Читать книгу Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi - Rudolf Stratz - Страница 5

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Nette Zeit! — Fünf Uhr in der Früh!“ Der Medizinalrat gähnte, während er vor dem Friedhofseingang aus dem Auto kroch. Er schaute zurück. Dort hinten verschwamm, im Dunst des blassblauen Junimorgens, ein endloses Häusermeer. „Jetzt steigen die Leute in Berlin erst aus den Betten!“

„. . . und die Toten aus den Gräbern . . .“

Der Begleiter des Gerichtsarztes sprach das beiläufig. Er ging auf das trotz der frühen Stunde schon offene Gittertor zu, woe in alter Wärtet mit dem Schlüsselbund in der Hand Wache hielt.

„Ich bin der Rechtsanwalt Doktor Albert Burhem!“ sagte er schnell und nervös. Unruhe zuckte auf seinem glattrasierten, scharfen Gesicht. Er griff ungeduldig nach einem Stück Papier in der Hosentasche. „Hier der amtliche Zulassungsschein für mich als den Rechtsfreund der Familie Matteis, zu der für heute fünf Uhr morgens behördlich angeordneten Exhumierung der Leiche der Frau Elfriede Vohwinkel, geborenen Matteis!“

„Jerade die Allee lang und den zweiten Weg links, Herr Doktor!“ Der Alte legte die Hand an den roten Mützenstreifen und wante sich dem zweiten, dem Graubart, zu. „Morjen, Herr Medizinalrat! Ooch mal wieder hier bei uns stillen Leuten? Det scheint ja heute wieder ’n janz fauler Zimt zu sein! Jestern, bis das Tor jeschlossen wurde, war schon ein Menschenjedrängel um das Irab von der jungen Frau! Ob bei der ihren Tod wirklich nich allens mit rechten Dingen zugegangen sei, wollten die Leute von mir hören! ,Kann ick det wissen?‘ hab’ ick jesagt. ,Davon hat det Jericht selber noch keenen richtigen Bejriff von ’ner blassen Ahnung!‘“

„Wir werden ja sehen, lieber Freund!“ Der Kreisarzt schüttelte kurz und abwehrend den Kopf. Er und der Rechtsanwalt gingen den breiten Sandweg entlang. Sie streiften mit den Strohhüten die taufeucht niederhängenden Trauerweiden. Still standen die schwarzen Türme der Zypressen. Diamantene Wassertropfen funkelten an den Farnstauden und Grashalmen. Finkenschlag und Spatzengezirpe allein trillerte in der tiefen Morgenstille. Dann räusperte sich der Rechtsanwalt Burhem. Sein ironisch kluges Gesicht sah plötzlich resigniert und müde aus, älter als vorhin.

„Jetzt steigen die Toten aus den Gräbern . . .,“ wiederholte er, aus seinen Gedanken heraus. Er wurde in einer raschen Veränderlichkeit seines Wesens mit einem Schlag wieder lebhaft. Sein hageres Antlitz — an sich ein mathematisches Antlitz voll Verstandeslinien — füllte sich mit dem beweglichen Widerspiel neuer Einfälle. Er putzte gewohnheitsmässig seinen goldenen Zwicker, setzte ihn wieder auf und betrachtete das Gewimmel der Grabsteine umher.

„Haben Sie eigentlich einmal darüber nachgedacht,“ sagte er rasch und vertraulich zu dem kleinen, dicken, alten Herrn neben ihm, „dass die wenigsten Menschen leben? Weitaus die meisten Menschen sind schon längst wieder tot! Wenn es zu einer Abstimmung käme, würde der Tod mit zehn Pferdelängen über das Leben siegen! Die Toten sind — ganz unter uns — in einer kolossalen Überzahl! Also warum schlägt man sich zur Minderheit! Warum lebt man? Oder legt so viel Wert auf das Leben? Es ist doch nur ein Übergang vom Nichts ins Nichts. Der Genuss eines ganz kurzen Erbrechts!“

„Ihre Sorgen möchte ich haben, Herr Doktor!“

„Wissen Sie, wo mir das dämmerte? Bei ’ner Testamentseröffnung, vor Jahren, in einem alten Ahnenschloss! Immer dreissig Vorfahren an den Wänden auf einen der drei noch Lebenden! Unten in der Gruft die Kerzen in unserer Hand nur wie Lichtpünktchen in der schwarzen Nacht über unzähligen Särgen. Dieses Lichtpünktchen nennt man nun grossartig das Leben. Lachbar! Das Leben ist einfach eine kurze Unterbrechung des Todes. Diese Unterbrechung ist unnötig! Das Leben ist ’ne miserable Angewohnheit! Immer rundum — wie ’n Karussell! . . . Höherer Stumpfsinn . . .“

„Sie sehen so gelb aus! Sie haben sicher wieder die Nacht durchgespielt!“

„Ja — was soll man denn sonst nachts machen?“

„Schlafen!“

„Ich schlafe doch nicht. Schon seit zwei Jahren, seitdem ich geschieden bin, nicht mehr! Seitdem kann ich die Weiber nicht recht leiden. Und die Männer mag ich auch nicht! Na — und sonst hat die Schöpfung doch nicht viel auf Lager!“

Auf dem hageren, scharfen Antlitz des Rechtsanwalts Burhem kämpfte wieder, wie Sonne und Schatten im April, die logische Kälte juristischen Denkens mit dem heissen Kampftemperament des Verteidigers.

„Nee — mir ist manchmal katzenjämmerlich zumut, lieber Medizinalrat! Dann frage ich mich: was hat denn das alles eigentlich für einen Zweck?“

„Was denn — alles?“

„Na — Gott: alles! — Berlin da hinten — die Grabkreuze da vorn — alte und neue — die Kapelle dort drüben — das Leben — der Tod . . .! Zu so ’ner ausgefallenen Stunde wie jetzt, wo jeder vernünftige Mensch zu Bett geht, finde ich das Leben sträflich langweilig! Nie was Neues!“

„Und das sagen Sie, Doktor Burhem?“ Der alte Herr blieb entrüstet stehen. „Sie, den Tausende Ihrer Kollegen beneiden — der es mit noch nicht vierzig zu einem der berühmtesten Verteidiger von Berlin gebracht hat — der Geld verdient, wie er nur will, der über eine wahrhaft unheimliche Beredsamkeit verfügt — der dabei — verzeihen Sie, aber ich habe Sie zu oft im Gerichtssaal gehört — zugleich eine phänomenale Klarheit des Denkens besitzt . . .“

„Es müsste mal was Besonderes passieren!“ sagte sinnend der Rechtsanwalt Burhem, ohne recht zuzuhören. Der Medizinalrat marschierte zornig weiter.

„Sie, der Sie in den grössten Sensationsprozessen der letzten Jahre als Verteidiger die Hauptrolle spielten . . .“

„Sensationen?“ Der Rechtsanwalt betrachtete zerstreut im Vorbeigehen die Grabsteine . . . „Sensationen sind meist das Alleralltäglichste! Es gibt nichts Banaleres als Sensationen!“

„Sie hatten doch Fälle, bei denen einem der Atem stillstand!“

„Das Allerlangweiligste auf der Welt sind die sogenannten interessanten Fälle!“ Der Jurist bog mit dem Arzt in den Seitengang zur Linken. „Zum Beispiel diese Affäre hier, heute morgen — mit der Ausbuddelung dieses Sarges — obwohl ganz Berlin seit vier Wochen davon spricht! . . . Sehen Sie mal: da ist also eine reizende junge Frau — gekannt habe ich sie nicht — aber alle Welt sagt: sie war reizend. Die reizende junge Frau stirbt vor einem Jahr. Nein. Sie stirbt eigentlich nicht. Denn ihr Bild bleibt doch in der Erinnerung derer, die sie kannten. Noch in fünfzig Jahren murmelt ein Greis, der jetzt eben die Wahlmündigkeit erreicht hat: Gott — was war sie reizend! Aber mit dem schönen Bild begnügen wir uns nicht. Wir sind moderne Menschen. Wir sind Hunnen. Wir zerteppern, wenn’s sein muss, den schönsten Regenbogen. Wir reissen die sterblichen Überreste von etwas, was einmal reizend war, aus dem Grab, nur, um uns die Vergänglichkeit alles Irdischen zu Gemüte zu führen . . .“

„Warum haben Sie denn dann dabei die Vertretung der Familie Matteis übernommen?“

„Weil ich im letzten Jahr schon wiederholt Rechtsbeistand der Automobilfabrik Emil Matteis A.G. draussen an der Oberspree war, deren Aktien . . .“

„Gestern an der Nachtbörse 117 Geld — ich wollt’, ich hätte welche!“

„. . . also deren Aktien sich sämtlich im Besitz der Familie befinden! Nachdem Fräulein Matteis mich nun ausdrücklich gebeten hatte, hier dabeizusein . . .“

„Wieso Fräulein Matteis und nicht die Eltern?“

„Der Vater ist doch schon längst tot, und die Mutter hat nichts zu sagen. Fräulein Matteis ist der Mittelpunkt der Familie und die Seele vom Geschäft . . .“

„Die Rennfahrerin?“

„Ja. Auch. Nebenbei. Alles für die Firma. Für die Firma fährt sie auch nach dem Mond. Also nachdem dieses höchst energische Fräulein Matteis nun einmal vorsätzlich und seit Wochen das unbestimmte Gerede, mit dem Tode ihrer Schwester stimme etwas nicht, gegen ihren Schwager in Umlauf gebracht un ganz Berlin, einschliesslich der Behörden, in Aufregung versetzt hat, kann ich, als Rechtsfreund der Firma und Familie, ihr meinen Beistand nicht versagen! Klar — nicht?“

„Sagen Sie mal . . . ich wollte die ganze Zeit schon den Entschluss fassen und Sie im Vertrauen fragen: Glauben Sie, für Ihre Person, denn wirklich, dass bei dem Tod der jungen Frau Vohwinkel nicht alles in Ordnung war?“

„Ich glaube gar nichts!“ sagte der Rechtsanwalt Burhem schroff. „Wir werden in der nächsten Stunde in unbefugter Weise die Ruhe des Todes stören. Wir werden ein Etwas der Erde entreissen, das vor einem knappen Jahr noch eine der hübschesten und elegantesten Frauen von Berlin war — viel hübscher noch als ihre jüngere Schwester, die Male Matteis — sagt man wenigstens allgemein! Ich habe diese arme Elfi Vohwinkel nicht mehr gekannt. Ich trat erst später mit der Familie Matteis in Berührung . . . Überhaupt: warum ist denn ein so alter Mann wie Sie noch so neugierig?“

„Sind Sie’s denn gar nicht?“

„Worauf denn? Wir werden ans Werk gehen! Wir werden feststellen, ob der Architekt Christof Vohwinkel im Grunewald bei Berlin falsche Angaben über den im Ausland erfolgten Tod seiner Gattin Elfi gemacht hat, wie es seine Schwägerin Male jedem, der es hören will, erzählt, oder nicht! An sich ist das eine so gleichgültig wie das andere. Es geht wirklich niemanden etwas an, ausser den Beteiligten und dem Untersuchungsrichter!“

„Da drüben steht der Richter schon an dem Grab! Neben den Arbeitern mit den Schaufeln!“

„Und noch zwei Herren!“

„Der blonde Jüngling mit der Mappe unter dem Arm ist offenbar der Gerichtsschreiber! Aber der andere, der wie ein Heldenschauspieler aussieht? . . . Ein auffallend schöner Mensch — finden Sie nicht auch? — nur elend bleich . . .“

„Es gibt doch noch etwas Neues unter der Sonne!“ sprach der Rechtsanwalt Burhem dankbar und förmlich erleichtert.

„Was denn — um Gottes willen? Wenn Sie das schon sagen. . .“

„Dieser schlanke, grosse Mann dort drüben,“ der Verteidiger hatte, um besser zu sehen, seinen goldenen Zwicker abgerieben und wieder aufgesetzt, „dieser Mann mit dem bartlosen, südlichen Krauskopf, der, wie Sie richtig bemerken, mit seinem breitrandigen Schlapphut und seinem etwas zu hellgrauen, tadellosen Sommeranzug an einen Künstler, erinnert, ist in Wirklichkeit ein Stück Künstler — nämlich ein sehr gesuchter Berliner Architekt, des Namens Christof Vohwinkel . . .“

„Was . . .?“

„. . . und bringt es tatsächlich fertig, sich persönlich zu der von ihm beantragten Exhumierung einzufinden!“

„. . . das spricht für sein gutes Gewissen!“

„. . . oder für seine guten Nerven!“

„Oder für beides!“

Der Medizinalrat und der Verteidiger näherten sich dem prunkvollen, von einem schmiedeeisernen Kunstgitter umschlossenen schwarzen Marmorobelisken, auf dem eine Inschrift mit noch ganz frischen Goldlettern verkündete, dass Frau Elfriede Vohwinkel, geborene Matteis, im blühenden Alter von sechsundzwanzig Jahren, vor einem Jahr, in dem Dorf Fuensanta, nahe der Stadt Orihuela, in der spanischen Provinz Murcia, rasch und unerwartet durch ein Klimafieber ihrem Gatten, ihrer Mutter und Schwester entrissen worden war. Der Rasen rings um das Grabmal und der Kiesweg davor war, noch vom gestrigen Tag her, durch die Fussspuren von Hunderten von Neugierigen zertreten. Seitlings, unter dem Fliedergebüsch, staute sich ein Stapel übereinander geworfener frischer und welker Blumensträusse und Kränze. Da, wo sie um den Sockel der Säule gelegen, knirschten jetzt die Schaufeln der Arbeiter im Erdreich. Die braunen Schollen flogen taktmässig aus der Grube, türmten sich am Rand zu einem Haufen und füllten die kühle Morgenluft mit einem würzigen, weisslichen Dunst.

„Sie sehen: ich bin schon mitten in der Arbeit drin, Herr Doktor Burhem!“ sagte der Richter, ein alter Waffenstudent mit einem Durchzieher vom Mundwinkel bis zum Ohr und gespaltenem Nasenflügel. „An sich ist ja auch nach der Strafprozessordnung Ihre Anwesenheit durchaus nicht erforderlich!“

„Sehr liebenswürig! Aber die Teilnahme des Witwers bei diesem unbehaglichen Akt hier noch viel weniger!“

„Ich habe den Mann nicht eingeladen! Aber ich besitze keine gesetzliche Handhabe, ihn fortzuschicken. Na — der olle Medizinalrat redet ihm ja dort ernstlich ins Gewissen!“

„Ich hatte, bis jetzt eben, nur das Vergnügen, Sie aus den steinernen Kindern Ihrer Laune — so manchem aparten Landsitz im Grunewald und am Wannsee — zu kennen, Herr Architekt Vohwinkel!“ sagte drüben an dem halb offenen Grab der graubärtige Gerichtsarzt. „Gestatten Sie mir, da wir uns nun persönlich nähergetreten sind, eine offene Bitte: Gehen Sie! . . . Lassen Sie uns, die wir hier amtlich anwesend sind, mit dieser Sache hier allein! Ich bin ein alter Praktikus! Sie sind ein Laie! Sie muten Ihren Nerven hier eine Belastung zu, die völlig unnötig ist!“

Der schöne, schlanke Mann ihm gegenüber hatte den breitrandigen Künstlerhut abgenommen. Er fuhr sich gereizt und unruhig mit der flachen Hand über sein krauses, dunkles Haar. In seinen regelmässigen, glattrasierten, sehr bleichen Zügen hatte der Mund etwas Weichliches. Weich war auch der Ausdruck seiner blau umschatteten Augen. Über Mittelgrösse, in der Straffheit seiner dreissig Jahre, musste er sich zu dem kleinen, graubärtigen Medizinalrat hinabbeugen, während er helblaut, mit einer vor Zorn und Erregung zitternden Stimme, aber doch ruhig, sagte: „Ich habe die Exhumierung bei Gericht beantragt! Zur Ermittlung der Wahrheit! Ich fürchte die Wahrheit nicht! In keiner Form! Darum bin ich hier!“

„Was gäbe der Mann für einen diskreten Schauspieler!“ murmelte drüben der Rechtsanwalt Burhem. Neben ihm die Stimme des Richters: „Wir wissen noch durchaus nicht, Herr Doktor, ob er ein Schauspieler ist!“

„Ich wollte mich natürlich auch in keiner Weise über den Fall selbst äussern! . . . Mur — wie der Mann jetzt eben sprach — ich fühlte so im Ohr — Gott weiss, wieso und woher — so ein Paar merkwürdige Theatertöne . . .“ Der Verteidiger ging auf den Architekten zu. Er reichte ihm nicht die Hand. Er lüftete nur, mit einer kühlen Verbeugung, den Hut. „Mein Name ist Burhem! Sie entsinnen sich vielleicht: wir trafen uns schon neulich einmal, im Zimmer des Herrn Untersuchungsrichters hier, bei Ihrer Vernehmung!“

„Und jetzt sind Sie im Auftrag meiner Schwägerin Male Matteis hier erschienen?“ sagte der schöne Mann.

„Als Vertreter der Familie Matteis!“

„Die Male und die Familie Matteis sind ein und dasselbe — be idem Schreckensregiment, das meine Schwägerin über ihre Mutter, über die Fabrik und den ganzen dazugehörigen Klüngel von Philistern führt! Sie werden zugeben: ohne Ihre Klientin, Herr Doktor, wäre es nie zu der Szene gekommen, die uns jetzt bevorsteht!“

„Ich habe hier nur ein Amt und keine Meinung, Herr Vohwinkel!“

„Aber wenn, durch diese furchtbare Formalität, alle die dunklen Gerüchte über den Tod meiner armen Frau zerstreut sind, die Fräulein Male Matteis seit Monaten in Berlin verbreitet, und ich in wenigen Stunden gerichtlich gerechtfertigt dastehe,“ der Architekt Christof Vohwinkel hob sich in den Schultern — jetzt sah man an der harten Energie der Stirnfurchen, dem kaltblütigen, rasch entschlossenen Ausdruck der Augen, dass er nicht nur ein Liebling der Frauen, sondern auch ein Mann des Berliner Erfolgs war —, „dann, Herr Rechtsanwalt Burhem, werde ich mir erlauben, gegen mein Fräulein Schwägerin schonungslos wegen Verleumdung vorzugehen! Das können Sie der jungen Dame in meinem Namen ausrichten!“

„Ich habe Fräulein Matteis natürlich schon längst pflichtmässig darauf aufmerksam gemacht, dass sie unter Umständen eine empfindliche Strafe riskiert! Zwei Jahre Gefängnis im Höchstfall sind nicht von Pappe! Eindruck hat mein Sermon auf Fräulein Matteis nicht gemacht! Sie wolle Gewissheit haben — sagt sie — um jeden Preis!“

„Sie soll den Preis, der ihr gebührt, kriegen! Ich bringe meine teure Schwägerin schon noch hinter Schloss und Riegel! Melden Sie ihr das nur: ich sei entschlossen, diesen Kampf mit ihr bis zum bitteren Ende zu führen!“

„Darf ich bitten, jetzt die Privatgespräche beiseite zu stellen!“ sagte herantretend, durch das Kollern der Erdbrocken, der Richter. „Herr Vohwinkel, da Sie nun schon einmal da sind, wollen wir die Zeit bis zur Beendigung der Ausgrabung nutzen und den Herrn Medizinalrat, für seine Untersuchung nachher, ein wenig über den Fall orientieren! Also Sie befanden sich, jetzt gerade vor ungefähr einem Jahr, mit Ihrer Gattin in Spanien?“

„Ja. In einem kleinen Dorf, eigentlich einer Palmenoase aus der Maurenzeit, in der südspanischen Provinz Murcia!“

„War es denn da, im Sommer, nicht blödsinnig heiss?“

„Es herrschte eine afrikanische Temperatur! Man nennt diese Gegenden im Spanischen die Bratpfanne!“

„Und in diese Bratpfanne mussten Sie hinein?“

„Auf Drängen meiner Frau. Eigentlich wollte sie nach Afrika. Das war im Juni ganz unmöglich. So bot ich ihr Südspanien als Ersatz!“

„Warum gingen Sie denn nicht lieber mit Ihrer Gattin irgendwohin, wo es nett war — nach Heringsdorf — oder Norderney — oder meinetwegen an den Lido?“

„Sie haben meine Frau nicht gekannt!“ sagte der Architekt Vohwinkel langsam. „Sie war äusserlich der verhätschelte Liebling ihrer ganzen Umgebung, innerlich ein zerrissener, ewig suchender, ewig sich nach irgend etwas sehnender Mensch. Sie hatte alle Möglichkeiten, glücklich zu sein, und fand das Glück nie und schob die Schuld daran allen anderen Dingen und Menschen, nur nicht sich selber zu. So war ihr, jetzt vor einem Jahr, auf einmal alles um sie herum, hier im gewohnten Geleise des Lebens, verhasst. Sie war in einer krankhaften, nervösen Stimmung. Nur fort! Fort! Aus Berlin! Aus Deutschland! Womöglich aus Europa! An irgend einen ganz entlegenen Ort am Ende der Welt . . .“

„. . . aber mit Ihnen zusammen?“

„Das eben war ja der Zweck dieser . . . dieser Flucht in die Wüste — möchte ich sagen . . .“

„Herr Vohwinkel, ich verstehe nicht ganz! Sie und Ihre Gattin lebten doch auch in Berlin beieinander . . .“

Der Architekt Vohwinkwl schwieg eine Weile. Auf seinem schönen, etwas verächtlichen Gesicht kämpfte ein Entschluss.

„Es war die Eifersucht!“ sagte er dann. „Es ist ja kein Geheimnis: ich gelte — natürlich masslos übertrieben — für einen Mann, der viele Erfolge beim andern Geschlecht hat — sogar dann, wenn er sie nicht sucht! Das bildete, wie alle Welt, auch meine Frau sich ein, weil es ihr von allen Seiten eingeredet wurde. Das war ihr Kummer — das war ihre fixe Idee. Ihre Hoffnung: sie wollte mich einmal ganz für sich haben — ohne irgend einen Dritten! Oder vielmehr eine Dritte! Wochenlang! Dann würde alles gut. Ich tat ihr den Willen. So gerieten wir in dieses Stück Spanien, das unbekannter ist, als manches Land in Afrika.“

„Wie lange waren Sie im ganzen verheiratet, Herr Vohwinkel?“

„Zwei Jahre.“

„Nun — und in diesem Dorf — ich kann mir den Namen nicht merken . . .?“

„In Fuensanta wohnten wir einige Wochen in der einzigen vorhandenen Fonda Parador de San Joaquin. In dieser Maultiertreiber-Herberge muss meine Frau etwas gegessen haben, was ihr bei der glühenden Hitze nicht bekam. Sie erkrankte schwer. Der Arzt dieses Distriktes, Doktor Francesco-Javier Muñoz y Macha, konnte sie nicht retten. Sie starb innerhalb von achtundvierzig Stunden. Der von dem Doktor ausgestellte amtliche Totenschein befindet sich bei Ihren Akten. Ich erfüllte in Spanien alle Formalitäten. Ich machte dem Alkalden und dem Pfarrer, Don Luis Jesus Maria Bustillo, Anzeige. Die Einsegnung der Leiche musste bei der grossen Hitze rasch erfolgen. Ich erwirkte von den spanischen Behörden die Erlaubnis zur Überführung des Sarges nach Deutschland und bestattete ihn, nach Erfüllung aller hiesigen gesetzlichen Vorschriften, hier an Ort und Stelle. Man kann nicht umsichtiger, korrekter und pietätvoller verfahren, als ich es tat. Mich trifft wahrlich nicht der Schatten eines Vorwurfs.“

„Und — damit wir uns ganz richtig verstehen — dieser Sarg hier unten in der Tiefe ist der, den Sie selbst aus Spanien überführten . . .?“

„. . . und den ich vor meinen Augen hier in der Erde versinken sah!“

„Gut — dann müssen wir diesen Sarg jetzt noch einmal auf kurze Zeit aus der Erde ans Tageslicht bringen!“

Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi

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