Читать книгу Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi - Rudolf Stratz - Страница 9

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Der Rechtsanwalt Burhem kehrte in das Schanklokal „Zum feuchten Emil“ zurück und setzte sich seiner Klientin gegenüber. Am Nebentisch rückte ein Bierfahrer seine Lederschürze zurück, wischte sich mit dem Handrücken den Schnurrbart und brach geräuschvoll auf. Ein graubärtiger Nachtrat der Wach- und Schliessgesellschaft schob sich herein und forderte ein Nordlicht. Niemand kümmerte sich viel um das Paar an Fenster. Male Matteis hatte den Ellbogen auf den Tisch und den kurzgeschnittenen dunkelblonden Kopf in die Hohlhand gestützt. Sie schaute, in tiefen Gedanken, vor sich nieder in die leere, dickwandige Kaffeetasse, als könne sie aus deren Grund die Geheimnisse dieses Morgens lesen. Wieder sah der Verteidiger den frühen Ernst auf dem hübschen, lebhaft und fest geschnittenen Mädchengesicht. Sie hob mit einem raschen Aufschlag die klaren, hellbraunen Augen. In denen war jetzt die kühle, unbefangene Sicherheit, mit der sie, von ihren Aufenhalten in Amerika her, Männern ins Gesicht sah.

„Warum glauben Sie, dass meine Schwester Elfi noch lebt?“ sagte sie.

„Weil Ihr Schwager nicht den geringsten Grund hatte, sie umzubringen!“ erwiderte der Rechtsanwalt Burhem kurz, beinahe schroff. Er trommelte, nach seiner Gewohnheit beim Plädieren, nervös mit den Fingern auf dem Tisch. „Ihr Schwager war durch die Erbauszahlung, wie Sie mir selbst sagten, abgefunden! Irgendwelche weiteren Vermögensvorteile hatte er durch den Tod Ihrer Frau Schwester nicht zu erwarten! Und bei Lebzeiten machte sie es ihm im übrigen doch wahrhaftig nicht schwer! Sie liess ihn mit seinen tausend Amouren ungehindert gewähren! Sie siechte still an seiner Seite dahin, den sie trotz allem dabei noch leidenschaftlich liebte. Nun sagen Sie selbst!“

„Ich sage einfach und immer wieder: wenn die Elfi lebte, würde sie mir ein Lebenszeichen geben!“

„Das kann sie nicht, gnädiges Fräulein. Denn sie soll nach dem Willen ihres Mannes für tot gelten!“

„Was hätte denn das für einen Zweck?“

„Gnädiges Fräulein: Sie erzählten mir, Ihr Schwager habe das ganze Geld seiner Frau in die Siedlung Neuwest gesteckt! Sie äusserten gleich darauf Ihren Zweifel, ob das wirklich solch eine Goldgrube sei? Nun: Im Vertrauen: die Neuwest wackelt! Wackelt äusserst! Es ist in Berlin ein offenes Geheimnis, dass die Gesellschaft und damit auch deren oberster Mann an der Spitze, der Architekt Christof Vohwinkel, vor dem finanziellen Kladderadatsch stehen!“

„Gut, dass die arme Elfi das nicht mehr erlebt!“

„Sie erlebt es, meine Gnädigste — sie erlebt es!“ Der Verteidiger spielte unruhig mit einem Kaffeelöffel. „Das ist ja eben der Zweck der Übung — ich meine dieses Scheintodes! Des Todes für einen Schein! Oder für mehrere Scheine. Scheine der Lebensversicherungsgesellschaften. Zugunsten des Architekten Christof Vohwinkel, im Fall des Ablebens seiner Gattin!“

„Was . . .?“ Das junge Mädchen erhob sich langsam, mit grossen, starren Augen. „Wenn ich Sie recht verstehe, so wollen Sie behaupten, dass mein Schwager hohe Versicherungspolicen auf den Tod meiner Schwester abgeschlossen . . .“

„. . . und wahrscheinlich schon lange in Amerika eingestrichen hat!“

„. . . und dass er zu diesem Zweck die Elfi mit ihrem Einverständnis für tot ausgibt . . .?“

„Ja!“

„Aber das wäre ja der reine Betrug!“ sagte das junge Mädchen. Ihre Augen funkelten.

„Trauen Sie den Ihrem Schwager nicht zu?“

„Von ihm rede ich nicht! Aber meine Schwester! Meine Schwester!“ Male Matteis flüsterte, damit niemand im Lokal sie hörte. Sie beugte den Kopf weit über die Tischplatte gegen den Rechtsanwalt vor. Ihr Gesicht sah gefährlich aus in seinem heiligen Zorn. „Sie wagen es, das Andenken meiner Schwester zu beschimpfen?“

„Das sind zu grosse Worte, Fräulein Matteis!“

„Sie bringen dieses reinste Wesen der Welt, das Sie nie gekannt haben, und wenn Sie es gekannt hätten, nie begriffen hätten, Sie bringen meine Elfi mit einem — ja. . . mit einem ganz glatten, schamlosen Betrug in Verbindung?“

„Der Mithilfe, gnädiges Fräulein! Es tut mir ja leid, es zu sagen!“

„Die Elfi! Der Elfi das zuzutrauen! Es wäre ja so lächerlich, wenn es nicht so schimpflich wäre!“

„War, nach Ihrer Aussage, Ihre Schwester nicht in ihren Mann verliebt?“ frug der Rechtsanwalt gleichgültig.

„Na — wahnsinnig!“

„War sie nicht, wie Sie sie schilderten, von zärtlichem, hingegebenem Charakter — weiches Wachs in der Hand eines Menschen, den sie liebte?“

„Das schon — aber . . .“

„Also — was tut nicht eine opferfähige Frau, die liebt?“

Male Matteis stand nun wirklich auf. Der Rechtsanwalt Burhem war sitzen geblieben. Sie schaute von oben auf ihn hinab. Sie hatte sich jetzt beruhigt. Sie war nur sehr blass. Sie zuckte die Achseln.

„Sie sind ein armer Mensch!“ sagte sie verächtlich. „Sie tun mir leid. Für Sie gibt es nur das Schlechte und Niedrige im Leben!“

„Leider Gottes!“ Der Verteidiger blickte ergeben vor sich hin. „Da die Mustermenschen der Schöpfung sich nur sehr spärlich nach Moabit verirren . . . Ich sehe nun einmal berufsmässig den Menschen in seiner ganzen Schwäche!“

„Und wieviel entgeht Ihnen, dass Sie den Menschen nicht mal in seiner ganzen Stärke sehen!“ Males Atem ging stürmisch. Aus ihren Augen lachte zornige, zukunftsfrohe Jugend. Ihr Antlitz rötate sich in einem heiligen Eifer. „Und den Menschen in seinem ganzen Anstand! Es gibt fabelhaft anständige Menschen — prachtvolle Naturen . . .“

„Ihnen glaub’ ich das aufs Wort!“ sagte, sich erhebend, der Rechtsanwalt.

„Und an solche Menschen glaub’ ich — sonst müsste man ja den ganzen Glauben an die Menschheit verlieren — und solch ein Mensch war die Elfi! Nein — der ihr Bild trüben Sie mir nicht! Kommen Si emit hinaus auf die Strasse — draussen sage ich Ihnen die Meinung weiter! Hier rede ich zu laut . . . Die beiden Briefträger drüben schauen schon herüber! . . .“

„Bitte!“

„So! Die Strasse ist leer. Hier sind wir ungestört. Nun hören Sie meine Überzeugung! Mein Schwager steht vor dem Bankrott. Das Geld seiner Frau hat er vertan. Neues ist von ihr nicht zu erwarten! Also braucht er eine zweite Frau mit neuem Geld. Für ihn eine Kleinigkeit: er ist in den Dreissig, ein sogenannter schöner Mann, von einer für mich unbegreiflichen Wirkung auf mein Geschlecht. Er hat, wenn er frei ist, an jedem Finger zehn reiche Partien. Aber er ist noch nicht frei. Er besitzt schon eine Frau. Die muss also zuerst von der Bildfläche verschwinden! Die Elfi stirbt im Ausland über Nacht. Das Trauerjahr ist jetzt um. Wir werden bald von einer neuen Verlobung des Herrn Christof Vohnwinkel hören — wenn ich ihn nicht vorher dem Staatsanwalt wegen Ermordung seiner Frau überliefere. Und das werd’ ich — verlassen Sie sich darauf!“

„Und der leere Sarg?“

„Der leere Sarg sagt Ihnen, Herr Doktor, dass die Frau, die da hineingehört, irgendwo in der Umgebung dieses spanischen Nestes ermordet worden ist und garnicht mehr an Ort und Stelle in den Sarg gebracht werden konnte! Vielleicht hat mein Schwager sie in einen Teich gestossen oder in einem Kaktusgebüsch vergraben — was weiss ich . . . Das wissen nur die, die ihm dort bei dem ganzen Verbrechen geholfen haben, und unter denen werde ich jetzt in Spanien in aller Stille auftauchen, ehe eine Woche um ist!“

„Sie werden mir glauben, gnädiges Fräulein,“ sagte der Rechtsanwalt Burhem langsam, „dass ich mich in erster Linie mit dieser Möglichkeit eines Mordes, die Sie eben andeuteten, beschäftigt habe!“

„Das hoff’ ich wenigstens!“

„. . . und ich habe diese Möglichkeit ausgeschaltet, nachdem ich mir vorhin Ihren Schwager eine Stunde lang angesegen habe! Das ist nämlich bestimmt kein Mörder!“

„Wer sagt Ihnen das?“

„Die Menschenkenntnis — gnädiges Fräulein! Die hat man oder man hat sie nicht! Man sagt sie mir ja in einem besonderen Masse nach! Sie ist ein Gefühl! Analysieren lässt sie sich nicht! Ihr Schwager Vohwinkel kann kein Blut sehen. Er ist ja kein Mann der Gewalt! Er ist viel zu weichlich. Ein Liebling der Frauen. Weiblich mit ihnen empfindend. Sie verstehend und von ihnen verstanden. Solchen Leuten braucht man nicht erst zu sagen: Du sollst nicht töten. Die töten von selber nicht! Als halbe Naturen tun sie auch da eben ie Hälfte: sie lassen ihren Mitmenschen am Leben und tun so, als wäre er tot!“

„Ich bleibe steif und fest bei dem Mord!“

„Und ich bei der Versicherungspolice, Fräulein Matteis!“

Es hielten jetzt schon einige Frühdroschken an der Strassenecke. Male Matteis stieg in die eine.

„Die Elfi ist tot!“ sagte sie halblaut zu dem Rechtsanwalt Burhem, der auf dem Bürgersteig stand.

„Ihre Frau Schwester lebt!“ Er schloss den Wagenschlag. „Auf Wiedersehen, gnädiges Fräulein!“

Das Auto surrte davon. Der Verteidiger stand eine Zeitlang wie eine stumme Steinsäule in der Morgensonne und starrte ihm tiefsinnig nach, bis es um eine Ecke verschwand. Dann setzte er sich in das nächste Taxi und fuhr in sein Büro.

„Wilde Sache, Kollege!“ Er gähnte, al ser bei seinem Sozius eintrat. „Bei mir Ben Akiba: Immer der alte Schwindel! Höherer Schwindel! Prachtexemplar von einem Versicherungsbetrug! Leckere Schüssel für einen ehrgeizigen, jungen Mann wie Sie!“

Der Justizrat Dohmke war ein jovialer, beleibter Graukopf mit schlauen, kleinen Augen hinter der goldenen Brille. Die wohlwollende Neugier auf seinem behäbigen, rosigen, von einem Wollkranz grauer Löckchen umrahmter Vollmondgesicht wandelte sich während der paar saloppen Sätze des anderen in stille Ehrfurcht vor einem grossen, einem ganz grossen Fall . . .

„Donnerwetter . . .,“ sagte er, als der nervösa Mann vor ihm schloss. Weiter nichts.

„Sie müssen also gleich zu dem Fräulein Matteis hinaus!“ Der Rechtsanwalt Burhem zündete sich eine neue Zigarette an und rauchte heftig. „Die Bekanntschaft wird Sie nicht gereuen! Sie: das ist mal ein Mädel von Format!“

„Ich hab’ schon von ihr gehört!“

„Aber sehen muss man sie, alter Freund! Lohnt sich — Ihnen gesagt! Noch nicht fünfundzwanzig — und dabei wie ’ne Alte — das heisst gar nicht alt, sondern sehr jung. Das ist eben das Merkwürdige an ihr: diese Mischung von Ernst des Lebens und Jugend! . . . Neue Jugend — Schneidige Jugend. . . Entzückende Jugend . . .“

„Na . . . na . . . Kollege . . .“

„. . . dass es so was noch hier mitten in Berlin gibt . . .“

„Was kennen Sie denn von Berlin? Die Gerichtssäle. Das Büro hier. Und — verzeihen Sie das harte Wort — den Spielkulb. Schluss!“

„Ja — man ist ein Tier . . .“ Der Rechtsanwalt Burhem setzte sich und sprang sofort aufgeregt wieder empor. „So ganz modern ist sie . . . Amerikanisch geradezu ist sie . . .“ Er lief auf und nieder. „. . . und dabei etwas so Unberührtes um sie. . . etwas so Taufrisches — zauberhaft in seiner flotten Sachlichkeit . . .“

„Werden Sie nur nicht noch poetisch!“

„Ja — doch — so als ob es gar keine Tauenzienstrasse und keinen Kurfürstendamm gäbe . . . Also glatt ein Ausnahmegeschöpf, Dohmke . . .“

„Kollege . . . Kollege . . . ich warne Sie!“

„Wovor? Sie hat selbst vorhin gesagt: Die Juristen denken immer gleich das Schlimmste!“

„Hab’ ich ein Wort von Heiraten gefprochen? Ich denke mir nur mein Teil. Verzeihen Sie die indiskrete Frage: Wie lange sind Sie jetzt geschieden?“

„Drei Jahre . . .,“ sagte der Rechtsanwalt Burhem plötzlich schwermütig und schaute vor sich hin.

„Na — dann ist’s ja allmählich Zeit, wieder dem Zug des Herzens zu folgen. Nehmen Sie’s ’nem siebenköpfigen Grosspapa wie mir nicht übel!“

„Ich hab’s ein für allemal verschworen!“ Der Verteidiger schüttelte unruhig den Kopf. „Ich passe nicht für die Ehe! Die Weiber sind zu nervös!“ Er klapperte aufgeregt beim Sprechen mit dem Papiermesser. „Sie reden mir zu viel!“ Die Worte überstürzten sich ihm auf den Lippen. „Sie nehmen die Ruhe aus dem Hause.“ Er rannte zwischen Türe und Fendter auf und nieder. „Das halte ich nicht mehr aus! Das hab’ ich auch Fräulein Matteis gesagt . . .“

„. . . dass Sie Ihren Liebeswahnsinn niederkämpfen wollen?“

„Nein! Dass ich nicht in der Lage bin, gegen Herrn Vohwinkel . . .“ Albert Burhem brach ab. Er drückte auf einen Knopf und sagte zu der eintretendne Sekretärin: „Fräulein Grün — geben Si emir die Automobilfabrik ehemals Friedrich Matteis A.-G. — Sie wissen — die draussen an der Oberspree — die Privatwohnung dort — nicht das Kontor — und auch nicht den Ausstellungsraum in Berlin W. — . . . Pardon, Kollege . . .“ Er griff, an dem Justizrat vorbei, nach dem Tischfernsprecher, horchte hinein und runzelte die Stirn.

„Wie? Fräulein Matteis ist noch nicht aus der Stadt zurück? Vielleicht noch im Stadtbüro am Kurfürstendamm? Aber sie müsse gleich kommen? . . . Ach — Verzeihung, gnädige Frau — Sie sind selbst am Apparat? Bestellen Sie doch bitte Ihrem Fräulein Tochter, mein Sozius Dohmke sei gerade jetzt unmenschlich überlastet . . .“

„Nanu?“ murmelte der dicke Justizrat.

„. . . er könne sich beim besten Willen nicht noch mehr aufpacken! Und am wenigsten diesen kniffligen, unberechenbaren Fall . . .“

„. . . hören Sie mal, Burhem . . .“

„. . . und es sei mir nichts übrig geblieben, als den verzweifelten Bitten des Kollegen um Schonug seiner Nerven . . .“

„Meine Nerven . . .,“ brummte der Phlegmatikus drüben.

„. . . nachzugeben und selbst — ich habe ja Nerven wie Schiffstaue — die Beratung der Familie Matteis im Fall Vohwinkel zu übernehmen! Was neuerings passiert ist? Ob und wann die Exhumierung . . .? Die hat eben stattgefunden! . . . Mit einem verblüffenden Ergebnis! Sie hören von mir alles Nähere mündlich, gnädige Frau! Ich werfe mich jetzt gleich in mein Auto und fahre zu Ihnen hinaus!“

Der Rechtsanwalt Burhem hängte ab.

„Was Sie dabei wie ’n Maikäfer zu greinen haben, Kollege, weiss ich nicht!“ sprach er scharf. „Man kann sich doch eine Sache noch mal anders überlegen! Fräulein Grün: ich habe nicht nach Ihnen geklingelt! Wie? Er Medizinalrat hängt drinnen am Telefon?“ Er lief in den Vorderraum und lauschte: „Sie wollten mir nur mitteilen, dass Sie Herrn Vohwinkel glücklich im Sanatorium Kleemüller abgeladen haben? Danke! Raten Sie dem Herrn nur, er soll sich dort nicht zu häuslich einrichten! Es würde schon in Moabit eine bevorzugte Zelle im Untersuchungsgefängnis für ihn gelüftet!“

Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi

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