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4.

Am darauf folgenden Montagnachmittag saß Rumpler mit Ferdl und Leni in der Schwarzen Krot, einem Beisel, das diese Bezeichnung tatsächlich noch verdiente und auch Obdachlose als Gäste anstandslos akzeptierte, sofern sie auf ihre Sauberkeit achteten und nicht alkoholisiert waren. Auf Rumplers Einladung hin hatte Ferdl nur gemeint: „Bist halt wieder im Dienst, weils ned weiterkommen, deine Kollegen“, und hatte mit diesem Kommentar ziemlich ins Schwarze getroffen.

Ferdl hatte eine Blunzen mit Kraut und Erdäpfeln bestellt und Rumpler, der die einfache, aber grundsolide Küche der Schwarzen Krot kannte und schätzte, schloss sich an. Nachdem Alkohol für Ferdl ein absolutes Tabu war, verzichtete Rumpler mit leisem Bedauern auf den reschen Grünen Veltliner, der in der Krot als Hauswein ausgeschenkt wurde, und ließ sich einen großen Apfelsaft, gespritzt mit Leitungswasser, bringen. Für Leni hatte Rumpler bei der Köchin unter Einsatz seines ganzen Charmes und seiner braunen Augen einen ordentlichen Kalbsknochen herausverhandelt, den sie unter dem Tisch mit großem Behagen und dank ihres kräftigen Gebisses auch mühelos bearbeitete. Ferdl sah zufrieden auf seine Leni, während sie nur ganz kurz aufblickte, um dann umso kräftiger mit ihrem Werk fortzufahren. Als die Herren ihre respektablen Portionen schließlich fertig gegessen hatten, bestellte Rumpler noch Kaffee. Ferdl nahm ein großes Häferl mit Filterkaffee, Rumpler einen Espresso, wobei er wohl nicht zu Unrecht in der winzigen Schale das gleiche Gebräu vermutete, das Ferdl trank.

Dieser stellte sein Häferl ab. Jetzt war es Zeit zum Reden. „Was willst wissen, Hans?“

„Hast vielleicht von den drei, die umbracht worden sind, wen näher gekannt?“

„Am öftesten hab ich noch den Heinzi Schummer gesehen, immer gemeinsam mit dem Rudi Schätter. Den zweiten, er hat, glaub ich, Mirko geheißen, hab ich gar nicht gekannt, aber den dritten ham wir alle gekannt, du sicher auch, den Totenvogel.“ Ferdl sprach dieses Wort auf eine ganz spezielle, sehr weiche Art aus, sodass es wie Doudenvougl klang. „Ich weiß gar net, wie er richtig geheißen hat, aber wir ham alle Totenvogel zu ihm gsagt.“

Rumpler erinnerte sich sehr gut an den Totenvogel, einen etwa sechzig Jahre alten, großen, mageren, vornübergebeugten Mann mit einem kleinen, vollkommen kahlen Kopf, der auf einem seltsam nach vorne verschobenen Hals saß. Auf Wunsch seines jeweiligen Publikums hatte der Totenvogel, meist im Austausch gegen eine Zigarette, weit ausladende, langsame Flügelschläge gezeigt, indem er seine überlangen dürren Arme auf und ab bewegte, dazu auch öfters einmal ein paar Schritte oder eigentlich Hüpfer, wie man sie von Geiern her kennt, die sich mit besonderer Vorsicht einem Stück Aas nähern. Im Gegensatz zu seinem gruseligen Aussehen war der Totenvogel ein ausgesprochen friedlicher, netter Mann gewesen, mit einem sehr sanften Lächeln und einer unendlichen Langmut.

„Den Totenvogel hättens nicht derschlagen dürfen“, sagte Ferdl und fügte leise, fast flüsternd hinzu „Den Tod kannst doch ned umbringen.“

Rumpler nickte zustimmend. Er glaubte zu verstehen, was Ferdl meinte. Der Totenvogel war eine Institution gewesen, kraft seines Amtes als eine Art Bote des Todes ebenso unsterblich wie dieser – und in diese unverbrüchliche Ordnung hatte ein Mörder eingegriffen.

„Alsdann, was willst wissen, Hans?“

„Hast vielleicht was gehört, ob einer von euch was gsehen hat, aber mit der Polizei net redt?“

„Das hab ich dir eh schon gsagt, am ehesten der Rudi Schätter. Er is ja immer mit dem Schummer Heinzi mitgangen, und der wollt ihn dann nicht fortschicken, auch wenn ihm der Rudi mit seinen Kasperlgeschichten ganz ordentlich auf die Nerven gangen is. Der Rudi is immer auf ihm draufpickt. Es würd mich sehr wundern, wenn der Rudi nicht in der Näh gwesen wär, wie’s den Heinzi umbracht ham. Aber er is halt komisch, der Rudi, seit dem Mord angeblich noch mehr wie vorher. Da kannst nicht wissen, ob er was erzählt, was er gsehn hat, oder ob er was erfindet. Er bringt einfach keinen graden Satz heraus.“

„Ich hab ghört, er is jetzt am Steinhof in der Psychiatrie.“

„Ja, da geht er wenigstens nicht ganz vor die Hund, weil ohne den Heinzi wärs aus mit ihm. Ich glaub, er würd sich über deinen Besuch freuen.“

„Ich probiers. Mehr als schiefgehn kanns nicht.“

Unter dem Tisch ertönten mittlerweile leicht sägende Schnarchgeräusche.

„Jetzt schlafts, die Leni“, sagte Ferdl zufrieden.

„Ein guter Hund“ bestätigte Rumpler und fügte, etwas besorgt: „Pass gut auf dich auf, Ferdl“, hinzu.

„Eh klar. Mir passiert schon nix. Außerdem hab ich die Leni.“

Rumpler winkte der Kellnerin, einer Frau Rosi, die ihn in Namen und Figur an seine Rosamunde erinnerte und schon seit vielen Jahren in der Krot servierte. Während er die erstaunlich moderate Rechnung bezahlte, bemerkte Leni trotz ihres vernehmbar tiefen Schlafes in der Sekunde die Zeichen des Aufbruchs, dehnte und streckte sich und schüttelte sich zuletzt ihre Steifigkeit aus den Gliedern.

Nachdem Rumpler mit dem Auto gekommen war, bot er Ferdl an, ihn ein Stück weit mitzunehmen, was dieser aber dankend ablehnte.

Schutzpatrone

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