Nacht bereit . . . So liebt es mein Fürst . . .

Herrgott — wo bleibt denn die Etta? Wieder Lutz Oberkamps Gewaltmarsch durch den reichen Raum. Ein vornehmes Wohnzimmer der achtziger Jahre. Viel Plüsch. Viele fensterperdunkelnde Portieren. Viel trockene Makartsträusse und Pfauenfedern und dürre Palmenzweige in den Ecken. Goldgeschnittene Prachtwerke auf dem Tisch. Familienbilder an der blau und rot auf grün geblümten Tapete.

Da Onkel Möllinghoffs Mutter — meine Grossmutter — die alte Exzellenz . . . Lutz Oberkamp betrachtete das Bild der über Achtzigjährigen im Goldrahmen, deren verstorbener Mann vor undenklichen Zeiten einmal preussischer Minister gewesen. Sie lebte jetzt noch guter Dinge in Berlin und hatte doch schon als Mädelchen vor der Königin Luise in Hohenzieritz geknickst. Blücher — aber damals war sie schon eine erwachsene Demoiselle — der alte Blücher hatte ihr bei einer Besichtigung seiner dunkelroten Stolper Husaren im Schwips einen Schmatz auf die linke Backe gegeben, und sie hatte sich vor Stolz eine Woche lang diese Gesichtshälfte nicht gewaschen.

Und da, an der Wand, Onkel Möllinghoffs erste, vor zehn Jahren dahingegangene Frau — die Tochter eines Generalsuperintendenten. Rechts und links ihre beiden Töchter. Still und etwas schüchtern, wie die Mutter, die Margret. Kindlich und lebenslustig die Lene.

Komisch: die Zwei — die Frau des Pastors der Berliner Inneren Mission und die des Hauptmanns im Grossen Generalstab — die waren ungefähr gerade so alt wie ihre Stiefmutter — die Etta . . . Ende Zwanzig . . .

Lutz Oberkamp hörte hinter sich das leise Rauschen eines Rocksaums. Er drehte sich rasch um und küsste verwirrt Tante Ettas kühle Hand. Ebenso fühl, etwas blass ihr junges Gesicht.

„Setz’ dich! Gut, dass du wenigstens den Weg zu uns gefunden hast! Onkel Klemens ist noch nicht da. Wir müssen warten!“

„O gern, Tante . . . Furchtbar gern . . .“

Etta Möllinghoffs Wangen belebten sich mit einem leisen Anflug von Röte. Ihre grünlich-braunen Augen richteten sich mit dem ihr eigentümlichen, klug forschenden Geblinzel auf den Neffen. Streng:

„Was hast du inzwischen getrieben?“

„Oh . . .“ Der junge Mann machte eine grossartige Handbewegung. „Allerlei . . .“

„Aber nicht viel Gescheites — nach deinem unsicheren Gesichtsausdruck zu schliessen . . . Mir spiegelst du doch nichts vor!“

„Die reine Gouvernante!“ Ein düsterer Blick des Neffen über den Tisch. Beide sahen sich an und schnell wieder weg. „Dabei ganze kümmerliche drei Jahre Unterschied zwischen uns! Stell’ dich nur älter als du bist . . .“

„Das pflegen Frauen selten zu tun, du Unschuldsengel aus Mecklenburg!“ sagte die Tante in einem sanften Ton. „Ich möchte nur nicht, dass du in Berlin zu Schaden kommst!“

„Erobern will ich Berlin . . .“ Der junge Mann biss sich unruhig auf den linken, in den Mundwinkel geklemmten Schnurrbartzipfel. Etta lachte plötzlich. Sie schien ihm reizend, ganz mädchenhaft, wie sie die Hände zusammenlegte und ihm belustigt, mit roten Backen, ins Gesicht schaute.

„Du bist doch wirklich zu dumm, Lutz!“ sagte sie herzlich, „dass du dir das einbildest.“

„Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf!“ Drüben zwei übermütige, blanke Augen, vor denen die Geheimrätin von Möllinghoff wieder unwillkürlich nach dem hohen, mit bunten Perlen gestickten Ofenschirm in der Ecke blickte. „Zum Beispiel — heute nachmittag war ich in einem Kreis — da war eine bombenreiche junge Gräfin auf Anhieb direkt liebenswürdig zu mir.“

„Das kann ich mir denken, dass sich die Gräfinnen hier schon am ersten Tag um dich reissen!“ sagte die Tante milde und trocken. „Wer war denn die Glückliche?“

Der junge Mann hob den blonden Schopf.

„Eine Komtesse Lassbach!“ sprach er wichtig.

„Was? . . . Die Mimi Lassbach?“ Die junge Frau gegenüber fuhr ungläubig, mit grossen Augen, zurück.

„Ob sie Mimi heisst, weiss ich nicht! Beim Vornamen nennen wir uns noch nicht!“

„Blass! Nicht hübsch! Noch ganz jung! Wahnsinnig von den Eltern verzogen? . . . Ja — wo hast du denn die Dame um Gottes willen aufgegabelt?“

„Na — bei ihren Eltern natürlich!“

„Du warst bei den Lassbachs? Gleich da drüben in der Vossstrasse? Ja — bist du denn von Gott verlassen?“

„Wieso?“ Lutz Oberkamp bemühte sich, überlegen zu lächeln. Aber es blieb etwas Gezwungenes um die Mundwinkel.

„Weisst du denn, was der Salon Lassbach ist?“

„Nee!“

„Und dieses Kind will nach Berlin!“ Etta Möllinghoff rang die Hände.

„Was hat der Mann denn eigentlich verbrochen?“ fragte der Neffe trotzig.

Die junge Geheimrätin betrachtete den blonden Mecklenburger Riesen einen Augenblick beinahe träumerisch weich. Dann raffte sie sich zusammen, wieder die Kampfbereitschaft der Wilhelmstrasse auf dem strengen, schmalen Gesicht.

„Es gibt bei uns gewisse Junker — nicht viele — ich brauche das Wort ,Junker‘ — ich stamme ja selbst aus diesen Kreisen, und mein Vater ist, wie du weisst, Kommandierender General, und meine beiden Brüder stehen hier in der Garde — also gewisse Junker fühlen sich von Bismarck erdrückt und um ihr Recht gebracht, auch in Preussen und im Reich mitzureden!“

„Ja — warum ordnen sich die Kerle denn nicht, wie dein Mann, einfach Bismarck unter?“

„. . . weil sie die alten preussischen Eigenschaften der Unterordnung nicht haben — alles besser wissen als Bismarck — viel zu eitel sind — nach dem Ausland schauen — nervöse Köpfe haben — kluge Köpfe wie Tonio Lassbach! Hinter seinem Namen und seinem Reichtum sammelt sich alles, was sich offen gegen Bismarck nicht hervorwagt. Du ahnst ja gar nicht, wieviel Feinde der Kanzler hat — bis hoch hinauf — ganz hoch! Ich werde mich hüten und mir den Mund verbrennen und alles sagen, was ich weiss!

„Und nun verrate mir um Gottes willen“, schloss Etta von Möllinghoff und beugte sich mit wettergefurchter Stirn vor, „wie bist du Unglücksjunge denn nur in diesen exklusiven Zirkel der Missvergnügten überhaupt hineingeraten?“

„Ja — das hing mit der ,Grossen Trommel‘ zusammen!“ sagte der junge Mann etwas kleinlaut. Seine Tante fuhr sich langsam, erstaunt, mit der Hand über die Stirn.

„Was weisst du entsprungener Fritz Triddelfitz aus Buggenhagen von der ,Grossen Trommel‘?“

„Gar nichts!“

Es war, als ob sich auf den von Verstandeslinien beherrschten hübschen Zügen der jungen Geheimrätin alle Sorgen der Wilhelmstrasse spiegelten.

„Dann will ich es dir verraten!“ sagte sie gemessen, in kalter Todfeindschaft. „Die ,Grosse Trommel‘ ist seit einiger Zeit das bösartigste Blatt — oder vielmehr das bösartigste Blättchen von Berlin! Es ist keine Trommel, sondern ein Giftbecher, in den jede Woche einmal gewisse Feinde Bismarcks, bisher ungestört, ihren Geifer und Galle entleeren!“

„Herrgott — das ahnt’ ich doch nicht!“

„Gewisse Feinde! Nicht alle. Wenn es alle täten, dann reichte das Heidelberger Fass nicht, um all das Gift in Deutschland zu sammeln! Man einigt nicht umsonst ein Volk von vierzig Millionen, weil es eben nicht anders geht, mit Blut und Eisen!“ Etta Möllinghoff geriet in Erregung. „Mit allem, was er tun musste und tat und heute noch tut, hat sich der Fürst Feinde gemacht und macht sich immer noch neue. Man heisst nicht umsonst der ,Eiserne Kanzler‘. Man entthront nicht umsonst Könige und Fürsten. Man beginnt nicht umsonst wieder den uralten Kampf mit Rom! Man unterdrüdt nicht umsonst die Mächte des Umsturzes — alles zu Deutschlands Ehren, dass es so gross. und herrlich dasteht wie jetzt!“

Auf Etta Möllinghoffs Antlitz einer Weltdame ging eine Veränderung vor. Es verklärte sich. Es wurde edel. Streng. Sie hob gläubig die bräunlich-grünlich glänzenden Augen zur Decke.

„Auf den Knien sollten wir täglich Gott danken, Lutz, dass wir Bismarck haben! In diesem Hause — bei meinem Mann und mir — da heisst es: ,Bismarck heut’ und in Ewigkeit‘!“

„Bei uns in Buggenhagen — da — da schwören wir ja auch alle auf Bismarck!“

„Ja. Dein Vater gehört zu den Aufrechten im Reichstag, auf die Verlass ist, wenn Tonio Lassbach die ,Grosse Trommel‘ schlägt!“

„Graf Lassbach ist da das Karnickel?“

„Nur hält er als grosser Herr und ebenso seine hochgeborenen Hinterleute beiderlei Geschlechts sich wohlweislich im Hintergrund! Um für diese Kamarilla die Haut zu Markt zu tragen, finden sich immer schon bezahlte Subjekte als Sitzredakteure. Solche armen Teufel gibt es genug!“

„Ja. Solche Esel gibt’s!“

Ein erstaunter Blick drüben unter den dichten, dunklen Brauen.

„Warum sagst du denn das in einem so merkwürdigen Ton?“

„Na — weil ich heute selber der Herausgeber der ,Grossen Trommel‘ werden sollte!“

Der blonde Hüne verstummte und stierte reuig vor sich auf den Teppich. Er wagte nicht, die Tante anzuschauen. Sie faltete in sprachlosem Entsetzen die schmalen, reichberingten Hände vor dem Spitzeneinsatz der Taille. Ihr kluger Mund öffnete sich halb vor Schrecken.

„Du . . .“ sagte sie endlich leise. „Ist das nun Wahnsinn oder wirklich nur unverfälschte Dummheit?“

„Reine Dummheit, Tante! Mein Wort!“

„Ja — was hast du dir denn dabei um Gottes willen gedacht?“

„Nischt!“

„Das sieht dir ähnlich!“

„Und wie ich hinkam . . .“

„. . . war da Haussuchung — das hätte ich dir vorher sagen können!“

„Woher weisst denn du das schon wieder?“

Etta Möllinghoff antwortete nicht erst auf die Frage. Sie zwinkerte nach ihrer Gewohnheit schnell, für sich, mit den halbgeschlossenen Lidern. Der Neffe, der geängstigt, die flachen Hände zwischen die Knie gepresst, dasass, sah, unter ihrer hoch zurückgewellten Frisur, die Gedankenflucht hinter der krausen Stirn.

„Hat dich die Polizei festgehalten? Hast du Namen und Wohnung angeben müssen?“

„Nein. Ich hab’ einfach gemacht, dass ich wieder wegkam!“

„Hast du dort Geld genommen?“

„. . . nicht ’nen polnischen Groschen!“

„Hast du irgend etwas Schriftliches an irgendwen von dir gegeben, du Unglücskind?“

„Nichts, Tante!“

„Nun — dann hast du mehr Glück gehabt als Verstand! Dazu gehört allerdings nicht übertrieben viel!“ sagte die Tante entschlossen. „Wenn irgendwie die Rede auf die Geschichte kommt, so leugnest du alles — aber auch alles! Mit eiserner Stirn — verstehst du? Beweisen können dir die Schlechtgesinnten nichts. Vor allem meinem Mann kein Sterbenswort! Sonst fetzt er dich vor die Tür — was ich auch eigentlich hätte tun sollen!“ unterbrach sich Etta von Möllinghoff etwas ratlos und horchte, „aber jetzt ist’s zu spät! Da kommt eben schon dein Onkel Klemens!“

Die um Bismarck

Подняться наверх