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1. Bis zum Zweiten Weltkrieg
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Der Europagedanke, wie er vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert in vielen Schattierungen entwickelt wurde, ist im Ersten Weltkrieg untergegangen. Nach der verfehlten, weil mehr auf die Niederhaltung der Besiegten als auf eine dauerhafte Aussöhnung der Kriegsgegner angelegten Neuordnung durch die Pariser Vorortverträge von 1919/20 entstand eine neue Europabewegung. Von politischer Seite wurde zunächst vor allem eine engere Zusammenarbeit der europäischen Staaten im Rahmen der weltweiten Organisation des Völkerbundes erstrebt. Zwar zunächst nicht praktisch, aber ideengeschichtlich am bedeutsamsten ist der Europaplan des französischen Außenministers Aristide Briand, der zwar auch von französischem Eigeninteresse getragen war, aber darüber sicher hinausging. Der von ihm angestrebte europäische Bund sollte elastisch genug sein, um die Unabhängigkeit und die nationale Souveränität jedes Staates zu wahren. Aber gerade dies war der neuralgische Punkt jeder europäischen Neuordnung. Kein Staat war bereit, Souveränitätsrechte abzugeben. Obwohl die Bedrohung und der Verlust nationaler Selbstbestimmung für die meisten europäischen Völker vor der Tür stand, überragte in der Zwischenkriegszeit die Nationalstaatsidee in der Wertordnung weit die Europaidee. Selbst Vorschläge, die die Souveränität der europäischen Staaten unangetastet lassen wollten, wie das Briand-Memorandum, hatten keine Chance. Von privater Seite erstrebten Graf Richard Coudenhove-Kalergi und die von ihm gegründete Paneuropäische Bewegung die Schaffung der „Vereinigten Staaten von Europa“ nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika unter Ausschluss Großbritanniens und der Sowjetunion. Die Paneuropa-Bewegung fand erheblichen Anklang. In seiner Zielsetzung der Friedenserhaltung war der europäische Gedanke aber bereits jetzt überholt durch die Idee, für die ganze Welt eine Friedenspolitik zu ermöglichen. Von Europa allein konnte die Steuerung der weltpolitischen Geschicke nicht mehr gewagt werden. Der Erste Weltkrieg, als europäischer Krieg begonnen, ist durch die Vereinigten Staaten von Amerika entschieden worden. Von diesen ging auch der Plan aus, nicht eine neue europäische Ordnung, sondern eine neue Weltordnung zu schaffen, was zur Gründung des Völkerbundes führte. Der universelle Charakter dieses Völkerbundes wurde indessen von Beginn an dadurch eingeschränkt, dass die USA ihm nicht beitraten. Obwohl der Völkerbund seiner Intention nach eine Weltorganisation mit mehrheitlich nichteuropäischen Mitgliedstaaten war und ihm niemals gleichzeitig alle europäischen Großmächte angehörten, hatte seine mangelnde Universalität für die innere Struktur ein Überwiegen der alten europäischen Führungsmächte zur Folge. Im politischen Bewusstsein der Zeit galt der Völkerbund trotz seiner Verwicklung in außereuropäische Konflikte in erster Linie als europäische Organisation. Er hat zweifellos zur Schwächung des Willens beigetragen, zusätzlich eine besondere europäische Staatenvereinigung zu schaffen. Neben der Überbetonung der Souveränität erklärt auch dies das Scheitern des Briand-Memorandums.
§ 2 Entwicklung und Stand der Europäischen Integration › II. Die Europaidee im 20. Jahrhundert › 2. Nach dem Zweiten Weltkrieg