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Ein Irrtum und Widerstände

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Eigentlich hatte sie ihn nie gemocht- nein, sie hatte sogar eine starke Abneigung gegen ihn gehabt weil er eine so selbstsichere, dominante Art hatte, die er in seinem Job vermutlich brauchte. Auch weil seine bullige Erscheinung, mit dem finsteren Blick, Furcht einflößend auf sie wirkte, was ihm als Rausschmeißer in der größten Disco der Stadt bestimmt hilfreich war.

Und nun? Nun saß sie auf seinem Schoß, und sie fühlte sich beschützt und sicher. Zudem ließ sie es zu, dass er sie küsste. Wie konnte es nur dazu kommen?

Noch bis vor einigen Minuten hätte sie jede Wette angenommen, dass er sie niemals erobern könnte. Denn in den letzten zwei Wochen hatte sie sich täglich mehrmals über ihn geärgert, sich von ihm immer beobachtet und zeitweilig gemaßregelt gefühlt, ohne jeglichen Grund und schon gar nicht zu Recht. Ihr war sofort klar gewesen, dass er sie anbaggerte, zugegeben auf eine seltsame Art, die allerdings zu seinem groben Wesen passte.

Er hatte seine Aufgabe als Portier des illegalen Zockladens, in dem sie auch tätig war, sehr ernst genommen, vielleicht sogar überbewertet, und das nervte. Sie konnte seine bestimmende, ja befehlende Art, über jede Bewegung im Laden, nicht anerkennen. Deshalb war sie auch die Einzige unter den Mitwirkenden in diesem Geschäft, die gegen seine Befehle opponierte. Kollegen nannten ihn nur „Wichtigtuer“, allerdings hinter seinem Rücken. Niemand wagte sich, Vito entgegen zu treten. Nur sie.

Zwar fand sie es lästig, dass er sie immer in ihrer Nähe aufhielt, speziell nach Feierabend, wenn sie noch einen „Betriebsausflug“ machten. In den beliebten Nachtlokalen war meist der Bär los, sodass sie jede Gelegenheit benutzte, Abstand zwischen sie zu bringen, indem sie andere anwesende Bekannte begrüßte, zu denen er keinen Draht hatte. Bis auf diesen unangenehmen Vorfall, als ihr dicker Anwalt sie in seiner ekligen Art betatschen wollte. Natürlich wies sie das dicke Ekel in deutlicher Ausdrucksweise zurück, zumal sie sowieso sauer auf ihn war, da seine teure und nutzlose Vertretung ihr keinerlei Hilfe gewesen war. Aber er reagierte nicht.

Weil der Dicke so besoffen war, dass er ihren Widerstand gar nicht mehr wahrnahm, als er sie in seine Arme nahm und nicht mehr loslassen wollte, schritt Vito energisch ein. Er riss des Anwalts Arme von ihr weg, gab dem Anwalt einen Stoß, dass dieser rückwärts gegen das Trenn- Geländer zum tieferen Teil des Raumes flog und sagte scharf: „Lass sie in Ruhe. Sie hat dir deutlich gesagt, dass sie das nicht will. Also nimm deine dreckigen Pfoten weg, oder ich muss dir Manieren beibringen, Capito?“

Der Dicke wich erschrocken zurück, stammelte etwas vor sich hin, und torkelte in den unteren Teil des Lokals. Wie bei den meisten Menschen hatte Vitos böser Blick die gleiche furchtsame Wirkung.

Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte wohl das ganze Lokal gelacht. Denn es sah schon komisch aus, wie der sehr große, schwere Anwalt von dem viel kleineren, breiten Italiener ausgebremst wurde.

Danach setzte Vito sich zufrieden auf einen Stuhl an den Tisch der Runde und bot ihr an, auf seinem Schoß Platz zu nehmen. Es war nicht nur Dankbarkeit oder weil sonst kein Platz mehr in der Runde frei war, in dem Moment nahm sie sein Schutzangebot gerne an. Endlich ein Mann der spontan für sie eintrat, um ihr Unannehmlichkeiten vom Hals zu halten. Vito war seinem Ziel näher gekommen.

Zwar stellte sie eine Beziehung zu dem Italiener noch immer vehement in Frage, aber er ließ sie gedanklich nicht mehr los. Dann begann sie mit ihm zu spielen. Sie machte es sich zur Gewohnheit, nach Feierabend in die Disco zu gehen und sonnte sich in seiner offenen Anmache. Was wohl den letzten Ausschlag gab war, dass er ein hervorragender Tänzer war. Sie liebte Tanzen, und das bemerkte er sofort und nutzte es.

Und obwohl sie wusste, dass er verheiratet war, ließ sie sich auf ihn ein. Hals über Kopf verließ Vito seine Ehefrau, zog bei ihr ein, und nach einjähriger Single-Zeit genoss sie das liebevolle Zusammensein,.

Ihre Kinder schienen nichts gegen ihre neue Beziehung zu haben, obwohl Vito nicht gerade eine Intelligenz-Bestie war, was sich durch sein schlechtes gebrochenes Deutsch offenbarte. Aber er mochte Kinder, und das merkte man ihm an. Zu Kindern war er immer sanft, verständnisvoll, einfach sehr lieb.

Vitos Ruf als Schläger eilte ihm voraus, deshalb kam er bei dem Rest ihrer Familie nicht so gut an. Ihr Schwager, ebenfalls Italiener, ging deutlich auf Distanz, und ihre Mutter zeigte sogar ganz offen ihre Abneigung.

Schon optisch war er als gefürchteter Rausschmeißer in der größten Disco der Stadt, sehr imposant. Man sah ihm sein Durchsetzungsvermögen an. Er wirkte durch seine massige Gestalt und seinem intensiven bösen Blick, wenn ihn Jemand nervte. (Vor dem sie anfangs auch ängstlich zurückgeschreckt war)

Jedoch konnte sie nichts von der Reaktion ihrer Familie beeindrucken oder gar beeinflussen.

Sie glaubte alle schlechten Berichte und die Warnungen nicht.

Selbst die Erzählungen ihrer beiden Freundinnen (die seine Arbeitskolleginnen waren), dass er Frauen gegenüber auch keine Rücksicht kannte. Dass nämlich seine Frau öfter mit blauen, statt ihrer braunen Augen, hinter der Theke des Fischlokals stand, wo sie arbeitete, weil er sie verprügelt habe, konnte sie genauso wenig glauben, wie die Behauptung, er sei ein Mafioso. Er sei der Anführer der italienischen Räuberbande, die in den letzten Jahren, für die vielen Überfälle auf die illegalen Casinos verantwortlich war.

Ute war fest davon überzeugt, die Liebe ihres Lebens gefunden zu haben, und tat die ganzen bösen Gerüchte als Neid auf ihr Glück ab. Denn die ersten Wochen verbrachten sie in seligem Glück.

Vito war ein zärtlicher und leidenschaftlicher Liebhaber, ein Kuschelbär, von dem sie sich gar nicht vorstellen konnte, dass die Gerüchte über ihn auch nur ein Körnchen Wahrheit enthielten.

Zudem nahm sie seine kindliche Freude darüber, dass sie ihn animierte seine Garderobe aufzufrischen und dabei beriet, als Zeichen für die Liebe die er für sie empfand. Und seine Reaktion zeigte, dass seine Ehefrau sich nie um sein Outfit gekümmert hatte, obwohl sie selbst immer chic gestylt war. Für Ute war die freudige Dankbarkeit der Beweis dafür, dass sich alle Kritiker irrten.

Als bekannt wurde, dass sie mit Vito zusammen war, ging unser Chef Horst anfangs bei ihr auf Distanz, und als nächste Maßnahme wurde Vitos Tätigkeit als Portier nicht mehr gebraucht. Er wurde entlassen.

Eigentlich hatte sie sich mit Horst Paashaus, genannt „Franzmann“ vormals immer gut verstanden. Er, Utes ehemaliger Lebensgefährte Ulf, (durch den sie in dieses Metier gerutscht war) und sie hatten dieses Casino vor zwei Jahren eröffnet. Damals war Horst ihr immer eine große Stütze gewesen, wenn ihr Lebensgefährte wieder mal alle Knete verzockt hatte.

Ulf bezeichnete den Partner Horst als geizig, weil der kein Spieler war und lieber seinen Gewinn hortete. Ulf meinte, Horst habe unverdientes Glück, weil er in einer Hosentasche „den lieben Gott“ und in der anderen einen Igel habe. Die Hand in der Gottes-Tasche brächte ihm Massel und in die andere Tasche fasse er nicht, weil er sich da stechen könnte.

Sie dagegen war immer froh wenn Horst wie „ein Fels in der Brandung“ hinter dem „Kessel“ stand und ihr dadurch Sicherheit vermittelte, während Ulf lieber unterwegs war, um ihre Kohle bei der Konkurrenz zu verzocken.

Aber das freundschaftliche Verhältnis hatte sich mit der geschäftlichen Trennung geändert, denn als seine untergebene Mitarbeiterin behandelte er sie plötzlich von oben herab. Woran das lag war ihr klar.

Weil sie Horst abgewiesen hatte, als er bei ihr gebaggert hatte, wurde er plötzlich gehässig zu ihr und schikanierte sie wo immer es ging. Über ihre ehrliche Aussage, dass ihr seine Einstellung zur Treue nicht gefiele, hatte er sich nur belustigt. Dann hatte er provozierend gegrinst und seinen ewigen dummen Spruch wiederholt: sein Pimmel sei kein Stück Seife, der nutze nicht ab. Sie fand ihn abartig und widerlich, das hatte sie ihm deutlich gesagt.

Nachdem Vito nicht mehr zum Personal gehörte, ging Horst sogar so weit, dass er sie verächtlich: Itakker-Liebchen, oder Mafia-Braut schimpfte. Dabei nahm er weder Rücksicht auf das andere Personal, noch auf die Gäste. Es war beschämend. Dadurch wurde ihre Arbeitszeit zum Spießruten laufen, aber da sie den Job brauchte, hielt sie eisern durch. Jedoch forderte das Verhalten von Horst ihre Rachegefühle und ihre Offensive heraus, sodass sie die nächste Gelegenheit nutzte, indem sie sich mit Vito zusammen selbständig machte.

Dass manche Leute behaupteten, Vito sei nur an ihr interessiert, weil er ohne sie niemals im Zockgeschäft akzeptiert worden wäre, ließ sie kalt. Denn dass er geschäftlich unbedingt ins Glücksspiel-Geschäft einsteigen wollte, was ihm ohne Protektion nicht gelungen wäre, war ihr bekannt. Dieses halbseidene Geschäft war eine in sich geschlossene Gesellschaft, in der ein Fremder nicht zugelassen wurde.

Dass Ute nun die Kette durchbrach, indem sie Vito in ihre Aktivitäten integrierte, wurde in der Branche mit Misstrauen und teilweise offener Missbilligung betrachtet. Denn man sah in ihm einen mafiösen Proleten, der maximal als Türsteher oder Rausschmeisser zu gebrauchen sei, aber als „Veranstalter“ fehl am Platze sei. Laut sagte es allerdings Keiner. Ute verstieß also gegen eine unausgesprochene Regel.

Sie ahnte die unterschwellige Kritik der Branche, allerdings sah Ute auch, dass Vito ihr eine Sicherheit gegen Anfeindungen gab, die sie bei Ulf nie gehabt hatte.

Auch dass es wieder Bergauf ging, sodass sie sogar ihren ganzen Schmuck wieder aus dem Pfand holen konnte. Obwohl sie die ganzen „Weißgold-Klunker“ im Grunde gar nicht mochte, und deshalb auch nie trug, wusste man doch nicht für was man die Klamotten irgendwann mal wieder gebrauchen konnte. Auch wenn Vitos Erfolg nur mit ihrer Hilfe, und durch seinen Eintritt ins Casino-Geschäft möglich war, war sie trotzdem froh darüber, da es für sie nur zum Vorteil war. Sie war glücklich.

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