Читать книгу Das Königreich aus Kupfer - Daevabad Band 2 - S. A. Chakraborty - Страница 12

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DARA

In der ruhigen, verschneiten Nacht bahnte sich Dara den Weg durch einen dunklen Wald.

Vollkommen lautlos ging er voran, und die fünf jungen Daeva hinter ihm spiegelten jede seiner Bewegungen. Sie hatten sich Lappen um die Stiefel gebunden, um den Klang ihrer Schritte zu dämpfen, und sich die Wollmäntel mit Asche und Dreck eingeschmiert, damit sie mit dem Hintergrund aus kahlen Bäumen und dem felsigen Boden verschmolzen. Es gab magische Methoden – bessere Methoden –, um sich zu verbergen, aber das, was sie in dieser Nacht taten, war ebenso ein Test wie eine Mission, und Dara wollte seine jungen Rekruten herausfordern.

Er blieb am nächsten Baum stehen und hob eine Hand, um seinen Männern zu signalisieren, dass sie es ihm gleichtun sollten. Dann kniff er die Augen zusammen und musterte ihre Ziele, wobei sein Atem den Stofffetzen benetzte, der den unteren Teil seines Gesichts verdeckte.

Zwei Geziri-Späher der Königsgarde, wie man es sich erzählte. In diesem verlassenen Teil des nördlichen Daevastana gab es haufenweise Gerüchte über sie. Anscheinend hatte man sie hergeschickt, damit sie die nördliche Grenze im Auge behielten; seine Quellen hatten ihm berichtet, dass das normal wäre, ein Routinebesuch, der ungefähr jedes halbe Jahrhundert erfolgte, um die Einheimischen wegen der Steuern zu belästigen und ihnen in Erinnerung zu rufen, dass sie sich nicht außerhalb der Reichweite von König Ghassan befanden. Allerdings war Dara aufgrund des Zeitpunkts misstrauisch geworden und erleichtert gewesen, als Banu Manizheh ihm auftrug, sie zu ihr zu bringen.

»Wäre es nicht einfacher, sie zu töten?«, war sein einziger Protest gewesen. Im Gegensatz zu dem, was man sich über ihn erzählte, genoss Dara das Töten nicht. Doch ebenso wenig gefiel ihm die Aussicht, dass zwei Geziri von seiner und Manizhehs Existenz erfuhren. »Das ist ein gefährliches Land. Ich kann es so aussehen lassen, als wären sie von Tieren angefallen worden.«

Manizheh hatte den Kopf geschüttelt. »Ich brauche sie lebend.« Ihre Miene war ernst geworden, denn seine Banu Nahida hatte ihn in den wenigen Jahren, die er ihr nun diente, möglicherweise schon zu gut kennengelernt. »Lebend, Darayavahoush. Das ist nicht verhandelbar.«

Aus diesem Grund waren sie jetzt hier. Sie hatten zwei Wochen gebraucht, um die Späher zu finden, und zwei Tage, um sie unauffällig vom Weg abzubringen, indem seine Männer die Grenzsteine immer wieder versetzten, damit die Geziri nicht dem bewährten Weg ins Dorf Sugdam folgten, sondern tief in den dichten Wald liefen, der die nahen Berge umgab.

Die Späher sahen elend aus, hatten sich in Felle und Filzdecken gehüllt und unter einer hastig errichteten Plane zusammengekauert. Ihr Feuer war sehr klein und verlor nach und nach den Kampf gegen den stetig fallenden Schnee. Der Ältere der beiden rauchte Pfeife, und der süße Duft brennenden Khats hing in der Luft.

Doch es waren nicht die Pfeifen, die Dara Sorge bereiteten, und auch nicht die Khanjar-Dolche, die in ihren Gürteln steckten. Nachdem er sich kurz im Lager umgeschaut hatte, entdeckte er die gesuchten Zulfiqare, die auf einigen Steinen gleich hinter den Spähern lagen. Die Lederscheiden waren in Filz gewickelt, um die Klingen vor dem Schnee zu schützen, aber Dara erkannte einen Griff, der daraus hervorragte.

Er fluchte leise. Erfahrene Zulfiqari wurden sehr geschätzt, und er hatte gehofft, der König hätte keine derart wertvollen Krieger auf etwas geschickt, das sich nach einer langweiligen Mission anhörte. Das Zulfiqar war während des Krieges gegen den Nahid-Rat entwickelt oder von den Engeln, die das Paradies bewachten, gestohlen worden, wie die ausgeschmückteren Geschichten behaupteten, und wirkte auf den ersten Blick wie ein etwas ungewöhnlicher Krummsäbel aus Kupfer mit gegabelter Klinge, ansonsten jedoch nicht weiter bemerkenswert.

Aber daran ausgebildete Geziri – und nur Geziri – konnten lernen, wie man aus der tödlichen Klinge des Zulfiqars giftige Flammen heraufbeschwor. Schon das leiseste Aufritzen der Haut bedeutete den Tod; die Wunden ließen sich nicht heilen, nicht einmal durch die Hand einer Nahid. Diese Waffe hatte letzten Endes den Krieg entschieden und die Herrschaft seines gesegneten und geliebten Nahid-Rats beendet, nachdem unzählige Daeva durch sie ums Leben gekommen waren.

Dara warf dem Krieger neben sich einen Blick zu. Mardoniye, einer der jüngsten. Er war Mitglied der Daeva-Brigade, des kleinen Kontingents aus Daeva-Soldaten, die einst in der Königsgarde hatten dienen dürfen. Nach Daras Tod auf dem Boot hatte man sie aus der Zitadelle gejagt; sie waren von Dschinn-Offizieren, die sie bis dahin als Kameraden angesehen hatten, aus den Kasernen gescheucht und mit nichts als der Kleidung am Leib auf den Großen Basar geschickt worden. Dort erwartete sie ein Shafit-Mob. Unbewaffnet und zahlenmäßig unterlegen hatten sie einen brutalen Angriff über sich ergehen lassen müssen, durch den mehrere Männer getötet wurden. Mardoniye hatte von diesem Kampf noch immer Rumi-Feuer-Verbrennungen im Gesicht und an den Armen.

Dara schluckte schwer, um die Sorge zu unterdrücken, die in ihm aufstieg. Er hatte seinen Männern deutlich zu verstehen gegeben, dass er sie bei der Gefangennahme der Geziri nicht unterstützen würde. Schließlich stellte dies eine der seltenen Gelegenheiten dar, ihren Ausbildungsstand auf die Probe zu stellen. Doch der Kampf gegen Zulfiqari war nicht derselbe wie der gegen normale Soldaten.

Dennoch … Sie mussten es lernen. Eines Tages würden sie Zulfiqari gegenüberstehen, so es der Schöpfer wollte. Sie würden gegen die gefährlichsten Krieger von Daevabad antreten müssen, und zwar in einem Kampf, den sie unbedingt für sich entscheiden mussten.

Der Gedanke ließ noch mehr lodernde Hitze in Daras Hände schießen. Er kämpfte bebend dagegen an, gegen diese neue, ungezügelte Kraft, die er noch immer nicht ganz beherrschte. Sie simmerte unter seiner Haut, und das Feuer wollte ständig hervorbrechen. Wenn er emotional wurde, rang er noch mehr damit als sonst … und die Aussicht, die jungen Daeva, die er seit Jahren ausbildete, könnten durch die Klinge einer Sandfliege ihr Ende finden, setzte ihm nun einmal sehr zu.

Du hast dein Leben lang Krieger ausgebildet und weißt, dass das hier nötig ist. Dara schob seine Bedenken beiseite.

Er stieß einen leisen Schrei aus, der an den einer Eule erinnerte. Einer der Dschinn blickte kurz auf. Schon schwärmten Daras Männer aus und sahen ihn im Gehen immer wieder mit ihren dunklen Augen an. Dara beobachtete, wie die Bogenschützen die Pfeile anlegten.

Er schnalzte mit der Zunge und gab ihnen dadurch das letzte Signal.

Die in Pech getauchten Pfeile der Bogenschützen entflammten mit magischem Feuer. Die Dschinn hatten weniger als eine Sekunde, um sie zu bemerken, bevor sie an ihnen vorbeisausten und in die Plane eindrangen. Im nächsten Augenblick brannte diese auch schon. Der größere Geziri – ein älterer Mann mit von Grau durchzogenem dunklem Bart – wirbelte herum und griff nach seinem Zulfiqar.

Mardoniye war bereits zur Stelle. Er trat die Klingen zur Seite und warf sich auf den Geziri. Die beiden rollten durch den Schnee und rangen miteinander.

»Abu Sayf!« Der jüngere Späher wollte seinem Gefährten zu Hilfe eilen – eine unkluge Entscheidung, da er dem Rest von Daras Männern, die gerade die Deckung verließen, nun den Rücken zuwandte. Sie warfen ihm ein mit Gewichten beschwertes Netz über den Kopf, zerrten ihn nach hinten und packten seine Arme. Nur wenige Augenblicke später hatten sie ihm den Khanjar entrissen und ihm Eisenfesseln um die Handgelenke geschlungen, die seine magischen Kräfte dämpfen sollten.

Mardoniye hatte seinen Gegner noch nicht bezwungen. Der Geziri – Abu Sayf – schlug ihm fest ins Gesicht und sprang los, um nach einem Zulfiqar zu greifen, das sofort in Flammen aufging. Mit der Waffe in den Händen drehte er sich wieder zu Mardoniye um.

Dara hatte sich schon den Bogen von der Schulter gerissen und einen Pfeil angelegt, bevor er überhaupt begriff, was er da tat. Lass ihn kämpfen!, verlangte der Afshin in ihm. Er glaubte schon, die Stimme seines Vaters, die seiner Onkel, seine eigene zu hören. In der Hitze des Kampfes war kein Platz für Gnade.

Aber, beim Schöpfer, er brachte es einfach nicht über sich, noch einen Daeva sterben zu sehen. Dara spannte den Bogen und hielt den Zeigefinger auf der zuckenden Feder, während die Sehne seine Wange streifte.

Mardoniye sprang dem Geziri jaulend gegen die Knie und schleuderte ihn in den Schnee. Einer von Daras Bogenschützen rannte los und schwang seinen Bogen wie eine Keule. Er traf Abu Sayfs Hand, der daraufhin das Zulfiqar fallen ließ, dessen Flammen bereits erloschen waren, bevor es am Boden auftrat. Der Bogenschütze schlug den Dschinn hart ins Gesicht, sodass dieser zusammensackte.

Es war vorbei.

Die Späher waren bereits gefesselt, als Dara ihr Feuer austrat. Rasch überprüfte er, ob der Bewusstlose noch einen Puls hatte. »Er lebt«, bestätigte er und war innerlich erleichtert. Dann zeigte er auf das kleine Lager. »Überprüft ihre Vorräte, und verbrennt alle Dokumente, die ihr finden könnt.«

Der andere Dschinn zerrte empört an seinen Fesseln. »Ich weiß nicht, was ihr Feueranbeter euch hier einbildet, aber wir gehören zur Königsgarde. Das ist Verrat! Wenn mein Garnisonskommandant erfährt, dass ihr euch in unsere Mission eingemischt habt, lässt er euch exekutieren!«

Mardoniye trat gegen einen großen Sack, der laut klirrte. »Das sind garantiert die ganzen Münzen, die sie unserem Volk geraubt haben.«

»Steuergelder«, fiel der Geziri mit schneidender Stimme ein. »Ich weiß ja, dass ihr hier draußen halbe Wilde seid, aber selbst ihr solltet eine grobe Vorstellung davon haben, wer hier das Sagen hat.«

Mardoniye schnaufte. »Unser Volk hat über Imperien geherrscht, als ihr Sandfliegen noch im Müll der Menschen herumwühlen musstet.«

»Das reicht.« Dara warf Mardoniye einen Blick zu. »Lasst die Münzen liegen. Wir nehmen nur ihre Waffen mit und ziehen uns zurück. Bringt sie wenigstens zwanzig Schritte weit weg.«

Der Geziri-Soldat wehrte sich und versuchte, sich zu befreien, als er auf die Beine gezerrt wurde. Dara wickelte sich langsam das Kopftuch ab, damit es nicht verbrannte, wenn er sich verwandelte. Dabei blieb es kurz an dem Sklavenring hängen, den er bisher noch nicht abzunehmen gewagt hatte.

»Dafür werdet ihr hängen!«, drohte der Dschinn. »Ihr dreckigen, eure Schwestern fickenden, das Feuer anbetenden …«

Daras Hand schoss vor, als Mardoniyes Augen aufblitzten. Er wusste nur zu gut, wie schnell die zwischen ihren Völkern brodelnde Anspannung überkochen konnte. Schon hatte er den Dschinn an der Kehle gepackt. »Der Weg zurück zu unserem Lager ist lang«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme. »Wenn ihr nicht höflich sein könnt, dann nehme ich euch die Fähigkeit zu sprechen.«

Der Blick des Dschinns zuckte über Daras nun unbedecktes Gesicht und verharrte auf seinem linken Wangenknochen. Mehr brauchte es nicht, damit er erbleichte.

»Nein«, flüsterte er. »Ihr seid tot. Ihr seid tot!«

»Das war ich«, stimmte Dara ihm eisig zu. »Jetzt bin ich es nicht mehr.« Er schaffte es nicht, sich die Verbitterung nicht anmerken zu lassen. Verärgert schubste er den Geziri in Richtung seiner Männer. »Euer Lager wird gleich von einem Rukh angegriffen. Ihr solltet lieber aus dem Weg gehen.«

Der Dschinn keuchte auf und blickte gen Himmel. »Wir werden was?«

Doch Dara hatte ihm längst den Rücken zugewandt. Er wartete, bis die Geräusche seiner Männer verklangen. Der Abstand diente nicht nur ihrem Schutz.

Dara wollte nicht, dass man ihn bei der Verwandlung beobachtete.

Er zog sich den Mantel aus und legte ihn auf den Boden. Hitze stieg in wabernden Wellen von seinen tätowierten Armen auf, und der Schnee um ihn herum schmolz, bevor die Flocken seine Haut auch nur berührten. Er schloss die Augen und holte tief Luft, während er sich wappnete. Diesen Teil verabscheute er am meisten.

Feuer brach aus seiner Haut hervor, und Licht durchflutete seine Gliedmaßen und ersetzte das übliche Braun. Er bebte am ganzen Körper und fiel mit zuckenden Gliedern auf die Knie. Es hatte zwei Jahre gedauert, um zu lernen, wie er zwischen seiner ursprünglichen Gestalt – der eines typischen Mannes seines Stammes, allerdings mit smaragdgrünen Augen – und der eines wahren Daeva, wie Manizheh ihn unbeirrt nannte, hin- und herwechseln konnte. Ihr Aussehen entsprach dem der Mitglieder seines Volkes, bevor Suleiman sie verändert hatte – es war die Gestalt, in der die Ifrit bis heute auftraten.

Daras Sehvermögen verbesserte sich, und er schmeckte Blut, als sich seine Zähne zu Fängen verlängerten. Er vergaß jedes Mal, sich auf diesen Teil vorzubereiten.

Seine klauenbewehrten Hände krallten sich in den vereisten Boden, während seine ungezügelte, rohe Macht zur Ruhe kam. Das geschah nur in dieser Gestalt, und er fand Frieden, indem er zu etwas wurde, das er hasste. Er stieß die Luft aus, wobei ihm glühende Asche aus dem Mund kam, bevor er sich aufrichtete.

Dann hob er die Hände, die von Rauch umgeben waren. Mit einer schnellen Bewegung seiner Krallen über ein Handgelenk ließ er einen Tropfen goldenen Blutes hervorquellen, der sich mit dem Rauch vermengte, größer wurde und in der Luft zuckte, während er Gestalt annahm. Flügel und Krallen, ein Schnabel und glänzende Augen. Er rang nach Luft, da ihn die Magie auszehrte.

»Ajanadivak«, murmelte er, wobei sich der Befehl auf seiner Zunge noch fremd anfühlte. Die ursprüngliche Sprache der Daeva, eine Sprache, an die sich nur eine Handvoll Ifrit noch erinnerte. Sie waren Manizhehs »Verbündete«, die sie dazu zwang, einem widerstrebenden Afshin die uralte Daeva-Magie beizubringen, die Suleiman seinem Volk genommen hatte.

Feuer drang aus dem Rukh hervor, als er einen lauten Schrei ausstieß. Er erhob sich in die Luft, unterstand noch immer Daras Befehl und zerstörte das Lager innerhalb weniger Minuten. Dabei krachte er auch durch das Blätterdach und fuhr mit den Krallen über die Baumstämme. Für jeden, der das Pech hatte, auf diesen Ort zu stoßen – Mitglieder der Königsgarde, die nach ihren beiden verschwundenen Kameraden suchten, obwohl Dara bezweifelte, dass sie überhaupt bis hierherkommen würden –, würde es so aussehen, als wären die Späher gefressen worden, während das Vermögen an Steuergeldern unberührt zurückgeblieben war.

Er ließ den Rukh frei, der sich auflöste, bis nur noch Glut vom Himmel herabfiel. Mit einer letzten Woge aus Magie verwandelte sich Dara zurück und unterdrückte ein schmerzhaftes Keuchen. Es tat immer weh und fühlte sich an, als würde sein Körper in einen engen, mit Dornen gespickten Käfig gepresst.

Wenige Augenblicke später war der wie immer loyale Mardoniye auch schon an seiner Seite. »Euer Mantel, Afshin«, sagte er und reichte Dara das Kleidungsstück.

Dara nahm es entgegen. »Danke«, sagte er mit klappernden Zähnen.

Der jüngere Mann zögerte. »Geht es Euch gut? Wenn ich Euch zur Hand gehen soll …«

»Es geht mir gut«, beharrte Dara, doch das war gelogen. Er spürte schon jetzt das schwarze Pech, das in seinem Magen brodelte; eine Nebenwirkung der Rückkehr in seinen sterblichen Körper, während seine neue Magie noch immer durch seine Adern toste. Doch er weigerte sich, diese Schwäche vor seinen Männern zu zeigen; er durfte nicht riskieren, dass Manizheh davon erfuhr. Ginge es nach der Banu Nahida, würde Dara für immer in der Gestalt bleiben, die er verabscheute. »Geh! Ich komme gleich nach.«

Er blickte ihnen hinterher, bis sie außer Sichtweite waren. Erst dann sackte er wieder auf die Knie. Ihm drehte sich der Magen um, und seine Gliedmaßen zitterten, während der Schnee lautlos um ihn herum zu Boden fiel.

Der Anblick ihres Lagers beruhigte Dara jedes Mal aufs Neue, die vertrauten Rauchwolken, die eine warme Mahlzeit versprachen, und die grauen Filzzelte, die mit dem Horizont verschmolzen und in denen ein bequemes Bett wartete. Das war ein wohltuender Luxus für jeden Krieger, der sich in den letzten drei Tagen hatte sehr zusammenreißen müssen, um einem besonders lästigen Dschinn nicht die Zunge rauszureißen. Überall liefen Daeva herum und waren fleißig dabei, zu kochen, zu trainieren, aufzuräumen und Waffen zu schmieden. Sie waren insgesamt um die achtzig verlorene Seelen, die Manizheh bei ihrer jahrelangen Wanderung aufgelesen hatte: die einsamen Überlebenden von Zahhak-Angriffen und unerwünschte Kinder, Exilanten, die sie vor dem Tode gerettet hatte, und die Überreste der Daeva-Brigade. Alle hatten ihr die Treue geschworen, einen Eid abgelegt, der ihnen die Zungen und Hände verrotten ließ, wenn sie es wagten, ihn zu brechen.

Er hatte vierzig von ihnen zu Kriegern gemacht, darunter auch einige junge Frauen. Anfangs war Dara strikt dagegen gewesen und hatte dies als unorthodox und unschicklich angesehen, bis Banu Manizheh unverblümt erklärte, wenn er für eine Frau kämpfen konnte, sollte er doch auch in der Lage sein, das neben einer zu tun. Wohl oder übel hatte er ihr zugestimmt. Eine dieser Frauen mit dem Namen Irtemiz war inzwischen seine begabteste Bogenschützin.

Doch seine gute Laune verflog, kaum dass er einen Blick auf die Koppel geworfen hatte. Dort stand ein neues Pferd: eine goldfarbene Stute, deren fein gefertigter Sattel über dem Zaun hing.

Dara wurde das Herz schwer. Er kannte dieses Pferd.

Kaveh e-Pramukh war frühzeitig eingetroffen.

Ein Keuchen in seinem Rücken erregte seine Aufmerksamkeit. »Das ist Euer Lager?« Die Stimme gehörte Abu Sayf, dem Zulfiqari, der Mardoniye beinahe getötet hatte und der sich während der langen Rückreise als deutlich angenehmer als sein jüngerer Stammesgenosse erwiesen hatte. Der Mann stellte die Frage in flüssigem Divasti; er hatte Dara erzählt, dass er seit Jahrzehnten mit einer Daeva verheiratet war. Der Blick seiner grauen Augen wanderte über die ordentliche Reihe aus Zelten und Wagen. »Ihr bleibt in Bewegung«, stellte er fest. »Ja, das hatte ich mir gedacht. Auf diese Weise fällt man nicht so leicht auf.«

Dara sah ihm in die Augen. »Ihr solltet derartige Bemerkungen besser für Euch behalten.«

Abu Sayfs Miene überschattete sich. »Was habt Ihr mit uns vor?«

Keine Ahnung. Das war auch etwas, worüber Dara nicht nachdenken wollte – erst recht nicht, wo er beim Anblick von Kavehs Pferd derart nervös wurde, dass sich ihm der Magen umdrehte.

Er warf Mardoniye einen Blick zu. »Sorgt dafür, dass die Dschinn nicht entkommen können, aber bringt ihnen Wasser zum Waschen und etwas Warmes zu essen.« Er hielt inne und musterte seine müden Soldaten. »Dasselbe gilt auch für euch. Ihr habt euch die Ruhe mehr als verdient.«

Dara hielt auf das Hauptzelt zu. Sein Innerstes war in hellem Aufruhr. Was sagte man zum Vater eines Mannes, den man fast umgebracht hätte? Nicht dass Dara so etwas beabsichtigt hatte; er erinnerte sich an rein gar nichts, was seinen Angriff auf das Kriegsschiff betraf. Die Zeit zwischen Nahris seltsamem Wunsch und dem Moment, in dem Ali in dieser unheilvollen Nacht in den See gestürzt war, glich einer dichten Nebelbank. Doch er wusste noch viel zu gut, was er danach gesehen hatte: die Leiche des freundlichen jungen Mannes, den er unter seine Fittiche genommen hatte, die auf dem Deck lag und in deren Rücken mehrere von Daras Pfeilen steckten.

Vor Nervosität zog sich sein Magen zusammen. Vor der Zeltklappe räusperte sich Dara, um die Personen darin auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen. »Banu Nahida?«

»Komm herein, Dara.«

Er betrat das Zelt und musste sofort noch heftiger husten, als er die Wolke sauren lilafarbenen Rauchs einatmete, die ihn empfing – eines von Manizhehs zahlreichen Experimenten. Diese befanden sich auf dem riesigen Schiefertisch, den sie auf ihren Wunsch hin ständig mit sich herumschleppten, wobei allein ihre Ausrüstung einen ganzen Wagen füllte.

Nun saß sie auf einem Kissen an diesem Tisch hinter einer schwebenden Glasflasche und hielt eine lange Pinzette in der Hand. Eine lilafarbene Flüssigkeit kochte in der Flasche, von der auch der Rauch ausging.

»Afshin«, begrüßte sie ihn herzlich und ließ ein kleines, silbernes, zappelndes Objekt in die blubbernde Flüssigkeit fallen. Ein metallisches Kreischen ertönte, und dann trat sie zurück und zog ihr Gesichtstuch zur Seite. »War deine Mission erfolgreich?«

»Die Geziri-Späher werden in diesem Augenblick eingesperrt«, antwortete er und stellte erleichtert fest, dass er Kaveh nirgendwo sehen konnte.

Manizheh musterte ihn skeptisch. »Lebend?«

Dara runzelte die Stirn. »Wie verlangt.«

Ein leises Lächeln umspielte ihren Mund. »Freut mich zu hören. Bitte sag deinen Männern, sie sollen mir so schnell wie möglich eines ihrer Relikte bringen.«

»Eines ihrer Relikte?« Die Dschinn trugen ebenso wie die Daeva Relikte bei sich – etwas Blut, manchmal einen Milchzahn oder eine Haarlocke, oftmals zusammen mit einem oder zwei heiligen Versen, alles in Metall verschmolzen und stets direkt am Körper. Das waren Schutzmaßnahmen, mit denen eine Seele in einen beschworenen Körper zurückgebracht werden konnte, sollte man je von einem Ifrit versklavt werden. »Was wollt Ihr mit ihren …«

Seine Stimme brach. Kaveh e-Pramukh war aus dem inneren Raum zu ihnen getreten.

Dara konnte mit Müh und Not verhindern, dass ihm die Kinnlade herunterfiel. Er war sich nicht sicher, was ihn mehr erstaunte: dass Kaveh aus der kleinen Privatkammer kam, in der Manizheh schlief, oder dass der Großwesir schrecklich aussah. Er schien um fünfzehn und nicht nur fünf Jahre gealtert zu sein, sein Gesicht war von tiefen Falten durchzogen und sein Haar und sein Schnurrbart fast vollständig silbrig geworden. Zudem sah er sehr dünn aus, und die dunklen Ringe unter seinen Augen ließen auf einen Mann schließen, der zu viel gesehen hatte und zu wenig schlief.

Aber, beim Schöpfer, jetzt sahen ihn diese Augen an. Und als sie es taten, stand darin die ganze Wut und der Verrat, die seit jener Nacht auf dem Boot zweifellos in diesem Mann tobten.

Manizheh hielt den Wesir am Handgelenk fest. »Kaveh«, sagte sie leise.

Die eingeübten Worte der Reue waren auf einmal aus Daras Kopf verschwunden. Er durchquerte den Raum und fiel auf die Knie.

»Es tut mir unendlich leid, Kaveh.« Die Entschuldigung kam ihm ungelenk über die Lippen. »Ich wollte ihm nie wehtun und hätte eher die Klinge gegen mich selbst gerichtet als …«

»Vierundsechzig«, unterbrach Kaveh ihn mit eisiger Stimme.

Dara blinzelte. »Wie bitte?«

»Vierundsechzig. So viele Daeva wurden in den Wochen nach Eurem Tod getötet. Einige starben nach einem Verhör, Unschuldige, die nichts mit Eurer Flucht zu tun hatten. Andere, weil sie gegen das protestierten, was sie als ungerechten Mord an Euch durch die Hand von Prinz Alizayd ansahen. Der Rest, weil Ghassan die Shafit auf uns hetzte, um unseren Stamm mit Gewalt zum Gehorsam zu zwingen.« Kaveh presste die Lippen aufeinander. »Wenn Ihr mir schon mit nutzlosen reumütigen Worten kommt, solltet Ihr zumindest das Ausmaß kennen, für das Ihr die Verantwortung tragt. Mein Sohn lebt. Andere mussten sterben.«

Daras Wangen brannten. Glaubte Kaveh tatsächlich, er würde nicht bitterlich bereuen, was seine Taten heraufbeschworen hatten? Dass er nicht jeden Tag an seinen Fehler erinnert wurde, wenn er die traumatisierten Überreste der Daeva-Brigade trainierte?

Er mahlte mit dem Kiefer. »Dann hätte ich Eurer Meinung nach also tatenlos zusehen sollen, wie man Banu Nahri zwingt, diese wollüstige Sandfliege zu heiraten?«

»Ja«, antwortete Kaveh rundheraus. »Genau das hättet Ihr tun müssen. Ihr hättet Euren verdammten Kopf senken und den Gouverneursposten in Zariaspa annehmen müssen. Dann hättet Ihr jahrelang unauffällig eine Miliz in Daevastana ausbilden können, während Banu Nahri den Qahtanis ein falsches Gefühl des Friedens vorgaukelte. Ghassan ist kein junger Mann mehr. Alizayd und Muntadhir wären mit Leichtigkeit dazu zu bewegen gewesen, sich zu bekämpfen, nachdem Muntadhir erst einmal den Thron bestiegen hätte. Wir hätten mit ansehen können, wie sich die Geziri selbst zerstörten, und dann mit minimalem Blutvergießen alles übernommen.« Seine Augen funkelten. »Ich habe Euch von unseren Verbündeten und der Unterstützung außerhalb von Daevabad erzählt, weil ich Euch vertraut habe. Weil ich nicht wollte, dass Ihr etwas Unüberlegtes unternehmt, bevor wir bereit dazu waren.« Seine Stimme wurde spöttisch. »Aber ich wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, der vermeintlich clevere Darayavahoush e-Afshin, der Rebell, der beinahe Zaydi al Qahtani geschlagen hätte, könnte alles aufs Spiel setzen, weil er weglaufen wollte.«

Das Feuer unter Manizhehs Flasche loderte auf, nahezu im Einklang mit Daras Wut. »Ich bin nicht weggelaufen …«

»Das reicht«, schaltete sich Manizheh ein und starrte die beiden Männer erbost an. »Beruhige dich, Afshin. Kaveh …« Sie schüttelte den Kopf. »Ungeachtet der Konsequenzen hat Dara so gehandelt, um meine Tochter vor einem Schicksal zu bewahren, gegen das ich jahrzehntelang angekämpft habe. Das kann ich ihm nicht vorwerfen. Und wenn du denkst, Ghassan hätte nicht nach einer Ausrede gesucht, um hart gegen die Daeva durchzugreifen, kaum dass eine Nahid und ein Afshin durch die Tore von Daevabad geschritten waren, dann kennst du ihn offensichtlich bei Weitem nicht so gut, wie du glaubst.« Sie bedachte die beiden Männer erneut mit einem stechenden Blick. »Wir sind nicht hier, um einander an die Gurgel zu gehen.« Bei diesen Worten deutete sie auf mehrere Bodenkissen, die um einen Feueraltar herumlagen. »Setzt euch!«

Derart gescholten gehorchte Dara, erhob sich und ging auf die Kissen zu. Wenige Augenblicke später tat Kaveh dasselbe, sah jedoch dabei immer noch wütend aus.

Manizheh setzte sich in die Mitte. »Würdest du bitte etwas Wein heraufbeschwören?«, bat sie Dara. »Ich schätze, den könnt ihr beide brauchen.«

Dara war sich ziemlich sicher, dass Kaveh ihm den Wein lieber ins Gesicht schütten würde, doch er gehorchte. Mit einem Fingerschnippen ließ er drei Messingkelche erscheinen, in denen der dunkle Bernsteinton von Dattelwein schimmerte.

Er nippte daran und versuchte, sich zu beruhigen. Indem er Feuer explodieren ließ, würde er Kavehs Sorgen hinsichtlich seines Temperaments nicht beschwichtigen. »Wie geht es ihm?«, erkundigte er sich zaghaft. »Jamshid, meine ich. Falls ich es erfahren darf.«

Kaveh starrte den Altar an. »Er ist ein ganzes Jahr lang nicht aufgewacht. Es dauerte ein weiteres, bis er sich aufsetzen und seine Hände benutzen konnte. Zum Laufen benötigt er nun einen Gehstock, aber …« Seine Stimme brach, und seine Hand zitterte so stark, dass er fast seinen Wein verschüttet hätte. »Er kommt nicht gut mit seinem Zustand zurecht. Dafür war er zu gern ein Krieger … Er wollte so sein wie Ihr.«

Die Worte trafen Dara wie ein Schlag. Beschämt senkte er den Blick, bemerkte jedoch noch, dass Manizheh ihren Kelch fest umklammerte und ihre Fingerknöchel weiß anliefen.

Dann ergriff sie das Wort. »Es wird ihm wieder gut gehen, Kaveh. Das verspreche ich dir. Jamshid wird gesund und ganz sein und alles bekommen, was ihm verwehrt wurde.«

Die Intensität in ihrer Stimme verblüffte Dara. In all den Jahren, die er sie kannte, war Manizheh stets unerschütterlich ruhig geblieben. Sogar richtiggehend beruhigend. Sie besaß die Art von absoluter Unerschütterlichkeit, die er von Anführern erwartete.

Sie sind Freunde, rief er sich ins Gedächtnis. Da kam es wenig überraschend, dass sie einen derartigen Beschützerinstinkt für Kavehs Sohn empfand.

Da Jamshid vermutlich nicht das sicherste Thema war, entschied Dara, es zu wechseln, während er daran arbeitete, die Magie zu beruhigen, die durch seine Adern strömte. »Und wie geht es Banu Nahri?«, fragte er und zwang sich, dabei höflich distanziert zu wirken.

»Sie überlebt«, antwortete Kaveh. »Ghassan hält sie an der kurzen Leine, genau wie uns alle. Kein Jahr nach Eurem Tod wurde sie mit Muntadhir verheiratet.«

»Er hat sie zweifellos dazu gezwungen«, warf Manizheh betrübt ein. »Wie ich bereits erwähnte, hat er jahrzehntelang dasselbe bei mir versucht. Er war besessen davon, unsere Familien zu vereinen.«

»Tja, aber er hat sie eindeutig unterschätzt. Sie hat Ghassan bei den Eheverhandlungen jedes nur denkbare Zugeständnis abgerungen.« Kaveh trank einen Schluck Wein. »Es war richtiggehend beängstigend, das mit anzusehen. Doch der Schöpfer möge sie segnen. Später hat sie den Großteil ihrer Mitgift dem Tempel überschrieben. Das Geld wird für wohltätige Zwecke genutzt: eine neue Mädchenschule, ein Waisenhaus und die Unterstützung der Daeva, die beim Angriff auf dem Großen Basar so gut wie alles verloren haben.«

»Sie muss bei unserem Volk sehr beliebt sein. Ein cleverer Schachzug«, meinte Manizheh leise, bevor ihre Miene grimmig wurde. »Und was den anderen Teil ihrer Ehe angeht … Nisreen hat alles im Griff, nehme ich an?«

Kaveh räusperte sich. »Es wird kein Kind aus der Vereinigung hervorgehen.«

Daras Innerstes hatte sich die ganze Zeit in hellem Aufruhr befunden, doch Kavehs sorgsam formulierte Antwort ließ ihn beinahe durchdrehen. Das klang nicht so, als hätte Nahri in der Sache irgendein Mitspracherecht.

Die Worte kamen ihm bereits über die Lippen, bevor er es verhindern konnte. »Ich denke, wir sollten ihr die Wahrheit über das sagen, was wir vorhaben. Eurer Tochter, meine ich«, stieß er hervor. »Sie ist klug und entschlossen und könnte uns nützlich sein.« Dara räusperte sich. »Und beim letzten Mal schien es ihr nicht zu … gefallen, im Dunkeln gelassen zu werden.«

Aber Manizheh schüttelte schon den Kopf. »So ist es sicherer für sie. Hast du auch nur eine Ahnung, was Ghassan ihr antun würde, wenn unsere Verschwörung ans Licht käme? Ihre Unschuld kann sie noch etwas länger beschützen.«

Kaveh wirkte nicht ganz so entschlossen. »Nisreen hat dasselbe vorgeschlagen, Banu Nahida. Sie ist deiner Tochter sehr nahe gekommen und lügt sie nur äußerst ungern an.«

»Und wenn Nahri Bescheid wüsste, könnte sie sich besser schützen«, gab Dara zu bedenken.

»Oder sie würde uns alle auffliegen lassen«, konterte Manizheh daraufhin. »Sie ist jung, sie steht unter Ghassans Knute, und sie hat bereits bewiesen, dass sie eine Vorliebe dafür hat, Vereinbarungen mit Dschinn zu treffen. Wir können ihr nicht vertrauen.«

Dara versteifte sich. Diese recht knappe Einschätzung von Nahri behagte ihm gar nicht, doch er gab sich Mühe, sich das nicht anmerken zu lassen. »Banu Nahida …«

Manizheh hob eine Hand. »Das steht nicht zur Debatte. Keiner von euch kennt Ghassan so gut wie ich. Ihr wisst nicht, wozu er in der Lage ist. Welche Mittel und Wege er findet, um die Personen zu bestrafen, die man liebt.« Alte Trauer flackerte kurz in ihren Augen auf. »Sicherzustellen, dass er einer weiteren Generation von Nahid nicht ebenfalls so etwas antun kann, ist weitaus wichtiger als das Gefühl meiner Tochter, im Dunkeln gelassen zu werden. Sie kann mich deswegen gern anschreien, wenn von Ghassan nichts als Asche mehr übrig ist.«

Dara senkte den Blick und nickte nur knapp.

»Vielleicht könnten wir dann jetzt über unsere Vorbereitungen sprechen«, schlug Kaveh vor. »Navasatem steht kurz bevor, und das wäre ein hervorragender Zeitpunkt für einen Angriff. Die Stadt wird sich ins Chaos der Feierlichkeiten stürzen, und die Aufmerksamkeit des Palastes richtet sich einzig und allein auf den Feiertag.«

»Navasatem?« Dara hob ruckartig den Kopf. »Navasatem ist in nicht einmal acht Monaten. Ich habe vierzig Männer.«

»Und?« Kaveh bedachte ihn mit einem herausfordernden Blick. »Ihr wurdet von Suleimans Fluch befreit, oder etwa nicht? Könnt Ihr die Zitadelle nicht mit bloßen Händen in Stücke reißen und Eure Blutbestien auf die Stadt loslassen? Laut Banu Manizheh seid Ihr dazu in der Lage. Nur das ist der Grund, weshalb Ihr zurückgeholt wurdet.«

Dara umklammerte seinen Kelch. Er wusste, dass er als Waffe angesehen wurde, doch diese unverblümte Einschätzung seines Wertes wurmte ihn dennoch. »Es ist weitaus komplizierter. Ich lerne noch immer, meine neuen Fähigkeiten zu kontrollieren. Und meine Männer müssen besser ausgebildet werden.«

Manizheh berührte seine Hand. »Du bist zu bescheiden, Darayavahoush. Ich denke vielmehr, du bist ebenso bereit wie deine Männer.«

Dara schüttelte den Kopf, denn in militärischen Angelegenheiten gab er bei Weitem nicht so schnell nach wie in persönlichen. »Wir können Daevabad nicht mit vierzig Männern einnehmen.« Er sah Manizheh und Kaveh eindringlich an und hoffte innerlich, dass sie auf ihn hören würden. »Bevor ich von den Ifrit getötet wurde, habe ich jahrelang überlegt, wie man die Stadt am besten erobern kann. Daevabad ist eine Festung. Die Stadtmauern lassen sich nicht erklimmen, und man kann sie auch nicht untertunneln. In der Zitadelle befinden sich mehrere tausend Soldaten …«

»Zwangsverpflichtete«, fiel Kaveh ein. »Schlecht bezahlt und von Tag zu Tag aufmüpfiger. Und nachdem Alizayd nach Am Gezira geschickt wurde, haben sich wenigstens ein Dutzend Geziri-Offiziere abgesetzt.«

Jeglicher Gedanke an eine Belagerung von Daevabad war vergessen. »Alizayd al Qahtani ist in Am Gezira?«, fragte Dara.

Kaveh nickte. »Ghassan hat ihn nur wenige Tage nach Eurem Tod weggeschickt. Ich dachte, es wäre nur vorübergehend, bis sich alles beruhigt hätte, aber er ist nicht wieder zurückgekehrt. Nicht einmal zu Muntadhirs Hochzeit.« Er trank noch etwas Wein. »Irgendetwas geht da vor sich, doch das ist schwer zu ergründen; die Geziri verbergen ihre Geheimnisse gut.« Ein Hauch von Freude überzog die Miene des älteren Mannes. »Wobei ich zugeben muss, dass ich nur zu gern mit angesehen habe, wie er in Ungnade fiel. Er ist ein Fanatiker.«

»Er ist weitaus mehr als das«, murmelte Dara. Ein Summen dröhnte in seinen Ohren, und Rauch waberte um seine Finger. Alizayd al Qahtani, der selbstgerechte verwöhnte Knabe, der ihn zur Strecke gebracht hatte. Der junge Krieger, dessen gefährliche Kombination aus tödlichen Fähigkeiten und bedingungslosem Glauben Dara etwas zu sehr an sein jüngeres Ich erinnerte.

Was sich daraus entwickelt hatte, wusste niemand besser als er. »Er sollte beseitigt werden«, erklärte er. »Und zwar schnell. Bevor wir Daevabad angreifen.«

Manizheh musterte ihn skeptisch. »Meinst du nicht, Ghassan könnte Verdacht schöpfen, wenn sein Sohn tot in Am Gezira aufgefunden wird? Vielleicht sogar derart brutal abgeschlachtet, wie du es dir gerade ausmalst?«

»Es ist das Risiko wert«, beharrte Dara. »Ich war ebenfalls ein junger Krieger im Exil, als Daevabad fiel und meine Familie abgeschlachtet wurde.« Er ließ die Worte einen Augenblick wirken. »Ich empfehle nachdrücklich, einem solchen Feind nicht die Gelegenheit zum Wachsen zu geben. Und ich würde nicht brutal vorgehen«, fügte er rasch hinzu. »Wir haben mehr als genug Zeit, um ihn aufzuspüren und uns seiner auf eine Art und Weise zu entledigen, die bei Ghassan keinen Verdacht aufkommen lässt.«

Manizheh schüttelte den Kopf. »Nein, dafür ist nicht genug Zeit. Wenn wir Daevabad während Navasatem angreifen wollen, kann ich nicht zulassen, dass du wochenlang durch die Ödlande von Am Gezira wanderst.«

»Wir werden nicht während Navasatem angreifen«, entgegnete Dara, dem ihre Dickköpfigkeit langsam auf die Nerven ging. »Ich kann noch nicht einmal die Schwelle überqueren und Daevabad auch nur betreten, ganz zu schweigen davon, die Stadt zu erobern.«

»Die Schwelle ist nicht der einzige Weg, auf dem man nach Daevabad gelangen kann«, erklärte Manizheh gelassen.

»Was?«, fragten Dara und Kaveh wie aus einem Mund.

Manizheh nippte an ihrem Wein und schien die schockierten Mienen der beiden Männer zu genießen. »Die Ifrit glauben, dass es noch einen anderen Weg nach Daevabad gibt … Einen, für den du dich bei Alizayd al Qahtani bedanken kannst. Oder vielmehr den Kreaturen, die nun Besitz von ihm ergriffen haben.«

»Den Kreaturen, die von ihm Besitz ergriffen haben«, wiederholte Dara mit hohler Stimme. Er hatte Manizheh alles über diese Nacht auf dem Boot erzählt. Über die Magie, die über ihn gekommen war und ihm den Verstand geraubt hatte. Über den Prinzen, der dem tödlichen See von Daevabad entstiegen war, mit Tentakeln und Schuppen bedeckt und in einer Sprache vor sich hin murmelnd, die Dara noch nie gehört hatte, während er eine tropfende Klinge hob. Sie war zu demselben unmöglichen Schluss gekommen. »Das heißt doch nicht etwa …«

»Es heißt, dass es Zeit wird, mit den Marid zu sprechen.« Manizheh wirkte nun doch etwas erhitzter. »Es ist Zeit, uns für das zu rächen, was sie getan haben.«

Das Königreich aus Kupfer - Daevabad Band 2

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