Читать книгу Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi - Rudolf Stratz - Страница 8

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Dort, jenseits des Kirchhofgitters, war Berlin schon auf den Beinen: jenes Berlin vor Tag,das mit den Hühnern aufstand, wenn die letzten Nachzügler des Berlin bei Nacht in die Federn krochen. Die Bäckerjungen pfiffen. Die Elektrische bimmelte. Die Zettelankleber liefen mit Kleistertopf und Leiter. Die Zeitungsfrauen trabten von Haus zu Haus. Aber immer noch lagen die weiten, grossen Strassen unwahrscheinlich leer und dehnten sich endlos öde im Gähnen der erwachenden Weltstadt. Ein heisser Sommertag blaute herauf. Die Sonnenwärme webte schon in der leise zitternden Luft. Die Sonnenwärme webte schon in der leise zitternden Luft. In ihrem blendenden Licht blinzelte das bartlos-scharfe, ironisch-kluge Antlitz des Rechtsanwalts Burhem doppelt übernächtig durch den goldenen Zwicker in die ausgeschlafene neue Welt. Er schwieg, mit einem matten und verdrossenen Ausdruck. Er schlenderte, mit gesenktem Kopf, zur Linken seiner Begleiterin, über den ausgestorbenen, noch von herabgelassenen Rolläden eingesäumten Bürgersteig. Dann fuhr er nervös, mit einem ungeduldigen Seitenblick, aus seinen Gedanken auf. An seinem Ohr hallte eine helle, laute Mädchenstimme: „Wie kriegen Sie das nur fertig, Herr Doktor, zu tun, als wäre heute morgen weiter gar nichts passiert?“

Male Matteis hatte halt gemacht. Sie stand vor dem Verteidiger, straff wie ein Strich in ihrem weissen Kleid, weiss vom Hutband bis zu den Schuhen. Er lächelte. Er war plötzlich angenehm von dem Bild morgenfrischer, gesunder Jugend vor ihm berührt: ein Bild, leuchtend weiss vor den grünen Sträuchern eines Vorgartens, in dem goldenen Frühschein unter dem blauen Himmel. Er sah ihr mit einer freundlichen Überraschung in das immer noch blasse, aber lebhafte, hübsche, mädchenglatte Gesicht, mit seinen klaren Farben, dem warmen Dunkelblond des Haares, den Helen, jungen, braunen Augen.

„Sie haben eben gegähnt!“ sagte Male Matteis ungläubig, mit schwankender Stimme: „. . . Jawohl! Sie haben durch die Nase gegähnt! Sie haben die Augen halb zu! Sie sprechen kein Wort! Sie trotten so hin und denken sich: wenn doch ein Auto käme und mich mitnähme, damit ich nach Hause fahren kann! Um Gottes willen — was muss denn eigentlich noch passieren, um Sie aus Ihrem . . . ja . . . wie sag’ ich denn?“

„. . . um mich aus meinem Stumpfsinn zu reissen?“ versetzte der Verteidiger resigniert. „Gnädiges Fräulein: leider hab’ ich als Rechtsbeistand Ihrer Aktiengesellschaft ausschliesslich mit Ihrem finanziellen Direktor, dem dicken Hackebeck, zu tun gehabt, als es sich um den Defraudanten da handelte. Ihnen bin ich in dem halben Jahr nur ein- oder zweimal flüchtig begegnet. Das eine Mal sassen Sie mit dem Gesichtsausdruck einer zu allem entschlossenen Rothaut hinter dem Steuer eines Rennwagens, der unter furchtbarem Lärm mit Ihnen durchging. Das andere Mal lagen Sie und der technische Direktor rücklings einträchtig nebeneinander auf dem Boden unter einem Auto und beklopften es mit fieberhaftem Interesse, ohne Sinn für die Aussenwelt, wie eine kranke Kuh! Es waren beides keine ungezwungenen Gelegenheiten für Sie und für mich, einander menschlich näher zu kommen! Eigentlich habe ich Sie heute erst kennerngelernt! Und Sie mich!“

„Aber da auch gerade bei einem so ungeheuerlichen Anlass, dass es ist, als ob man sich schon seit Jahren . . .“

„Wenn Sie den zweifelhaften Genuss hätten, mich seit Jahren zu kennen, gnädiges Fräulein,“ der Rechtsanwalt Burhem ging langsam weiter und sah dabei immer wieder das junge Mädchen neben ihm mit melancholischem Wohlgefallen von der Seite an, „dann würden Sie wissen, dass ich, leider Gottes, im Laufe meiner Praxis gegen Sensationen immun geworden bin! Es ist schade darum! Viel Lärm um nichts ist das halbe Leben! Es entgeht einem vieles, wenn man nicht jeden Tag einmal in die Lüfte geht!“

„Herrgott . . . Und auch das jetzt eben hat Sie nicht aus Ihrer Blasiertheit gerissen? . . . Wo alle Anwesenden doch ihre Nerven zittern fühlten! Ganz Berlin ist heute mittag in heller Aufregung, sobald die Zeitungen herauskommen . . .“

„Berlin ist immer in Aufregung! Die einzigen ruhigen Orte in Berlin sind die Kirchhöfe. Da komen wir ja her. In zwanzig Jahren — oder, seien wir opulent: in fünfzig Jahren ist alles egal!“

„Und das sagen Sie, der berühmte Verteidiger, durch dessen Hände die furchtbarsten Menschenschicksale gehen . . .“

„. . . sie kommen und gehen . . . und gehen und kommen . . . Man tut eben seine Pflicht und redet . . .“

„. . . und nun gerade dieser Fall . . .“ Male Matteis schüttelte die geballten Fäuste. Sie warf einen Blick zum Himmel. „Herrgott — wenn ich ein Mann ware . . .“

„Sie sind ja einer!“ sagte der Rechtsanwalt Burhem. Sein hageres Antlitz der reinen Vernunst, voll logischer Linien um den Mund und mathematischer Stirnfurchen, war freundlich übersonnt. Es sah jünger und weicher aus, während er, nicht mit dem sonstigen Ausdruck durchdringenden Verstandes in den dunklen Pupillen, sondern mit einem Lächeln in den Augen das Mädchen in Weiss musterte. „Sie sind ein ganzer Kerl, Fräulein Matteis! Dafür gelten Sie allgemein! Das weiss ich von Ihnen schon lange . . .“

„Gott . . . ich mach’ mich nützlich . . .“

„. . . und Sie sind jung — ungebrochen — da Sie, und da die Welt — ach: wer das noch einmal könnte: des Hasses Kraft — die Macht der Liebe . . . Man ist ein ausgebrannter Krater! . . . Reden Sie mir bloss nicht länger von Sensationsprozessen und grossen Fällen! Ich bin der Fälle müde, Fräulein Matteis! Fälle sind Feuerwerk, mit Knallfröschen und bengalischem Licht in den Zeitungen! Ich fürchte mich vor neuen Fällen. Der gute Dohmke ist darin anders. Der wird sich mit Feuereifer in den Fall Vohwinkel knien! Das kann ich Ihnen jetzt schon versprechen!“

„Dohmke? . . . Wer ist Dohmke?“

„Mein Gott: mein langjähriger Sozius, der Justizrat Dohmke! Kein Springinsfeld mehr, sondern abgeklärt! Ein weiser, alter Rabe, dem die Menschheit nichts mehr vormacht . . .“

„Und dem wollen Sie den Fall Vohwinkel überlassen . . .?“

„Sie sind doch eine Herrschernatur in Taschenformat, Fräulein Matteis! Der Dohmke ist ein bequemer Grosspapa! Mit dem werden Sie leichter fertig als mit so ’nem nervösen, rechthaberischen Eigenbrötler wie mir!“

„Wo Sie doch schon für unsere Firma die Prozesse geführt haben . . .“

„. . . und dazwischen hat sich Ihre Frau Mutter vor einem Vierteljahr, als bei Ihnen eingebrochen worden war, nicht an mich, sondern an einen Hellseher gewendet . . .“

„. . . und auf die Weise das gestohlene Silberzeug auch wirklich wieder gekriegt!“

„Na, sehen Sie, der Mann kann mehr als ich!“

„Und das, was wir eben erlebten, ist für einen so grossen Mann wie Sie zu unbedeutend?“ Male Matteis lachte zornig auf. Sie beschleunigte mit einem spöttischen Achselzucken ihre Schritte und schaute jetzt selbst, ob nicht ein Frühtaxi des Weges käme. „Ein Fall, der Ihren Namen noch berühmter machen würde als er schon ist! Sie selber interessiert der Fall meiner Schwester garnicht?“

„Der ist nicht so sehr interessant!“

„Ein Geheimnis, das in kurzem ganz Berlin beschäftigt?“

„Ich glaube garnicht, dass es ein so grosses Geheimnis ist!“

Das junge Mädchen blieb stehen un starrte ihren Begleiter wortlos, mit offenem Mund an. Der Rechtsanwalt Burhem sah auf die Uhr, steckte sie wieder ein und versetzte: „Ihre Schwester lebt nämlich!“

„Die Elfi ist tot!“

„Ihre Schwester lebt!“

„Woher wollen Sie das wissen?“

„Sie lebt im Ausland. Oder in Deutschland. Vielleicht in Berlin. Wahrscheinlich ganz in unserer Nähe. Am Ende gerade hier um die Ecke . . .“

„In Ihrer Phantasie . . .“

„. . . und weil sie nach meiner Überzeugung lebt und nach Ihrer Überzeugung nicht mehr lebt, würden wir uns über die Behandlung des Falles auch noch unnötig in die Haare kommen, gnädiges Fräulein!“ Der Rechtsanwalt Burhem sprach es halb zerstreut und beobachtete dabei mit einer stillen und starken Anteilnahme, wie sich die Wangen des jungen Mädchens vor ihm in Überraschung, Unruhe, innerem Widerspruch röteten. „Sehen Sie: fein ist die Eckdestille da vor uns nicht. Aber das einzige Lokal, das jetzt schon offen hat! Da trinken wir Kaffee, und Sie sprechen sich aus! Kommen Sie nur ruhig hinein! Es tut Ihnen niemand ’was!“

„Gott — ich frühstücke doch bei uns in der Fabrik alle Finger lang in der Kantine zwischen den Arbeitern!“ sagte Male Matteis. „Glauben Sie, ich wäre etepetete? Da käme ich da draussen weit!“

Sie und der Rechtsanwalt setzten sich in eine leere Ecke am Fenster. An den Tischen ringsum sassen nächtliche Strassenbuddler, Bahnhofchauffeure, Eisenbahner, Bauplatzwächter. Sie rauchten. Sie redeten wenig miteinander. Der hemdärmelige Wirt, mit der Muskelpackung und dem aufgedrehten Schnurrbärtchen eines Ringkämpfers, brachte den beiden Kaffe und Butterschrippen. Male Matteis schob den Teller zur Seite. Sie beugte sich über den weissgescheuerten Holztisch gegen den Rechtsanwalt Burhem vor. Sie begann unvermittelt — unterdrückt und heftig: „Meine Schwester . . . und ruhig irgendwo sitzen und sich ihres Daseins freuen, während ich sie für tot halte — so etwas täte mir die Elfi nie und nimme an! So war sie nicht! Sie haben sie nicht gekannt!“

„Und wie war sie in Wirklichkeit?“ Es zuckte unruhig auf den übernächtigen Zügen des Verteidigers. Er langte sich nervös eine Zigarette heraus und zündete sie an.

„Die Elfi? Also am einfachsten: Sie stellen sich mein gerades Gegenteil vor!“ sagte Male Matteis. „Da haben Sie sie vor scih, wie sie leibt und lebt!“

„Ich denke, sie galt für eine Schönheit!“

„Eine rührende Schönheit! So zart und zerbrechlich wie . . .“

„Dann kann sie doch nicht Ihr Gegenteil gewesen sein, Fräulein Matteis! Sie sind doch wirklich nicht von der Natur vernachlässigt!“

„Ach Quatsch . . . Verzeihen Sie — das fuhr mir so heraus! Das macht die Umgebung!“ sagte das junge Mädchen mit grosser Ruhe. „Also auf mein Äusseres kommt es dabei wirklich nicht an, sondern auf die ganze Persönlichkeit! Die Elfi war von klein auf das Prinzesschen und ich ein handfester Pummel! Sie war die ältere, und ich hab’ sie, auf dem Weg zur Schule, bemuttert, dass sie nicht unter die Elektrische kam. Die Elfi war das Sonntagskind und ich für den Hausgebrauch in der Familie!“

„Also Martha und Maria, um mich poetisch auszudrücken!“

„Oder Poesie und Prosa — wenn Sie es noch poetischer haben wollen! Ich hab’ mich in der Fabrik herumgetrieben, während die Elfi Verse in ihr Tagebuch gekritzelt hat, und wenn sie am Klavier gesessen hat, dann hockt’ ich schon als kleines Baby auf einem Fabrik-Chassis und trat aus Leibeskräften die Kuppelung aus un gab imaginäres Gas. Die Arbeiter haben immer gelacht. Aber so lernt man’s! Ich hab’ mir die technischen Kenntnisse rein auf eigene Faust angeeignet!

Ja — aber Sie wollen von der Elfi hören . . .“ Male Matteis hielt inne und besann sich. „Man kann sie gar nicht so schildren. Sie war ja ein kleines Fabelwesen. So rührend unmodern — deswegen hab’ ich sie so wahnsinnig geliebt und bewundert — sie war wie eine Verschönerung des Lebens, das wir Leute von heute führen und nicht mehr so wie die Elfi führen können, sonst kommen wir unter die Räder! Die Elfi war wie ein grosses, ganz reines, unschuldiges Kind — ganz auf Liebe gestellt — ganz auf Hingebung — ganz auf Weichheit . . .“

„Efeu und ein zärtlich Gemüt . . .“

„Ja. So. Ich weiss nicht, von wem das ist . . .“

„Von Goethe!“

„Ach! . . . Ja — es kam bei der Elfi alles auf ihren Mann an. Das ging nun auf einmal wahnsinnig schnell. Die Elfi lernte meinen Schwager kennen: Verliebt! Verlobt! Standesamt! Weg war sie.“

„Verzeihen Sie eine schnöde Zwischenfrage, Fräulein Matteis: Ihre Schwester bekam eine ansehnliche Mitgift mit?“

„Ein für allemal ihr ganzes Erbteil!“ Male Matteis furchte die Stirne. „Mein Schwager bestand auf der sofortigen Barauszahlung, und die Elfi war sein willenloses Sprachrohr!“

„Ihr Schwager hat also finanziell nichts mehr von seiten Ihrer Schwester zu erwarten?“

„Nein — keinen Pfennig mehr! Gott sei Dank! Das hielte die Fabrik wirklich nicht mehr aus! Die hat schon ’ne Pferdekur hinter sich. Damals, wie er die Elfi anstiftete, ihr gesetzliches Erbteil aus der Fabrik zu ziehen, da hab’ ich meinen lieben Schwager zum erstenmal kennengelernt, wie er wirklich war! Ich bitte Sie: heutzutage das bisschen Kapital, das man noch hat, aus dem Betrieb ’raus! Ich hab’ an dem Abend wirklich gesessen und geheult wie ein Schlosshund . . .“

„Und Herr Vohwinkel war keinen Vernunftsgründen zugänglich?“

„Er baute doch die Eigenhäuser für die Siedlung Neuwest! Da wollte er sich selber finanziell dran beteiligen! Es sei eine grosse Sache! . . . erklärte er . . . Abe rich glaube: nachher war es gar keine solche Goldgrube . . .“

„Ganz im Gegenteil!“

„Und wie, in der Autofabrik, waren die Leidtragenden!“ Male Matteis’ Lippen zuckten. „Damals waren es gerade zwei Jahre, dass Papa gestorben war. Plötzlich, morgens beim Frühstück. Schlaganfall. Da standen wir. Die Aktien waren doch Familienbesitz. Meine Mutter hatte ’nen Haufen — ich — die Elfi — und dann ein ganzes Schock Muhmen und Tanten und Neffen und Nichten. — Das life nun alles durcheinander — jedes hörte auf ’nen andern — keine hatte ’ne Ahnung . . . Da Ordnung schaffen: ich war damals erst zwanzig. Aber ich sagte mir: da musst du rücksichtslos dreinfahren und alles unter einen Hut bringen! Sonst müssen wir alle zusammen in einigen Jahren den Leierkasten drehen . . . Aber da red’ ich jetzt von mir statt von der Elfi . . .“

„Es hängt doch alles mit Ihrer Schwester zusammen! Erzählen Sie nur weiter!“

„Na — das gab ’nen netten Tanz!“ sagte das junge Mächen. „Wis sie Angst vor mir kriegten und mir Vollmacht gaben und ich unsern Direktoren Luft schaffte, dass sie endlich disponieren konnten, ohne dass ihnen irgend ein Familienmitglied hineinquatschte! Nun ging’s vorwärts wie geschmiert! Da kam der Donnerschlag mit der Mitgift! Wir sassen da blank wie die Frösche! Wir konnten von vorn anfangen! Gott sei Dank: jetzt, wieder nach zwei Jahren, sind wir überm Berg. Die Bankschuld ist abgezahlt. Mit dem neuen Kleinwagen verdienen wir augenblicklich grob . . .“

„Wel nämlich Si emit dem Liliput zwei schwere Bergrennen gewonnen und damit eine Riesenreklame für die Marke gemacht haben!“

„Ja — es war ein toller Dusel. Durch halb Europa ohne Strafpunkte! Ich hab’ meine Knochen gespürt! Wohin, Herr Doktor!“

„Nur zwei Worte an mein Büro!“ Der Rechtsanwalt Burhem life zu dem Apparat. Er überzeugte sich durch einen Rückblick, dass die gepolsterte Zellentür fest geschlossen war, und raunte in die Röhre: „Hören Sie, Krause: im strengsten Vertrauen: setzen Sie sich gleich mit den paar zuverlässigsten Ermittlungsinstituten — Sie wissen ja welche — in Berlin in Verbindung. Ich will missen, ob, wann und wo und in welcher Höhe der Architekt Vohwinkel Lebensversicherungen auf seine verstorbene Ehefrau abgeschlossen hat — hier und im Ausland — namentlich in Amerika! Verstanden?“

Das Geheimnis von Fuensanta - Krimi

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