Читать книгу Pol-Ethik II - Ruth Lindemann Möller - Страница 4
Landwirtschaft und mein Zugang dazu
ОглавлениеSo wie ich mit „Mensch und Gleichberechtigung“ aufgehört habe, setze ich mit Mensch, Tier und Land fort.
Nur 1-2 Generationen zurück hatten fast alle eine Beziehung zur Landwirtschaft. Entweder wuchs man selber, oder die Eltern, auf einem Bauernhof auf, oder man hatte zumindest in der Familie einen Bauern. Das bewirkte, daß man mit landwirtschaftlicher Arbeit vertraut war, ein gewisses Wissen von Kindesbeinen an praktisch beigebracht bekam.
Meine Mutter war auf einem dänischen Bauernhof aufgewachsen. Mein Onkel hat den Hof weitergeführt und das war mein erster Zugang zur Landwirtschaft. Als ich gerade zehn Jahre alt wurde, hat mein Vater unseren ersten Hof gekauft. Später kamen noch zwei Höfe dazu. Diese Information, um deutlich zu machen, daß ich nicht nur theoretisch rede oder von klugen Fachbüchern abschreibe, sondern daß ich vieles durch Praxis erfahren habe.
Wie hat sich doch vieles geändert seit meiner Kindheit in den sechziger Jahren. Damals konnte sich eine Bauernfamilie noch von einem mittelgroßen Hof (15-30 ha) ernähren. Die kleineren Höfe hatten es mal nötig, daß eine Person mindesten halbtags einen Job daneben nahm, um Geld dazu zu verdienen, um ein bisschen Luxus zu genießen. Das war die Zeit als Fernseher, Grammophone und Tonbandgeräte und später Waschmaschinen angeschafft wurden, als Kinder besser eingekleidet wurden, Autos nicht mehr nur ein Transportmittel waren sondern auch zum Statusmittel unter nicht Großverdienern wurden und die technische Entwicklung viel Neues für die Landwirtschaft brachte.
Die Entwicklung ist seitdem so rasant schnell gegangen. Die große Frage: Wo befinden wir uns landwirtschaftlich gesehen gerade jetzt?
Diese Frage wage ich gar nicht zu stellen! Sofort fühle ich mich unwohl, wenn ich daran denke.
Es geht der Landwirtschaft nicht gut. Hier denke ich sowohl an Deutschland wie an Dänemark, von denen ich natürlich am besten Bescheid weiß. Für beide Länder gilt, daß die heutige Landwirtschaft sehr leidet, am Zusammenbrechen ist. Das mag auch für den Rest Europas gelten.
Sehen wir uns die Gründe dafür mal näher an. Es findet eine unbarmherzige Entwicklung statt, womit fast jeder von uns nicht gedient sein kann. Die Rede ist von unvermeidlicher „Strukturentwicklung“, immer höherem Produktivitätsdruck und verschärfter Konkurrenz. Die Grenze ist längst erreicht, ja sogar weit überschritten mit katastrophalen Nachwirkungen zur Folge. Nicht nur für den einzelnen Bauer sondern für uns alle. Es geht hier um das Wichtigste im Leben. Unser Überleben. Wovon leben wir? Von Luft und Liebe?
Das Thema Landwirtschaft ist umfassend. Es dreht sich unter anderem um Essensqualität, gutes Trinkwasser, wie gehen wir mit Tieren um, mit der Umwelt. Wie „ethisch“ verkaufen wir unsere Produkte, auch an arme Länder? Haben wir ein Interesse darin, eine Landbevölkerung über das ganze Land weiterhin verteilt zu haben? Wie kurzfristig darf man planen? Ein Potenzial aus dem Boden schnell herausholen, dafür künstlichen Dünger in großen Mengen verwenden, mit Konsequenzen für unsere Trinkwasserqualität und Sauberkeit unserer Gewässer.
Ich gehe jetzt einen Schritt zurück, um es besser verständlich zu machen. Es ist im Grunde einfach.
Über viele Generationen wurden die Höfe weiter vererbt. Man arbeitete als Familie zusammen. Auch die Kinder mussten hart mitarbeiten, oft war die älteste Generation noch dabei mit etwas Aushilfskraft oder zumindest Erfahrung, die weitergegeben wurde.
Ein normaler Bauernhof hatte früher nur Mischproduktion. Auf dem Land wurde z.B. Getreide, Kartoffeln und Rüben angepflanzt, um sowohl Futter für die Tiere, wie Brot für die Menschen zu besorgen. Gülle und Mist von den eigenen Tieren wurde als Dünger auf die Felder verteilt. Logik: Die Größe vom Land konnte eine bestimmte Anzahl von Tieren ernähren; deren Gülle, Mist, wiederum als Dünger ausreichen musste. Die Natur regelte also nach Verhältnis Tiere zum Landareal, die natürliche Düngungsmenge. „Natürlich“ war das aus heutiger Sicht nicht ausreichend! Früher musste man nur die Lokalbevölkerung beliefern. Als die Industrialisierung einsetzte, wurde es plötzlich möglich durch Maschinen so viel mehr zu schaffen. Die Landwirtschaftsmaschinen, ob Traktor, Drescher, etc. und zusätzliche Melkmaschinen ermöglichten den Bauern eine höhere Produktionsleistung. Die Menge von Tieren wurde zunehmend erhöht mit der Konsequenz, daß die eigene Futter- und Heu-Produktion nicht mehr ausreichte. Das führte zu zweierlei. Der eigene Ertrag der Ernte wurde gesteigert, indem zusätzlicher, eingekaufter Kunstdünger ausgebracht wurde. Noch dazu kam das Spritzen in Mode, womit ertragsvermindernde Krankheiten vermieden werden konnten. Erstmals wurde das als gute Zeiten für die Landwirtschaft empfunden. Nicht nur hatte man ausreichend Produkte, um die eigene Bevölkerung gut zu beliefern (was in der Nachkriegszeit so wichtig war), es fing noch ein zusätzlicher Überschussexport an aber auch ein Import von Tierfutter.
Irgendwann war die Grenze für das Wachstum eines Hofes erreicht. Mit der Industrialisierung folgt auch schnell die neue Wirtschaftslage, wo der Druck besteht, eine Produktion immer mehr zu steigern, um höhere Profite zu erzielen, die man unbedingt für neue Investitionen braucht, um sich wiederum zu vergrößern und die Produktion weiter zu steigern.
Mehr Land wird dazu gekauft. Ein kleiner Hof ist nicht mehr rentabel. Die Kosten für Maschinenpark und effektive Melkanlage kann nicht aus den kleineren Betrieben erwirtschaftet werden. Auch bei größeren Bauernhöfen wird der Druck erhöht. Um den Bodenertrag zu steigern, erhöht man weiter die Düngungsmengen. Nur, wie viel Dünger kann ein bestimmter Boden aufnehmen und umsetzen? Was passiert mit dem überschüssigen Dünger? Drängt der in unser Grundwasser hinein, wird der Dünger in unsere Flüsse, Seen, Fjorde ausgespült und später ins Meer weitergeführt? Ja, aber wir reden von überschüssigem Dünger. Zwar versucht man von ministerieller Seite Grenzen zu setzen wie viel Düngungsmittel pro Areal ausgetragen werden darf. Aber es ist sehr kompliziert. Ich komme selber von einer Region in Dänemark mit sehr unterschiedlicher Bodenqualität. Die Felder meiner Eltern gehören zur besten Bodenqualität. Näher zur Nordsee wird der Boden leichter, um zuletzt sehr sandig zu werden. Schau mal die Natur an, wie sie uns durch die Flora zeigt, wie fruchtbar ein Boden ist.
Mach mal selber einen Versuch mit dem Erdboden, sehr gerne zusammen mit Kindern. Geht in die Natur und nehmt zwei verschiedene Proben vom Boden. Eine in Strandnähe und eine von gutem Ackerland oder Wiese. Vermischt ein paar Löffel von der jeweiligen Sorte gut mit Wasser in einem Glas. Rührt herum und lasst es eine Weile stehen, während ihr die Unterschiede, die auftreten, beobachtet.
Ein zweiter Versuch: Nimm zwei gleiche Siebe. Das eine Sieb füllst du halb auf mit Sand, das andere mit Lehmboden. Danach gießt du vorsichtig dieselbe Wassermenge zu den beiden dazu. Betrachte jetzt den Unterschied der Durchlässigkeit im Verhältnis zum Zeitverbrauch. Diese Versuche werden zeigen wie unterschiedlich verschiedene Bodensorten sowohl Wasser wie auch darin aufgelöste Düngungsmittel durchsickern lassen. Wie bei unseren früheren Pole-Erkenntnissen: Es gibt nicht nur schwarz-weiß. Auch bei Erdböden haben wir mit so vielen „Grautönen“, Mischarten zu tun, daß es deutlich sein muss, daß man nicht einfach feste Grenzen für Düngerausbringung auf allen Böden gleich festsetzen kann.
Machen wir noch einen Versuch, um zu lernen: Diesmal kaufen wir drei identische Topfpflanzen, alle mit Unterschale. Ich nehme drei gleiche Geranien (Pelargonien) in der gleichen Erde. Nummer eins werde ich nur mit einer bestimmten Menge Wasser gießen. Nummer zwei bekommt dazu eine passende, auf dem Düngungsmittel empfohlene Dosis verabreicht. Nummer drei geben wir daneben eine viel zu hohe Dosis Dünger. Wartet ab und staunt über die Resultate.
Dann muss dir nachher auch klar sein, daß kein normaler, vernünftiger Bauer Interesse daran hat, eine hohe Überdosis auf seine Felder herauszubringen. Der Kunstdünger kostet Geld. Der Bauer ist aber heute so unter Druck, um seine Produktion/Ertrag zu steigern, daß er auf keinen Fall unterdosieren möchte. Das bedeutet Gewinne streichen. Er steht unter Druck, um zu überleben.
So viel für jetzt was den Dünger angeht, schauen wir uns die andere Hälfte an. Jetzt wo wir Futter und Streuproduktion gesteigert haben, erhöhen wir auch die Anzahl der Tiere. Dafür ist es aber notwendig zusätzliche Ställe zu bauen. Das kostet viel Geld und muss zwangsweise als Kredite von Banken aufgenommen werden. In den guten Zeiten war es ganz leicht diese Kredite zu bekommen, die Banken forderten die Bauern selber dazu auf. Der Ertrag der Felder war gut, die Milchpreise in Ordnung, Fleischverbrauch gesteigert. Export lief gut. Immer war die Aussicht da, noch mehr zu produzieren. Nur änderten sich dann einige Voraussetzungen, um dieses Wachstum noch zu steigern.
Die Grenze, wann ein Boden nicht mehr bringen kann, ist irgendwann erreicht. Steigerung ist da nicht mehr möglich. Was tut man dann, wenn die Milchpreise fallen und immer weiter und weiter fallen? Plötzlich schafft es der Bauer nicht mehr seine Betriebskosten und teure Bankkredite zu bezahlen. Er hat sein Privatvermögen schon aufgebraucht, schuldet der Bank viel Geld und braucht in einer Übergangszeit zusätzliche Kredite, bis er sich auf andere Machtstrukturen, Abnahmeverhältnisse, oder ökologische Produktion umgestellt hat. Nur diese Zeit wird ihm nicht gegeben und so wahnsinnig viele haben aus dem Grund selber Konkurs beantragt oder es wurde ihnen Konkurs erklärt. Daß davor die Banken die Bauern zum Erweitern aufgefordert haben, immer mehr zu produzieren, war wohl nicht so vernünftig. Alles hat eine Grenze! Nimm einen Ballon, am besten einen roten, und blas ihn langsam auf. „Wie toll“ sagt das Kind mit großen Augen. Und er wird noch größer. Das Kind jubelt: „Noch mehr“! In Ordnung, wir werden stark aufgefordert noch mehr zu blasen und es geht – bis er plötzlich mit einem lauten Knall zerplatzt. Alle Begeisterung, Hoffnung für mehr zerbricht. Es sind nur die traurigen Reste übrig. Sie sind nicht mehr zu kitten. Hätte man früher innegehalten, wäre es nicht so weit gekommen. Warum tat man das nicht?
Jeder Bauer hat für sich gearbeitet. Als die Milchpreise herunter gesenkt wurden, versuchte man es zu kompensieren, indem man die Milchproduktion erhöhte. Nur, wenn man bedenkt, daß die fallenden Milchpreise durch eine Überproduktion zustande kamen, sieht man vielleicht die Katastrophe, wenn viele versuchen sich so zu retten. Milchpreis halbiert, also müssen wir doppelt so viel Milch produzieren, um dasselbe Einkommen zu sichern. Das bewirkte noch weitere Milchpreissenkungen. Hier ist deutlich eine Grenze gezeigt, wo es nicht mehr weitergeht.
Ja, jetzt fällt dir vielleicht ein, daß wir dann bloß mehr exportieren müssen. Wohin? An arme Länder, die unsere Milchprodukte kaufen sollen und noch dazu ihren eigenen kleinen, sehr verwundbaren Produktionen nicht mehr aufrechterhalten können. Sie sind ja nicht effektiv, nicht konkurrenzfähig. Sie haben wenig Tiere, wenig Bodenertrag, kein Kunstdünger oder nur wenig, da sehr teuer, sie können nicht mithalten. Machen wir die Armen anderswo ärmer durch unser Wahnsinnsdenken: Export, Export! Wo ist unser Ethik-Denken? Leben wir gut auf Kosten anderer? Treiben wir andere hier in dieselbe Situation wie unsere Bauern in Europa? Ist es vielleicht möglich, daß wir ganz schnell umsatteln? Rette, was noch zu retten ist. Sowohl für uns selber, wie für den Rest der Welt.