Читать книгу Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi - Rudolf Stratz - Страница 6

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Zwischen dem lockeren Erdgeröll in der Tiefe blinkten jetzt schon an einzelnen Stellen die verrosteten Flächen eines Zinksarges. Die Arbeiter knieten in Hemdärmeln und bastelten mit Stahltrossen, die sich wie dünne Schlangen in ihren Fäusten wanden, und knüpften sie um den noch halb unsichtbaren, schweren Metallkasten da unten. Der Medizinalrat hatte sich steifbeinig rücklings in die Grube rutschen lassen, sammelte dort Sand- und Lehmproben und stopfte sie in ein verschraubbares Aluminiumgefäss. Der Untersuchungsrichter und der Gerichtsschreiber sahen ihm zerstreut zu. Der Architekt Vohwinkel stand neben ihm so ruhig, als ginge ihn die ganze Sache nichts an. Der Rechtsanwalt Burhem lief ungeduldig mit kleinen, schnellen Schritten auf und ab. Plötzlich machte er jäh halt und schnalzte ärgerlich mit der Zunge.

„Das hat gerade noch gefehlt!“ murmelte er nervös. Er schob mit einem flüchtigen „Pardon!“ den Protokollführer beiseite und eilte den Kiesweg entlang. Von der Hauptallee her näherte sich da, flüchtigen und energischen Schrittes, eine junge Dame im weissen Sommerkleid und Strohhut mit weissem Band auf dem kurzen, dunkelblonden Haar. Sie war mittelgross, von sportschlanker, aber kräftiger Gestalt, nicht hungerdünn, sondern mit den Umrissen ihres Geschlechts. Ihr hübsches Gesicht war von festem Schnitt, mit dem sachlichen kühlen Ausdruck des modernen Mädchens. Sie hatte den Mund atemlos halb offen. Sie richtete ihre hellbraunen Augen zornig auf den Rechtsanwalt. Sie rief schon von weitem mit heller erregter Stimme: „Das ist ja wirklich reizend von Ihnen, Herr Doktor!“

„Sind Sie denn verrückt geworden, Fräulein Matteis?“

„Sie geben mir mit keinem Wort Nachricht, dass heute die Exhumierung stattfindet! Zufällig habe ich es vorhin erfahren! Ihr Chauffeur hat es gestern abend unserm erzählt und der wieder meinem Mächen! Und die entschloss sich schliesslich, mich heute bei Sonnenaufgang zu wecken und mir’s ins Ohr zu schreien . . .“

„Und da sind Sie hier heraus . . .?“

„Da bin ich!“

„Sie werden doch nicht die wahnsinnige Idee haben, sich . . . sich mit dahin stellen zu wollen . . .?“

„Nein. Das natürlich nicht!“ Male Matteis wurde etwas blass. Sie war noch immer ausser Atem. „Aber irgendwo in der Nähe muss ich bleiben und erfahren, was vorgeht . . .“

„Sie hätten zu Hause bleiben sollen . . .“

„Ich halte es zu Hause nicht aus! Ich bin viel zu aufgeregt!“

Die Hitze auf Male Matteis Wangen kehrte wieder. „Da . . . da haben wir’s ja . . . Na also . . .“ Ihre braunen Augen leuchteten feindselig auf. Sie deutete mit der Hand den Weg hinab. „Ich wusst’ es ja . . . da steht er!“

„Es war unmöglich, Ihren Schwager zum Weggehen zu bewegen . . .“

„Wenn er nicht da wäre, würde ich auch wieder weggehen! Aber ich hab’ es mir ja gedacht! . . . Deswegen hat’s mich ja hier hinaus getrieben! Solange er da ist, halte ich mich auch hier irgendwo in der Nachbarschaft! Ich räume ihm nicht das Feld! Gott weiss, was er angibt, wenn er freies Spiel, ohne mich, hat . . .“

„Er wird ja gar nicht gefragt! Es handelt sich jetzt nur um den Sarg . . .“

„Ach — er mischt sich doch ein . . . er redet . . . er gibt Erklärungen ab. Er streut dem Gericht Sand in die Augen. Das tut er bei allen Menschen. Das hat er auch bei meiner armen Schwester getan. Mir macht er nichts vor! . . . Ich kenn’ ihn! Sehen Sie nur, wie er sich bei meinem Anblick achselzuckend abwendet! Ich komme ihm hier sehr ungelegen! Das weiss ich!“

„Wie sind Sie denn überhaupt hereingekommen, Fräulein Matteis, ohne Ausweis? Der Pförtner hätte Sie gar nicht durchlassen dürfen!“

„Der hat mich auch weggeschickt!“

„Na — und da . . .“

„Die Strassen sind ja noch ganz leer!“ sagte das junge Mädchen. „Da bin ich über die Kirchhofmauer geklettert. Furchtbar einfach!“

„Die Mauer ist doch für Sie zu hoch!“

„Es kamen zwei Strassenbahner vorüber. Die hab’ ich gebeten, mich beim Hinaufkrabbeln zu halten! Die waren gleich dabei!“

Male Matteis sagte das mit sachlicher Ruhe. Einen Augenblick spielte ein verstecktes, waghalsiges Lächeln um ihre Mundwinkel. Dann gewann ihr junges Gesicht wieder seinen frühreifen Ernst.

„Nein! Ich lasse meinen Schwager in dieser entscheidenden Stunde nicht ausser meiner Reichweite!“ sagte sie knapp und schroff. „Ich werde dort drüben, auf der Bank vor dem Häuschen von dem Friedhofsgärtner, sitzen! Dorthin bringen Sie mir, bitte, sofort Nachricht, wenn . . .“

„Und wenn Ihr ganzer Verdacht sich jetzt in Wohlgefallen auflöst?“ Der Rechtsanwalt Burhem wollte sich nervös eine Zigarette anzünden, besann sich, dass sich das hier nicht schickte, und steckte heftig die Silberdose wieder ein. „Ich hab’ es Ihnen von Anfang an gepredigt, Fräulein Matteis, dass Sie bei der Geschichte sich noch die tollsten Unannehmlichkeiten zuziehen werden! Aber Sie wollten ja nicht hören!“

„Nein. Ich will Gewissheit haben, wie meine Schwester gestorben ist! Dann hab’ ich wenigstens von jetzt ab Ruhe!“

„Irrtum, meine Gnädigste! Ihr Schwager wird Sie nach Feststellung des Tatbestandes wegen Verleumdung verklagen!“

„Mag er!“

„Sehen Sie, wie der Mann da drüben steht! Das verkörperte gute Gewissen! Wenn er den Kirchhof hier mit ’ner weissen Weste verlässt, haben Sie nichts mehr gegen ihn in der Hand ausser Ihrer moralischen Überzeugung! Auf die geben die Schöffen in Moabit nicht ’nen Groschen!“

„Na — dann brumm’ ich eben! Ich bin der Elfi das schuldig! Ich hab’ die Elfi zu lieb gehabt! Ich bring’ dem Andenken der Elfi jedes Opfer! Übrigens — Sie sagen, ich hab’ nichts in der Hand! Bitte: hier!“

„Was ist denn das für ein Brief?“

„Ich habe schon vor vier Wochen an den Arzt in dem spanischen Nest geschrieben, der den Totenschein ausgestellt hat! Unser Korrespondent für Südamerika in der Autofabrik hat den Brief in das Spanische übersetzt. Gestern ist der Brief als unbestellbar zurückgekommen! Da — bitte — lesen Sie die Adresse: ,An den Medico Señor F. I. Muñoz y Macha in Fuensanta!‘ Und da der Vermerk von der Post dort: ,Destinatario aqui desconocido.‘ Das heisst auf deutsch: ,Adressat hier unbekannt.‘ Halten Sie das auch nur für ein moralisches Argument, Herr Doktor?“

„Hm . . . komisch . . .“

„Ich habe mich auch an den Pfarrer dort gewendet — mit der Bitte um einen Auszug aus dem Kirchenbuch! Eingeschrieben! Sehen Sie hier den Schein! Glauben Sie, der Reverendisimo Párroco L. I. M. Bustillo hätte jemals geantwortet? Nicht die Spur! Das sind nun meinem Schwager seine Zeugen!“

„Er hat doch ihre behördlichen Bescheinigungen . . .“

„Die sind natürlich gefälscht!“ Fräulein Matteis sagte das in einer vollen, beinahe lächelnden Ruhe. Aber ihr frisches, junges Gesicht hatte dabei einen starren, in sich gekehrten Ausdruck. „Also, Herr Doktor, ich erwarte Sie dort drüben — wirklich im Fieber . . . an dem Gärtnerhäuschen!“

„. . . ’n Augenblick, gnädiges Fräulein! Ich glaube, der Richter will Sie sprechen!“

Der Untersuchungsrichter kam mit langen Schritten heran und verbeugte sich.

„Ich höre eben von Herrn Vohwinkel, dass Sie Fräulein Matteis sind!“ begann er schnell und energisch. „Also, gnädiges Fräulein — das geht nicht, dass Sie auch noch hier aus der Versenkung auftauchen . . .“

„Ich war im Begriff, mich zurückzuziehen!“

„Fräulein Matteis hat mir nur eben noch diese beiden Schriftstücke gezeigt!“ versetzte der Rechtsanwalt. Der Richter prüfte sie und runzelte die Narben auf der Stirne.

„Ich werde sie zu den Akten nehmen und das weitere veranlassen!“ sagte er. „Aber trotzdem und immerhin, gnädiges Fräulein . . . Sie gelten, wie ich höre, für eine junge Dame von ganz ungewöhnlicher Umsicht und Tatkraft . . .“

„Fräulein Matteis leitet doch, zusammen mit dem technischen und dem kaufmännischen Direktor, die ganze Autofabrik!“ ergänzte Doktor Burhem.

„Sie haben sich als Streckenfahrerin bei Bergrennen und Zuverlässigkeitsprüfungen wiederholt für Ihre Firma Auszeichnungen geholt?“

„Gott sei Dank!“

„Sie sind auch weit in der Welt herumgekommen . . .?“

„Ich war dreimal längere Zeit in Fabrikangelegenheiten in Amerika!“

„Also — dann müssten Sie sich doch, bei Ihrer Weltund Menschenkentnis trotz Ihrer jungen Jahre, selbst sagen, Fräulein Matteis: Herr Vohwinkel hat von sich aus, aus freien Stücken, die Exhumierumg beantragt!“

„Nein. Weil ich ihn dazu gezwungen habe!“

„Herr Vohwinkel gab bei diesem Anlass eine völlig klare und plausible Darstellung der Vorgänge, um die es sich handelt! Ich habe ihn selbst vernommen!“

„Wie oft, Herr Richter?“

„Einmal! Das genügte doch in diesem Fall!“

„Das habe ich nun anders gemacht!“ sagte Male Matteis. „Vom Augenblick ab, wo mein Schwager als Witwer aus Spanien zurückkam und ich sein Gesicht sah . . . Sein Gesicht hat mir genug gesagt . . . Das heisst, es sagte mir natürlich nichts von dem, was wirklich passiert ist . . . Von da ab hab’ ich Fragen gestellt — so beiläufig — jeden Tag mal — ich habe genau zugehört, wenn er meiner Mutter un meinem Onkel, dem Pfarrer und den andern Verwandten die traurige Geschichte immer wieder haarklein erzählt hat, und habe mir immer gleich hinterher jede Einzelheit ebenso wörtlich aufgeschrieben!“

„Nun — und das Ergebnis, gnädiges Fräulein?“

„Entscheidende Augenblicke behält man natürlich fest in der Erinnerung!“ sagte Male Matteis ruhig und entschieden. „Die sind, wie sie sind — wenn man sie noch so oft berichtet! Und kleine Dinge kann man natürlich vergessen. Aber wenn man sich an sie entsinnt, dass sind sie auch wie sie sind — und nicht heute so und morgen so! Das war der Fehler meines Schwagers in seinem sonst fabelhaft angelegten Plan. Dadurch hat er sich verraten! Er hat eine Unmenge unwesentliche Sachen, auf die nur ich allein geachtet habe, jedesmal verschieden dargestellt und auf die Weise meinen Verdacht immer mehr bestätigt!“

„Worin hat er sich denn widersprochen?“

„Kann er einmal die Nacht hindurch tränenüberströmt bei hellem Mondschein am Bett von der toten Elfi sitzen und das nächste Mal beim Geflacker von einem Talglicht in sternenloser Nacht? Kann der Posadero, der Wirt von der Fonda de San Joaquin, einmal ganz gut Katalonisch verstehen und das andere Mal kein Wort ausser Kastilianisch? Klagte die Elfi zuerst morgens oder des Mittags über Kopfschmerzen und Mattigkeit? Beides hat er zu verschiedenen Malen behauptet! Liess er den Arzt sofort oder erst am Abend rufen? Ich habe beides aus seinem Mund gehört! Und daraus habe ich mir meine Überzeugung gebildet! Was in Wirklichkeit dort in Fuensante geschehen ist, das weiss ich nicht! Aber, was Herr Christof Vohwinkel von dort berichtet, dass es geschehen sei — das weiss ich, dass es nicht wahr ist! Und wenn er lügt, muss er doch wohl seine guten Gründe haben, die Wahrheit nicht zu sagen!“

„Und was halten Sie für die Wahrheit?“

„. . . das ser meine Schwester umgebracht hat!“ sagte Male Matteis halblaut mit einer gepressten, ganz leidenschaftslosen Stimme, im Tonfall des Alltags. Die beiden, der Richter und der Rechtsanwalt, sahen sich an und schwiegen. Sie began wieder, immer mit derselben kalten Sachlichkeit: „Das heisst — um mich korrekt auszudrücken: Wenn ich sage ,umgebracht‘. . . so will ich damit sagen, dass mein Schwager die moralische Schuld am Tode meiner Schwester . . .“

„Schnell, gnädiges Fräulein! Springen Sie hinter mich!“

„Herr Vohwinkel — Sie werden sich doch nicht an einer Dame vergreifen!“

„Nein! Ich halte an mich!“ Der Architekt Christof Vohwinkel stand, am ganzen Körper zitternd, vor den dreien. Er hielt den breitkrempigen Künstlerhut in der Hand. Er strich sich wildatmed über das krause, dunkle Haar. Auf seinem weichen schönen Gesicht jegten sich fliegende Röte und weisslicher Schein. „Ich begrüsse die letzten Worte, die ich, im unbemerkten Herantreten, aus dem Mund meiner Schwägerin hörte! Ich bitte, diese Worte zu protokollieren, Herr Richter . . .“

„Ich widerrufe nichts!“

„Da wagt sich die Verleumdung endlich einmal frech unter die freie Sonne . . .“

„. . . aber ich war noch nicht zu Ende!“

„Ich habe genug gehört! Und ich glaube, die beiden Herren auch! Setzen Sie sich bitte in meine Lage, meine Herren, um meine Aufwallung eben, die ich bedauere, zu entschuldiges! Ich ein Mörder! Ein Mörder meiner armen Frau! Das muss ich mir öffentlich von einem hysterischen jungen Mädchen sagen lassen . . .“

„Na. . . hysterisch gerade, Herr Architekt . . .“

„. . . hysterisch in der blinden Liebe zu ihrer Schwester, die Fräulein Male Matteis zu diesen Irrsinnsausbrüchen verleitet! Ja — glauben Sie denn, ich hätte meine Frau nicht ebenso geliebt? Mehr noch!“

„Elend hast du sie erst um ihr Lebensglück gebracht und dann um ihr Leben!“ sagte Male Matteis leise zwischen den Zähnen.

„Ich habe meine Frau so geliebt wie sie mich! Ihre letzten Gedanken galten mir! Sie hat mir alles verziehen! Das sagt mir untrüglich mein Gefühl. Ich lebe ja jetzt, in der Erinnerung, nur noch für sie und mit ihr. Ich lebe völlig zurückgezogen in meiner Villa im Grunewald. Ich bin ein Einsiedler geworden — fast ohne Verkehr mit den Menschen. . . und unter den Menschen nun gar mit den Frauen. Ich sehe keine Frau mehr an . . .“

„Um durch diesen nachträglichen Kult mit der armen Elfi jeden Verdacht zu zerstreuen!“ Das junge Mädchen stand, die Hände in den Seitentaschen ihrer weissen Sommerjacke, straff aufgerichtet, den Kopf im Nacken, vor den Männern. „Ich kam vorhin nicht dazu, zu Ende zu reden! Ich erkläre also jetzt hier laut und feierlich, was ich oft schon jedem, der es hören wollte, gesagt habe: ich behaupte nicht, dass Herr Christof Vohwinkel eigenhändig dem Leben meiner Schwester ein Ende gemacht hat! Dazu hatte er keinen Grund. Aber er wusste, das ser sie durch seine Lieblosigkeit in den Tod trieb. Sie war ihm langweilig. Also liess er dem Verhängnis kaltblütig seinen Gang!“

„Wenn ich Sie recht verstehe, deuten Sie an, dass nach Ihrer Meinung Ihre Frau Schwester selbst . . .?“

„Die Elfi hat in Spanien Selbstmord begangen!“ sagte Male Matteis kurz und hart. „Mein Schwager wagt nicht, das einzugestehen, weil er weiss, dass die Elfi es aus Verzweiflung über ihn und seine ständige Vernachlässigung und seine ewigen Geschichten mit andern Frauen oder Weibern getan hat! Er fürchtete nicht etwa die Vorwürfe der Familie! An uns liegt ihm nicht ’ne Bohne! Aber wenn die Geschichte in der Öffentlichkeit bekannt geworden wäre, hätte ihm das einen guten Teil von seinen schönen Berliner Bauaufträgen verhageln können! Deswegen hat er vom ersten Tag ab mit eiserner Stirne gelogen! Aber das böse Gewissen wirft ihm immer wieder die Widersprüche wie Knüppel zwischen die Beine!“

„Ich gebe zu . . .“ Der Architekt Vohwinkel schaute, während er sprach, starr vor sich auf den Boden. „Es ist das einzige, was ich zugebe — und es ist ja leider auch allgemein bekannt: es setzte allerdings Seitensprünge meinerseits in meiner Ehe! Es war ein schwerer Fehler von mir. Aber meine Frau nahm diese kleinen Irrungen, Gott sei Dank, nicht so tragisch! Sie nahm mich, wie ich war. Sie hat mir immer wieder, in ihrer grossen Liebe, verziehen. Von diesen vorübergehenden Berliner Stimmungen und Verstimmungen führt kein Weg bis zu dem angeblichen verzweiflungsvollen Entschluss in Spanien, von dem meine Schwägerin faselt . . . Herr Richter — das Blut steigt mir in den Kopf, wenn ich sehe, wie Fräulein Matteis bei meinen Worten verächtlich mit den Achseln zuckt.“

„Ein halbes Jahr nach ihrer Hochzeit,“ sagt Male Matteis langsam, Wort für Wort, „da kam die Elfi spät am Abend zu mir. Kein Mensch mehr. Sie war wahnsinnig. Zum ersten Mal hatte sie meinen Schwager gesehen, wie er wirklich war — meinen Schwager, vor dem sie bis dahin wie vor einem Wunder der Schöpfung gekniet hatte. Die Elfi war ja kein Mensch wie wir hier! Sie war ein himmlisches grosses Kind. Sie sah die Welt aus Märchenaugen an. Auch meinen Schwager. Nun war für sie das Götzenbild zertrümmert und die Welt entweiht. Sie gab mir einen Kuss und einen Abschiedsbrief an unsere Mutter. Dann wollte sie fort, in die Winternacht hinaus. Die Spree fliesst ja ganz nahe von unserer Fabrik. Mit äusserster Mühe, mit aller Gewalt meiner Arme, habe ich sie zurückgehalten. Stundenlang habe ich mit ihr gerungen, bis sie sich endlich beruhigte.“

„Hm . . . Und weiter, Fräulein Matteis . . .“

„Ein Jahr darauf klingelt mich ganz früh, während mein Schwager verreist war, Elfis Mädchen an: Die gnädige Frau liege bewusstlos im Bett! Ich hin! Wie ich ankomme, schon alle Fenster auf! Der ärgste Gasgeruch verflogen! Der Doktor da! Er hielt reinen Mund! Die Elfi erholte sich rasch. Die Geschichte wurde vertuscht . . .“

„Nun: ein Gasrohr kann doch auch durch einen Zufall undicht . . .“

„Ein merkwürdiger Zufall, Herr Richter, wenn die Elfi um Mitternacht vor dem Schlafengehen einen eigens gekauften Verlängerungsschlauch an den Gasherd in der Küche schraubt und ihn in ihr Schlafzimmer leitet! Nun das letzte — vor der Reise nach Spanien: da nestelt sich, wie wir beide beisammensitzen, die Elfi auf einmal ihr Kleid auf und zeigte mir auf der blossen Brust links eine Stelle, die sie mit einem Kohlenstift Schwarz umrändert hat. ,Das muss man nämlich wissen!‘ sagt sie zu mir. ,Ich habe nachgesehen! An dieser Stelle sitzt das Herz — nicht da, wo man gewöhnlich glaubt, dass es ist, weil man es dort klopfen fühlt! Nein — auf diesen Punkt da muss man zielen und schiessen, wenn es einmal so weit ist!‘ Dabei spielte sie mit einem scharf geladenen, kleinen Revolver. Den schleppte sie in ihrem Handtäschchen mit sich herum.“

„Und diese Fahrt nach Spanien, gleich nachher,“ schloss Male Matteis mit erhobener Stimme, „war der armen Elfi ihre letzte Hoffnung! Auf dieser Reise wollte sie alles daransetzen, ihren Mann, allein mit ihm, durch ihre unendliche, überirdische Lieb ganz und dauernd für sich zu gewinnen! Die Elfi ist von dieser Reise nur im Sarg zurückgekehrt — ein Beweis, dass ihre Hoffnung sie betrogen hat, und im Sarg werden Sie die Spur diese Revolvers finden!“

„Der Sarg ist in den Seitenraum der Kapelle drüben überführt,“ meldete, heranschnaufend, der kleine Medizinalrat.

„Wenn ich bitten darf, meine Herren!“ Der Untersuchungsrichter wandte sich zum Gehen. „Sie bleiben hier, Fräulein Matteis?“

„Ja. Drüben am Gärtnerhaus!“

„Und Sie, Herr Architekt?“

„Ich gehe mit!“ sagte Christof Vohwinkel ruhig.

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