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Die Geheimrätin von Möllinghoff trat über die paar steilen Steinstufen der unscheinbaren Pforte des ebenso unscheinbaren, langen, niederen Auswärtigen Amts auf den Bürgersteig und winkte einem leer vorbeitrabenden „Schwarzlackierten“ — einer Droschke erster Klasse, auf dem Bock der Kutscher mit schwarzem, hohem Hut.

Ein schlanker, aufrechter Schattenriss, sass sie in dem offenen kleinen Einspänner und blinzelte zufrieden mit dem hübschen, ruhigen Antlitz unter Schleier und Spitzenschirm in die Märzsonne. An ihr vorbei glitten die altvertrauten Bilder Berlins. Die Zopfpaläste der Wilhelmstrasse aus der Zeit des Soldatenkönigs. Die Aktenmappen der wenigen Menschen in der feierlichen Leere des Wetterwinkels Europas. Die wichtigen, wissenden Gesichter unter würdevollen Zylindern: Wir sind Preussen. Wir sind das Reich. Das Kaiserreich der achtziger Jahre.

Harter Hufschlag auf dem Pflaster. Ein schwarzbärtiger Mann auf knochigem Braunen in scharfem Trab — mitten in Berlin! Bedeutsam blickte Etta Möllinghoff dem Depeschenreiter Bismarcks nach. Die Weltgeschichte in seiner umgehängten Ledertasche . . . . Afghanistan . . . England . . . Russland — Tonio Lassbach — Was ist vor Bismarcks Augen gross — was klein?

An der Ecke der Linden, vor dem grauen, alten Hotel Windsor, ein paar verwitterte uckermärkische Granden. Am Palais Redern gegenüber eine Hofequipage, breit die silbernen Adlertreffen am Hut des Kutfchers.

Bunte Uniformen aller Regimenter Unter den Linden. Lieutenants auf dem Weg zum roten Ziegelbau der Kriegsakademie drüben. Unauffällig dunkle Londoner Herrenmode des Zivils, nach Vorschrift des schon mählich alternden Prinzen von Wales. Die Damen in engen, langen, staubfegenden Röcken und in Schärpen um die dünn geschnittenen Taillen. Bei vielen hinten, am südlichen Teil des Rückens, die unwahrscheinliche Wölbung des Cul de Paris. Die elegante Etta von Möllinghoff schaute frostig über diese stoffverhüllten, rücklings befestigten Drahtgestelle nach Pariser Mode hinweg. In der guten Berliner Gesellschaft war diese Vorspiegelung falscher Tatsachen, die Tournüre, als unanständig verpönt.

Hinter den Fensterscheiben des Feudalklubs am Pariser Platz die strengen Profile zeitunglesender alter Exzellenzen. Vor dem blauen Himmel das Viergespann der Viktoria auf dem Brandenburger Tor, durch das vor anderthalb Jahrzehnten die drei Gewaltigen — Bismarck, Moltke, Noon — vor ihrem alten Kaiser und Herrn den Siegeseinzug in Berlin eröffnet hatten. Etta sann nach: Damals war ich noch klein. Erst dreizehn . . .

Auf dem weiten Königsplatz das Gewimmel der Arbeiter beim Ausschachten des Bodens für den neuen Reichstag. Vieleckig, unregelmässig drüben das Hirn des Heeres — das gelbe Generalstabsgebäude. Die Alsenbrücke. Überall das Heer. Überall das Reich.

Der Lehrter Bahnhof! . . . Eben noch zurecht! Von fern rollte schon der Zug heran. Auf seinen Trittbrettern balancierten aussen die Kondukteure von Kupee zu Kupee, rissen während der Fahrt die Türen auf und sammelten aus dem Innern vor der Ankunft die Billette.

Etta Möllinghoff hob sich auf die Fussspitzen und spähte in das Gewimmel von Menschen, Fresskörben, Reiseplaids aus den haltenden Wagen. Richtig: da stürmte es schon heran, sechs Fuss lang, flachsblond, mit Siebenmeilenstiefeln, als ob es draussen in Berlin brennte, hastete achtlos an Etta vorbei dem Ausgang zu, ein Kofferchen in der Hand, sonnenverbrannt, einen Inspektorfilz schief auf dem Schopf, Kleider vom Schneider im Ackerstädtchen, Dorfstiefel wie für die Ewigkeit. Mit dem einen streifte er in seiner Eile Ettas schwarzlackierten Stöckelschuh. Die leichte, schwippe Verbeugung eines jungen Mannes von guter Kinderstube: „Oh — Pardon!“ Er wollte weiter. Die junge Geheimrätin trat ihm in den Weg.

„Herr Oberkamp?“

„Ja.“ Der Recke vom Lande blieb betroffen stehen. „Wat’s denn los, gnädige Frau?“

„Ich bin hier auf Grund einer Depesche aus Buggenhagen!“

Etta Möllinghoff hatte ihr Gesicht in sehr ernste Linien gelegt. Ihre Stimme klang streng. Der junge Mann ihr gegenüber zeigte herzlich lachend die weissen Zähne unter dem blonden Schnurrbart.

„Nett, dass ich hier gleich begrüsst werde!“ sagte er sonnig und schaute Etta neugierig in das kluge, gemessene Antlitz. „Herrgott — wir haben uns doch schon mal gesehen?“

„Nur auf der Photographie! Ich bin deine Tante Etta!“

Der blonde, junge Hüne vor ihr riss die feurigen blauen Augen auf.

„Du bist Onkel Klemens seine . . . .“

„. . . seine zweite Frau! . . . Erkennst du mich denn nicht?“

„Dich hab’ ich mir ganz anders vorgestellt!“ Der Neffe legte ihr vertraulich die mächtigen Hände auf die schmalen Schultern und musterte sie. „Aus der Photographie hat man ja keine Ahnung, wie hübsch du bist!“

„Onkel Klemens ist empört über deine Flucht, lässt er dir sagen!“

„Der Hut steht dir auch famos!“

„. . . wo dein Vater im Reichstag sitzt und wirklich mehr Sorgen hat als dich . . .“

„Viel älter hab’ ich mir dich gedacht — nach der Photographie! Tante — wie alt bist du denn?“

„Da ich als geborene Schardt zum Uradel im Gotha gehöre, kann ich mein Alter nicht ableugnen! Aber was dich das interessiert, dass ich achtundzwanzig bin . . .“

„Also du siehst viel jünger aus! Jünger als ich! Und ich bin doch erst fünfundzwanzig!“ Der Vetter vom Lande schüttelte erheitert den blonden Schopf. „Nein — Tante — dir glaubt kein Mensch die Geheimrätin!“

„Mein lieber Ludwig . . .“

„Lutz! Lutz! Lutz!“

„Meinetwegen mein lieber Lutz: Ich bin — merke dir das gefälligst von vornherein — als Tante und verheiratete Frau für dich eine Respektsperson . . .“

„Ach wo!“ sagte der junge Mann froh.

„Das bitte ich mir ein für allemal aus! Lache nicht so blödsinnig!“

„Du musst ja selber lachen!“

„Unsinn!“

„Natürlich lachst du! . . . Du . . . Im Vertrauen . . .“

„Was denn?“

„Der Onkel kann lachen, dass er dich erwischt hat — auf seine alten Tage . . .“

„Nimm jetzt deinen Koffer vom Boden!“

„Du sollst ja so unheimlich gescheit sein! Ist das wahr?“

„Marsch!“

Lutz Oberkamp rührte sich nicht. Er schaute der jungen Geheimrätin kindlich überrascht in das unruhig belebte Gesicht.

„Tante — du hast ja grüne Augen!“

„Braune!“

„Grüne!“

„Also meinetwegen braungrüne! Lass jetzt die Dummheiten!“

„Jetzt weiss ich erst, warum du so apart aussiehst!“

„Komm jetzt! Wird’s?“

„Wohin?“

„Zu uns und abends nach Mecklenburg heim!“

Lutz Oberkamp lächelte aus seiner blonden Höhe auf das Straussenfederhütchen unter ihm herab.

„Berlin braucht mich, Tante!“

„Ja. Auf dich haben wir hier gewartet!“

„Ich schaff’s schon — wenn’s nicht Krach gibt! Wo ich hinkomm’, da ist nämlich gleich einer — der fängt mit mir Händel an! Die Frauen sind zu mir viel netter! Mit denen komm’ ich viel besser aus!“

„Das heisst: Du brennst wahrscheinlich gleich mit deinem blonden Schopf wie eine Strohfackel!“

Lutz Oberkamp sah die junge Frau an. Dann sagte er langsam und halb betroffen:

„Aber ich bin ja noch gar nicht in dich verliebt, Tante!“

„Das fehlte noch!“

Beide wurden plötzlich still. Lutz bückte sich und machte sich an seinem Gepäck zu schaffen. Er hörte über sich Ettas herbe Stimme.

„Komm jetzt, du dummer Junge!“

„Ja!“ Er schritt neben ihr her. „Ich geb’ jetzt den Koffer zur Aufbewahrung und suche mir dann gleich in der Nähe eine Bude!“

„Ja — was soll ich denn um Gottes willen meinem Mann sagen?“ Etta von Möllinghoff stand, etwas blass und strafend, vor dem Neffen.

„. . . . ich bliebe in Berlin! Riesig nett, dass du mir gleich zu meiner Ankunft in Berlin Glück gewünscht hast! Was — meinst du — bin ich?“

„Tumb!“ sagte Etta und lachte. Lutz Oberkamp beugte seine Länge über ihre schmale Hand.

„Heut nachmittag komm’ ich mal bei euch ’ran! Auf Wiedersehen, Tante!“

Die um Bismarck

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