Читать книгу Europarecht - Rudolf Streinz - Страница 13

Оглавление

§ 1 Begriff und Gegenstand des Europarechts

Inhaltsverzeichnis

I. Begriff „Europarecht“

II. Recht der Europäischen Union

§ 1 Begriff und Gegenstand des Europarechts › I. Begriff „Europarecht“

I. Begriff „Europarecht“

1

Unter Europarecht versteht man in der Lehre das Recht der europäischen internationalen Organisationen. Die frühere Differenzierung in west- und osteuropäische Organisationen orientierte sich an deren ideologischer und wirtschaftlicher Ausrichtung und ist durch das Ende der sog. sozialistischen Staaten überholt[1]. Als spezielles Rechtsgebiet hat sich wegen seiner großen praktischen Bedeutung, aber auch wegen seiner Besonderheiten, das Recht der Europäischen Gemeinschaften (EG, EAG sowie bis 2002 die EGKS, s. Rn 17) herausgebildet, die die Grundlage der Europäischen Union bildeten und nach dem Vertrag von Lissabon bis auf die fortbestehende EAG in der jetzt einheitlichen Europäischen Union aufgegangen sind (Art. 1 Abs. 3 S. 2 EUV). Dieses Europarecht „im engeren Sinne“ knüpft allerdings in manchen Bereichen an andere europäische internationale Organisationen[2] an. Hervorzuheben ist hier der Europarat[3], mit dem die Union jede zweckdienliche Zusammenarbeit betreibt (Art. 220 AEUV), und insbesondere das bedeutendste Instrument, das in dessen Rahmen entwickelt werden konnte, nämlich die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)[4] vom 4.11.1950 nebst 16 (Zusatz-)Protokollen[5]. Die EMRK spielt namentlich in der Entwicklung der Gemeinschafts-, jetzt Unionsgrundrechte durch den EuGH eine besondere Rolle (Art. 6 Abs. 3 EUV), ist bei der Anwendung der EU-Grundrechtecharta zu berücksichtigen (Art. 52 Abs. 3 GRCh; s. Rn 775) und wird nach dem – durch das Gutachten 2/13 des EuGH allerdings blockierten[6] – Beitritt der EU zur EMRK (Art. 6 Abs. 2 EUV) unmittelbar Rechtsquelle des Unionsrechts (s. Rn 772). Enge Beziehungen wurden zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) durch den Vertrag über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) geknüpft (s. Rn 85, 1289), dem allerdings die Schweiz wegen der negativen Volksabstimmung nicht beitreten konnte. Durch ein Geflecht bilateraler Abkommen ist die Schweiz aber eng mit der EU verbunden (s. Rn 85). Die Aufgaben der Westeuropäischen Union (WEU)[7] wurden auf die EU übertragen (vgl Art. 36, Art. 42 Abs. 7, Art. 45 EUV), die Verträge der Mitgliedstaaten mit der WEU wurden zum 30.6.2011 gekündigt[8].

§ 1 Begriff und Gegenstand des Europarechts › II. Recht der Europäischen Union

II. Recht der Europäischen Union

2

Das Recht der Europäischen Union unterteilt sich in das sog. primäre und das sog. sekundäre bzw abgeleitete Unionsrecht. Die Unterscheidung zwischen Gemeinschaftsrecht und Unionsrecht ist seit der Rechtsnachfolge der EG in der EU (Art. 1 Abs. 3 S. 3 EUV) überholt, ungeachtet der Besonderheiten der GASP (vgl Art. 40 EUV; s. Rn 1338).

3

Zum primären Unionsrecht gehören seit dem Vertrag von Lissabon der Vertrag über die Europäische Union (EUV) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), die als „Grundlage der Union“ rechtlich gleichrangig sind (Art. 1 Abs. 3 S. 1 und 2 EUV), einschließlich Anlagen und Protokollen (vgl Art. 51 EUV) sowie über die Einbeziehung durch Art. 6 Abs. 1 EUV die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Dieses primäre Unionsrecht entstand und entsteht auch künftig durch völkerrechtliche Verträge zwischen den Mitgliedstaaten (s. Rn 91, 150 f). Zum Primärrecht gehören auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze, denen diese Qualität zukommt, insbesondere die darauf basierenden Unionsgrundrechte (Art. 6 Abs. 3 EUV; s. Rn 460). Zur Zuordnung der EMRK nach dem erfolgten Beitritt der EU s. Rn 775. Zur Zuordnung von Verträgen der Union mit Drittstaaten s. Rn 542 ff.

4

Unter sekundärem Unionsrecht versteht man das von den Organen der EU nach Maßgabe der Verträge erlassene Recht. Da sich die Rechtsetzungskompetenz für die EU-Organe aus den Gründungsverträgen, dem Primärrecht, ergibt, nennt man dieses Recht sekundäres oder abgeleitetes Unionsrecht. Art. 288 AEUV unterscheidet Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen. Ferner zählen dazu von den Unionsorganen beschlossene allgemeine Programme, schließlich die Verfahrens- und Geschäftsordnungen, die von den Unionsorganen für sich selbst erlassen werden, und interinstitutionelle Vereinbarungen (Art. 295 AEUV), die zwischen den Organen der Union abgeschlossen werden. Von diesen Vereinbarungen sind allerdings Erklärungen, die über das Verhältnis zwischen den Organen hinausgehen, abzugrenzen. So war die (jetzt durch die Grundrechtecharta überholte) gemeinsame Grundrechtserklärung von Rat, Kommission und Europäischem Parlament vom 5.4.1977 (s. Rn 463) dem Primärrecht zuzurechnen. Als tertiäres Unionsrecht kann man die abstrakt-generellen Rechtsakte bezeichnen, die – zumeist von der Kommission – auf der Grundlage sekundärrechtlicher Ermächtigung gesetzt werden, so zB im Bereich des Beihilfen-, des Agrarmarkt- und des Außenwirtschaftsrechts[9].

5

Auch nach dem Vertrag von Lissabon bleiben für die GASP von den bisherigen Handlungsformen des Unionssekundärrechts die allgemeinen Leitlinien, wobei die Aktionen und Standpunkte durch Beschlüsse festgelegt werden und Durchführungsbeschlüsse hinzukommen (vgl Art. 25 EUV gegenüber Art. 12 EUV aF; s. Rn 1343 ff). Die besonderen Handlungsformen der früheren PJZS (insbes. EU-Rahmenbeschlüsse) entfallen durch deren Eingliederung in den AEUV und behalten ihre Bedeutung nur insoweit, als sie noch in Kraft sind (s. Rn 531).

6

Der Verfassungsvertrag wollte das System der Rechtsakte neu ordnen und die Begriffe Europäisches Gesetz (für Verordnung), Europäisches Rahmengesetz (für Richtlinie) und Europäischer Beschluss (für Entscheidung) einführen (vgl Art. I-33 EVV)[10]. Dadurch wäre der gesetzgebende Charakter der europäischen Rechtsetzung deutlicher geworden. Wohl auch deshalb wurde im Vertrag von Lissabon im Rahmen des Verzichts auf alle staatsähnlichen Elemente auch davon ausdrücklich Abstand genommen[11]. Da auch der Vertrag von Lissabon zu einer einheitlichen Europäischen Union führt, sieht Kapitel 2 Abschnitt 1 (Art. 288–292) AEUV einheitliche „Rechtsakte der Union“ vor (ungeachtet der Besonderheiten der GASP, s. Rn 5), und zwar Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse (an Stelle der Entscheidungen gemäß ex-Art. 249 Abs. 4 EGV sowie der Beschlüsse gemäß dem bisherigen EUV, vgl Rn 519 ff), Empfehlungen und Stellungnahmen (Art. 288 Abs. 1 AEUV) (s. dazu Rn 527 ff). Die grundlegende Unterscheidung zwischen Primärrecht und abgeleitetem Recht bleibt erhalten. Der Erlass von „Tertiärrecht“ wird in Art. 290 und Art. 291 AEUV speziell und präziser geregelt (s. dazu Rn 571 ff).

7

Daneben gibt es als ungeschriebenes Unionsrecht allgemeine Rechtsgrundsätze, die je nach ihrer inhaltlichen Qualität dem Primär- oder dem Sekundärrecht zuzurechnen sind (vgl Rn 460), und (rudimentär) Gewohnheitsrecht.

Beispiel:

Entgegen dem Wortlaut des Art. 16 Abs. 2 EUV werden auch Staatssekretäre unabhängig von ihrer innerstaatlichen Rechtsstellung als Regierungsmitglieder im Rat angesehen.

8

In der Lehre wird zwischen institutionellem und materiellem Unionsrecht unterschieden. Unter institutionellem Unionsrecht versteht man die Normen, die die Organstruktur und damit den institutionellen Aufbau der Union regeln. Dies ist ein spezifischer Gegenstand des Gebietes Europarecht, da er die einzelnen Materien übergreift. Dem Regelungsgegenstand nach ähnelt das institutionelle Unionsrecht damit dem Staatsorganisationsrecht, wenngleich die EU zwar Staatsfunktionen, aber keine Staatsqualität aufweist. Unter materiellem Unionsrecht versteht man die Normen, die die sachlichen Zielsetzungen der Union betreffen. Das materielle Unionsrecht bestimmt wegen der zunehmenden Durchdringung der nationalen Rechtsordnungen durch unionsrechtliche Vorgaben die Spezialdisziplinen (zB Wettbewerbsrecht, Kartellrecht, Wirtschaftsrecht, Sozialrecht, Arbeitsrecht, Umweltrecht, mittlerweile auch allgemeines Zivilrecht, zunehmend auch das Strafrecht).

Europarecht

Подняться наверх