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In einem der Bosporussäle seines Palais stand Lamba selber am Fenster — Lamba — der grosse Hecht im Karpfenteich der Levante —, bekannt am ganzen Mittelmeer, wo nur seine Dampfer mit überverpfändeter Ladung rauchten — wo seine Wechsel über schwindelnde Summen von Piastern und Drachmen und ägyptischen Pfunden mit äusserster Vorsicht von Hand zu Hand gingen — wo seine Seide-, Baumwolle-, Zuckerspekulationen die Börsen von Marseille bis Alexandria erschütterten — Palamidi Lamba, knabenhaft schmächtig, aber elegant gewachsen, ein bräunlicher Vierziger mit schwarzem Haar und Schnurrbart, perlgrau nach Pariser Mode gekleidet, einen vierzigkarätigen Diamanten in dem Seidenschlips vom Altgold der Kirchenbilder seines griechisch-orthodoxen Glaubens.

Aus seinem sinnlich-weichen, wächsernen, regelmässigen Antlitz war die lauernde Trägheit des Halbasiaten geschwunden. Die sonst undurchdringlich ausdruckslosen Züge zeigten eine leidenschaftliche Spannung. Er spähte über die Marmorstatuen und goldgesprenkelten Orangenbäume und Palmenwedel seiner Gartenterrassen hinaus auf das Meer, als hätte er das Blau des Bosporus noch nie gesehen.

Dies tiefe Blau und in ihm der weit ausgebreitete blonde Fächer auf den Wogen. Der Schwimmerin draussen hatte sich nach dem Verlust der roten Badekappe das Haar im Spiel der Wellen gelöst. Wie eine lange goldene Schleppe flutete es im Sonnenschein hinter ihr her. Und drüben in Lambas schwarzen Augen glühte heiss die ewige Leidenschaft des brünetten Südländers, des dunklen Mittelmeermenschen, nach dem kühlen Blond und Weiss des fernen Nordens.

Und nur eines beschäftigte Palamidi Lamba, den Sohn des Stiefelputzers von Saloniki, den skrupellosen Millionär, den Schrecken jedes ehrbaren Handelsherrn zwischen Pera und Piräus — nur eines beschäftigte ihn, wie er, stumm auf die Wasserfläche starrend, dastand. Ob sie wohl auch blaue Augen hat? Grosse blaue Augen — so blau wie Himmel und Meer? . . .

„Ein persischer Händler ist, mit einer Rolle Seidenteppiche vor sich, auf dem Esel angeritten!“ Das Flüstern eines Dieners im Hintergrund des ganz europäisch, in weissseidenem Louis-Seize von einer Pariser Firma ausstaffierten Saals. „Er sagt, er sei von Eurer Herrlichkeit bestellt!“

Lamba fuhr herum. Er kam zu sich. Sein Gesicht färbte sich plötzlich etwas blass. Ein Kopfwink: „Herein!“

Der Perser war ein grosser, hagerer, nicht mehr junger Mann mit Hakennase, Schwarzbart, Glutaugen. Er stand, seinen Packen neben sich auf dem Parkett, demütig an der Tür, die schwarze Fellmütze auf dem tiefbraun gebrannten wilden Kopf, den schwarzen Kaftan bis zum Hals zugeknöpft, die Hände ehrerbietig vor dem Leib gefaltet. Er murmelte unterwürfig, so dass es der heraushuschende Diener noch hören konnte:

„Mein Ernährer: Ihr Fussstaub erwartet Ihre Befehle!“

Der Levantiner wurde noch bleicher. Er überzeugte sich mit einem Blick, dass sich die Pforte hinter dem Diener geschlossen. Er zog den Teppichhändler am Arm mit sich in die Mitte des Saals, wo unmöglich ein Menschenohr im Palais sein angstvolles Flüstern vernehmen konnte.

„Exzellenz Fuad — Gott hat Ihre Flucht aus Damaskus begünstigt . . .“

„Lob sei Allah!“

„Aber wie konnten Sie es wagen, Fuad Pascha, hierher nach Konstantinopel . . . unter die Augen des Sultans . . .“

„Nicht als sein abgesetzter Palaisintendant, sondern als ein reisender Teppichhändler unter dem Schutze Allahs!“

„Warum bringen Sie mich durch Ihren Besuch in Lebensgefahr?“ Der Levantiner schluckte vor Angst.

„Es ist alles zum Handstreich auf den Jildis-Kiosk bereit!“ Die schwarzen Pupillen des falschen Persers funkelten unter den buschigen Brauen. „Unser neuer Sultan — der künftige sechsunddreissigste Grossherr — aus dem Stamme Osmans . .“

„Der Prinz ist seit Jahren im Ausland flüchtig!“

„Er hat heimlich seinen Zufluchtsort in Korfu verlassen und ist hier in Konstantinopel verborgen! Wir brauchen nur noch Geld, um die Kammerherren des Jildis-Kiosk zu bestechen — viel Geld — von euch Griechen und Armeniern!“

Der Levantiner Lamba war geschmeichelt, dass man ihn einen Griechen nannte. Aber er schritt unruhig in dem Saal auf und ab. Er schaute leer durch das hohe Fenster hinaus in die Sonnenblendung. Da schwamm immer noch leuchtend die goldene Haarflut auf dem blauen Spiegel der See.

„Es wäre der dritte Sultan, der innerhalb eines Jahrzehnts entthront und ermordet wird!“ keuchte er heiser. „Was gehen eure blutigen Serailhändel uns Christen an?“

„Ihr Griechen und Armenier hofft vergeblich, durch Rhodokanaki und die anderen Christen im Senat eine Eisenbahnkonzession in Vorderasien zu erreichen!“ sagte Exzellenz Fuad Pascha, der gestürzte Grosse. „Drüben im Jildis-Kiosk“, er wies über den Bosporus hinüber, „offenbart sich der Wille Allahs — Lob ihm! Haben wir dort die Macht . . .“ Er griff sich mit der Rechten in das wirre Haargestrüpp unter dem Kinn: „Bei meinem Bart — so habt ihr von uns die Eisenbahnkonzession und damit zehnfach das Geld wieder, das ihr uns jetzt im Namen des Allerbarmers leiht!“

„Lasst mir Zeit!“

„Morgen ist es für eure Pläne zu spät. Franzosen und Russen verfolgen dieselben Pläne. Sie haben sich geinigt!“

„Ich weiss es!“

„Der Vertreter der Russen nähert sich jetzt eben auf dem Odessaer Dampfer Konstantinopel!“

„Der Deutschrusse Buddenhaus! Was bleibt im Orient unbekannt?“

„Er ist ein noch junger Mann. Ein Mann wie Sturm über der Steppe. Ich komme selbst aus Vorderasien. Die geringsten Kameltreiber zwischen Bagdad und Beirut sprechen dort von ihm. Er hat dort die Paschas der Provinzen für seine Eisenbahnpläne gewonnen. Er hat die halbwilden Kurdenbegs und die ganz wilden Tatarenkhane bestochen. Er wird im Jildis-Kiosk alle eure Pläne zunichte machen, wenn ihr ihm nicht durch unsern Handstreich zuvorkommt!“

Lamba sank auf einen Seidensessel und brach in Tränen aus. Der Perser betrachtete düster den Kampf zwischen Feigheit und Geldgier in dem kraftlosen Mann. Der Diener stand hinter ihm im Saal. Der Hausherr hatte sich erhoben und an einem persengestickten Glockenstrang gezogen.

„Geleite den ehrwürdigen Mekkapilger zu seinem Esel!“ befahl er auf türkisch. Und weiter zu dem finster schweigenden Perser: „Lass deine Seidenteppiche hier! Ich werde sie mustern! Beim Erschliesser der Pforten des Erwerbs: Du sollst bis zum Abend Nachricht von mir erhalten, ob sie mir gefallen!“

Lamba, der Levantiner, war allein. Er stand auf und trocknete sich mit einem weissseidenen Tuch die Angsttränen aus den Augen und rang im Goldfieber nach Luft. Er schaute wieder hinaus auf das Meer, auf den fernen, von einem andern Gold umflossenen Kopf im Geleit der Boote, der jetzt, in den Wellen auf und nieder tauchend, durch ruhigere Strömung, eine schräge, aber unbeirrte Richtung nach dem europäischen Ufer einhielt. Leidenschaftlich starrte der Levantiner auf das blonde Haar und frug sich leise zitternd wieder: Ob sie wohl blaue Augen hat . . .?

In seinem Garten Eden um das Palais Lamba standen zwischen Lorbeerbüschen und Kakteenhecken da, wo ihr Anblick nicht den Abscheu fanatischer Bettelderwirche und frommer Moscheenhodschas jenseits der Strassenmauer erwecken konnte, marmorne Statuen aus der Welt Homers, den Palamidi Lamba für seinen Landsmann hielt.

Und wenn von diesen Griechengöttinnen eine ihren Leib mit einer kostbaren Pariser Toilette umgürtet und sich in Wolken von Parfüm gehüllt und ihr klassisch schönes, längliches Antlitz mit den beweglichen Nasenflügeln und dem verwöhnten, üppigen Mund durch eine Puderhülle alabastern weiss gefärbt hätte, aus dem nur, anders als in den Tempeln und Museen, zwei unergründliche Augen, schwarz wie die Nacht, lebendig leuchteten — wenn solch eine Statue von ihrem Sockel herniedergestiegen wäre, dann stand sie jetzt im Saal vor Lamba, ihrem Mann, sich den einen Handschuh zuknöpfend, den andern zwischen den Zähnen, von einem breitrandigen, blumenbeladenen Strohhut das dunkle Haupt beschattet, einen weissen Spitzensonnenschirm zwischen dem Ellenbogen und der enggeschnürten Taille ihrer schon leicht zur Fülle der Dreissig neigenden Junogestalt geklemmt.

Und der Levantiner Lamba sah seiner Frau, der Smyrniotin Charis, teilnahmlos zu. Sie hielt mit demselben Gleichmut seinen Blick aus. In ihren feuchtglänzenden Augen lagen alle Geheimnisse der Welt — Schwermut — Leidenschaft — Sehnsucht. Aus diesen Augen sprach ein träumerisches, rätselhaftes Wissen um die letzten Dinge. Diese wissenden Augen warteten gläubig auf ein Wunder . . . .

Und Lamba, ihr Gatte — Seele und Sinn erfüllt von dem Blond da draussen —, Lamba lächelte nur müde und wusste: Diese Augen täuschen. Dahinter ist nichts als eine leichtsinnige Levantinerin . . . . . .

Charis Lamba hatte ihren Mann schon eine Weile beobachtet, ohne dass er es merkte. Jetzt blinzelte sie spöttisch unter den langen, nachtdunklen Wimpern. Ihr Haupt mit dem kaum merklichen Ansatz eines Doppelkinns — dem frühen Alterszeichen der Levantinerin —, dies aus irgendeinem Griechentempel in das neunzehnte Jahrhundert hinübergeborgte Haupt vom Olymp — legte sich verächtlich, mit der Bewegung einer Fischverkäuferin, schief zur Schulter. Schnell und schwatzhaft unbeseelt ihre zweite kleinasiatische Muttersprache, das Französisch.

„Nun — macht dich dieser Delphin im Bosporus verrückt?“

Lamba antwortete nicht. Seine niedere Stirn mit dem glatt hineingekämmten Schwarzhaar lief in unheimlichen Falten.

„Schwimm doch hinter ihm her, mein Armer!“

Der Levantiner Emporkömmling musterte die Pariser Juno mit dem stillen Stechen der Augäpfel, durch das er am Kartentisch die fingerfertigsten Griechen, im Kontor die ausgepichtesten Perser und Armenier lähmte. Es kam, in einer Zigarettenwolke, nur aus seinem Mund:

„Du — und eifersüchtig? . . . Du?“

„Du tust mir leid, mein Freund! Du machst dich lächerlich! Die Gärtnerjungen da an den Papyrusstauden lachen, der Eseltreiber drüben am Schöpfrad!“

„Was geht es dich an?“

„Mein Gott — ich kenne doch diesen Fisch da draussen! Diese kleine Bettlerin aus Deutschland! Ich sah sie öfter in der Grande Rue! Wie sie angezogen geht — man möchte ihr einige Paras in die Hand drücken — in einem selbstgemachten weissen Fähnchen — nicht der geringste Schmuck!“

„Und du? — Da draussen hält deine Equipage!“ Ihr Mann kreischte. Plötzlich brach bei ihm durch die europäische Tünche der Asiate durch. „Wohin fährst du jetzt? Zu Pappadiamantopulo?“

„Pappadiamantopulo?“ In dem weissen, antiken Gesichtsoval zwei schmerzliche schwarze Sonnen der Unschuld.

„Zu Kostolan?“

„Kostolan!“ Charis rang mit einem Blick zum Himmel die nicht kleinen, aber wundervoll geformten Hände, an denen in wechselndem Wasser die Riesendiamanten über der Puderschicht blitzten.

„Zu Tschepati? . . . Zu diesem Goilou? . . . Zu Benetato? Zu Kaftanzoglu?“

„Still!“ Jetzt kreischte auch die schöne Charis auf. Die Unkultur der Levante verzerrte beiden die Gesichter. Sie fauchten wie Kater und Katze aufeinander los.

„Zu Renieri? Zu Kantschur? . . . Gott allein weiss all die Namen!“

„Ich gehe!“

Lamba wandte sich zur Tür. Sie war eine berückend schöne Frau. Sie hatte den majestätischen Gang einer Göttin.

„Zu Ronis?“

Lamba keuchte es hinter ihr her. Die Smyrniotin wandte an der Tür das dunkle Haupt über die Schulter zurück. Sie wiederholte, merkwürdig sanft und geringschätzig:

„Schwimme ihr doch nach!“

Sie war weg. Draussen rollte ihr Wagen. Ihr Mann schaute wirr der Staubwolke nach und dann hinaus auf das Meer.

Plötzlich sprang er mit drei Sätzen zwischen den Marmorlöwen die breiten Steinstufen von der Halle auf die Gartenterrasse hinab. An deren Seemauer schaukelten an Pfählen seine Kaiks. Ein Boot, mit einer Hinterkajüte aus geschnitztem Rosenholz, sechs braune Kerle in weissen Hemden mit roten Kopftüchern und Leibschärpen auf den Ruderbänken, lag fahrbereit. Er stieg ein. Er befahl atemlos dem Steuermann:

„Halte auf die vielen Boote zu, die sich drüben dem Christenufer nähern!“

Und während die Ruderschaufeln sich unter schnellenden Schlägen bogen, spähte er in zitternder Ungeduld über die schaumgekräuselte, sonnenglitzernde Wasserfläche: Ich muss wissen, ob sie blaue Augen hat . . . . . .

Wer baut die Bahn?

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