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Die roten Fesse der Kutscher, die schwarzen Zylinder der Franken verschwammen im grauen Staubgewirbel. Iskander Beg trat in den Hof zu seinen Arnauten zurück.

Die drei kleinen Mädchen in Pluderhöschen und Pantöffelchen trippelten nach dem Konak, um die mitten im Weg stehenden riesigen Bergsöhne herum. Keinem dieser Bekenner Allahs wäre es eingefallen, einem weiblichen Wesen — ob alt oder jung — Platz zu machen — und wenn es die Töchter der Prinzessin Münireh Sultaneh selbst da drinnen waren.

Aber Mademoiselle Froidure, die Begleiterin, blieb, dicht hinter den Kindern, stehen und sah die Albanesen vor ihr kaltblütig an. Widerwillig schoben sich die weissen, schwarz benähten, mit Pistolen, Handscharen und Dolchen gespickten Riesenkerle beiseite.

Die französische Erzieherin ging schnurstracks an ihnen vorbei, sie vorsichtig von der Seite anblinzelnd, wie eine Katze an grossen Dorfhunden. Heisse Blicke des Hasses gegen die Christin, noch heissere zu der einzigen unverschleierten Frau im Hause folgten ihr.

Drinnen im Konak flohen die bedienenden Knaben in flatternden weissen Hemden voll Schrecken beim Anblick der kleinen, leichtfüssigen Gouvernante. Wehe, was dieser Frauenmund aus Frankenland dem Müschir selber, dem Marschall Schükri, melden mochte . . .

Die Froidure schritt durch den langen Flur, der die Empfangssäle von dem Harem, den eigentlichen Wohnräumen, schied. Die hohen Absätze ihrer Stiefelchen klappten in raschem Takt. Sie hatte einen wiegenden Gang. Aber in dessen flüchtiger Festigkeit schallte die europäische Energie durch die orientalische Ruhe des Konak.

„Staub und Spinnweb wieder über deiner Pforte, Aga!“ sagte sie streng zu dem Obereunuchen, der beschaulich mit gekreuzten Beinen auf einem Diwan vor dem Eingang zu den Frauengemächern sass. Sie durfte als Gouvernante kein anderes Wort als Französisch sprechen. Aber aus dem weissen Vollbart um das verrunzelte, steinalte Affengesicht des schwarzen afrikanischen Haushofmeisters drüben meckerte zur Not ein zahnloses Kauderwelsch der Levante.

Sie setzte sich kameradschaftlich neben ihn auf die Kissen und schwatzte. Die Zeiten, da der türkische Meergreis das Tor verschlossen hielt, wenn sie ausgehen wollte, oder sie bei ihrem späten Nachhausekommen draussen stehen liess, waren vorbei. Der Eunuch kuschte vor ihr mit einem feigen und väterlichen Grinsen. Das Schälchen Kaffee, das er ihr durch einen Knaben bot, nahm sie allerdings nicht. Sie kannte die langsamen Gifte des Orients. Auch für die Zigaretten dankte sie. Es konnte zuviel Opium in ihnen stecken. Sie raffte, mit dem instinktiven koketten Handgriff der Pariserin, ihren Rock, sprang auf und fuhr mit den Stiefelchen in ein paar mächtige zitronengelbe Lederschlappen. Zwei Negersklaven schlugen stumm die Vorhänge des Harems vor ihr zurück.

Junge Dienerinnen in langen Hosen und bunten, hinter einer grossen Flügelschleife geknoteten Leibschärpen rannten wie die gescheuchten Hühner vor Mademoiselle, dem Schrecken des Konaks. Vor ihr öffnete sich der Wohnsaal der Prinzessin Münireh Sultaneh, der einzigen und rechtmässigen Gattin des Marschalls Schükri. Was da noch in den Hinterräumen des Hauses an „zum Zimmer Gehörigen“ herumwimmelte — diese Georgierin, diese mohammedanische Inselgriechin, diese Nebenweiber und ihre Brut — zählte nicht mit.

Geflochtene arabische Strohmatten deckten den Marmorboden des Saals. Diwane von verschiedener Grösse, je nach dem Rang der Besucher, zogen sich an seinen Wänden hin. In Zedernholzkassetten dunkelte, schwarz vor Alter, die Decke. Durch die Holzgitter der hohen Fenster grünte der Park von Tschiragan und blaute der Bosporus.

In der Ecke stand ein Bechsteinflügel mit geöffneten Tasten. Eine Partitur des „Rheingold“ lag darauf. Richard Wagners Götterwelt war zur Zeit bei den hohen Haremsdamen die grosse Mode.

Zwei von ihnen sassen auf europäischen Sesseln bei der Prinzessin zu Besuch. Die eine, das Grauhaar noch in den vielen kleinen Zöpfchen von einst und, nach der Sitte der Altvorderen, in einen Mantel von weissem, handgesticktem Damast mit langer Schleppe gehüllt, glich in dem Zwielicht einem beleibten Gespenst. Nach neuester Pariser Mode, mit Rüschen, Bändern, Spitzen, flirrte und flimmerte die Jüngere.

Die Prinzessin Münireh selber trug einen einfachen Perkalmantel über einem schlichten weissen europäischen Sommerkleid. Nicht das geringste Schmuckstück. Das überliess die grosse, beinahe weisse Dame ihren farbigen Sklavinnen. Die jungen Nubierinnen aus Assuan, die in Haremstracht, mit bunten Taschentüchern auf den Scheiteln, hin und her huschten, funkelten von kostbaren Perlen und Edelsteinen.

Schükri Paschas einzige Gattin war eine noch junge, blasse, etwas müde Frau. Schmal der dunkle, eiförmige, ganz europäische Kopf auf langem, dünnem Hals, schmal die Nase, schmal die Lippen. Träumerisch die grossen Mandeln der Augen unter den mit Hennaerde glänzend schwarz gefärbten Brauen.

Sie und die jüngere Besucherin warfen ihre Zigaretten weg, deren Würzgeruch mit dem durchdringenden, schwülen Jasmin- und Heliotropparfüm ihrer Kleider und Körper kämpfte. Die ältere Hanum trennte sich von ihrem kostbaren altväterischen Tschibuk aus rubinbeschlagenem Ambra. Man setzte sich mit den Kindern zu Tisch.

Zwischen dem kleinen Volk sass Mademoiselle Claire Froidure. Nur zur Überwachung. Sie selber speiste erst später allein auf ihrem Zimmer. Die vornehmen Türkinnen streiften die weissseidenen Handschuhe von den rotnägligen Fingern der Rechten und griffen in lebhaftem französischen Geplauder mit der Hand in die Schüsseln voll Kaviar, Oliven, rotgepfefferten Marmarafischen, und in die Reispyramide, von deren Tuchumwicklung, in der sie aus der Küche kam, der Obereunuch feierlich den Knoten löste.

Vor allen Frauen wurde der kleine Erbprinz bedient. Während er sich mit der Hand zusammengeballte Pilawkugeln in das Mäulchen stopfte, erzählte Mademoiselle Froidure ihren Zöglingen wie immer halblaut von Paris.

„Ah — welch eine Stadt, meine Kleinen! Dort reiten die Kinder in einem Garten auf Elefanten, wie hier nur der Grossherr innen im Jildis-Kiosk sie sich hält! Herrliche Basare sind angefüllt mit Läden, in denen alles Spielzeug der Welt liegt. Wer kann solche Süssigkeiten herstellen wie die Franzosen, unsere Freunde?“

„Paris . . .“ Die Prinzessin fing versonnen das Wort auf. Sie schaute, ein abgenagtes Hammelrippchen zierlich zwischen den Fingern, in ewig unerfüllter Sehnsucht gen Westen. Die Froidure beugte sich ehrerbietig vor.

„Eure Hoheit werden die Lichtstadt, den Mittelpunkt der Welt, mit eigenen erlauchten Augen sehen“, sagte sie durch die Marseiller Matrosenflüche eines geiergrossen Kakadus in der Ecke, „sobald es der Weisheit Seiner Exzellenz gefällt, die französische Eisenbahnkonzession zu bewilligen!“

Ein gewitterschweres Schweigen Münireh Sultanehs als Antwort.

„Denn dann wird sich Frankreich nicht nehmen lassen, seinen erhabenen Gönner in Paris zu begrüssen, wo er noch von früher her so viele Freunde und Bewunderer besitzt. Eure Hoheit werden die Reise des Herrn Marschalls durch Ihre erlauchte Gegenwart verschönern und Paris sehen und lieben. Denn in Paris tragen die Frauen keinen Schleier. In diesem Tempel des Glückes können sie sich frei bewegen. Sie sind Menschen wie die Männer!“

„Welch ein Paradies!“ rief leidenschaftlich die jüngere der beiden Paschagattinnen. Die dunkeln Gazellenaugen der Prinzessin leuchteten. Sie wiederholte mit leise zitternder Stimme:

„Paris . . .“

„Vive la France!“ schrie aus der Ecke der Kakadu.

Die Froidure hatte um den runden, kleinen französischen Mund ein unterwürfiges, aber rätselhaftes Lächeln — ein Wissen um das Letzte in der Seele der Hanums. Sie war sicher: jetzt traf sie den wunden Punkt aller vornehmen Türkinnen zu beiden Seiten des Goldenen Horns.

„Dort in Paris, Eure Hoheit“, sagte sie, „ist es nicht Brauch, dass der Hausherr abends, seinen Harem verlässt, um in Pera beim Diner eines Botschafters mit Europäerinnen zusammenzusitzen!“

„Ah — es ist eine Schande!“ rief die Jungtürkin.

„Dort in Paris verbirgt kein Mann seine eigene Gattin vor fremden Blicken, wie etwas, dessen man sich schämen muss, und sieht dabei draussen in den Zirkeln der Diplomatie die unverhüllten Gesichter fremder Frauen!“

„Die Christen haben es besser!“

„Wer zählt die Tränen hilfloser Eifersucht, die in den Frauengemächern Stambuls fliessen!“ sprach die kleine Gouvernante. „In Paris steht die Hanum neben dem Pascha, von der Menschheit umkniet. Alle seine Ehren fallen auch auf sie. Der Allmächtige krönt sie mit Glanz und Glück. Es handelt sich nur um dies bisschen Eisenbahnbau durch öde asiatische Steppen.“

Die Prinzessin Münireh schwieg. Uber der Ausdruck ihres blassen, schmalen Gesichts war gefährlich in seiner verhaltenen Leidenschaft. Auch die Froidure verstummte. Für heute schien es ihr genug. Sie wusste: Ehe noch die Sonne drüben über der Säule von San Stefano sank, hatte Schükri Pascha, der Löwe des Balkans, in seinem Hause, unter vier Augen, einen neuen Ansturm auszuhalten, wilder als vor einigen Jahren im Russenkrieg das Urraha der Kosaken.

Die Besucherinnen der Prinzessinnen brachen auf. Sie vermummten sich noch im Harem, ehe der schwarze Obereunuch ihnen die Tür zur Welt öffnete, mit Hilfe der weissen und braunen Sklavinnen in Mäntel von Orange- und Lapislazulifarbe. Die grauhaarige Matrone wickelte zum Schutz gegen Männeraugen das runzelige Antlitz in eine undurchdringliche Stoffhülle. Die hübsche, junge türkische Exzellenz begnügte sich mit einem bisschen hauchdünnen Batist um Mund und Nase. Es gab Schleier und Schleier in Stambul. Dorthin fuhren die beiden grossen Damen in ihren geschlossenen schwarzen Kaleschen zurück. Goldgleissende Haremsneger ritten schreiend weit voraus und galoppierten alles nieder, was nicht rechtzeitig auswich.

Dem Marschall Schükri war gemeldet worden, dass keine Pantoffeln am Eingang, als Zeichen der Anwesenheit fremder Frauen, ihm den Zutritt zu seinem Harem hemmten. An der Schwelle ihres Saals kam ihm seine Gemahlin, die Prinzessin Münireh, in der Haltung ehrerbietiger Unterwürfigkeit, entgegen. Er sagte zu ihr auf französisch:

„Bitte — nehmen Sie Platz, Madame!“

Und sie:

„Nie werde ich mich in Ihrer Gegenwart setzen!“

„Und wenn ich Sie darum bitte . . .“

„. . . dann gehorche ich!“

Nach Austausch dieser hergebrachten Höflichkeitsformen wurde das Gespräch des hohen Ehepaars lebhafter. Es steigerte sich von seiten der Prinzessin zum Sturm.

Im Nebengemach erzählte Claire Froidure, die Gouvernante, wieder dem kleinen Stammhalter und seinen bezopften und behosten schwarzäugigen Schwesterchen von Paris. Von dem weissen weissbärtigen Sultan, Jules Grévy genannt, der Frankreich regierte, von den Kindern dort, die, sobald sie sprechen konnten, für das Wohl der Türken beteten, von diesem tapferen, edelmütigen Volk der Franken.

Dazwischen horchte sie auf die schrille, leidenschaftliche Stimme der Prinzessin Münireh nebenan. Alle blutarme Ergebung in Allah war aus der Kehle der hohen Hanum entschwunden. Ein Blitz und Donner von atemlosem Französisch entlud sich über den scharlachroten Militärfes des Marschalls, und aus dem Wolkenbruch der Worte immer wieder das Wort der Worte: Paris . . .

Und die sorgsam von leitenden Kreisen ausgesuchte Pariser Sendbotin nebenan — nicht die einzige ihrer Art, sondern eine unter einem Dutzend und mehr in den Kinderstuben der Grossen von Konstantinopel — Claire Froidure — die kleine Conciergetochter vom Montmartre, wusste: Ehe Münireh Sultaneh nicht Paris gesehen, hatte der bärtige Sieger im Glauben drüben nicht mehr eine ruhige Stunde in seinem Haus.

Und endlich hörte sie einen bedächtigen, jeder Übereilung orientalisch abholden Bass:

„Bei abnehmendem Mond, in acht Tagen, werde ich diesen Herrn Buddenhaus empfangen! Guten Abend, Madame!“

Als der Marschall gegangen war, trat Fräulein Froidure mit fromm niedergeschlagenen Augen und gefalteten Fingerspitzen vor die Prinzessin.

„Sind mir ein paar Stunden Ausgang gestattet, Hoheit? Ich möchte gern bei den hochwürdigen Franziskanern in der französischen Gesandtschaftskirche in Pera beichten!“

„Gern, mein Kind!“ Die blasse, schmale Marschallin war rosiger Laune.

„Ich danke untertänigst!“

Die Froidure verbeugte sich. Sie hüllte sich eilig in ihrem Zimmer in einen dunklen Schleierhut und Mantel und flatterte wie eine Fledermaus hinaus in die Abenddämmerung Konstantinopels.

Wer baut die Bahn?

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