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In seinem Bibliotheksraum trat dem Grafen frisch und fröhlich ein blonder, blauäugiger, junger Hüne entgegen — die Kleidung Kleinstadt, die Stiefel Flachland, merkwürdig die Krawatte — Graf Lassbach, der soignierte Grandseigneur, sah so etwas mit einem Blick. Aber trotzdem Klasse! Die Verbeugung beste Kinderstube . . .

„Auffallend schönes Wetter heute, Herr Graf! Nicht?“ Der junge Mann zeigte zutraulich die weissen Zähne unter dem Schnurrbart. Eine höfliche, aber noch sehr zurückhaltende Handbewegung Tonio Lassbachs, Platz zu nehmen.

„Ja — sehr schön! Aber ich fürchte, wir kriegen bald Sturm! . . . Sie . . . hm . . . Sie wollten die Güte haben, uns einen kleinen Gefallen zu erweisen?“

„Warum nicht, Herr Graf? Unserm Cassube zulieb!“

„Cassube?“

Lutz Oberkamp besann sich und lachte.

„Ach Gott . . . ich verwechselte . . . Ich meine natürlich den Doktor Wurmhuber!“

Wieder ein leises Misstrauen im Blick des Grafen.

„Verzeihen Sie, Herr Oberkamp . . . Sie sind doch Herr Oberkamp?“

„Der Sohn des Buggenhageners!“

„Des Bismärckers! Darf ich fragen . . . hm . . . Wie stehen Sie denn so mit Ihrem Herrn Vater?“

„Zur Zeit so ziemlich auf dem Holzkomment, Herr Graf! Ich bin ihm, weil ich nicht Landwirt bleiben will, nach Berlin ausgerückt und will mir aus eigener Kraft hier eine Position machen, gleichviel, was mein alter Herr dazu sagt . . .“

„Hm . . . das erklärt ja alles . . . Ihr Vater ist ja als ein . . . hm . . . sehr energischer Herr allgemein bekannt!“

„Mich kriegt er nicht unter!“ Der junge Mann sass sorglos lächelnd da. „Ich habe mir schon in Berlin eine Bude gemietet! Wo? In der Dorotheenstrasse 290, eine Treppe, bei dem Kassenboten Schwendecke und seiner Familie. Ich sagte mir, die erste Wohnung, wo mir ein nettes Mädel öffnet, nehm’ ich! Na — und da stand nun dies dralle blonde Trautchen Schwendecke als Filia hospitalis . . .“

„Dorotheenstrasse Nummer . . .“ Graf Lassbach zog plötzlich die Hand, mit der er nach Bleistift und Notizbuch greifen wollte, zurück. „Nein — das muss man sich im Kopf merken!“ murmelte er fast erschrocken. Er näherte seine hohe aristokratische Gestalt der Wand, öffnete die kleine Tapetentür einer eingemauerten Stahlkassette und entnahm ihr eine kaum handgrosse, dünne Mappe aus seinem grünen Leder. Ein prüfender Griff. Ja — das winzige Schloss, an dem der Schlüssel fehlte, war fest versperrt.

„Wollen Sie wirklich so nett sein und das Dings da so gut wie möglich aufbewahren, bis ich Sie um die Rückgabe bitte?“

„Gern, Herr Graf!“

„Ich müsste natürlich sicher sein, dass Sie es weder öffnen . . . .“

„Aber ich bitte Sie . . .“

„. . . noch am Ende gar vernichten . . .“

„Was denken Sie von mir, Herr Graf!“

„Verzeihen Sie, Herr Oberkamp! Es war nicht böse gemeint. Berlin ist ein heisser Boden!“ Graf Lassbach schritt unruhig, die Hände auf dem Rücken, den Kopf gesenkt, lautlos über den weichen Perserteppich auf und nieder. „Man gibt sich durch das Ding gewissermassen in Ihre Hände!“

„Es ist in guten Händen!“

Der Aristokrat überlegte im Gehen. Er machte in einem plötzlichen Entschluss halt und hob das schöne, dunkeläugige, etwas weichliche Gesicht.

„Sind Sie Reserveoffizier, Herr Oberkamp?“

„Dritter Mecklenburger Dragoner!“

„Also sind Sie dieser Second-Lieutenant der Reserve Oberkamp! Ich habe nämlich, schon ehe Sie kamen, in der Kommissbibel nachgesehen!“ Der Graf schlug mit geübter Hand die dicke, rotbraune Rang- und Quartierliste der preussischen Armee auf, die auf dem Tisch lag, und blätterte darin. „Da stehen Sie unter den jüngsten Herren!“

„Wie ich Ihnen schon sagte, Herr Graf!“ Der junge Mann war etwas gereizt durch das Misstrauen.

„Herr Oberkamp: Wollen Sie mir als Offizier Ihr Ehrenwort geben, dass Sie die Mappe, so wie ich eben sagte, behüten werden?“

„Nein, Herr Graf! Wegen so ’nem Dreck geb’ ich mein Ehrenwort nicht!“ Lutz Oberkamps Stimme klang immer noch ärgerlich.

Graf Lassbach schwieg eine Weile. Dann versetzte er leise und höflich, ganz grosser Herr:

„Empfehlen Sie mich persönlich unbekannterweise Ihrem Herrn Vater, und wir wollen doch nicht diese Methoden des politischen Kampfes in unseren Kreisen einführen! . . . Ich meine, dass er mir seinen Sohn schickt, um . . . ja wie drücke ich mich denn da parlamentarisch aus . . .“

„Ich verstehe nicht . . .“

„. . . um einen Blick in meine . . . hm . . . in meine Welt zu tun . . .“

„Herr Graf: Ich habe heute zum erstenmal Ihren Namen gehört! Ich lebe als Gutsvolontär auf dem Land zwischen Kartoffeln und Rüben! Ich weiss gar nichts von Ihnen! . . . Interessiert mich auch nicht die Bohne! Ich wollte lediglich meinem alten Schulkameraden einen Gefallen tun!“

„. . . und doch werde ich den Zweifel nicht los!“ Der Graf machte im Stehen eine flüchtige, weltmännische Verbeugung. „Damit ist unsere Unterredung wohl beendet!“

„Nein, Herr Graf!“ Der junge Mecklenburger bekam einen roten Kopf unter dem flachsblonden Haarschopf. „Ich lasse einen solchen Verdacht nicht auf mir sitzen!“

„Ja — was tun wir da, um ihn zu zerstreuen, Herr Oberkamp?“ Halblaut, fast vertraulich die Frage.

Lutz Oberkamp brauste auf:

„Also — zum Donnerwetter — Nein: in Gottes Namen: Mein Ehrenwort! Damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben!“

„Ihr Ehrenwort, dass Sie diese kleine Mappe, die ich Ihnen hier einhändige, bis zur Rückerbittung durch mich bestens aufbewahren, nicht öffnen und nicht vernichten?“

„Mein Ehrenwort!“ Lutz Oberkamp barg zornmütig die schmale, grüne Ledertasche im Innenfutter seines Rockes. Der Graf sah lächelnd zu, jetzt ganz liebenswürdiger Kavalier.

„Ich danke Ihnen, mein lieber Herr Oberkamp! Es wird Sie nicht gereuen! Wir sind dankbar!“ Ein Händedruck. „Aber so lasse ich Sie jetzt nicht gehen! Sie sind jetzt einer der Unsern! Gestatten Sie, dass ich Sie drüben meinen Damen präsentiere!“

Auf dem bräunlichen, dunkeläugigen Antlitz der Gräfin ein Schatten von Befremden — schien es Lutz Oberkamp, als er sich über ihre Hand beugte: — zu ehrenfest hellgrau für einen Tee-Empfang in der Vossstrasse Rock und Hose. Der bürgerliche Name. Wahrscheinlich der einzige im ganzen Salon. Aber schon ein Spiel Auge in Auge des Ehepaars. Ein liebenswürdiges Lächeln Alette Lassbachs.

„Ich hoffe, wir sehen uns öfters, Herr Oberkamp!“

Die Tochter des Hauses reichte ihm die Hand. Sie musste plötzlich lachen. Sie blieb dabei bleich, mit ihren seelenvollen, grossen Augen der Mutter, aber es belebte sie mit einem Anflug von mädchenhaftem Übermut. Lutz Oberkamp lachte mit:

„Was ist denn an mir so komisch, Komtess?“

„Ach — komisch nicht! Nur anders!“

„Ja. Ich komme eben vom Lande!“

„Das sieht man!“ sprach Mimi Lassbach träumerisch, aber ganz ohne Missfallen.

„Aber ich werde mich bessern . . .“

„Warum denn? Bleiben Sie doch, wie Sie sind! Das ist ja so langweilig, wenn einer so ist wie der andere!“

Ein Blick dabei über die Herren ringsum. Drüben sass der majestätische Graf Kattmühl mit funkelndem Einglas bei den alten Damen und tat, als ginge ihn die ganze Geschichte nichts an. Der Hausherr beobachtete das Bild.

„Jetzt will sie Carlotto mit diesem Sohn der Wildnis ärgern!“ sagte er zu seiner Frau. Und sie:

„Was nur in die Mimi gefahren ist . . . Solch einen Nebenbuhler nimmt er doch nicht ernst!“

„Warum denn nicht? . . . Ein Prachtkerl äusserlich . . . Gib dem ein paar Büffelhörner auf den Kopf und ein Bärenfell um — dann kann der im Opernhaus drüben statt dem Niemann den Siegfried singen . . . Er ist so lang wie der Kattmühl. Er blond. Der schwarz. Da tut der Mimi die Wahl weh!“

„Tonio . . was sind das für Witze?“

„Gott sei Dank nur Witze! . . . Aber sieh nur, wie das Kind mit dem Feuer spielt!“

„Gedenken Sie in Berlin zu bleiben, Herr Oberkamp?“

„Jawohl, Komtess! Man wird hier bald von mir sprechen . . .“

„Ach“, sagte Mimi Lassberg neugierig. „Gut oder schlecht?“

„Wie man’s nimmt! Jedenfalls: Sie werden von mir hören!“

„Na — ich werd’ aufpassen! Also viel Glück! Auf Wiedersehen, Herr Oberkamp!“

Lutz Oberkamp ging an dem Grafen Kattmühl vorbei, der ihm gleichgültig nachschaute. Er sah drüben die lichtblaue Uniform seines Regiments. Er drückte dem Premierlieutenant von den Dritten Mecklenburger Dragonern die Hand, dem einzigen Menschen, den er in dem ganzen Kreis kannte.

„Na — Sie in Berlin, Herr von Heinroth? Vorigen Herbst schwitzten wir doch noch zusammen in der Schwadron im Manöver!“

„Kriegsakademie!“ sagte der Kavallerist bedeutsam.

„Gratuliere!“

„Und ich Ihnen, Oberkamp! So gnädig wie eben zu Ihnen ist Mimi Lassbach selten! Halten Sie mal die Ohren steif!“

„Die wird gerade auf Ludwig Oberkamp aus Buggenhagen warten!“

„Sie ist das einzige Kind. Die Eltern tun, was sie will! Also bei Gott ist kein Ding unmöglich!“

„Nee — danke!“

„Aber auf den langen Grafen da drüben muss ich Sie als Regimentskamerad warnend aufmerksam machen. Der Kattmühl schiesst wie der Deubel! Berühmt dafür!“

„Das wäre mir schnurz!“

„Also da — Mimis hoher Herr Vater schaut ganz merkwürdig zu Ihnen herüber!“

Der Diener hatte dem Grafen Lassbach leise und hastig, mit erschrockenem Gesicht, eine Meldung zugeraunt. Gleich darauf glitt die lange, elegante Gestalt des Hausherrn leichtfüssig durch die Gruppen, lächelnd auf Lutz zu, führte ihn liebenswürdig am Arm etwas beiseite, flüsterte vertraulich: „Ich wäre Ihnen doch sehr dankbar, wenn die Mappe recht bald aus meinem Hause käme! Hier der Diener wird Sie geleiten! Seien Sie nicht böse, wenn es unschicklicherweise leider über die Hintertreppe und durch den Hof geht! Es sind jetzt eben bestimmte Gründe dafür eingetreten! Adieu! Nur bitte schnell! Adieu! Adieu!“

Graf Lassbach eilte in sein Arbeitsgemach. Er stand am Fenster. Er wartete. Da kam Lutz Oberkamp durch den Torweg auf den Bürgersteig hinaus und ging die Vossstrasse lang seines Weges. Der oben nickte ihm erleichtert nach. Er drehte sich um. Vor ihm stand der verängstigte Diener.

„Die im Flur draussen wollen nicht länger warten . .“

„Ich lasse den Kosakenhetman bitten!“ Graf Lassbach ging liebenswürdig dem schnurrbärtigen Herrn entgegen, der, ein Papier in der Hand, mit ernster Miene über die Schwelle trat. „Sie wollen bei mir Haussuchung halten? Gerade während des Jours meiner Frau, damit die ganze schöne Welt Zeuge ist? Da haben wir wieder diese — sagen wir vorsichtig: diese Robustheit von Friedrichsruh! Einem Menschen von Kultur wie mir geht so was auf die Nerven!“

„Ich habe hier nur mein Amt zu erfüllen, Herr Graf! Hier . . .“

„Danke! Ich brauche die Polizeiverfügung nicht erst zu lesen! Ich weiss, wem ich das verdanke!“ Tonio Lassbach setzte sich, schlug ein Bein über das andere und zündete sich lächelnd eine Zigarette an. „Also los, meine Herren! Ich weiss zwar nicht, was Sie gerade hier bei mir in hohem Auftrag suchen, und Sie werden es mir auch nicht verraten! Aber bitte — tun Sie ganz, als ob Sie zu Hause wären!“

Und ein verstohlener Blick der Erleichterung dabei durch das Fenster auf die Vossstrasse, aus der der junge Mann mit der Mappe schon lange verschwunden war.

Die um Bismarck

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