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Überraschung wird zum Überlebenskampf

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Bei allem Glück, das sie empfand, die süße Kleine zu Hause zu haben, wurde ihr schon sehr schnell bewusst, welch anstrengende Zeit vor ihr lag.

Weil Romina als Frühchen noch so zart und pflegebedürftig war, musste sie die ersten vier bis sechs Wochen alle vier Stunden, rund um die Uhr, gefüttert werden. Da Ute durch das „Abstillen“ keine Milch hatte, hieß das, immer ein frisches Fläschchen zubereiten. Dadurch erfuhr sie hautnah, was Schlafentzug bedeutet.

Am ersten Weihnachtstag kam niemand, selbst ihre Kinder riefen nur kurz an um ihr ein frohes Fest zu wünschen, den restlichen Tag verbrachte sie alleine mit dem Säugling.

Annette rief ebenfalls nur an, erkundigte sich nach ihrem Befinden und stöhnte, dass sie bei dem „gierigen Griechen“ alle Feiertage, sogar Heiligabend, arbeiten musste, versprach danach reinzuschauen.

Am zweiten Weihnachtstag hatte Ute mittags die Kleine gerade wieder in ihr Bettchen gelegt als es klingelte. Verwundert drückte Ute den Türöffner und glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als ihr Stiefvater herein kam.

Schüchtern murmelt er, dass er die Kleine sehen wolle, worüber Ute sich sehr freute, aber die Frage nach ihrer Mutter verkniff sie sich. Eigentlich hatte sie gehofft, dass ihrer Mutter Besuch an ihrem Krankenbett an der ablehnenden Haltung etwas geändert hätte. Das war offenbar nicht der Fall.

Ihrer Mutter offensichtliches Desinteresse an ihrem jüngsten Enkelkind tat Ute zwar sehr weh, aber umso mehr freute sie sich über die Haltung ihres Stiefvaters, mit dem sie eigentlich nie besonders engen Kontakt hatte.

Geduldig saß er dann drei Stunden lang in Utes Wohnzimmer, trank einen Kaffee nach dem Anderen und wartete darauf, dass die kleine Prinzessin endlich erwachte. Gut dass es Fernsehen gab, denn der Gesprächsstoff war sehr schnell zu Ende. Weil Ute fand, dass er etwas unruhig wirkte, bot sie an, die Kleine zu wecken. Das lehnte er ab, lieber wollte er ein anderes Mal wiederkommen.

Bevor er ging, öffnete sie die Schlafzimmertür, sodass er das schlafende Baby im Lichtschein der Türöffnung sehen konnte. Ganz zaghaft trat er an ihr Bettchen und betrachtete die schlafende Kleine lächelnd. Dann ging er zufrieden hinaus.

Noch lange dachte Ute über ihren so ungeliebten Stiefvater nach, und in ihrem Kopf entstand plötzlich ein ganz anderes Bild von diesem unbeholfenen Menschen. Er hatte ihr sein Einverständnis und seine Zuneigung durch das Interesse an ihrem dritten Kind gezeigt. Auch Ramona, ihre Große, hatte ihm immer genauso am Herzen gelegen wie jetzt Romina, nur mit ihrem Sohn war er nie richtig warm geworden. Das Verhältnis war immer desinteressiert und kühl geblieben.

Weil Ute mit der Versorgung des Säuglings angebunden war, sowieso nicht aus dem Haus gehen konnte, hatte sie ihrer Tochter ihr Auto überlassen. Ramona war sehr erfreut gewesen, da sie schon länger kein eigenes Autos hatte. Deshalb rief sie entweder an, oder kam kurz vorbei, um nachzusehen ob sie Besorgungen für Ute machen solle.

Auch Utes Freundin kam des Öfteren mal kurz rein, bevor sie zur Arbeit fuhr, und erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei.

Nur einer ließ sich nicht sehen, Vito.

Wie gehabt musste Ute sich und ihre finanziellen Bedürfnisse in Erinnerung bringen. Schon nach den ersten Anrufen ging er einfach nicht mehr ans Telefon, sondern sein Bruder nahm das Gespräch an.

Da sie für die Kleine Babyartikel und auch normale Lebensmittel brauchte und schließlich immer noch zur Hälfte an dem Casino beteiligt war, ließ sie nicht locker.

Manchmal schickte Vito seinen Bruder, der ihr widerwillig einen Hunderter reichte und gleich wieder schnell verschwand. Und als sie mehr Geld verlangte, weil sie die Miete bezahlen musste, erschien Vito selbst.

Voller Wut flog stampfte er in ihre Wohnung, und noch in der Tür schlug er ihr erst ins Gesicht, bevor er ihr die Scheine vor die Füße warf. Es war der Horror.

Das Kind hatte nichts an seinem Verhalten ihr gegenüber verändert. Er beachtete die Kleine nicht einmal, sondern ging sofort wieder hinaus.

Nichts mehr war von seinen Vaterfreuden und von seinen Versprechungen übrig geblieben. Und Ute wagte gar nicht daran zu denken, wovon sie mit dem Kind leben sollte, wenn das Casino mal wieder geschlossen würde und Vito dann auch telefonisch nicht mehr zu erreichen wäre. Wie und wo sollte sie ihn dann suchen?

Sie war total deprimiert, aber sie nahm sich zusammen, denn sie hatte die Verantwortung für ihr Neugeborenes übernommen, welches sie von Tag zu Tag mehr liebt. Aber wegen ihres Kindes musste sie sehen wie sie zurechtkam. Irgendwann kroch Ute fast auf allen Vieren, so zehrte der Schlafentzug an ihr.

Nach vier Wochen konnte Annette sich die Müdigkeit ihrer Freundin nicht mehr ansehen. Durch den vierstündigen Rhythmus zu füttern hatte Ute akuten Schlafmangel, aber sie versuchte sich noch auf den Beinen zu halten.

„So, das guck sie mir nicht mehr länger an“, sagte Annette eines Tages, „ich nehme die Kleine jetzt mit zu mir, damit du dich mal richtig ausschlafen und erholen kannst. Bei uns geht die Versorgung besser als hier, wir sind mehr Personen, die sich alle gerne um die Süße kümmern. Pack mal genügend Sachen zusammen, dann kannst du bei uns erscheinen, sobald du wieder bei Kräften bist. In Ordnung?“

Obwohl Ute ihrer Freundin sehr dankbar war, und endlich mal in Ruhe alleine sein konnte, hatte sie die ersten zwei Tage Probleme einzuschlafen, bis sie sich an die himmlische Ruhe gewöhnt hatte. Sie genoss es fünf Tage lang.

Körperlich fit holte Ute ihre Kleine ab und suchte zum ersten Mal den Kinderarzt auf. Zum Glück hatte Ramona ihr das Auto wieder zurückgegeben, sodass Ute endlich wieder Autofahren konnte, denn mittlerweile war es eisig kalt.

Der Arzt war sehr freundlich und sanft im Umgang mit Kindern. Nach der gründlichen Erstuntersuchung meinte er: „Sie ist zwar ein sehr zartes Kind, aber um die müssen Sie sich keine Sorgen machen, die ist zäh. Sie wird alle Kinderkrankheiten spielend schnell hinter sich bringen, falls die bei ihr überhaupt richtig ausbrechen. Das kleine Mädchen hat gute Abwehrkräfte.“

Die nächste Zeit war ein ständiges Auf- und Ab in jeder Richtung.

Natürlich passierte genau das, was Ute schon befürchtet hatte, ihre einzige Überlebungschance wurde durch eine Razzia geschlossen. Das hieß, der Ernährer war mit samt ihrem Geld in der Versenkung verschwunden. Zwar erfuhr sie schon bald, dass Vito sich in einem Räuberzock, einer Würfelbude in der Nachbarstadt eingekauft hatte, aber für Ute hieß das, dass sie keinerlei Einblick mehr kriegen konnte.

Schnell hatte sie durch Annette auch die Rufnummer dieser Bude, und obwohl dort eine weibliche Bedienung arbeitete, kam Ute weder telefonisch noch persönlich an Vito heran. Er blockierte jede Möglichkeit ihn zu sprechen, und ließ Ute auch finanziell einfach hängen.

Ihr blieb keine Wahl, sie musste arbeiten. Welch ein Glück dass sie in der Glücksspiel-Branche gute Kontakte hatte, aber die waren leider alle in Holland.

Ihre Telefonate brachten ihr die erfreuliche Einladung nach Amsterdam zu Heribert, einem großen Veranstalter. Zügig war Rominas Unterbringung mit Annette geklärt, Fahrkarte gekauft, und bereits am nächsten Tag saß Ute im Zug nach Amsterdam.

Obwohl Ute wusste, dass Ulf, ihr Verflossener, und Heribert dicke Freunde waren, ihr auch klar war, dass Ulf sich in Holland aufhielt, war sie dennoch unangenehm überrascht als Ulf sie am Bahnsteig erwartete.

Er strahlte vor Wiedersehensfreude, sie machte gute Miene zu bösem Spiel. Denn das war es wirklich. Heribert hatte Ulf beauftragt, weil er hoffte, dass sich die beiden wieder versöhnen würden. Das lehnte Ute direkt klipp und klar ab.

Trotzdem verbrachte sie ein sehr schönes Wochenende in Amsterdam, denn Heribert war ein großzügiger Gastgeber. Ein Firstclass Hotelzimmer für Ute, und ein gemeinsames Dinner zu viert, in einem sehr edlen japanischen Restaurant waren Selbstverständlichkeiten, die der Gastgeber bot.

Am Ende des Wochenendes akzeptierte Heribert, dass es mit ihr und Ulf keine Gemeinsamkeit mehr geben werde. Bevor Ute abreiste verkaufte sie an Heribert noch einen Weißgold-Brillant-Armreif zu einem guten Preis. Außerdem sagte Heribert ihr einen Job an der Kasse seines Black-Jack-Casinos zu.

Mit dreißig Mark in der Tasche war Ute angekommen, mit Zweitausend reiste sie wieder ab. Sie hatte gute Laune, durch die euphorische Hoffnung, dass sie bald wieder auf die Füße kommen werde.

Aber ihre gute Stimmung schlug in panische Angst um, als Annette ihr berichtete, dass Vito sich Zutritt zu ihrer Wohnung verschafft hatte. Er hatte Annette gezwungen Utes Schlüssel rauszugeben, mit der Drohung, sonst das Kind mitzunehmen und zu seiner Frau zu bringen.

Vorsichtshalber ging Ute daraufhin mal erst ohne die Kleine nach Hause. Das war ein Fehler. Vito prügelte sie auf dem Boden fest, als sie ihm gesagt hatte, wo sie gewesen war. Zum Schluss trat er auf sie ein. Dann nahm er ihr das Geld ab, steckte es in seine Tasche und stampfte gelassen ins Bad.

Nur durch einen Anruf ihrer Nachbarin bei der Polizei, wurde Ute von dem Gewalttäter befreit. Die Beamten kannten Vito wohl, denn sie sprachen ihn mit Namen an, als sie ihn aufforderten freiwillig mitzugehen. Ute rieten sie zur Strafanzeige.

Annette und Ramona kamen gleichzeitig und erschraken sich über Utes verbeultes Gesicht. Sie hatte zugeschwollene Augen, konnte nur noch durch Schlitze sehen und blutende aufgesprungene Lippen, aber am schlimmsten schmerzten ihre Rippen, denn Vito hatte wie ein Irrer zugetreten. Während Annette auf die Kleine aufpasste begleitete Ramona sie ins Krankenhaus.

Der Notarzt konnte ihr nur Salbe fürs Gesicht und Schmerzmittel geben und feststellen, dass 2 Rippen gebrochen waren.

„Viel machen kann sie nicht“, sagte der Arzt, „das Gesicht wird wieder in Ordnung sein, und wenn sich die Blutergüsse zurück gebildet haben. Auch an den Rippen-Brüchen kann sie nichts machen, die müssen ganz alleine wieder zusammen wachsen. Sie dürfen nur nicht schwer heben, möglichst ruhig liegen, sich nicht unruhig im Bett wälzen, dann heilt das von alleine. Aber ein paar Wochen wird das schon dauern. Nehmen Sie was gegen die Schmerzen und schonen Sie sich.“ Sagte der junge Arzt mitleidig.

Dann fragte er ob sie eine Krankmeldung benötige, als sie verneinte, gab er mir ein Attest, und sagte dabei: „Falls Sie Anzeige erstatten wollen.“

Ute verneinte, sie dachte nur: >Meine Krankmeldung ist bestimmt schwierig, weil ich meinen ersten Arbeitsantritt verschieben muss. Hoffentlich gibt es da kein Problem<.

Als sie mit Ramona zu Hause reinkamen erwartete Ute eine Überraschung. Ihre Mutter saß mit versteinerter Miene in der Küche und hielt die Kleine im Arm.

Sie sagte zu Annette: „Wenn du arbeiten musst, kannst du ruhig gehen, ich kümmere mich um die Kleine.“

Man vereinbarte, dass Annette die Kleine besser zu sich nehmen solle, während Utes Mutter vorerst blieb, besorgte Ramona Utes Einkäufe und andere Erledigungen. Natürlich brauchte sie dafür noch mal Utes Auto.

Als Ute alleine war rief sie in Amsterdam an. Sie meldete sich krank und bat später antreten zu dürfen, wenn es ihr besser ginge. Zum Glück hatte ihr zukünftiger Chef Verständnis.

Über das Erscheinen ihrer Mutter war Ute besonders erfreut, weil es zeigte, dass deren Abkehr endlich vorbei war.

Annette brachte ihr täglich Mittagessen vorbei, bevor sie zur Arbeit fuhr. Sie beruhigte Ute, dass die Kleine auch in ihrer Abwesenheit durch ihre großen Kinder gut versorgt werde.

Als Ute sich langsam wieder bewegen konnte, ging sie zur Polizei und erstattete Strafanzeige wegen Körperverletzung gegen Vito. Die Polizei fügte den Zusatz „schwer“ der Anzeige hinzu, denn Vitos Vorstrafen wegen Körperverletzung waren dort bestens bekannt. Wegen seines Hobbys „Kickboxen“ stufte man seine Tritte als sehr gefährliche Waffe ein.

Sizilianische Gesetze

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