Читать книгу Schutzpatrone - Rudolf Trink - Страница 8
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2.
Das Café Rathaus war Rumpler aus seiner Aktivzeit sehr vertraut. Oft genug hatte er sich dort mit Moser oder auch mit anderen Kollegen zusammengesetzt, wenn sich manche ihrer Fälle so zähflüssig entwickelt hatten, dass sie ihre Büros nicht mehr ertrugen, weil ihnen dort die Decke auf den Kopf fiel. Rumpler war von der wundertätigen Wirkung der Wiener Kaffeehäuser im Allgemeinen und der des Café Rathaus im Speziellen zutiefst überzeugt. Für dienstliche Fragen war für ihn das Café Rathaus das richtige, als Privatmann bevorzugte er hingegen das Café Sperl.
Als Rumpler im Café Rathaus eintraf, war Moser hinter einer Zeitung versteckt, die er aber sofort senkte, als Rumpler näher kam. Moser hatte ihn wohl an seinem Schritt erkannt und ließ seine erstaunlich beweglichen hellen Augen blitzartig über Rumplers Erscheinung laufen. Seit Moser ihn zuletzt gesehen hatte, hatte Rumpler sich kaum verändert, außer vielleicht, dass er eine frischere Hautfarbe aufwies, die seinen umfangreichen Spaziergängen, die häufig im Volksgarten stattfanden, zu verdanken war. Moser ließ, erleichtert über das, was er sah, ein kleines zufriedenes Grunzen hören.
„Gut schaust aus, Hans.“
„Du aber auch, Stinker.“
Moser lachte und klopfte sich mit der Hand auf seinen stattlichen Bauch, über dem sich trotz der sommerlichen Temperaturen ein stramm zugeknöpftes Sakko spannte.
„Danke, dass du gekommen bist, Hans. Wir stecken bei den Obdachlosen irgendwie fest.“
„Lass hören. Ich hab mein Wissen ja nur aus den Zeitungen.“
„Wir haben mittlerweile drei Morde in weniger als drei Wochen. Alle Opfer waren Obdachlose, die in der Nähe ihrer Schlafplätze ermordet worden sind. Der Tathergang war immer der gleiche. Zunächst hat sie der Täter mit einem Elektroschocker außer Gefecht gesetzt und dann mit einer Stange, vermutlich aus Holz, erschlagen. Die Spurensicherung hat nichts Wesentliches ergeben und die Tatwaffe haben wir auch nicht. Wir haben uns natürlich auch in der Szene umgehört, aber nichts Brauchbares erfahren. Zeugen gibt es nicht oder sie sagen uns nichts. Der Einzige, der vielleicht was gesehen haben könnt, ist der Rudi Schätter, ein Freund des ersten Mordopfers, der aber seit dem Mord noch viel mehr durcheinander ist als vorher. Er lebt nur in seiner eigenen Welt und redet dauernd vom Kasperltheater. Als Zeugen kannst den vergessen. Wir haben ihn jetzt in der Psychiatrie am Steinhof untergebracht, weil er ohne Hilfe nicht weiter kann, aber es hat sich bisher bei ihm nichts geändert.“
„Hast die Protokolle für mich?“
„Ja, klar. Pass gut drauf auf, sonst krieg ich Schwierigkeiten.“
„Mach ich. Und was soll ich deiner Ansicht nach jetzt tun?“
„Du hast doch früher immer gute Kontakte zur Szene gehabt. Mit uns reden die kaum, aber bei dir ist das möglicherweise anders. Du könntest dich ein bissl umhören und vielleicht erfährst du ja was.“
Rumpler nahm einen Schluck von seiner Melange. „Obs was bringt weiß ich nicht, aber ich werds versuchen.“
„Danke Hans.“
„Passt schon, Stinker.“
„Was gibt’s bei dir sonst Neues?“
„Du wirst es nicht glauben, aber die Sabine ist schwanger.“
Moser hatte Sabine vor etwa einem halben Jahr kennengelernt. „Das ist ja großartig. Sie ist wirklich eine Nette. Wer ist denn der Glückliche?“
„Sie hat zwar vor ein paar Monaten einen neuen Freund kennengelernt, mit dem es vielleicht was werden könnte, aber das Kind ist noch vom Karl.“
„Gratuliere!“, rief Moser so laut, dass sich die anderen in der Nähe sitzenden Gäste überrascht umdrehten, und schlug mit der flachen Hand klatschend auf den zum Glück sehr stabilen Tisch. „Dann bist du nicht mehr der letzte Rumpler.“
„Das ist wahr. Ich freu mich so, als ob ich selbst Großvater werden würd.“
„Du Glücklicher. Bei meiner Anna tut sich leider gar nichts. Sie und ihr Freund wollen sich zuerst etwas aufbauen und dann erst Kinder kriegen. Ich versteh sie ja irgendwie, aber es dauert mir halt einfach zu lang. Ich hoff, es kommt überhaupt dazu.“
„Ich halt dir die Daumen, Stinker.“
„Danke, Hans. Würd mich schon sehr freuen über so einen kleinen Stinker. Wennst was hörst bei den Obdachlosen, ruf mich an.“
„Mach ich.“ Rumpler winkte dem Kellner und übernahm die Rechnung. „Servus Stinker.“
„Servus Opa.“
Rumpler lachte.
Bevor er sich auf den Heimweg machte, nützte er den schönen Sommertag für eine Runde im Volksgarten. Beim Brunnen nahe dem Ausgang zum Heldenplatz blieb er kurz stehen. Während er die Skulptur einer Nymphe betrachtete, die von einem wasserspeienden Faun gepackt wurde, fragte er sich wie schon so oft, ob ihr nun Gewalt angetan wurde oder ob die deutlich sichtbare Anmut der Finger ihrer schräg nach unten gestreckten Hand nicht doch eine andere Geschichte erzählte. Vielleicht beides. Der Bildhauer hatte wohl ganz bewusst ein Werk geschaffen, das erst im Kopf des Betrachters zu Ende gedacht oder eigentlich gefühlt werden wollte.
Eine Entenmutter mit fünf überaus geschäftigen Jungen holte Rumpler aus seinen Gedanken. Unwillkürlich sah er sich sofort nach Krähen um, die gerne Gelegenheiten nutzten, sich ein Entenjunges zu holen, sah aber zu seiner Erleichterung keine in der Nähe. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – er wie kaum ein zweiter über die vielfältigen Gefahren des Lebens Bescheid wusste, hob sich seine Stimmung durch diesen kleinen Glücksfall sofort, und weil er im Café Rathaus nur zwei Melangen getrunken, aber nichts gegessen hatte, spürte er plötzlich Hunger. Er beschloss, sich faschierte Laibchen zu machen, einige davon auf Reserve, mit schön gerösteten Zwiebelringen. Damit auch Rosamunde seiner Freude am Faschierten teilhaftig werden konnte, nahm er sich vor, mageres Rindfleisch und fetteres Schweinefleisch zu gleichen Teilen, aber getrennt, faschieren zu lassen. Rosamunde würde ihren Anteil vom mageren Rindfleisch bekommen, ihrer Figur wegen, und er würde dann für sich das Faschierte mischen, dessen Geschmack letztlich von einem ausreichenden Fettanteil entscheidend abhing. Zum Faschierten würde er einen grünen Salat machen, der durch Beigabe einer ausreichenden Portion Rucola eine leicht bittere Note bekommen würde.
Als Rumpler mit seinen Einkäufen nach Hause kam, kam ihm Rosamunde entgegen. Ähnlich wie die englische Königin, die durch die Position ihrer Handtasche ihrer Entourage jeweils signalisierte, ob sie amused oder not amused sei, verstand es Rosamunde, wenn es ihr denn beliebte, ihre Zufriedenheit oder Unzufriedenheit durch ihre Körpersprache auszudrücken. Faschiertes Rindfleisch hatte es lange nicht gegeben, Rosamunde war sichtbar amused. Um das Faschierte für sie noch besser verträglich zu machen, briet Rumpler ihre Portion in einer beschichteten Pfanne leicht an und stellte dann ihren Napf nach einer sorgfältigen Temperaturkontrolle auf den Boden. Bis er seine zwei Fleischsorten überhaupt nur vermengt hatte, war ihre Mahlzeit bereits beendet und sie putzte sich den Bart.
Rumpler genoss es, als Pensionist ausreichend Zeit für eine sorgfältige Zubereitung seines Essens zu haben. Erst als er in aller Ruhe gekocht und gegessen und einige überzählige faschierte Laibchen für die nächsten Tage als kalte Jause im Kühlschrank verstaut hatte, ging er mit einem kleinen Espresso als Stärkung ins Wohnzimmer, setzte sich in seinen Fauteuil und starrte ins Leere. Als er mit Genuss den ersten Schluck machte, sah er auf den von seiner Großmutter geerbten Jugendstilschrank, stellte die Tasse ab und öffnete die Schranktür. Sofort wurde er von seiner beruflichen Vergangenheit eingeholt. Eine ganze Reihe von Moleskine-Notizbüchern, fast alle mit fortlaufenden Nummern versehen, lagen vor ihm und jedes dieser Notizbücher erzählte seine eigene Geschichte, häufig von Dummheit, viel seltener von großer Intelligenz, öfters von seltsamen Zufällen und immer von Mord. Zwei oder drei leere Bücher waren auch noch da und eines davon nahm Rumpler zur Hand, schlug es auf und schrieb als eine Art Leitmotiv das Wort Augustin hinein. So genau Rumpler dieses Ritual des Büchereröffnens auch kannte, war er doch jedes Mal, wenn er ein neues Notizbuch aufschlug, in einer zwar nicht aufgeregten, aber doch sehr aufmerksamen, beinahe hellsichtigen Verfassung, wohl weil er wusste, dass er jetzt einen Schritt gesetzt hatte, dem ein ganzer Weg folgen musste, mit aller Konsequenz, bis zum Ende.
Während er so dasaß, die großen Hände mit den langen, kräftigen Fingern auf dem Buch, kam Rosamunde und strich ihm um die Beine. Er machte ihr zunächst eine kleine Kopfmassage und strich ihr dann sanft über den Rücken.
„Es geht wieder los, Alte.“
Sie sprang mit überraschender Gelenkigkeit auf einen Sessel und von dort auf ihren traditionellen Liegeplatz, den ihr Rumpler auf dem Fensterbrett zwischen seinen prächtigen Orchideen freigelassen hatte, und schenkte ihm einen undurchdringlichen Blick.