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Am nächsten Morgen verschlief Monika, und deshalb war das Frühstücksproblem nicht aktuell. Sie erwachte mit einem Gefühl des Unbehagens, feuchte Luft drang durch ihr einen Spaltbreit geöffnetes Schlafzimmerfenster, deshalb kam ihr das Zimmer rauh und kalt vor, und sie krümmte sich unter der Decke zusammen. Sie versuchte, im schwachen Licht den Wecker zu sehen, aber sie konnte die Zeiger nicht erkennen, sie sahen nicht so aus wie sonst. Sie fuhr zusammen, als ihr der Grund aufging: Sie hatte eine Stunde länger geschlafen als sonst. Da sie nicht noch einmal zu spät kommen wollte, zog sie schnell dieselben Kleider an wie am Vortag, putzte sich die Zähne, griff nach der Zeitung und lief zur U-Bahn-Station. Es war weniger neblig, aber dafür nieselte es.

Die Morgenzeitung war dünner als sonst, und sie zeigte auf der ersten Seite ein ungeheuer undeutliches Bild der britischen Botschaft. Eine Karikatur zeigte zwei Diebe, die auf ihrem Diebesgut saßen. Der Text lautete: Die schlechte Nachricht ist, daß die Polizei uns auf der Spur ist. Die gute: Es ist die schwedische Polizei. Monika ärgerte sich darüber, auch wenn die Journalisten sie nicht persönlich anklagten. Das Verhältnis von Medien und Polizei war sehr getrübt. Damit war sie aufgewachsen. Lange Artikel, wenn der Polizei irgendeine Regelwidrigkeit vorgeworfen wurde, während ihr Vater und seine Kollegen sich selten oder nie über positive Publizität hatten freuen können. Als Teenager hatte sie ihn nach dem Grund gefragt, und er hatte müde geantwortet: »Die haben wohl kein Vertrauen zu uns.«

Das hatte sie damals geschockt, und es empörte sie noch immer. Sie fühlte sich ungerecht behandelt und war schlechter Laune, als sie das Polizeigebäude erreichte.

Die Sicherheitsbeamten grüßten sie wie eine alte Bekannte, was sie gleich in bessere Stimmung versetzte. Sie lief die Treppe hinauf und war sich dessen bewußt, daß sie in diesem Moment, an diesem Tag hierhergehörte. Niemand brauchte angerufen zu werden, um sie abzuholen, sie war bekannt, sie kannte den Türcode, sie gehörte zur Organisation. Sie kam sich gleich viel größer vor.

Sie war eine Viertelstunde zu spät. Der Korridor war leer, und kein Geräusch wies darauf hin, daß hier Menschen arbeiteten oder auch nur anwesend waren.

Als sie sich in ihrem Zimmer niedergelassen hatte, trat kurze Zeit später ein Kollege ein, der ihr schon wegen seiner Größe aufgefallen wäre.

»Hallo, wir kennen uns wohl noch nicht. Ich bin Jens Andersson, seit undenklichen Zeiten hier als Kriminalinspektor. Kommissar Ek liegt mit fast 41 Grad Fieber zu Hause, und ich soll ihn für die nächsten Tage vertreten. Im Moment versuche ich herauszufinden, welche Kapazitäten wir haben und was zu tun ist. Wie Sie sicher gemerkt haben, ist alle Routine zusammengebrochen, aber der Bezirkspolizeichef glaubt, daß wir zurechtkommen, ohne den Katastrophenplan anzuwenden.« Er machte den Eindruck, eine unmäßig schwere Last auf seinen ohnehin schon beladenen schmalen Schultern zu tragen. »Können Sie mir kurz erzählen, was Sie machen?«

Das tat sie, und Jens überlegte. Monika nahm an, daß er mit dem Gedanken spielte, sie in die Botschaftsgruppe zu übernehmen, aber dann schüttelte er den Kopf.

»Machen Sie, was Sie wollen, machen Sie weiter mit dieser Voruntersuchung, oder lassen Sie sie ruhen und arbeiten mit Hans’ Fällen weiter. Das Problem mit der Voruntersuchung ist, daß Sie keine nennenswerte Hilfe zu erwarten haben, ehe wir das Geiseldrama beendet haben, beziehungsweise ehe die Leute wieder gesund sind.«

Monika antwortete, ihr komme es sinnvoller vor, die Ermittlungen über Gösta Perssons Tod weiterzuführen, unter anderem, weil keiner von Hans’ Fällen brandeilig wirke. Monika sagte nichts über ihren Kontakt zu Allan Larsson, der sollte ihre Trumpfkarte sein, die sie im Notfall ziehen könnte, wenn Jens zum Beispiel sagte, sie müsse warten, bis sich jemand von der Technik an der Untersuchung beteiligen könne; es war eine Trumpfkarte, die sie am liebsten aufbewahrte.

Jens blickte an ihr vorbei, als sei seine Aufmerksamkeit bereits zu wichtigeren Fragen weitergewandert, und er machte Anstalten, das Gespräch zu beenden.

»Halten Sie mich auf dem laufenden«, rief er über seine Schulter, als ob ihm das jetzt erst eingefallen sei.

»Aber sicher«, antwortete Monika, die sich plötzlich ein Lachen nicht verkneifen konnte. Er schloß die Tür. Sie freute sich hemmungslos! Ihr eigener Fall, nur ihrer! Sie würde trotz allem diese Voruntersuchung durchziehen, vom ersten Gespräch an und so weit, wie sie nur gelangen konnte. Sie würde selber, zwar sicher viel zuviel selber, aber immerhin unter eigener Regie, ihren Plan aufstellen und versuchen, das Rätsel des kleinen Mannes zu lösen, der auf dem Obduktionstisch so seltsam zufrieden ausgesehen hatte. Sie würde erfahren, wer er war, wie er gestorben war, und sie würde versuchen herauszufinden, wie es zu dem Todesfall gekommen war und ob noch weitere Personen darin verwickelt waren. Das alles hörte sich eher wie ein Kriminalroman an als wie eine Routineangelegenheit.

Sie war froh, daß sie nicht in die Botschaftsgruppe versetzt worden war. Allem Anschein nach erinnerte deren Arbeit eher an einen amerikanischen Unterhaltungsthriller, ein literarisches Genre, das sie nie angesprochen hatte.

Sie dachte an ihren Plan, den sie für Mikael skizziert hatte. Es kam ihr natürlich vor, mit der psychiatrischen Ambulanz anzufangen, da Gösta Persson offenbar dort gestorben war, eine an sich schon überraschende Tatsache. Sie wollte herausfinden, von eventuellen Augenzeugen erfahren, wie der Tod eingetreten war. Danach die Station aufzusuchen, wo er behandelt worden war, wirkte logisch. Dort war er bekannt, sie hatten mit ihm geredet, sie kannten seine Krankengeschichte und mußten wissen, ob er mit dem Gedanken an Selbstmord gespielt hatte. Sie mußte auch mit seinen Angehörigen sprechen und sich seine Wohnung ansehen. Und das wäre für einen Tag wohl genug. Das meiste würde sie selber erledigen können, abgesehen von der Wohnungsbesichtigung, zu der sie Hilfe von der Technik, genauer gesagt, von Allan Larsson, benötigen würde. Sie würde sich nach seinem Zeitplan richten müssen, und deshalb wählte sie als erstes seine Nummer. Sie wartete nervös, während es einmal, dann noch einmal klingelte, dann hörte sie seine bereits vertraute Stimme:

»Allan Larsson.«

»Hallo, hier ist Monika Pedersen.« Sie wußte, daß sie sich nicht ausführlicher vorzustellen brauchte. »Wie geht’s? Und wie ist es gegangen?«

»Mir geht es glücklicherweise gut. Und wenn du wissen möchtest, was bei der Gerichtsmedizin passiert ist, dann kann ich nicht behaupten, besondere Entdeckungen gemacht zu haben, aber ich habe mir zusammen mit Derek Cramer das Video angesehen und Fingerabdrücke genommen. Cramer hat eine Unmenge von Proben gemacht. Du bekommst eine Kopie des Berichtes, sowie er fertig ist, das ist wirklich ein kniffliger Fall. Wenn du noch wissen möchtest, wie die Bildanalyse gelaufen ist, dann sage ich dir, sie war ein Reinfall – wer zum Teufel soll Waffen analysieren, die auf dem Foto genausogut Lakritz oder Rosinen sein könnten?«

»Ich wüßte gern, ob du mit zu seiner Wohnung kommen kannst. Sie liegt im Atterbomsvägen, hier in Kungsholmen, weit ist es also nicht.«

»Natürlich komme ich mit. Jetzt haben sie mir gerade ein paar Kugeln gebracht, die ich mir sofort ansehen soll, hat es wohl bis gegen vier Uhr Zeit?«

»Vier paßt mir sehr gut, er wohnt Nr. 79, wir sehen uns da!«

»Das wird interessant, ich glaube fast, daß der Typ auf dem Video recht hatte, aber ich frage mich, ob wir wirklich sicher sein können, daß die Magenblutungen die Todesursache waren, das Gewebe war doch durchsetzt mit argen Blutungen, und ich würde die Schlägereitheorie durchaus nicht verwerfen. Wir werden ja sehen, was wir in seiner Wohnung finden, vorausgesetzt natürlich, eine eventuelle Schlägerei hat dort stattgefunden.«

»Danke. Übrigens, wie siehst du aus, damit ich nicht den Falschen hereinlasse?«

»Rote Haare, breite Schultern und Dienstausweis.«

»Klingt gut. Nochmals vielen Dank. Bis nachher.«

Laut Krankenbericht war Göstas nächste Angehörige seine Schwester, Greta Persson. Sie war neben Allan die einzige, mit der Monika einen Termin absprechen zu müssen glaubte. Das war jedoch kein Problem, Greta Persson wirkte ruhig und etwas überrascht über den Anruf, war aber gern bereit, Monika um zwei Uhr zu empfangen.

Monika ging ins Büro und suchte nach einem kleinen Tonbandgerät. Sie sah in der Fahrzeugliste nach, ob ihr irgendein Wagen zur Verfügung stand, aber alle waren von der Botschaftsgruppe mit Beschlag belegt, und deshalb beschloß sie, zu Fuß ins Krankenhaus zu gehen. Es war zwar naßkalt, aber das war ihr lieber als das Gedränge in der U-Bahn.

Dünner als Blut - Schweden-Krimi

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