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I. Grundlagen der Europaidee

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Die Herkunft des Namens „Europa“ ist letztlich nicht geklärt[1]. Er bezeichnete etwa seit den Perserkriegen das ganze griechische Festland, wobei der Begriff nicht nur geographisch verstanden, sondern bereits mit ideellen Inhalten verbunden wurde. Durch das Römische Reich erweiterte sich der Begriff auf die mediterrane Welt, später auf die westliche Hälfte des nordalpinen Gebietes, als Ergebnis der sog. Völkerwanderung auch auf Germanien. Durch die Verbindung des fränkischen Königtums mit der römischen Kirche wurde der Grund gelegt für eine Erneuerung des Reiches im Zeichen des Christentums. Das karolingische Reich, das in ständiger Spannung mit dem Papsttum das mittelalterliche Europa begründete, stellte keine politische Einheit, sondern eine in ihren Formen und Inhalten wechselnde Vielheit dar. Die fränkisch-römische Reichsgründung Karls des Großen und ihre Fortsetzung unter den salischen und staufischen Kaisern ist die erste Europa zusammenhaltende Kraft gewesen, ein Reich, das den Kern Europas darstellte, sich aber nie mit ihm (weitgehend aber mit der ursprünglichen Gemeinschaft der sechs Gründungsstaaten) deckte. Sieht man jedoch in der Vielheit die eigentliche Beschaffenheit des Phänomens Europa, muss man nicht in der Begründung des karolingischen Reiches, sondern in seiner Auflösung das entscheidende Moment finden. Denn erst in der nachkarolingischen Zeit trat die Vielfalt Europas als ein Wesensmerkmal der europäischen Gesellschaft hervor, eine Vielfalt, die sich in den zur Souveränität drängenden National- und Dynastiestaaten verkörperte. Diese Vielfalt zeigte sich in den zu großer Literatur aufsteigenden Volkssprachen und in den sich mehr und mehr differenzierenden nationalen Kulturen. In der Neuzeit ging die Idee einer universalstaatlichen Ordnung, einer abendländischen Einheit sowohl im politischen Sinne des Reiches sowie – seit der Kirchenspaltung – der römischen Kirche, zwar nie ganz verloren, büßte aber ihre Effektivität ein und wurde ersetzt durch die Vorstellung von der Einheit einer Völkergemeinschaft, die im ius gentium, dh ius inter gentes, eine naturrechtliche Gesamtverfassung erhielt (Völkerrecht). Diese Vielheit wurde durch die Herausbildung souveräner Nationalstaaten besonders betont.

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Wenngleich man Europa zutreffend als Einheit in der Vielfalt (Jacob Burckhardt: „Discordia concors“) beschreiben konnte[2], hat es doch nie an Versuchen gefehlt, Modelle für eine europäische Integration zu entwickeln. Idealistischen Vorstellungen stehen dabei Projekte gegenüber, die sich als mehr oder weniger gut getarnte Mittel zur Verfolgung eigener Zwecke erwiesen, eine Kombination, die auch modernen Integrationsformen nicht fremd ist. Dabei lassen sich Zweck- und Zielvorstellungen im Hinblick auf ein integriertes Europa feststellen, die sich zwar in wechselnden Formen und Konstellationen herausbildeten, aber doch auf einen Nenner gebracht werden können und auch heute noch Grundlagen des Europagedankens sind: Der Gedanke der Friedenssicherung, der von Projekten, hinter denen in erster Linie Eigeninteressen standen (Wiedergewinnung des Heiligen Landes; Abwehr der Türkengefahr, worin allerdings zeitweise ein wenigstens Teile Europas umfassendes Bündnis gesehen werden kann), bis hin zu Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden“ (1795) und Victor Hugos Vision von den „Vereinigten Staaten von Europa“ (1849) reicht; der Gedanke der Supranationalität, auf dem Gewaltverbot und dem Prinzip der kollektiven Sicherheit aufbauend einen europäischen Bund mit eigenen Organen, nämlich einem Gericht mit obligatorischer Zuständigkeit und einer zu Mehrheitsbeschlüssen befugten Versammlung zu schaffen; der Gedanke der Freiheit von Handel und Verkehr, die ihrerseits nur in einem Europa des Friedens gedeihen konnten (im 19. Jahrhundert führte der Denkansatz, die europäische Integration weniger durch Souveränitätseinschränkungen der Träger der Staatsgewalt, sondern vielmehr durch die Zusammenarbeit der auf europäischer Ebene zusammengeschlossenen Berufsverbände zu fördern und dadurch die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Europa zu verbessern, zu einer gegenläufigen Entwicklung von wirtschaftlicher und politischer Zusammenarbeit – wirtschaftliche Kooperation als technisch bedingte Notwendigkeit ohne politische Integration); der Gedanke der Machterhaltung Europas, dessen Vorrangstellung (wie die Geschichte zeigte, zutreffend) als durch die neuen Großmächte Russland (Sowjetunion) und die Vereinigten Staaten von Amerika bedroht und nur durch einen europäischen Bund haltbar gesehen wurde.

§ 2 Entwicklung und Stand der Europäischen Integration › II. Die Europaidee im 20. Jahrhundert

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