Читать книгу Dünner als Blut - Schweden-Krimi - Åsa Nilsonne - Страница 10

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Monika ging durch die automatischen Schwingtüren, die jedes Jahr eine große Anzahl neuer Patienten ins Krankenhaus führten.

Es war schön, aus der kalten Berührung des Nebels in die Wärme zu treten. Monika holte tief Luft. Der Architekt des Krankenhauses hatte vielleicht eine Phase von Kontrasten durchlebt? Kaltes, verschlossenes und geheimnisvolles Äußeres, drinnen Wärme, ein halber Dschungel in Töpfen, eine Cafeteria, ein Kiosk und ein Blumenladen. Oder wollte jemand das abweisende Äußere durch um so mehr Wärme ausgleichen? Es konnte aber auch ein Bestandteil der Indoktrinierung sein – erst soll man erschrecken, den Mut angesichts des gewaltigen und unübersichtlichen Apparates verlieren, in den man sich hineinbegeben muß, krank und unterlegen, wie man ist. Dann tritt man ein und stößt auf Wärme, Licht, Bewegung, menschliche Aktivitäten in begreiflichem Maßstab, und man fühlt sich erleichtert, ein Teil des Mutes stellt sich wieder ein, man ist dem Krankenhaus dankbar und hat bereits vergessen, daß gerade das Krankenhaus einem den Mut genommen hatte.

Es wirkte fast ungehörig, nach der Pathologie zu fragen, eine taktlose Erinnerung daran, daß nicht alles aus kunstfertigen Blumengestecken für frisch operierte Verwandte bestand, die in vier Tagen nach Hause kommen würden; aber wenn die Frau am Informationsschalter nun verärgert war, so zeigte sie es nicht. Sie erteilte Monika eine so klare Auskunft, daß die sich nicht noch einmal zu erkundigen brauchte, bis sie vor einer Glastür mit der Aufschrift »Pathologisches Institut« stand.

Hinter dieser Tür erwartete sie ein schlaksiger junger Mann mit einer Brille, die teilweise von einem Schopf aus den glattesten Haaren verborgen wurde, die Monika je gesehen hatte. Der junge Mann erklärte, daß der Professor sich leider nicht wohl gefühlt habe und deshalb nach Hause gegangen sei, aber daß er selber mit allen nötigen Auskünften zur Verfügung stehe. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und hatte sekundenlang freie Sicht, dann fiel ihm der Schopf wieder über die Brille. Er lachte, als wolle er um Entschuldigung bitten.

»Ich heiße übrigens Bertram Schwieter und bin eigentlich ganz weit unten in der Hackordnung hier im Institut, aber ausgerechnet heute sind alle krank, bis auf einen, den sie letzte Woche eingestellt haben, und deshalb bin ich beauftragt worden, Ihnen so weit wie möglich zu helfen.«

Monika spielte mit dem Gedanken, ihm zu erzählen, daß ihre Situation ganz ähnlich war, fühlte sich aber nicht selbstsicher genug, um das zu wagen.

»Als allererstes möchte ich den Toten sehen.« Monika hoffte, kompetent zu wirken.

»Ist schon klar, er liegt im Obduktionssaal, wir haben nichts angefaßt, seit wir angerufen haben.«

Auf einem Obduktionstisch aus rostfreiem Stahl lag die Leiche eines kleinwüchsigen, dünnen Mannes in mittleren Jahren. Er lag mit einem schwachen Lächeln um die blassen Lippen auf dem Rücken, und deshalb sah sein Kopf aus, als wisse er nichts davon, daß seine Bauchhöhle geöffnet worden war und seine inneren Organe, sorgfältig auf Tabletts arrangiert, überall herumstanden. Monika sah sofort die Blutergüsse des Mannes und fragte Bertram, wie sie entstanden waren. Bertram wußte das nicht, sagte jedoch entschuldigend, daß der amerikanische Professor, der die Leiche obduziert hatte, zu dem Befund gekommen war, daß sie nicht durch eine Mißhandlung entstanden waren und daß sie für die Todesursache keine Rolle spielten.

»Was wissen wir über die Umstände des Todesfalles?« fragte Monika.

»Ich weiß auch nicht mehr, als in seinen Papieren steht. Offenbar hatte er mehrmals Magenblutungen, er wurde zuletzt vor zwei Wochen in der Chirurgie behandelt, dann wurde er in guter Verfassung entlassen, erschien gestern morgen aber in der psychiatrischen Ambulanz, und da fiel er im Wartezimmer um und war tot.«

»In der Psychiatrie? Was wollte er denn da?«

Bertram machte ein unglückliches Gesicht, als ob man ihm persönlich vorwerfen könnte, daß Gösta diesen ungewöhnlichen Weg in die Pathologie gewählt hatte.

»Das weiß ich nicht. Wir scheinen noch keine Papiere von dort zu haben, wir werden sie so schnell wie möglich besorgen, im Moment steht alles kopf; ich weiß wirklich nicht mehr.«

»Es gibt keinen Polizeibericht, und Sie wissen nicht, ob er in eine Schlägerei geraten sein kann?«

Bertram schüttelte den Kopf und sah Monika so niedergeschlagen an, daß sie das Thema wechselte und darum bat, die Organe sehen zu dürfen.

Bertram führte ihr den Befund vor, so gut er konnte, er zeigte die Blutungen, die Leber, den leeren blutigen Magen und erklärte Hayakawas Argumentation.

»Jaaa«, Monika sagte das leicht gedehnt, »dann brauchen wir eine gerichtsmedizinische Obduktion und eine technische Untersuchung, ob hier wirklich ein Mord vorliegen kann.«

Sie blickte zum Obduktionstisch hinüber.

»Es ist wohl noch alles vorhanden?«

Bertram nickte.

»Daß wir nicht selber daran gedacht haben! Aber das ist für uns ja auch eine ganz neue Situation . . .«

Monika konnte sich in letzter Sekunde an dem Geständnis hindern, daß die Situation für sie mindestens ebenso neu war. Bertram versuchte, der Verantwortung zu entsprechen, die ihm auferlegt worden war.

»Ich werde ihnen Bescheid sagen, oder ist das Sache der Polizei? Schwierig zu wissen, wer wofür zuständig ist.«

Er sah Monika zögernd an, als ob er sich von ihr kaum Hilfe verspräche. Seine Unsicherheit ließ ihr Selbstvertrauen plötzlich auflodern: Vielleicht wußte sie nicht sehr viel, aber sie wußte jedenfalls mehr als irgend jemand sonst hier und jetzt. Sie antwortete, sie werde die Gerichtsmedizin und die Technik anrufen. Monika befürchtete, daß ihr Gespräch mit der Gerichtsmedizin auf dieselbe Skepsis treffen könnte, die Bo Ekdal bei der Kripo widerfahren war. Die Gerichtsmediziner hatten sicher auch ihre Scherzkekse.

In der Gerichtsmedizin war alles ruhig, so ruhig, wie es in einer Institution überhaupt nur sein kann, die viel zu wenig Kapazitäten für die Arbeit hat, die durchgeführt werden muß. Monikas Anruf wurde von Doktor Derek Cramer entgegengenommen, einem vierzigjährigen Amerikaner, der sich in Stockholm niedergelassen hatte, weil er seine schwedische Frau liebte und diese sich in den Staaten nicht wohl fühlte.

Er hörte sich fast belustigt an und glaubte Gott sei Dank nicht, daß Monika sich einen Scherz erlaubte.

»Die Pathologie hat einen möglichen Mord entdeckt? Das hätte ich denen wirklich nicht zugetraut.«

Er ließ sich die Details berichten, die Monika liefern konnte, und sie verabredeten, daß er gleich in die Pathologie kommen würde, ein Spaziergang von höchstens zehn Minuten.

Das Telefonat mit der Technik war schwieriger. Monika hatte vergessen, sich die Durchwahl geben zu lassen, sie hing bei der Telefonzentrale mehrere Minuten in der Warteschleife und fand es dann schwer zu erklären, wer sie war und mit wem sie verbunden werden wollte. Schließlich hatte sie einen Kriminalinspektor an der Strippe, der sich als Allan Larsson vorstellte. Allan Larsson hatte eine tiefe, weiche und ernste Stimme, er hörte interessiert zu und sagte dann verschwörerisch:

»Hier ist fast niemand, alle liegen mit vierzig Grad Fieber zu Hause. Der Rest wird mit dieser verdammten Botschaftsbesetzung geplagt. Wir sollen alles stehen und liegen lassen und undeutliche Fotos von allerlei Waffen analysieren, angeblich um ein, wie sie sagen, strategisches Vorgehen begründen zu können. Es ist so blöd, daß man heulen könnte. Das habe ich aber nicht vor und werde mir statt dessen Ihre Leiche ansehen. Allerdings weiß ich nicht, was der Chef sagen wird, wenn er das merkt. Wollte der Gerichtsmediziner sofort anfangen?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete Monika und konnte nicht begreifen, warum sie vergessen hatte, danach zu fragen. »Aber das muß doch wohl so sein, sonst verderben die Organe sicher.« »Das glaube ich auch. Ich fahre sofort in die Gerichtsmedizin. Bis dann! Auf Wiederhören!«

Sie hatte das Gespräch gerade beendet, als Bertram mit Cramer erschien. Er sah sich Gösta Persson an, der zum Teil in ordentliche Scheiben geschnitten dalag.

»Ist das nicht passiert, ehe euch der Verdacht gekommen ist, hier könnte etwas nicht stimmen?«

Das hätte Monika auch fragen sollen, sie sah es ein, aber nun würde sie immerhin die Antwort hören.

Bertram erklärte Cramer, der wußte, wer Hayakawa war und was er bedeutete, die Geschichte von der Obduktion.

Derek Cramer betrachtete Gösta Persson mit neuem Respekt.

»Ich habe mir ja schon gedacht, daß der ungewöhnlich hübsch aussieht. Scherz beiseite, der Typ soll brillant sein. War er das?«

»Da kannst du dir deine eigene Meinung bilden. Wir haben das Ganze auf Video aufgenommen – aber wer von euch bekommt denn nun die Kassette?«

Monika und Derek blickten einander überrascht an. Derek ergriff die Initiative:

»Wenn du bis morgen warten kannst, dann wäre es für mich sehr gut. Das ist gar nicht leicht, erst zum Schluß einzusteigen.«

Monika dachte kurz nach. Dann sagte sie:

»Das Video ist ein wichtiger Beweis, und ich weiß nicht, ob ich es einfach so aus der Hand geben kann.«

Ihre Unsicherheit lähmte alle für einen Moment, aber dann schlug Bertram vor, das Video kopieren zu lassen, dann konnte Monika das Original behalten und Derek die Kopie überlassen. Diese Idee wurde dankbar aufgenommen, und Derek fuhr fort: »Hayakawa war der Ansicht, daß der Patient an Blutungen gestorben ist, die sich aus seinem Allgemeinzustand heraus nicht erklären ließen. Er überlegte, ob eine Vergiftung vorliegen könnte. Schwer zu sagen, aber wir werden das Blut und die übrigen Körperflüssigkeiten analysieren. Dann sehen wir nach, ob die Blutzentrale noch Proben von der letzten Behandlungsrunde hat, das müßten sie eigentlich. Ja, wir tun unser Bestes.«

»Ich kümmere mich um die Formalitäten«, versprach Monika, die noch immer nicht so recht wußte, welche Papiere notwendig waren, das aber so schnell wie möglich feststellen wollte.

»Wegen der Grippe kommt übrigens nur ein Typ von der Technik, Allan Larsson heißt er. Er kommt direkt in die Gerichtsmedizin. Wie bald könntest du etwas sagen, was meinst du?«

Derek lachte.

»Tut mir leid, erwarte nicht zuviel. Hayakawa hat bestimmt nicht allzu viele Hinweise übersehen. Die Analysen brauchen ihre Zeit, und außerdem gibt es für einige Stoffe, die hier aktuell sein könnten, keine Analysemethoden. Wenn du diesen Fall löst, dann hast du das leider nicht mir zu verdanken. Ich werde dich auf dem laufenden halten.«

Sie verabschiedeten sich, reichten einander die Hände, und dann ging Monika mit Bertram in die Videozentrale, um eine Kopie des Videos herstellen zu lassen.

Sie konnte in der Pathologie nicht viel mehr tun. Und sie hatte keinen Grund, mit in die Gerichtsmedizin zu gehen. Sie hatte nicht die geringste Lust, den Kommissar anzurufen und um weitere Instruktionen zu bitten. Sie beschloß, sich selber erst einmal um alles zu kümmern. Sie mußte zuerst herausfinden, unter welchen Umständen Gösta Persson gestorben war. Vielleicht konnte sie von hinten anfangen – ihr nächster Anhaltspunkt wäre in diesem Fall Göstas vorletzter, und so weiter. Sie hatte noch keinen weiteren Plan, keine Arbeitshypothese, sie hoffte, die Ideen würden sich nach und nach einstellen.

Auf jeden Fall gab es etwas zu untersuchen. Etwas war passiert. Unfall? Selbstmord? Mord? Totschlag? Seltsamerweise schienen der graue Himmel und der Nebel, die sich schon allzu lange hielten und die ganze Stadt in eine Art Niemandsland verwandelten, ihr Mut zu geben. Es würde sich schon alles finden.

Sie ging ins Büro zurück und bat um das Telefon, um Mikael, ihren regulären Partner, anzurufen. Er hatte seine Wohnung nicht verlassen können, seit er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, und sie hatte versucht, ihn mit täglichen Schilderungen der Ereignisse in seiner Abwesenheit aufzumuntern. Als er hörte, daß sie in Kungsholmen sei, fragte er sofort, ob sie nicht abends bei ihm essen wolle.

»Die Gespräche mit dir sind wie Wasser für einen, der in der Wüste verdurstet. Heute klingt es sogar, als ob du Champagner zu bieten hättest, wenn man wirklich Champagner möchte, nachdem man in der Wüste fast verdurstet wäre. Egal, du weißt, was ich meine. Willkommen.«

Dünner als Blut - Schweden-Krimi

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