Читать книгу Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi - Rudolf Stratz - Страница 7

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Aus dem Nebenraum der Kapelle wehte eine kalte Kellerluft in den blauen Sommermorgen hinaus. Die Kübel mit immergrünen Gewächsen, zu deren Aufbewahrung er diente, waren seitlings an die weissgekalkten Wände gerückt. Auf dem freien Backsteinboden in der Mitte stand wuchtig der rostblinde Metallsarg in dem hellen, durch die Fenstergitter fallenden Sonnenschein. Es roch in dem Raum nach Moder und welken Blättern und feuchter Gartenerde und Zigarrenqualm aus dem umwölkten Graubart des Medizinalrats.

„Zigarren kann ich von jetzt ab empfehlen!“ sagte er und beobachtete durch seine Brillengläser die Handgriffe der Arbeiter, die den Sarg aufschraubten. Der blonde Referendar sass etwas bleich auf einem durchlöcherten Strohstuhl und ordnete auf dem wackeligen Gartentisch vor ihm das Protokoll. Der Rechtsanwalt Burhem verfolgte gähnend, an die Tür gelehnt, den Kampf eines dicken Hänflings mit einem Regenwurm im Efeu des Grabes ihm gegenüber. Der Untersuchungsrichter stand stumm mit dem Architekten Vohwinkel abseits in einer Ecke. Durch das allgemeine Schweigen brummte jetzt schon von fern das dumpfe Grollen und Rollen des erwachenden Berlin. Etwas näher läutete eintönig eine Glocke. Der Sirenenpfiff einer Fabrik heulte von der Vorstadt her über die Stätten der Toten und rief die Lebenden zur Tagesarbeit. In dem Seitenraum der Kapelle ächzten die Fugen des Sarges unter den Fäusten der Handwerker. Der alte Friedhofs- inspektor, der sie beaufsichtigte, machte zu dem Richter hinüber eine Bewegung des gefurchten, mit einer Dienstmütze bedeckten Kopfes: „Es ist gleich so weit!“ Der narbige Jurist nickte dankend. Er wandte sich an den Architekten Vohwinkel neben ihm.

„In kurzem werden wir ja nun sehen, woran wir sind!“ sprach er gedämpft. „Herr Vohwinkel, ich frage auf alle Fälle: Haben Sie vorher noch irgend eine Erklärung abzugeben?“

„Ich habe nichts zu sagen!“ Der schöne Mann streifte sich ruhig ein Stück staubiges Spinnweb vom Ellbogenärmel. „Ich habe ja auch vorhin geschwiegen! Ich kann mein Inneres nicht öffnen, wenn ich die von Hohn und Hass funkelnden Augen meiner Schwägerin auf mich gerichtet sehe! Es erstickt mir die Kehle! Es ist unter meiner Würde!“

„Jetzt ist Fräulein Matteis ja nicht anwesend!“

„. . . ja . . . und deswegen . . . Ich möchte doch noch, wenn Sie erlauben, ein paar Worte zu Ihnen sprechen, Herr Richter!“ Christof Vohwinkel wurde lebhafter. „Ich will mich wahrhaftig nicht besser machen als ich bin! Aber ich stehe ja nach den Worten meiner Schwägerin förmlich da wie ein Verbrecher — nicht ein Verbrecher gegen das Strafgesetzbuch, sondern in moralischem Sinne . . . Gewiss . . . ich habe Schuld . . .“

„Es scheint doch, dass Sie Ihre selige Gattin vernachlässigt haben, Herr Vohnwinkel . . .“

„Ich habe sträflich an meiner armen Frau gehandelt. Aber ich wusste gar nicht, was ich ihr damit antat und wie sie darunter litt — eben aus Liebe zu mir! Ich war in unserer Ehe noch gar nicht zu ihrem Innenleben durchgedrungen! Ich ahnte nicht, dass ihre Liebe zu mir von einer Art war, die zu stolz war, um sich aufzudrängen oder sich überhaupt zu zeigen . . . dass es eine scheue Liebe war, die lieber schwieg und duldete, als sprach! Mir war das sehr bequem! Ich war froh, dass meine Frau mich gewähren liess. Ich lebte so hin . . .“

„. . . aber die Vorfälle, von denen Ihre Schwägerin sprach, mussten Ihnen doch die Augen öffnen!“

„Ahnte ich denn etwas von dieser verzweifelten Stimmung meiner Frau? Es blieb mir ja alles verborgen! Von dem Auftritt zwischen den beiden Schwestern, als die. Elfi angeblich ins Wasser wollte, erfuhr ich gar nichts. Die Geschichte mit dem Gasschlauch wurde vor mir vertuscht. Dass meine Frau im Besitz eines Revolvers war, habe ich jetzt eben zum ersten Mal gehört. Hätte ich damals schon gewusst, wie bald ich meine arme Frau würde hergeben müssen, glauben Sie mir: ich wäre am selben Tag in mich gegangen. Aber ich fühlte mich ja so sicher in ihren Besitz!“

Christof Vohwinkel schaute verstört durch den unwirtlichen Raum auf den Sarg in der Mitte, dann auf die staubigen Bachsteinfliesen zu seinen Füssen. Er schüttelte den Kopf. Er seufzte tief auf. Er fuhr fort: „Dann, eines Tages, Herr Richter, kam sie mir plötzlich mit dem Vorschlag, wir wollten einmal ganz weit weg von allem hier reisen und irgendwo in fremdem Land unter fremden Menschen eine Zeitlang nur noch für einander leben! Ich begriff den Grund ihrer Bite nicht recht. Aber ich gewährte ihr diese Bitte, weil sie sonst nie eine Bitte an mich hatte — höchstens stumme Bitten, die ich nicht verstand. Ich hatte ein schlechtes Gewissen gegen sie. Darum tat ich ihr, ohne mir viel dabei zu denken, den Gefallen!“

„Und so kamen Sie nach Spanien?“

„So kamen wir nach Murcia!“ Der Architekt Vohwinkel sprach leise und beinahe feierlich. Er legte, in einer Anwandlung von Vertrauen, leicht seine Fingerspitzen auf den Unterarm des Richters. „Und dort — unter diesem fremden Sternenhimmel — unter diesen Palmen — in diesem heissen Sonnenland geschah das Wunder: wir waren ganz aufeinander angewiesen. Wir waren ständig beisammen. Und auf einmal erfüllte sich die Hoffnung meiner Frau, dass ich sie eines schönen Tages entdecken würde. Ich sah sie auf einmal in dem ganzen Reichtum ihres Herzens. Die Schuppen fielen mir von den Augen. Ich begriff erst, wie reich ich schon seit Jahren gewesen war, ohne es zu wissen.“

Der Architekt Vohnwinkel lächelte eine Sekunde wehmütig in der Erinnerung. Seine weichen Augen wurden feucht. Er nickte.

„Wir fanden uns jetzt erst wirklich! Wir waren so glücklich. Eine neue Zukunft tat sich vor uns auf. Wir waren nun schon drei Wochen in Fuensanta gewesen. Wir dachten an die Weiterreise — wir lachten, wir nannten es unsere zweite Hochzeitsreise — nach Biarritz oder San Sebastian oder sonst, wo es nicht so heiss war wie hier im Süden des Landes. Und da — ich erinnere mich wie an gestern — nachmittags bei der Schokolade wurde meine Frau, mitten in der Sonnenglut, von einem Frostschauer befallen . . .“

„Nachmittags?“

„Ja. Gegen fünf Uhr. Ich life in das Dorf. Ich holte den Arzt. Er kam . . . Und dann . . .“

Christof Vohwinkel lehnte sich gegeb die Mauer. Er sah vor sich ins Leere hinaus. Er atmete schwer.

„Und dann . . . war über Nacht beinahe . . . alles aus! . . . Ich hatte mir zu spät erworben, was ich durch Jahre schon besessen hatte. Es war mir mit derselben Hand gegeben und genommen! Aber ganz genommen nicht! Es gibt Dinge, die kann man nie mehr völlig verlieren! Es ist ein rätselhaftes Wort, Herr Richter, aber es ist wahr: erst seit meine Frau nicht mehr ist, ist sie wirklich meine Frau. Jetzt erfüllt sie erst, inder Erinnerung, mein ganzes Leben. Ich sehe keine andere Frau mehr an. Ich denke nur an sie. Seit sie fern ist, ist sie bei mir. Sie ist jetzt ein Geist. Abe rein gutter Geist, dessen Nähe ich standing um mich fühle.“

Christof Vohwinkel blickte nach den Arbeitern hinüber.

„Die irdischen Überreste, die Sie dort aus dem Erdreich heben werden,“ versetzte er gefasst und halblaut, „haben mit diesem Schutzgeist, mit dem ich für den Rest meines Lebens verbunden bin, nichts zu tun! Ich sage das, Herr Richter, damit Sie die Ruhe, mit der ich der Eröffnung des Sarges entgegensehe, nicht fälschlich als Herzenskälte auslegen!“

„Und Sie selbst haben, vor einem Jahr, diese sterblichen Überreste dem Sarg dort anvertraut?“

„Ich persönlich!“ Der Architekt musste laut sprechen, um das bange Kreischen der verrosteten Metallschrauben zu übertönen, die sich langsam unter den Zangen der Handwerker lockerten.

„Und Sie erkenner den Sarg als den damaligen wieder?“

„Hier, auf dem Innern des Deckels, steht ja noch die Firma des Tischlers: ,Fernandez Silvestra, Carpintero, Orihuela!’“

Christof Vohwinkel rief es, auf den Boden deutend, durch die Hammerschläge, die dröhnend an den Wänden widerhallten. Die Handwerker hatten die äussere Zinkhülle geöffnet. Sie arbeiteten jetzt an dem inneren, schwarzlackierten Holzsarg. Die Planken stöhnten und knirschten. Der Medizinalrat beugte sich neugierig vor und dampfte heftiger. Der junge Gerichtsschreiber wurde noch bleicher. Der Rechtsanwalt Burhem gähnte. Der Richter nickte ernst dem Architekten Vohwinkel zu.

„Seien Sie überzeugt, dass ich das Vertrauen zu würdigen weiss, mit dem Si emir einen Einblick in Ihr Seelenleben geben!“ sagte er. „Ich begreife vollkommen, dass diese Stunde, die Sie ja selbst gewünscht haben, für Sie eine schwere ist . . .“

„Ich durfte mich ihr nicht entziehen, Herr Richter, um meine Ehre und meinen guten Ruf gegen die Verleumdungen meiner Schwägerin . . .“

Mit einem dumpfen Krach flog der Sargdeckel auf. Der kleine, dicke Gerichtsarzt guckte sachlich hinein und flog im nächsten Augenblick zwei Schritte zurück.

„Kinder . . . Ist das bei mir ’ne Alterserscheinung . . .?“ jappte er, krampfhaft die abgenommene Brille reibend. Die Zigarre fiel ihm aus der Hand. Der alte Kirchhofs-inspektor stand feierlich, wie eine versteinerte Schildwache, daneben.

„Siebenunddreissig Jahre bin ich be idem Jeschäft!“ sagte er langsam. „Aber das habe ich doch noch nicht erlebt . . .“

„Nee — so wat . . .!“ raunte, scheu zurücktretend und sich ungläubig mit der Hand über die Augen fahrend, einer der Arbeiter.

Der Rechtsanwalt Buthem war schon aus dem düsteren Raum heraus. Er rannte, im hellen Morgensonnenschein, die Gräberreihe entlang, nach dem Wärterhäuschen. Die weissgekleidete Mädchengestalt, die davor auf einer Bank saaa, hatte ihn schon von weitem gesehen und war aufgesprungen. Sie stürmte ihm entgegen. Die beiden prallten aufeinander. Ein atemloses: „Was ist, Herr Doktor?“

Und ein ebenso hastiges: „Kommen Sie, Fräulein Matteis! Schnell! Schnell! Schnell!“

„Erzählen Sie doch . . .“

„Das müssen Sie selber sehen . . . Ich trau’ mir selber nicht recht . . . Vielleicht sind meine Nerven wackelig geworden; und ich leide an Halluzinationen . . . Nee — ausgeschlossen! . . . Die andern waren ja genau so perplex . . . So — da sind wir ja schon an Ort und Stelle . . .“

Male Matteis blieb stehen. Ihr frisches, junges Gesicht wurde sehr blass.

„Nein. Dahinei geh’ ich nicht!“ sagte sie mühsam. „Ich bin sonst kein Hasenfuss. Aber davor fürchte ich mich! Ich hab’ die Elfi zu lieb gehabt. Ich will mir ihr Bild nicht in der Erinnerung zerstören!“

„Sie können ruhig hinein . . .“ Der Rechtsanwalt zog sie mit sich über die Schwelle. „Es ist unmöglich, dass Sie dadurch ein anderes Bild von Ihrer Frau Schwester bekommen!“

„Warum . . .?“

„ . . . weil sie gar nicht in dem Sarge drin ist!“

„Was . . .?“

„Überzeugen Sie sich selbst!“

Male Matteis holte tief Atem. Sie ging auf den Fussspitzen, mit grossen, ungläubigen Augen, auf den Sarg zu. Sie blieb stehen. Nach einer Weile sagte sie langsam wie im Traum: „Der Sarg ist ja leer . . .“

„Es war auch niemals etwas darin, meine Gnädigste!“ Der Medizinalrat beschnüffelte und beklopfte die sauber gehobelten weisslichen Wände. „Der Geruch von ganz frischem Holz . . . Palmenholz vermutlich . . . Oasen von Dattelbäumen dort in Murcia . . . Stimmt alles — bis auf den Inhalt . . .“

„Und dass man auf dem Transport, bei dem Mordsgewicht von dem Metallsarg, nicht gemerkt hat, dass der eigentliche Inhalt fehlt,“ er richtete sich kurzatmig auf, „ — das ist auch kein Wunder! . . . Abe rim übrigen . . . Was gibt’s dahinten?“

„Schnell, Herr Medizinalrat! . . . Herr Vohwinkel fällt in Ohnmacht . . .“

„Er kämpft schin die ganze Zeit damit . . .“

„Setzen Sie ihn auf einen Stuhl. Halten Sie ihn! Bringen Sie Wasser! Warten Sie: ich knöpf’ ihm unterdessen Kragen und Krawatte auf!“

„Protokollieren Sie, Herr Referendar!“ sagte daneben der Untersuchungsrichter. „Herr Vohwinkel verlor, angesichts des leeren Sarges, das Bewusstsein! Was machen wir mit ihm, Herr Medizinalrat? Hinüber in das Gärtnerhaus? Ja. Gut!“

Es gab in dieser kleinen Wohnung eine gute Stub emit eingerahmten Photographien auf der Blümchentapete und fuchsig lackierten Plüschmöbeln. In diesen neideren vier Wänden hatte man den Architekten Vohnwinkel auf das Kanapee gebettet. Er lag, kaum atmend, mit geschlossenen Lidern. Sein schönes, südlich weiches Antlitz war wachsgelb wie das eines Toten. Ein jähes Zucken lief zuweilen darüber hin. Der Medizinalrat sass brummig neben dem Ohnmächtigen und fühlte ihm den Puls und spritzte ihm aus einem Wassergals kalte Tropfen in das Gesicht. Der Untersuchungsrichter stand mit gerunzelten Stirnnarben dahinter und schaute dem Gerichtsarzt über die Schulter.

„Herr Vohwinkel . . .,“ frug er gedämpft. „Verstehen Sie, was ich sage?“

„Jetzt kommt er zu sich!“ murmelte im Hintergrund des Zimmers der Rechtsanwalt Burhem. „Oder er tut wenigstens so . . . Ich bin ausnahmsweise wirklich mal auf was gespannt!“

„Er versucht, sich aufzurichten . . .,“ flüsterte Male Matteis. „Er lässt sich noch Zeit! Er muss sich noch überlegen, was e runs jetzt erzählen wird!“

„Herr Vohwinkel . . .“ Die Stimme des Untersuchungsrichters klang sehr ernst. „Sind Sie jetzt, wenigstens für ein paar hauptsächlichste Fragen, vernehmungsfähig?“

Der schöne Mann auf dem Sofa setzte sich langsam auf. Er schaute geistesabwesen, mit dem Ausdruck eines aus dem tiefsten Schlaf gerissenen Menschen um sich.

„Bin ich denn verrückt geworden . . .?“ sagte er leise und verstört.

„Überlassen Sie die Fragen mir, Herr Vohwinkel!“

„Was ist mit dem Sarg?“ Der Architekt Vohwinkel schrie es in hellem Schrecken auf. Er krampfte die Hände ineinander. Seine dunklen Augen verglasten sich. „Um Gottes willen — was ist mit dem Sarg?“

„In dem Sarg ist nichts! Das wissenSie ja besser als wir!“

„Aber wie ist denn das möglich . . .?“

„Das möchte ich ja eben von Ihnen hören! Bitte, lieber Medizinalrat, machen Sie mir mal ein wenig Platz!“

Der dicke kleine Graukopf warf, während er sich zur Seite schob, einen langen und bedenklichen Blick durch die Brillengläser auf Christof Vohwinkel. Der Richter langte sich einen Stuhl neben das Kanapee und setzte sich.

„Ich muss Sie bitten, unter dem ersten Eindruck des neuen Tatbestandes die schreienden Widersprüche in Ihren Bekunddungen aufzuklären!“ began er knapp und bestimmt. „Wir haben zu Protokoll genommen, dass sich in dem Sarg weder die Leiche der Frau Vohwinkel noch sonst etwas vorfand. Wollen Sie die Behauptung aufstellen, dass der Sarg unterwegs geöffnet und seines Inhalts beraubt wurde? Oder dass dies etwa gar hier auf dem Friedhof geschah?“

„Der Sarg ist niemals benutzt worden!“ grollte vom Fenster her der Medizinalrat. „Ich nehme das ausdrücklich als amtliches Gutachten auf meine volle Verantwortung!“

„Leichenraub! So wat ist ja überhaupt bei ’ner plombierten Sendung auf der Eisenbahn ausjeschlossen! Und hier draussen in Berlin sind wir doch nicht mang die Wilden!“ ergänzte grimmig an der Tür der Friedhofsinspektor.

„Schliessen Sie sich dieser Auffassung an, Herr Vohwinkel?“

„Ja . . .,“ sagte der Architekt sachwach, immer noch wie ein Schlafwandler. Er lag halb, auf den Ellbogen gestützt. „Ja.“

„Also war der Sarg von Anfang an leer?“

„Es scheint so . . .“

„Wollen Si emir erklären, Herr Vohwinkel: Warum gestanden Si emir das nicht lieber gleich vorhin unter vier Augen, wo Sie doch genau wussten, dass die nächsten Minuten die Entdeckung bringen mussten?’

„. . . weil ich es selbst nicht gewusst habe . . .“

„Was?“

„ich habe es nicht gewusst, dass sich nichts in dem Sarg befand!“

„. . . wo Si emir vor einer halben Stunde beteuerten, Sie hätten selbst die Einsargung geleitet!“

„Das war nicht wahr!“ sagte Christof Vohwinkel leise, mit dem Blick nach einem Spinnweb an der Decke.

„Sie waren also nicht dabei?“

„Ich war nicht dabei!“

„Und wo befinden sich nun in Wirklichkeit Frau Vohwinkels sterbliche Überreste?“

„Ich weiss es nicht!“

„Herr Vohwinkel, die Dinge sind jetzt im Fluss! Versuchen Sie nicht mehr, ihren unabwendbaren Gang aufzuhalten. Es ist vergeblich! Erleichtern Sie Ihr Gewissen! Reden Sie!“

„Ich weiss es nicht, wo sie ist!“ Christof Vohwinkel sprang taumelnd auf. Er stand unsicher auf den Beinen. „Ich bin ja wie vor den Kopf gehauen! Mir ist, als ob ich alles träume! . . . Das ist ja . . . Das ist ja alles . . . Herrgott . . . Ich werd’ ja verrückt!“

„Es hilft nichts, Herr Vohwinkel! Wir müssen hier einen klaren Kopf behalten und versuchen, die Zusammenhänge zu entwirren! Sie wollen nicht wissen, was aus Ihrer Frau Gemahlin geworden ist?“

„Nein . . .“ Der Architekt Vohwinkel stützte sich wankend mit der flachen Hand gegen die Blümchentapete und starrte in die kernfrische, blitzblank gehobelte Holzwölbung vor sich am Boden. „Das . . . Das da unten . . . das ist . . . ein Rätsel!“

„Sie müssen doch wissen, wo Frau Vohwinkel ihre letzte Ruhe gefunden hat! Sie waren doch, allein in fremdem Land, bei ihrer Krankheit und ihrem Ableben zugegen! Es war doch das einfachste, selbstverständlichste Gebot der Pietät — ich möchte hinzusetzen: der gebieterischen äusseren Notwendigkeit, dass Sie hinterher alle die traurigen Formalitäten erfüllten . . .“

„Das konnte ich nicht . . .“ Christof Vohwinkel drehte sich mit dem Gesicht gegen die Zimmerwand.

„Das mussten Sie! Das erzählten Sie mir doch auch selber! So nahe wie Sie, nach Ihren eigenen Worten, gerade damals Ihrer Gattin standen, ist es ganz unglaubhaft, dass Sie diese letzten Liebesdienste Dritten überliessen!“

„Doch . . . Das haben andere getan . . .“

„Und Sie haben das zugegeben?“

„Ich wurde nicht gefragt . . .“

„Warum nicht?“

„Weil ich gar nicht da war . . .“

Christof Vohwinkel stand mit dem Rücken gegen die Anderen. Er presste die Stirn an das Tapetenmuster. Sie konnten sein Gesicht nicht sehen. Sie hörten nur seine trockene, matte, abgebrochene Stimme: „Ich war abwesend — schon seit vier Tagen — als es geschah . . . Ich kam erst vier Tage später zurück — und da war es schon geschehen. Alles vorüber. Die Hitze des spanischen Sommers duldete keinen Aufschub. Doktor Muñoz y Macha, der Arzt, hatte aus eigener Machtvollkommenheit mit grosser Umsicht für alles gesorgt, die Eintragung in die Bücher des Pfarrers Bustillo veranlasst, den Alkalden benachrichtigt. Der Sarg war, auf seine Anordnung, schon verlötet. Mir blieb nur noch die schwere Pflicht, ihn nach Deutschland zu bringen!“

„Und warum sagten Sie nicht hier den Behörden und der Familie einfach die Wahrheit? ,Ich war nicht dabei’. . .“

„. . . Ich . . . hielt . . . es so für besser . . .“

„Sie müssen doch Ihre Gründe gehabt haben . . .“

„Wahrscheinlich . . . Ich entsinne mich nicht mehr . . . Ich war körperlich und geistig gebrochen!“

„Herr Vohwinkel, es ist unzweifelhaft in jenem spanischen Städtchen damals nicht alles mit rechten Dingen zugegangen — in Ihrer Abwesenheit, wie Sie jetzt, im Gegensatz zu Ihren bisherigen Bekundungen, behaupten! Gelingt es Ihnen, Ihr Alibi nachzuweisen, so müssen wir allerdings auf Sie als Augenzeugen verzichten und unsere Nachforschungen in anderer Richtung führen! Also Sie traten, einige Tage vor der Erkrankung Ihrer Frau, eine Reise an?“

„Ja, Eine ganz kurze Reise . . .“

„Aus welchen Gründen!“

„Aus plötzlich eingetretenen, geschäftlichen . . .“

„Wohin?“

„Das . . . möchte ich für mich behalten . . .“

„Wen trafen Sie an dem uns unbekannten Ort? Mit wem sprachen Sie? . . . Mit wem verkehrten Sie?“

Der Architekt Vohwinkel drehte sich langsam von den Familienphotographien an der niederen Wand der guten Stube weg. Er zeigte dem Richter sein Gesicht. Es war erdfahl, aber ruhig.

„Darüber kann ich keine Auskunft geben, Herr Richter!“ versetzte er.

„Und doch muss ich die Frage zum zweiten Mal an Sie stellen, wo Sie während der Krankheit Ihrer Gattin waren!“

„Und man hätte sofort, bei meiner Rückkehr aus Spanien, damals schon von allen Seiten dieselbe Frage an mich gerichtet, wenn ich die Wahrheit gesagt hätte! Darum habe ich gleich zu Anfang die Wahrheit nicht gesagt. Ich konnte nicht. Ich durfte nicht! Ich sage jetzt die Wahrheit. Aber im übrigen muss ich schweigen!“

„Herr Vohwinkel — stürzen Sie sich nicht durch Schweigen ins Unglück! Nennen Si emir lieben die Zeugen, die beschwören können, dass sie mit Ihnen in der kritischen Zeit irgendwo fern von dem Flecken Fuensanta zusammen waren!“

„Ich werde sie nie nennen!“

Christof Vohwinkel sagte es tonlos, aber fest. Es war seine letzte Kräfteanspannung. Er hatte Mühe, sich aufrecht zu halten. Er liess sich schwer auf einen Stuhl nieder. Er betrachtete stumpf, beinahe geistesabwesend, seine flach auf die Knie gelegten Hände. Durch die Stille forschte eintönig die Stimme des Richters.

„Sie fanden sich also bei Ihrer Rückkehr der stattgehabten Tatsache des Ablebens Ihrer Gattin gegenüber. Sie gleubten an diese Tatsache?“

„. . . bis zu dieser Stunde . . .“ murmelte der matte Mann auf dem Stuhl.

„. . . und jetzt . . .?“

„. . . jetzt weiss ich nur — und darüber kann bei allen, die sie kannten, kein Zweifel sein — , dass die Elfi nicht mehr lebt. . .“

„. . . weil du sie ermordet hast . . .!“

Die helle, wilde Mädchenstimme hallte von den Wändes des friedlich durchsonnten, kleinbürgerlichten Zimmers wider. Male Matteis war mite in paar hastigen Schritten vor den Richter hingetreten. Sie zeigte mit zitterndem Finger auf ihren Schwager. Die Worte flogen ihr stürmisch, stossweise über die Lippen: „Vorhin habe ich nur gesagt: moralisch gemordet! Ich habe mir eingebildet, die Elfi hätte aus Gram über ihn Selbstmord begangen! Aber da ist mehr! Da ist noch ein ganz anderes, furchtbares Geheimnis um den Tod von der Elfi . . .“

„Gemach . . . gemach, Fräulein Matteis! Wir wissen bis jetzt noch gar nicht, ob Ihre Frau Schwester nicht am Ende noch am Leben ist!“

„Nein, Herr Richter, die arme Elfi lebt längst nicht mehr!“ Das junge Mädchen schüttelte, etwas ruhiger, entschieden und ergeben den Kopf. „Das kann niemand so sicher missen wie ich! Meine Schwester und ich haben uns so lieb gehabt. Wir waren so vollkommen ein Herz und eine Seele . . . Es ist ganz unmöglich. . . Die Elfi brächte das nie in ihrem Leben fertig, dass sie noch am Leben ist und mir doch seit einem Jahr kein Lebenszeichen von sich gibt und mich in der Trauer um sie lässt!

Und da sitzt er . . .,“ Male Matteis lachte in einem verächtlichen, heissblütigen Zorn auf, „und sagt, er weiss von nichts! Das sieht nämlich ihm und seinem Kopf voll galanter Abenteuer so ähnlich, Herr Richter, das ser sich als Alibi gerade ein angebliches Rendezvous ausgesonnen hat. Das ist der Gedanke, der ihm immer am nächsten liegt! Da kann er geheimnisvoll durchblicken lassen, dass die Diskretion gegen eine Dame ihm Schweigen auferlegt, wo und mit wem er war! Herr Richter, glauben Sie ihm um Gottes willen die ganze Reise und die ganze grosse Unbekannte nicht! Die hat nie existiert!“

„Der Glaube macht den Christen selig, aber nicht den Juristen!“ sagte mühsam der bleiche Mann auf dem Stuhl. „Hier handelt es sich nicht um Meinungen, sondern um Tatsachen!“

„Bleiben wir bei den Tatsachen!“ Das junge Mädchen warf den Kopf zurück und verschränkte die Arme über der Brust. „Wer sind denn diese merkwürdigen Spanier, die, in Abwesenheit meines Schwagers, den leeren Sarg für Deutschland hergerichtet haben sollen? Der Doktor Muñoz y Macha ist unauffindbar! Der Pfarrer antwortet nicht! Das ist alles Lug und Trug meines Schwagers! Er hat Fuensanta nie verlassen! Was dort an Verbrechen geschehen ist, ist durch ihn geschehen . . .“

„Herr Richter! Ich bitte, mich gegen meine Schwägerin zu schützen!“ Christof Vohnwinkel machte einen halben Versuch, sich zu erheben. Er hatte nicht die Kräfte. Er sass erschöpft zurückgelehnt, mit offenem Mund und herzbhängenden Armen, den Nacken auf die Hinterlehne des Stuhls gestützt. Er keuchte. Er griff nach dem Glas Wasser, aus dem ihm vorhin der Medizinalrat das Gesicht besprengt hatte, und trank es hastig leer. Male Matteis wandte sich, mit einem letzten drohenden Blick, von ihm zu dem Richter.

„Wenn meine Schwester noch lebte,“ sagte sie halblaut und nachdrücklich, „so wäre es nur denkbar, dass sie irgendwie durch diesen Menschen da seit einem Jahr der Freiheit beraubt wäre! Aber das ist heutzutage in Europa doch kaum möglich! Darum, Herr Richter, erhebe ich hiermit Anzeige, in aller Form, gegen meinen Schwager, das ser meine Schwester Elfi in Spanien umgebracht hat!“

„Die Behörden sind, wie Sie sehen, bereits mit der Sache befasst, gnädiges Fräulein!“ Der Untersuchungsrichter packte seine Akten in eine Mappe. „Es bedarf keiner Initiative von privater Seite mehr!“ Er überlegte. Dann näherte er sich dem Architekten Vohwinkel, der jetzt ganz teilnahmlos, in sich zusammengesunken, auf dem Stuhl sass.

„Sie scheinen sehr angegriffen . . .,“ versetzte er langsam. Der schöne Mann nickte, ohne aufzusehen. Der Richter zögerte, dann fuhr er fort: „Sie sollten etwas für Ihre Nerven tun! Ich würde es, in Ihrem interesse, begrüssen, wenn Sie sich umgehend in ein hiesiges Sanatorium begeben würden, wo Sie jederzeit zur Verfügung des Gerichts stehen! Ich bringe die Anstalt des Doktor Kleemüller in Westend in Vorschlag! Herr Medizinalrat — vielleicht übernehmen Sie die ärztliche Überführung! Der Herr Referendar hier besorgt draussen eine Autodroschke, und Sie bringen beide den Herrn Vohnwinkel dorthin . . .“

„Nicht in Untersuchungshaft?“ murmelte Male Matteis. Der Rechtsanwalt Burhem neben ihr zuckte die Achseln.

„Der Fall ist doch noch sehr dunkel!“ sagte er. „Kommen Sie, gnädiges Fräulein! Wir wollen draussen darüber weiter sprechen!“

Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi

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