Читать книгу Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi - Rudolf Stratz - Страница 10

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„Ich habe Ihnen also hiermit den Herrn Vohwinkel in Ihr Sanatorium zu treuen Händen übergeben und wasche im übrigen meine Hände in Unschuld!“ De kleine, dicke Gerichtsarzt dämpfte, im Begriff, durch die Haustür auf die Strasse zu treten, die Stimme. „Aber im eigensten Interesse Ihres mondänen Betriebs, lieber Sanitätsrat Kleemüller: haben Sie ein wachsames Auge auf das Kuckucksei, das ich Ihnen da ins Nest gelegt habe!“

„Sie meinen, dass bei Herrn Vohwinkel etwas Menschliches . . .?“

„Ja . . . Ja. Ich meine . . . So’n lütter Selbstmord macht doch oft der Umgebung mehr Schererei als dem Verflossenen selber! . . . Ist ja natürlich auch nur ’ne Möglichkeit! Die Chose ist ja noch ganz unklar!“

„Na schön! Bringen Sie mir öfter so Patienten! Die hab’ ich gern! Auf Wiedersehen!“ Der Sanitätsrat Kleemüller lief in seinem Geschäftstrab die teppichgepolsterten, noch morgenleeren Gänge entlang, in denen nu rein paar Diener in blau-weiss gestreiften Leinenjacken Staub saugten und Schwestern mit weissen Hauben und weissen Schürzen auf Pantoffeln huschten. Er glich einem feinsinnigen, bartlosen Meikus des achtzehntes Jahrhunderts, lang, hager, in einem altfränkischen Gehrock, der ganze Mann wie aus der Postkutschenzeit, auf einen vertrauenerweckenden Gegensatz zu Berlin W abgestimmt. Sein längliches Antlitz lächelte in tröstender Menschenkenntnis, seine tiefe, weiche, leise Stimme war ein milde einlullendes Opiat. Er hatte eine fast unhörbare Art, über die Schwelle von Nummer 17 zu gleiten und dem schönen, wachsbleichen Mann beschwichtigend zuzunicken, der bei seinem Eintritt das südlich weiche, dunkelkrause Haupt aus den angespreizten Handtellern hob.

„Na — Herr Vohwinkel: Was machen Sie?“

„Ich halt emir den Kopf, damit er mir nicht zerspringt!“ Der Architekt hatte die Ellbogen auf die Tischplatte, vor der er sass, gestemmt. Er stützte das Kinn auf eine Faust und richtete darüber hinweg seine dunklen Augen verglast auf den Sanitätsrat. „Hören Sie mal: Lieg’ ich am End’ noch im Bett und schlafe und trauma die ganze Geschichte . . .?“

„Nicht doch! Wir sind ganz wach und munter, Verehrtester!“

„Wenn ich nicht träuma . . ., dann gehöre ich ja eigentlich in ein Irrenhaus. Dann bin ich offenbar verrückt geworden . . .“

„Nicht so hitztig! Nicht so hitzig! Sie zwingen sich jetzt, ein bisschen was zu frühstücken!“

„. . . ich hätte meine Frau umgebracht . . . ich meine Frau . . .“

„Vielleicht versuchen Sie, ein wenig zu schlafen! . . .“

„. . . meine Frau — meine geliebte Frau . . .“

„. . . oder, wenn Sie nicht schlafen können — ich schicke Ihnen etwas leichte Lektüre . . .“

„. . . Ja — bin ich denn ausserhalb von dieser Welt — oder seid Ihr’s?“ Christof Vohwinkel schüttelte den Kopf und flüsterte vor sich hin: „Da macht man den Sarg auf . . . Er ist leer . . . Ja . . . wie kann er denn leer sein? Das ist ja eine Afferei der Augen! . . . Das ist ja nicht möglich . . .“

„Immer Ruhe — immer Ruhe, Herr Vohwinkel!“

„Schwatzen Sie nicht!“ Der schöne Mann sprang ungestüm auf. Er stiess den Stuhl zurück, das ser dem Sanatoriumsleiter gegen die dünnen Beine torkelte. „Belästigen Sie mich nicht! Was soll denn der Kram? Da steh’ ich . . .“ Er wandte sich keuchend, wie um Hilfe flehend, dem Arzt zu. „Da steh’ ich, von Feinden umringt! Es geschehen Dinge, die ich nicht begreife . . . für die ich keine Erklärung geben kann . . . Der Sarg ist leer! Der Sarg wurde leer zugenagelt . . .“ Der Architekt fasste den Doktor Kleemüller an einen Knopf seines Pastorenrocks und schüttelte den . . . „Verstehen Sie: leer zugenagelt! Man behauptet: von mir! Und ich darf nicht sagen, wo ich in dieser Zeit war, als der Sarg zugenagelt wurde. Ich werde es nicht sagen! Ich beisse mir lieber die Zunge ab!“

„Setzen Sie sich . . . Beruhigen Sie sich . . . die Nervenattacken nützen zu nichts!“

„Begreifen Sie, was das heisst?“ Der Architekt Vohwinkel blieb wildatmend stehen. „Nicht reden zu dürfen — sich nicht rühren zu dürfen — und meine Feinde triumphieren!“

„Sie haben ja gar keine!“ sagte der Sanitätsrat milde. „Sie sind ja so allgemein beliebt!“

„Ich habe eine Todfeindin!“ Christof Vohwinkel steckte die Hände in die Hosentaschen und lachte hart vor sich hin. „Sie ist meine Schwägerin und schreibt sich Male Matteis. Das Mädchen ist ungewöhnlich energisch. Dabei nicht dumm. Sehr hübsch dazu. Also alles in allem höchst gefährlich!“

„Vielen Männern sicherlich! Aber warum gerade Ihnen?“

„Sie hasst mich wie die Sünde!“ Der Architekt Vohwinkel würgte es aus trockener Kehle. „Weil sie ihre Schwester, meine Frau, vergöttert, und ich leider Gottes meine Frau in unserer Ehe sündhaft vernachlässigt habe! Von ihr wurde — das wird mir allmählich entsetzlich klar — meine Frau angestiftetm sich auf diese teuflische Weise an mir zu rächen, indem sie plötzlich in Spanien verschwand, während ich in jener Angelegenheit, über die ich nicht reden darf, abwesend war. . .“

„Herr Vohwinkel: Ich werde Ihnen mal den Puls fühlen!“

„. . . indem dann dieser leere Sarg nach Deutschland expediert wurde und dann die Male hier in Berlin anfing, das Gerücht auszustreuen, ich hätte meine Frau ermordet, bis ich schliesslich selbst die Ezhumierung beantragte — selbst — in meinem guten Gewissen — das spricht doch Bände!“

„Freilich — freilich, Herr Vohwinkel!“

„. . . und nun vorhin dastand und meinen Augen nicht traute! Und meine Schwägerin Male steht dabei und reibt sich die Hände! Die Sache ist höllisch schlau von ihr eingefädelt — das Mädchen ist mit allen Hunden gehetzt . . .“

„Herr Vohwinkel: Ihre Nerven sind hochgradig überreizt!“

„. . . Sie hat die Elfi zu dem Streich gegen mich willenlos gemacht und ihr vorgespiegelt, sie, die Elfi, müsse mir die Verirrungen meiner Ehe zehnfach heimzahlen und sich von mir befreien! Sie weiss natürlich auch jetzt gang genau, wo die Elfi steckt, und halt sie auf dem laufenden üben den Vernichtungsfeldzug gegen mich!“

„Sie müssen sofort zu Bett, Herr Vohwinkel!“

„Glückt die Kampagne, so werde ich hingerichtet. Oder verschwinde auf Lebenszeit im Zuchthaus. Finanziell ruiniert bin ich, im Vertrauen, schon jetzt! Was macht’s? Ein Mensch weniger! Es gibt ja so ’ne Masse!“

„Wenn Sie zu Bett sind, klingeln Sie der Schwester! Ja!“

„Ja glauben Sie denn, ich könnte jetzt hier krumm liegen und faulenzen, während draussen mein Fräulein Schwägerin mi rim Schweiss ihres Angesichts mein Grab schaufelt? Nein — ich werde ihr mal vor das Angesicht hintreten! Ich will sehen, ob sie meinen Blick aushält! Ich werde ihr auf den Zahn fühlen, was sie von den Geheimnissen dieses Sarges weiss! Und dann werde ich mir gestatten, dem Staatsanwalt zu melden: Fräulein Matteis gehört vor Gericht! Nicht ich!“

„Ich kann mich hier nur als Arzt äussern, und ich bin bei Ihnen für unbedingte Ruhe!“ Der Leiter des Sanatoriums Kleemüller schüttelte sein würdiges Haupt aus Hufelands Zeiten. „Was Sie vorbringen, Herr Vohwinkel, macht, klinisch beurteilt, einen durchaus pathologischen Eindruck! Schliesslich kein Wunder in Ihrer merkwürdigen Lage! Nun — nun, das gibt sich auch alles wieder mit der Zeit! Gibt sich! Halten Sie sich nur jetzt recht hübsch still auf Ihrem Zimmer! Verlassen Sie es nicht! Laufen Sie nicht unnütz in der Anstalt herum. Es regt nur Sie und die anderen auf! Na — ich schau’ später wieder nach! Morgen, Morgen, mein Bester!“

Der Sanitätsrat war geräuschlos wie ein Schatten zur Türe hinausgeweht. Christof Vohwinkel zuckte geistesabwesend die Achseln. Er hatte auf das Milchgeplätscher der vielen Worte gar nicht mehr hingehört. Er trat zu dem einzigen Fenster seines Gemachs. Er schaute nach dem grossen, grünen Garten des Sanatoriums hinaus. Die Bänke neben den Kieswegen, die Liegestühle auf dem Rasen, die Hängematten zwischen den Bäumen waren jetzt noch alle leer, die Patienten noch im Bad, in Wickeln, im Zanderraum, im Röntgenkabinett, in der pneumatischen Kammer, unter den Fäusten des Masseurs, auf der Wage, unter der Dusche. Es klopfte. Die Schwester brachte das Frühstück. Christof Voheinkel blinzelte sie misstrauisch an.

„Was für ein Schlafmittel habt Ihr denn in die Zichorie getan?“

„Aber, Herr Architekt!“

Die Pflegerin ging. Vohwinkel liess Kanne, Tasse und Teller unberührt. Er wartete, bis die leichten Schritte draussen auf dem Gang verhallt waren. Er lauschte in der tiefen Stille, als könnte jeden Augenblick draussen der schwere Schritt von Schutzleuten dröhnen, die kamen, um ihn zu verhaften. Er schaute, mit der fieberhaften Hast eines Mannes, dem plötzlich jede Minute kostbar ist, im Zimmer umher und suchte seinen Hut. Der breitrandige Künstlerhut war nicht zu entdecken! Den hatte die gute Schwester offenbar unbemerkt unter ihrer Schürze mit fortgenommen! Vohwinkel musste lachen: Jetzt, in der Junihitze, fiel in Berlin ein Herr ohne Hut wahrhaftig niemandem auf! Hoffentlich hatten sie nicht auch noch die Türe . . . Nein! Die Türe war offen. Der Architekt Vohwinkel schritt den ausgestorbenen Flur entlang zum Haustor. Dort steckte der Pförtner seinen bärtigen Kopf aus dem Seitenfensterchen.

„. . . Augenblick, Herr Architekt!“

„Nun machen Sie doch schon auf!“

„Ich will nur schnell dem Herrn Sanitätsrat melden, dass der Herr Architekt jetzt ausgehn! Ich weiss nicht, ob es dem Herrn Sanitätsrat recht ist!“

Christof Vohwinkel machte kehrt und ging in sein Zimmer zur ebenen Erde zurück. Stand unruhig und unschlüssig. Der Garten draussen war noch immer leer. Das Fenster lag ziemlich hoch. Herrgott — wozu war man denn Architekt — an steile Leitern und schmale Planken und Turnerkunststücke auf dem Neubau gewohnt? Er schwang sich über den Fenstersims, er fand, mit den Händen an ihm hängend, draussen in den Holzgevierten des Spalierobstes Stützpunkte für die Stiefelspitzen, er landete mit einem Plumps unten suf der weichen Erde, life schnell, quer über die Blumenbeete, durch den Garten an die Mauer, erkletterte einen Föhrenstamm bis zu deren Krönungshöhe, stand vorsichtig, mit derben Schuhsohlen, auf den eingemörtelten grünen Glasscherben und tat einen weiten Sprung hinunter auf die baumbeschattete, stille Seitenstrasse. Ein paar Leute, die da gingen, blieben starr stehen. Er winkte ihnen flüchtig mit der Hand zu: „Es ist nichts!“ und eilte den Weg entlang. An der Ecke atmete er auf. Da wollte gerade ein leeres Auto vorüber. „Halten Sie mal am nächsten Zigarrenladen!“ beorderte er und stieg ein. Und ein paar Minuten später dort, nachdem er sich ein paar teure Havannas eingesteckt hatte, im Telefonbuch blätternd, nachlässif zu dem diensteifrigen Verkäufer: „Ach — wollen Sie mir ’nen Gefallen tun — ja? Ich hör’ nämlich ’n bisschen schwer! Bitte rufen Sie doch mal die Nummer da an und fragen Sie, ob Fräulein Matteis schon draussen in der Fabrik ist!“

„Gerne, mein Herr!“ Der junge Mann verschwand und kam wieder. „Die Dame sei wahrscheinlich noch im Ausstellungsraum in der Stadt — sagt das Mädchen am Apparat!“

„Danke!“ Der Architekt Vohwinkel stieg wieder in den Wagen. „Los! Kurfüstendamm 710!“

Hinter mächtigen Glasscheiben standen da blitzblank poliert und lackiert die Musterexemplare der Automobilfabrik ehemals F. Matteis A.-G. Zwei jüngere Gents mit tadellosem Sakkoschnitt und Bügelfalte lehnten gelangweilt in diesen kundenlosen Morgenstunden an ihren Prunkwagen und wurden beim Erscheinen des schönen Mannes plötzlich stürmisch lebhaft.

„Sie interessieren sich für unsere neuesten Typen? Sehr schmeichelhaft! In welcher Art darf er sein? Ein leichter, wirklich leistungsfähiger Wagen? Mein Herr: Sie finden in ganz Berlin und in den Vereinigten Staaten nichts Besseres und dabei Billigeres als hier unseren diesjährigen Matteis-Six — Beachten Sie die schnittige Linienführung . . . Ein kleines Wunder an Zuverlässigkeit und Elegan!“

„Natürlich alle Schikanen!“ ergänzte der zweite Herr. „Hydraulische Stossdämpfer! Fünffach bereift! Vielleicht einmal eine kleine Probefahrt?“

„Mit diesem Wagen hat unser Fräulein Matteis neulich als einzige Dame punktfrei das tolle Bergrennen in . . .“

„Sagen Sie mal: könnte ich Fräulein Matteis nicht einmal selbst wegen des Wagens sprechen?“

„Leider nein, mein Herr!“

„Man sagte mir doch, sie sei augenblicklich hier!“

„Ja. Aber Fräulein Matteis befasst sich natürlich nicht persönlich mit dem Verkauf unserer Fabrikate!“ meinte der erste Gent höflich und etwas überlegen lächelnd.

Der Architekt Vohwinkel furchte die Stirne und schaute durch das Lokal.

„Ich kenne doch Fräulein Matteis! Mir würde sie schon den Gefallen tun!“ Er brach ab und horchte einen Augenblick. „Ich höre doch ganz deutlich da irgendwo ihre Stimme!“

„Fräulein Matteis telefoniert nebenan im Kontor mit ihrer Frau Mutter. Deswegen ist sie hergekommen. Ich glaube nicht, dass Fräulein Matteis zu sprechen sein wir. Sie ist heute durch irgend etwas sehr erregt!“

„Na — immerhin — wenn das Telefongespräch zu Ende ist, werde ich mein Glück versuchen! Wenn das gnädige Fräulein mich sieht — ich sage Ihnen ja — wir sind alte gute Bekannte . . .“

„Ja, Mama . . . Ich hielt es für besser, dich gleich noch von Berlin aus telefonisch vorzubereiten,“ rief in der Hörzelle des rückwärts von dem Verkaufsraum gelegenen Büros Male Matteis in das Sprachrohr, „statt dass ich dir draussen mit der unerhörten Geschichte ins Haus falle und ich erschrecke! Also jetzt habe ich dir alles erzählt. Jetzt hast du Zeit, dich zu sammeln, bis ich hinauskomme! Ich steige jetzt gleich in meinen Wagen! Wie? Ja. Ich bin überzeugt, dass er sie ermordet hat! Es bleibt gar keine andere Erklärung! Wenn du sein Gesicht gesehen hättest! . . . Nein. Leider. Verhaftet hat ihn der Staatsanwalt vorläufig nicht — nur in ein Sanatorium spediert! Wenigstens ist er da unter Aufsicht!. . . Also auf nachher. . .“

Male Matteis hängte ab, öffnete die Zellentür, machte halt. Sie konnte nicht über die Schwelle. Der Architekt Vohwinkel stand davor. Er hielt sie in dem engen Kasten gefangen. Die beiden saben sich in die Augen. Male Matteis war mehr zornig als erschreckt.

„Da hört doch alles auf. . .,“ sagte sie halblaut.

„Jetzt hab’ ich dich. . . Jetzt kommst du mir nicht von der Stelle. . .“

„Willst du mich auch umbringen, wie du meine Schwester umgebracht hast?“

„Lüge nicht!“ Der Architekt Vohwinkel beugte sich vor. Er flüsterte nur. „Du brings mich um — mit niederträchtigem Vorbedacht! Aber so leicht wirst du mit mir nicht fertig!“

„Lass mich jetzt heraus!“

„Du wirst mir jetzt Red’ und Antwort stehn!“

„Ich bin hier Herr im Haus! Ich rufe meine Leute!“

„Meinetwegen! Dann gestehe mir vor allen deinen Leuten, wo du die Elfi verborgen hältst!“

„Was?“

„. . . damit man, dank euch, mich köpft!“

„Bist du verrückt geworden?“

„Aber ich habe keine Lust, wegen euch aufs Schafott zu kommen! Ich habe keine Lust, wegen euch zeitlebens Tüten zu kleben! Ich habe keine Lust, wegen euch mir vorher ’ne Kugel vor den Kopf zu schiessen — wo ich doch unschuldig bin! Du weisst das! Du wirst mit jetzt die Möglichkeit geben, das zu beweisen! Du wirst mir sagen, wo die Elfi ist!“

„Mein Gott — im Jenseits — durch dich!“

„Wo hast du sie versteckt? Gestehe!“

„Wenn du den Unzurechnungsfähigen spielen willst, um deiner Starfe zu entgehen so probier’ dein Glück vor Gericht und vor den Ärzten! Hier, zwischen uns, unter vier Augen, hat die Komödie gar keinen Zweck! Also lass mich jetzt gefälligst vorbei . . .“

„Du bleibst! Du sagst mir jetzt, wo die Elfi ist . . .“

„Untersteh’ dich, mich anzurühren!“

„Da halt’ ich dich! . . .“

„Lasse mich los!“

„Mir ist jetzt alles gleich! Ich kämpfe um mein Leben . . .“

„Soll ich wirklich schreien! Soll die ganze Strasse zusammenlaufen?“

„Gib die Elfi her! . . . Ich habe Todesangst . . . Ich bin kein Held . . . Ich will nicht sterben . . .“

„Jetzt packt er mich noch am Hals . . . Hilfe . . . Gott sei Dank, Herr Ritter . . . Bitte, Herr Ritter . . . möglcihst keinen Lärm! Kein Aufsehen!“

Der eine der beiden jungen Verkäufer, die dem Architekten Vohwinkel gefolgt waren, fasste ihn von hinten unter den Ellebogen. Der zweite half ihn halten und winkte einem vom Hofe herstürmenden, nassen Wagenwäscher. „Holen Sie rasch ’nen Schupo!“ Male Matteis stand in der Mitte des Kontors. Sie war sehr blass. Sie glättete sich mechanisch mit der flachen Hand die Falten ihres weissen Kleids und griff sich in das Haar. Sie vermied es, ihren Schwager mit einem Blick zu streifen.

„Der Herr hier steht unter dem dringendsten Verdacht der gewaltsamen Beseitigung seiner Frau, meiner Schwester!“ sagte sie zu dem eintretenden Schupo. „Leider lassen die Behörden ihn noch immer frei herumlaufen . . . Und in dem Sanatorium, in das er kommen sollte, geben sie ihm offenbar auch den Hausschlüssel! Dabei ist er gemeingefährlich! Das hat er jetzt eben wieder geziegt! Wie? Sie bringen den Herrn zur Polizeiwache? Gut!“

Der schöne Mann zuckte die Achseln. Er ging ruhig und elastisch mit dem Schupo zu seinem draussen wartenden Auto und fuhr nach dem Revierbüro um die Ecke.

„Ich bin mir durchaus keiner Schuld bewusst!“ sagte er dort schnell und höflich, in leichtem Gesprächston, zu dem Wachtmeister. „Eine kleine Auseinandersetzung in geschlossenem Hinterraum, unter vier Augen, mit meiner sehr temperamentvollen, jungen Schwägerin! Mein Gott — das kommt in den besten Familien vor! Wenn die Dame mich verklagen will — sie kennt mein Adresse! Bitte hier meine Ausweise: Eigene Villa im Grunewald. Gültiger Pass. Letzte Steuerquittung von blödsinniger Höhe! . . . Das kein Haftverfahren gegen mich schwebt, hat die junge Dame selbst zugegeben. In einem Sanatorium geht natürlich jeder aus und ein, wie es ihm beliebt! Also was will sie eigentlich? Wissen Sie’s? Ich nicht! Ich bin also, nach Feststellung meiner Personalien, entlassen! Danke sehr! ’Morgen!“

Der Architekt Vohwinkel stand vor dem Polizeibüro. Es lag in einer Querstrasse, ganz nahe dem Kurfürstendamm. Der Taxameter harrte davor. Der Chauffeur, ein alter, ehemaliger Droschenkutscher, döste beschaulich vor seinem Steuerrad. Er fuhr von einem derben Hanschlag auf die Schulter empor. Sein Fahrgast stand hinter ihm in dem offenen Wagen und deutete auf die breite, noch morgenleere Fahrbahn drüben.

„Sehen Sie die junge Dame in Weiss, mit dem weissen Band am Strohhut, die eben vorüberfährt . . .?“

„. . . die da alleene im Wagen sitzt . . .?“

„. . . und selbst chauffiert! Hinter der fahren Sie her! Hier, Mann Gottes, haben Sie zwanzig Märker!“

„Nanu?“

„Dafür finger Sie folgendes: Sowie wir an rotes Licht kommen, stoppen Sie dicht neben dem Wagen drüben — oder besser noch unmittelbar dahinter . . . so dass ich aussteigen und mich schnell, ehe es weiter geht, neben die Dame in dem anderen Wagen setzen kann! . . . Wie? Nun dämmert’s Ihnen! . . . Also los!“

Es war noch zu früh für Verkehrsstockungen. Der Kurfürstendamm lag noch leer und verschlafen, nach dem brausenden Menschengewimmel, dem tausendfachen Gehupe der Autos, den taghellen Bogenlampen und laufenden Lichtbändern und blauen, roten, gelben elektrischen Girlanden der Mitternacht. Das Auto mit der jungen Dame un Weiss am Steuer glitt gleichmässig und flüchtig an den kritischen Strassenecken vorbei. Die Taxiroschke, ein ausgedienter Herrschaftswagen, rasselte kurzatmig, aber rüstig wie ein steinalter Renngaul, hinterher. Male Matteis merkte es nicht. Sie hatte keine Zeit, den Kopf zu drehen. Jetzt, gegen die Gedächtniskirche hin, wurde das Gerolle der Autobusse und Elektrischen dichter. Der kleine Wagen schlüpfte in Schlängellinien zwischen den Kolossen durch. Stoppte vor der fernen, breiten Brust des armespreizenden Schupos. Im selben Augenblick war der Taxameter neben ihm. Christof Vohwinkel sprang heraus. Die drei Schritte auf seine Schwägerin zu. Sie sah ihn . . . Sie sass hilflos. Sie konnte nicht vorwärts und nicht zurück . . .

„Ihnen hat wohl der Dokter Bewejung verordnet, det Sie hoer zu Fuss mang dem Fuhrwerk ’rumloofen!“ Ein Geschäftsbote schob sich mit seinem Dreirad zwischen die beiden Autos und trennte den Architekten Vohwinkel von dem Matteis-Wagen drüben. „Nu machen Sie mal fix Schlusssprung retour in Ihre Karre! Et jeht wieder los!“

Die kleine Wagenburg ruckte an und rollte. Vohwinkel hatte durch das Aussteigen Zeit verloren. Er sah den Strohhut mit dem weissen Band hundert Meter vor sich in voller Fahrt. Er hatte einen neuen Einfall. Er liess den Chauffeur in die Kurfürstenstrasse einbiegen. Er jagte ihn in Polizeiwidrigem Tempo durch das stille, von Verkehrsschutzleuten unbewachte Geheimratsviertel, über die Potsdamerbrücke, die Viktoriastrasse entlang nach dem Kemperplatz. Dort musste ihm seine Schwägerin auf dem eigentlichen Weg, der Tiergartenstrasse, in die Arme laufen. Kaum hielt er hinter dem Roland an der Ecke der Lennéstrasse, da sah er sie, inmitten eines ganzen Rudels sausender Wagen, herankommen. Sie umrundete vorschriftsmässig langsam, zur Hälfte das Denkmal in der Mitte: Sie musste jetzt an ihm vorbei. Nein. Sie hatte ihn bemerkt. Sie fuhr einfach den Kreis weiter, schwenkte, ihm den Rücken kehrend, rechts ab, durch die Bellevueallee schnurgerade in den Tiergarten hinein.

Der Architekt Vohwinkel konnte ihr nicht folgen . . . Er war durch das standing sich drehende Karussell immer neuer Autos von ihr getrennt. Er überlegte mit zusammengebissenen Lippen: Die Stockungen am Brandenburger Tor würde sie vermeiden. Sie würde längs der Spree hinaufjagen. Er fuhr in einem Sturmtempo nach der Alsenbrücke. Schnellte im Rücksitz des Taxameters empor: Da flitzte gerade vor ihm der Matteis-Six hinüber auf das andere Ufer. „Chauffeur: nun aber hinterher!“ Eine Jagd durch die Strassenzüge des Nordens. Christof Vohwinkel war nur noch zehn Meter hinter dem Wagen seiner Schwägerin — nur noch fünf — Sie wusste es . . . Sie schaute erbittert über die Schulter. Aber sie konnte nicht schneller fahren. Ein unbehilflich rumpelnder Mörtelwagen versperrte ihr den Weg. Der Architekt Vohwinkel lächelte siegesgewiss. Da türmte sich im letzten Augenblick vor ihm jäh das grosse, lähmende Verkehrshindernis Berlins: In der Mitte der Strasse, sie in zwei Hälften spaltend, hielt gemächlich die Elektrische. Sie hatte Zeit. Rechts am Bürgersteig stand, die Strassen-hälften sperrend, ein alter Gemüsekarren. Er hatte auch Zeit. Dazwischen war kein Raum mehr für dir Durchfahrt. Alles übrige konnte warten. Male Matteis war gerade noch vorher durchgewitscht. Ihr Schwager sah sie und ihren Wagen durch die endlose Invalidenstrasse hin immer kleiner und kleiner werden und verschwinden.

Das Mädchen in Weiss fuhr, ohne sich noch einmal umzusehen, dahin. Sie schwenkte in einem gewaltigen Bogen quer durch das ganze Berlin des Ostens wieder in der Richtung nach der Oberspree. Sie kam allmählich aus den Vorstädten hinaus, in das Bereich der Bauzäune, Sportplätze,

Müllstätten, Kiesgruben, der letzten freistehenden Mietskasernen, der einzelnen Fabriken auf freiem Felde.

Neben einer solchen russigen Hochburg von Schloten, Schuppen, Höfen, niederen Dächern lag eine rote Backsteinvilla. Das Gitter ihres Vorgartens öffnete sich vor dem Auto. Male Matteis hielt an dem Haustor und sagte im Aussteigen zu der Portierfrau:

„Mein Schwager fährt hinter mir her! Ich glaube, er will mich umbringen! Wenn er kommt, sagen Sie ihm, dass ich mich in keiner Weise vor ihm fürchte! Er soll also nicht gewalttätig eindringen, sondern sich manierlich bei mir melden lassen, wie es sich gehört!“

Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi

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