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Der Herausgeber des ,Journal de Péra‘ steckte nervös sein Notizbuch ein. In der Nähe hielten zwei Negerbübchen seinen Reitschimmel. Er kletterte in den lehnstuhlähnlichen roten Ledersattel, steckte die Lackstiefel in die pantoffelartig blechgewölbten Bügel, schaute auf die Uhr und galoppierte mit hochgezogenen Knien, seinen hohen schwarzen, fränkischen Zylinderhut sich mit erhobener Hand auf der Glatze festhaltend, durch den schuhhohen Staub, den Bosporus zur Linken, zur Rechten die ummauerten Parkhänge des Palastes Tschiragan und, an ihrem Fuss, zwischen uralten Platanen und rot und weiss blühenden Rhododendren den alttürkischen, oben holzvergitterten, mit Erkerchen und Galerievorsprüngen geschnörkelten grossen Konak des Marschalls Schükri Pascha.

Offene fränkische Landauer hielten davor. Wieder dunkelten nachtschwarze, ofenrohrähnliche Zylinderhüte im sonnenglühenden Farbenspiel des Morgenlandes, blinkten die Blutstropfen des Ehrenlegionbändchens auf feierlich schwarzen Pariser Bratenröcken, qualmte Papyrossenrauch aus den breiten, unruhig geblähten Nüstern über Alt-Moskauer Patriarchenbärten und westeuropäischen schnurrbärtigen, geschmeidigen Petersburger Lippen.

„Ah — mein Freund! Das Syndikat der Neuen Asiatischen Studiengesellschaft erwartet Sie mit Ungeduld! Wie? Verspätung im Dienst der Presse? Lassen wir den Bosporus! Lassen wir seine blonde teutonische Nixe! Hier steht Asien auf dem Spiel! Asien und die Bahn!“

Der kleine dicke, bewegliche Führer der Asiatischen Studiengesellschaft wischte sich den Schweiss von der Stirne. Das feurige Temperament des französischen Südens irrlichterte in seinen schwarzen Augen. Auf dem feistgeschäftigen, bläulich-glattrasierten, ölglatten Antlitz wohnte die zynische Menschenkenntnis der Boulevards und der grossen Finanzhändel in Osteuropa.

„Wenn ich mich erst verspäten wollte, mein teurer Meister“, sprudelte er zu dem Schimmelreiter. „Welch ein Leben führe ich hier! Immer ausser Atem! Immer unterwegs! Von den Hohen Pforte zur Banque Ottomane, von der französischen Botschaft zum französischen Telegraphenbüro! . . . Ach — diese süsse Luft Frankreichs! Meine Rosamonde, meine Frau! Meine Bébés . . .“

„Die Hauptsache, dass uns der Marschall heute empfängt!“ sagte, in weichem Petersburger Französisch, eines der russischen Vorstandsmitglieder der Studiengesellschaft und lüftete seinen hohen Hut. „Ah — willkommen, Hünif Bei!“

Der Major Hünif im Reiterregiment Ertogrul geleitete, sporenklirrend, in hellblauem Waffenrock und grauen Hosen, den schwarzen Kalpak auf dem schnurrbärtigen Haupt, die französischen und russischen Finanzmänner in die Vorderräume des Konaks, wohin keine Frau im Hause sich verirrte. Es war, im Brauch des Orients, kein Zufall, wie sein Oheim, der Marschall, seine Besucher empfing — ob stehend oder sitzend — ob an der Hinterwand des Raums oder ihnen bis zur Schwelle entgegengehend.

Diesmal erhob sich Schükri Pascha beim Eintritt der Europäer von seinem Sitz in der Mitte des mit einem Dutzend Rohrstühlen und niederen Taburetts ausgestatteten, sonst ganz leeren, grossen, parkettierten Audienzsaals, und forderte sie mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. Knaben in weissen Hemden reichten lautlos auf blossen Sohlen Schälchen mit Kaffeesatz, Teller mit gezuckerten Früchten, Gläser mit grottenkühlem Wasser — dem besten weit und breit, aus der Quelle von Tschamlidsche, hoch oben dort am Berge Bulgurlu.

Der Duft blühender Rosenstöcke wehte durch die hölzernen Sonnengitter in dem dämmerigen Raum. Ein langgezogenes fernes: „Allahu akbar!“ einer weissen Gestalt vor blauem Himmel von der Höhe eines Minarehs. Der Brauch des Islam bedingte eine Viertelstunde hindurch höfliches, gleichgültiges Gespräch über dies und das. Dann begann mit tiefer Stimme, im glänzenden Französisch des einstigen Diplomaten in Paris, der Marschall Schükri Pascha, Kämpfer vor Sebastopol, Sieger im Glauben, Löwe vom Schipkapass, dunkelbärtig, ruhig, ernst.

„Ihr drängt mich mit dem Schienenstrang. Die Eisenbahn fährt schnell. Aber die Eile ist Satans und die Ruhe bei Gott!“

„Wenn die Orientalen erst mit ihren Sprichwörtern anfangen, wollen sie das Geschäft wieder einmal verschleppen!“ keuchte der Pariser Finanzmann leise zu dem Peraer Journalisten, und dann laut und ehrerbietig:

„Und doch, Exzellenz — wer ist stark genug, die Zeit zurückzuhalten? Vorderasien schreit nach dieser Bahn.“

„Was nützt dem Schwarzen die Seife?“

„Alles ist reiflich besprochen und erwogen!“

„Mit Worten kocht man keinen Pilaw!“

„Wir verpflichten uns, die Bahn bis zum Tigris zu führen!“

„Dem Verliebten ist Bagdad nicht zu weit!“

„Ah — meine Rosamonde — meine Bébés! Nur der Gedanke an sie hält mich aufrecht!“ stöhnte der kleine, dicke Pariser in das Seidentuch, mit dem er sich das schlaue, bewegliche Antlitz trocknete. „Exzellenz! Seit kurzem erfuhr unsere Dienstwilligkeit gegenüber dem Osmanenreich eine köstliche Förderung: Frankreich und Russland, diese beiden edelmütigen Nationen, fanden sich in uns hier und unsern neuen russischen Geschäftsfreunden zu meiner Rechten, die ich Euer Exzellenz in Ehrfurcht präsentiere!“

„Ich bin von allem unterrichtet!“ Kalt die Stimme des Marschalls. Noch durch die bedächtige Verschlossenheit eines türkischen Grossen drang etwas von seiner tiefen Abneigung gegen den Erbfeind an der Newa.

„Der Vertrauensmann unserer russischen Verbündeten und daher auch unserer, unser ausersehener leitender Kulturpionier in Asien, Herr Paul Buddenhaus, trotz seines deutschen Namens ein Untertan des Zaren — trotz seiner Jugend jeder Lage gewachsen — traf vor einer Stunde auf der Reede von Galata ein . . .“

„Man meldete mir vorgestern, er habe Odessa auf der ,Zariza‘ verlassen in der Richtung nach Konstantinopel.“ Es klang wie Mitleid im Bass des Marschalls, dass irgend etwas hier in dieser östlichen Welt den Spähern des Jildis-Kiosk habe entgehen können.

„Herr Buddenhaus würde es für den Gewinn seines Lebens erachten, wenn er sich baldigst vor dem Schatten Eurer Exzellenz zur Erde verneigen dürfte! Gott gab ihm die Gabe der Rede! Alle Dinge ändern sich im Hauch seines Mundes.“

Der Marschall Schükri sass lange stumm. Es war ein erwartungsvolles Schweigen in dem heissen, halbdunkeln Saal.

„Werden Sie Herrn Buddenhaus durch einen Empfang beglücken, Exzellenz?“

„Bilmem!“ sagte der Marschall ausdruckslos vor sich hin auf türkisch und verbesserte sich selbst sofort in französisch: „Ich weiss es nicht.“

Die Abordnung war entlassen. Ihre schwarzen Ofenröhren und Bratenschösse warfen unter den goldenen Sonnenkringeln des Platanenhofs um den silberplätschernden Brunnen, einen europäischen Schatten auf das Weiss der den Strasseneingang bewachenden, bis an die Zähne bewaffneten albanesischen Leibgarde des Marschalls.

Vor dem Konak war ein schwarzlackiertes, mit zwei Schimmeln bespanntes Coupé vorgefahren. Eine Handvoll Türkenkinder krabbelte aus der Kutsche. Iskander Beg, der Führer der wilden arnautischen Torhüter, im blutroten, silberbesetzten Arnautenrock seiner Würde, geleitete persönlich, den gezückten Krummsäbel seiner Vorfahren in der Faust, in starrer Landknechtstreue den kaum zwölfjährigen Jungen in rotem Fes, goldgesticktem grünem Jäckchen und himmelblauen Pluderhosen zum Eingang des Hauses.

Hinter dem kleinen Mann wimmelten drei noch kleinere Mädchen, in ihren bunten, ärmellosen Jacken und weiten Knöchelhosen nur an den dürftigen Zöpfchen unter den Samtkappen von ihm zu unterscheiden. Um sie machte man nicht soviel Aufhebens. Nur die dahinter gehende europäische Gouvernante mahnte auf französisch:

„Saliha Hanum! Kadscha Hanum! Nimet Hanum! Die Fussspitzen auswärts, mesdames!“

Dann, zu dem selbstbewussten, dunkeläugigen Kerlchen vorn:

„Mehemet Bei — wollen Euer Hoheit die Grüsse der fränkischen Efendis erwidern!“

Denn rings hatten sich die Zylinder vor dem Stolz des Hauses, dem Stammhalter Schükri Paschas, gelüftet. Der Knirps war Hoheit, von seiner Mutter her, der Prinzessin Münireh Sultaneh, die Abd ul Hamid — damals noch nicht Padischah — einst in seiner Gnade seinem Marschall zur Frau gegeben. Dieser Ehe verdankte der Günstling des Sultans einen grossen Teil seiner Stellung und seines Ansehens.

Die Franzosen und Russen drängten sich beflissen um den kleinen Prinzen und beugten sich zu ihm nieder. Von ihm führte, wie bei jedem Orientalen, der Weg zum Herzen des Vaters. Um die drei Töchterchen kümmerten sie sich, die Sitte des Morgenlandes ehrend, nicht. Die warteten inzwischen geduldig mit der Gouvernante.

Die Erzieherin war noch jung, einfach und dunkel gekleidet, ein zierliches Pariser Figürchen, auf schmalen Schultern ein ebenso schmales, tief brünettes Köpfchen. Feingeformt, mit den etwas breiten Flügeln Galliens, die Nase. Gallisch gerundet, mit lebhaft aufgeworfenen, roten Lippen und dichten, weissen Zähnen der kleine Mund. Unter langen dunkeln Wimpern schliefen zwei anscheinend teilnahmslose, auffallend kluge, braune Augen.

Sie stand unbeachtet, die kleinen Mädchen an der Hand, als ginge sie das Getümmel um den Erbprinzen nichts an, und hörte dabei in ihrem Ohr die gedämpfte Stimme des dicken Pariser Grossfinanzmannes mit dem roten Bändchen der Ehrenlegion.

„Wie steht’s, Mademoiselle Froidure?“

„Ich tu’, was ich kann!“ ebenso leise.

„Der Marschall zaudert immer noch mit der Eisenbahnkonzession!“

„Ich arbeite den ganzen Tag!“ Sie sah scheinbar leer an dem bläulich rasierten, zynisch glatten Feistling der Boulevards vorbei. „Ich habe die Prinzessin schon ganz auf unserer Seite. Ich mache dem ganzen Harem den Kopf heiss und damit dem Pascha selber!“

„Vergessen Sie nicht, dass wir Sie von Paris aus in dieses Haus hier gebracht haben . . .“

„Sorgen Sie nur, dass niemand hier im Hause etwas davon erfährt!“

„. . . und dass wir Sie zahlen! Gut zahlen!“

„Ich habe meine Augen überall! Die Prinzessin erzählt mir alles!“

„. . . und Sie sofort . . . verstehen Sie . . . sofort uns!“

„Ich höre täglich, im Nebenzimmer bei den Kindern, was der Marschall mit ihr spricht. Er spricht ja immer französisch. Er liebt Frankreich. Er liebt Paris, in der Erinnerung. Deswegen spricht er auch oft mit mir von Paris!“

„Benutzen Sie diese kostbaren Gelegenheiten, Mademoiselle Froidure! Beeinflussen Sie den Marschall, wie Sie können. Dehnen Sie Ihre Herrschaft im Konak immer weiter aus! Sie sind des Dankes Frankreichs sicher . . . Ah . . . Seine Hoheit muss schnell ins Haus!“ Die Fuchsaugen des Parisers blinzelten dem Paschasprössling nach, der plötzlich sein gravitätisches Däumlingtum vergessen hatte und ohne Abschied von den verachteten Europäern in den Konak lief.

Und für den dicken Pariser Mann im Morgenland war dagegen plötzlich wieder nach türkischer Etikette die Weiblichkeit — die Erzieherin und die drei Mädchen in Höschen — Luft. Er ging, ohne einen Blick auf sie, mit seinen Landsleuten und den Russen durch den Hof. Der grimme, rot-silberne Albaneser Häuptling geleitete sie bis zu ihren Landauern.

Wer baut die Bahn?

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