Читать книгу Schutzpatrone - Rudolf Trink - Страница 16
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9.
Der ziemlich große Enkplatz, der von einer mächtigen hellen Kirche mit zwei Türmen dominiert wurde, lag etwas zurückversetzt an der sehr belebten Simmeringer Hauptstraße. Rumpler kannte die Gegend von seinen früheren Einsätzen her, aber das Café Hagel selbst kannte er nicht. Es war eigentlich kein klassisches Café, eher das, was man früher gern als Espresso bezeichnet hatte, weil das moderner klang. Schon von außen verströmte es das Flair der Sechziger Jahre und kaum war Rumpler eingetreten, als sich für ihn dieser Eindruck noch weiter verstärkte. Über dem Tresen war ein Leuchtschild mit einer Werbung für Santora Kaffee angebracht, auf den Resopaltischen standen leicht verstaubte Kunstblumen und die Leuchten des Cafés waren aus Plexiglas. Trotz seines wenig einladend wirkenden Äußeren war das Café Hagel ziemlich gut besucht. Hier kannte wohl jeder jeden und bei Rumplers Eintreten blickten alle neugierig auf. Er ging zum Kellner, der hinter dem Tresen hantierte, einem mageren Mann mit einem leicht gekrümmten Rücken und schweren Augenlidern, der Rumpler nur ganz kurz taxierte und ihn dann sofort ansprach. „Is irgendwas net in Ordnung, dass die Polizei zu uns kommt?“
Als junger Polizeibeamter hatte Rumpler noch darüber gestaunt, mit welcher Treffsicherheit die Tätigkeit bei der Polizei ihm und seinen Kollegen speziell durch Kellner und Kellnerinnen zugeordnet wurde, mittlerweile aber kam ihm das völlig normal vor.
„Nein, nein, alles in Ordnung. Ich bin schon in Pension und treff mich hier mit Frau Locher.“
„Aber Sie waren bei der Polizei.“
Es war eine mit großer Sicherheit getroffene Feststellung, keine Frage.
„Ja.“
„Hab ich mir gleich gedacht. Da bleibt immer was zurück, ob Sie wolln oder nicht. Ich bring Sie jetzt zur Frau Locher.“
Rumpler folgte dem Kellner, der ihn zu einem in der Ecke des Lokals stehenden Tisch führte, an dem eine ältere Frau mit glanzlosem grauem Haar, deutlich eingekerbten Mundwinkeln und müden Augen saß. Ihre abgearbeiteten Hände, die sie vor sich auf dem Tisch liegen hatte, zitterten leicht. Rumpler begrüßte sie und zog seinen Ausweis hervor.
Sie winkte ab. „Is schon gut. Ich hab schon gsehn. Das passt schon.“
Rumpler, dessen Äußeres meistens vertrauenserweckend wirkte, sah, dass sie bisher nur ein Achtel Sodawasser, also vermutlich die billigste Konsumation auf der Speisekarte, vor sich stehen hatte. „Möchten Sie einen Kaffee oder vielleicht auch eine Kleinigkeit zum Essen dazu?“
„Eine Melange, bitte. Zum Essen mag ich nichts.“
Rumpler bestellte ihren gewünschten Kaffee und für sich sein übliches Vorsichtsgetränk in ihm unbekannten Kaffeehäusern – einen kleinen Espresso. Quasi zur Probe. Bevor er sich auf eine Melange einließ.
Noch bevor der Kellner das Gewünschte gebracht hatte, setzte sich Frau Locher ganz nach vorne auf die Sesselkante und sah Rumpler mit einer irritierenden Direktheit in die Augen. „Warum interessiern Sie sich für den Fall?“
„Ich war über zwanzig Jahre bei der Kripo tätig. Mit der Zeit entwickelt sich da ein Gefühl, ob ein Fall wirklich gelöst und damit auch abgeschlossen ist. Hier hab ich dieses Gefühl nicht.“ Rumpler hielt kurz inne, bevor er fortfuhr. „Ich glaub, den Zeitungen hat der Tod Ihres Sohnes“, er vermied ihr gegenüber das Wort Selbstmord, „ganz einfach in den Kram gepasst und sie haben eine Geschichte draus gemacht. Für mich sind das alles nur Spekulationen und ich hätt gern Gewissheit.“
Sie seufzte. „Das würd ich mir weiß Gott auch wünschen. Mein Bub hätt nie und nimmer wen umbracht, da bin ich mir ganz sicher, aber ich hab trotzdem so ein komisches Gefühl, weil er hat sich ja bei der Polizei und auch mit seinem Abschiedsbrief selbst beschuldigt.“
„Frau Locher, wenn ich mir einen Fall anschau, dann weiß ich nie, wie das ausgeht. Vielleicht kommt heraus, dass ihr Sohn tatsächlich was mit dem Verschwinden von Frau Tolser zu tun gehabt hat. Ich kann das nicht ausschließen.“
Sie schüttelte fast unwillig ihren Kopf. „Das versteh ich schon. Es kann natürlich sein, dass ich als Mutter blind bin für die Wahrheit. Es wär mir aber trotzdem recht, wenn Sie sich das Ganze noch einmal anschauen täten.“
„Wissen Sie vielleicht, wie Ihr Sohn Frau Tolser kennengelernt hat?“
„Ich glaub, das war in Oberösterreich oder Salzburg vor gut zwei Jahren. Mein Bub hat in den Ferien in einem großen Hotel als Aushilfskellner gearbeitet, weil er hat das Geld für sein Studium gebraucht. Frau Tolser war dort als Gast und da hat er sich halt in sie verliebt. Sie war ja wirklich sehr hübsch. Er hat mir damals ein paar Fotos von ihr gezeigt und wie sie verschwunden ist, waren auch Bilder von ihr in den Zeitungen.“
„Wie ist es eigentlich zur Trennung zwischen den beiden gekommen?“
„Ich glaub, es hat nach ungefähr zwei Jahren, die sie zusammen waren, einen ziemlichen Krach zwischen den beiden gegeben. Eigentlich wegen einem Schmarrn. Mein Bub hat Geld gebraucht, sie wollt es ihm geben und er hat gedacht, dass sie das nur aus Mitleid tut, und hat es nicht angenommen. Er konnte sehr stolz sein und furchtbar hart. Ich glaub, er hat ihr gesagt, dass er von ihr keine Almosen will oder so ähnlich. Sie hat sich anscheinend sehr darüber geärgert und ist gleich nach dem Streit mit einem Neuen, er hat Konrad geheißen, wenn ich mich richtig erinner, ausgegangen. Das hat mein Bub mitbekommen und ab da wars ganz aus mit ihm. Er hat nicht viel drüber gredt, schon gar nicht mit mir, aber ich glaub, die Trennung hat ihn furchtbar getroffen. Mir gegenüber war er ja eher verschlossen. Zu Haus hab ich ihn in dieser Zeit kaum gsehn. Vielleicht weiß der Alex mehr, der Alex Kucera. Das war sein bester Freund.“
„Glauben Sie, dass ich mit ihm sprechen könnte?“
„Ich denk schon. Er is ein Netter, der Alex, ein ganz junger Tischlermeister. Er hat seine Tischlerei ziemlich weit unten auf der Kaiserebersdorfer Straße. Ich ruf ihn an und werd ihm sagen, dass er mit Ihnen sprechen soll.“
„Danke. Wenn ich was herausfinden sollte, ruf ich Sie an.“
„Ich glaub nicht wirklich, dass das noch was bringt, aber Sie können es ja probieren.“
Rumpler hütete sich, dieser doch ziemlich resignativen Einschätzung zu widersprechen, um sie nicht herauszufordern und damit vielleicht sein ganzes Vorhaben zu gefährden.
„Das mach ich.“
Rumpler gab ihr eine Karte mit seiner Telefonnummer, verabschiedete sich von ihr, zahlte und ging, während sie noch im Lokal blieb, vielleicht, um dem Kellner noch etwas über ihn zu erzählen.
Er fuhr die Simmeringer Hauptstraße stadteinwärts. Früher hatte er diese Straße gemocht. Sehr. Es hatte dort eine ganze Reihe gestandener Wirtshäuser gegeben, die auf kreidebeschriebenen Tafeln mit gerösteter Leber, Beuschel mit Knödel und oft auch original Hauerweinen Gäste einluden. Zudem hatte es eine Reihe kleinerer Geschäfte gegeben und auch die eine oder andere Fabrik. Jetzt war die Straße von Wettcafés, Billigläden und Handyshops dominiert, die aus Rumplers Sicht alle dasselbe taten, so verschieden sie auch sein mochten, nämlich die Süchte der Menschen bedienen. Beim Übergang in den dritten Bezirk begann sich das Bild zu ändern und Rumpler atmete auf.
Zu Hause angekommen, wurde er, kaum dass er die Wohnungstüre aufgesperrt hatte, von Rosamunde zur Rede gestellt. Er hatte ihr nichts mitgebracht, das war nicht zu leugnen. Während er für sie zur Wiedergutmachung ein Stück tiefgekühlten Fisch aufwärmte, setzte sie sich auf ihren Platz in der Küche und überwachte seine Vorbereitungen mit strengem Blick. Als dann ihre Mahlzeit schließlich fertig vor ihr stand und verführerisch duftete, war es mit ihrem Groll vorbei und sie schlug sich den Bauch voll.
Kaum hatte Rumpler Zeit gehabt, sich einen Espresso, ausnahmsweise diesmal sogar einen doppelten, zu richten, als sein Mobiltelefon läutete.
Es war Frau Locher. „Herr Rumpler?“
„Ja, Frau Locher. Rumpler hier.“
„Hallo. Ich hab jetzt mit dem Alex Kucera gesprochen. Sie können ihn jederzeit anrufen.“ Sie gab ihm die Nummer durch.
„Danke, Frau Locher. Wenn ich etwas Neues in Erfahrung bringen sollte, meld ich mich bei Ihnen.“
„Ich glaub nicht, dass was rauskommt.“
Rumpler gab auch diesmal Acht, sich nicht von ihrer resignativen Stimmung anstecken zu lassen, und rief sofort Kucera an. Er musste sein Telefon ziemlich oft läuten lassen, bis sein Anruf beantwortet wurde. Sein Gesprächspartner war etwas außer Atem.
„Kucera“
„Guten Tag, Herr Kucera. Mein Name ist Rumpler, Johann Rumpler.“
„Ich weiß schon. Frau Locher hat Sie angekündigt. Sie wollen mit mir über den Franz sprechen.“
„Ja, genau. Vielleicht können wir uns treffen, wenns Ihnen recht ist in einem Kaffeehaus?“
„Wie schauts bei Ihnen morgen am späteren Nachmittag aus? Ich beginn morgen früher und wäre ab vier Uhr Nachmittag frei.“
„Bestens. Welches Kaffeehaus wär Ihnen denn recht?“
„Ich hab morgen noch was auf der Mariahilfer Straße zu erledigen und da würd für mich das Café Ritter gut passen.“
„Ausgezeichnet. Geht fünf Uhr für Sie? Und wie kann ich Sie erkennen?“
„Ich bring meinen Hund mit, einen Jack Russel Terrier. Er ist stark gefleckt und schaut aus wie der Hund vor dem Grammophon von His Masters Voice, wenn Sie das kennen. Und fünf Uhr passt sehr gut. Vielleicht verspäte ich mich auch, aber höchstens um ein paar Minuten.“
„Kein Problem. Dann bis morgen.“
„Bis morgen.“