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Um neun Uhr an diesem Morgen hatte Monika Pedersen, Streifenpolizistin, zwei Stunden geschlafen, als das Telefon sie weckte. Sie zog niemals den Stecker heraus, nicht einmal, wenn sie die Nacht durchgearbeitet hatte, und deshalb erreichte ihr Chef sie, nachdem er vorher erfolglos fünf andere Nummern probiert hatte.

»Hallo, Monika, hier ist Yngve Larsson. Gut, daß du zu Hause bist. Entschuldige die Störung, ich weiß ja, daß du Nachtschicht hattest. Bei der Kripo scheint es noch schlimmer auszusehen als bei uns. Ich habe dem Kommissar versprochen, ihm sofort zwei Leute zur Verstärkung abzustellen. Ich dachte, ich könnte euch schon bis neun Uhr dort haben, aber bis zehn kannst du es doch schaffen, wenn du dich beeilst. Was sagt du?«

»Das geht schon.« Monika hatte nie Probleme mit dem Wachwerden gehabt. »Ich fühle mich ziemlich fit. Wohin soll ich gehen?«

»Melde dich bei Kommissar Ek in der Gewaltsektion und grüß von mir.«

»Mach’ ich.« Sie zögerte einen Moment. »Danke«, fügte sie hinzu.

Ihr Partner im Streifendienst, Mikael Andreen, war drei Wochen zuvor eine Treppe hinuntergestoßen worden und hatte sich dabei das rechte Bein gebrochen. Jetzt steckte er vom Fuß bis zur Hüfte im Gips und würde noch mindestens für zwei Monate krank geschrieben sein. Mit Mikaels Vertretung, einem sturen Värmländer, der sich für einen richtig harten Burschen hielt, hatte Monika große Probleme. Sie hatte sich nicht beklagt, aber es war typisch für Yngve zu bemerken, daß sie nicht zusammenpaßten.

Monika streckte sich wohlig im Bett. Sie hatte immer schon plötzliche Veränderungen gemocht. Sie lachte. Sie freute sich auf die Arbeit bei der Kripo, und noch mehr darüber, ihrem neuen Partner zu entkommen. Sie hatte seine endlosen Vorträge darüber satt, was in der Gesellschaft nicht stimmte und warum nicht, was gemacht werden müßte und wie. Sie hatte es satt, daß er mit offenem Mund Kaugummi kaute. Sie hatte es satt zu sehen, wie er aus dem Auto stieg, als ob er Rambo wäre. Sie hatte es satt, wie er mit und über Frauen sprach. Jetzt würde sie dieses Problem nicht mit Yngve besprechen müssen und statt dessen in Kungsholmen arbeiten, dem Stadtteil, der schon seit ihrer Teenagerzeit mehr als jeder andere ihr Herz und ihre Phantasie gefangen hatte.

Sie verließ das Bett und blieb vor ihrem Kleiderschrank stehen. Der schien überhaupt nichts Brauchbares zu enthalten. Normalerweise arbeitete sie in Uniform. Groß war ihre Garderobe nicht. Schließlich entschied sie sich für eine schwarze Cordhose von schlechter Paßform, aber guter Qualität, eine graue Bluse im Yuppieschnitt (ihre einzige) und eine schwarze Strickjacke. Sie war mit dem Gesamteindruck unzufrieden, fand aber keine bessere Alternative. Nach einer im Stehen getrunkenen Tasse Kaffee warf sie ihre schwarze Lederjacke über und lief durch den dichten Nebel zur U-Bahn-Station.

Es war nicht weit bis dahin, aber sie mußte fast eine halbe Stunde warten, da wegen der Grippewelle mehrere Züge ausfielen. Als die Bahn endlich ankam, waren die Wagen überfüllt, aber Monika konnte sich trotzdem in einen der mittleren zwängen, obwohl niemand den Versuch unternahm, Platz zu schaffen.

Am Fridhemsplan lockerte sich das Gedränge ein wenig, aber sie war erleichtert, beim Rathaus auszusteigen. Sie holte tief Luft, streckte die Arme aus, wie um den freien Raum zurückzuerobern, und lief auf die Rolltreppe zu, die zum Polizeigebäude führte.

Jetzt sah sie verschwommen die vertraute Fassade des Polizeigebäudes, das ein Architekt in der festen Überzeugung entworfen hatte, daß ein Polizeigebäude etwas sei, auf das man stolz ist, das geschmückt und vorgezeigt werden muß.

Die großen Bronzetüren sahen schlichter aus, als sie sie in Erinnerung hatte.

Der Warteraum war voll, und eine Schlägerei lag in der Luft, aber das war nicht ihr Bier, darum sollten sich die Sicherheitskräfte im Sprechzimmer gleich nebenan kümmern. Sie zeigte ihren Dienstausweis und fragte nach Kommissar Ek. Ein Beamter wählte eine Nummer und mußte lange auf Antwort warten. Niemand interessierte sich für den Lärm im Warteraum. Dann nickte er Monika zu:

»Geh einfach rauf, er holt dich an der Tür ab.«

Rasch ging Monika die breite Treppe gleich neben dem Sprechzimmer hoch. Seit ihrer Zeit auf der Polizeischule war sie hier nicht mehr gewesen, aber sie war immer entschlossen gewesen, hier zu landen. Wie so viele Frauen hatte sie anfangs keine genauen Karrierepläne gehabt, aber nun spürte sie, daß es an der Zeit war, in ihrem gewählten Beruf einen Schritt vorwärtszukommen. Sie wußte, daß viele von der Kripo träumten und daß es bei den meisten beim Träumen blieb; sie nahm an, daß es von Nachteil war, eine Frau zu sein. Jetzt hatte sie immerhin die Chance zu zeigen, was sie konnte, eine Möglichkeit, einen Teil der Kriminalbeamten kennenzulernen. Sie hatte vor, diese Chance so gut wie nur möglich zu nutzen.

Monika und der Kommissar erreichten beinahe gleichzeitig die Glastür, die zur Gewaltsektion führte. Der Kommissar war mittelgroß und mager, mit zerfurchtem Gesicht und schütteren hellbraunen Haaren. Er öffnete, und Monika stellte sich vor.

»Hallo. Ich bin Monika Pedersen. Kommissar Yngve Larsson schickt mich, wie vereinbart.«

»Bist du unterrichtet?«

»Ich weiß nur, daß ich hier einspringen soll, weil von euch so viele krank sind.«

»Was machst du sonst?«

»Normale Polizei, seit fünf Jahren. Ich würde aber gern zur Kripo überwechseln.«

»Welche Sprachen sprichst du?«

»Englisch, wieso?«

»Irgendwelche Erfahrung in internationaler Arbeit?«

»Nicht mehr, als die Arbeit in Skärholmen so mit sich bringt.« Der Kommissar schien zu überlegen.

»Kennst du dich mit den verschiedenen arabischen Exilorganisationen aus?«

Monika mußte seine Hoffnungen zunichte machen.

»Ich habe meistens mit Teenies zu tun, nicht mit Politik.«

Langsam kam ihr der Verdacht, daß etwas schiefgelaufen war. Sie schien durchaus nicht die Verstärkung zu sein, die Ek brauchte oder wünschte.

»Die Sache ist die: Heute morgen ist eine Gruppe von Männern in die Konsularabteilung der britischen Botschaft eingedrungen. Sie haben unter dem Personal und den übrigen Besuchern Geiseln genommen. Sie sind offenbar Araber. Die Presse weiß noch nichts, aber es kommt wohl in den Abendzeitungen. Die Polizei hat die Gegend abgesperrt, und wir organisieren gerade eine Krisengruppe, die die Arbeit machen soll.«

Und in dieser Gruppe haben wir keine Verwendung für dich, hätte er hinzufügen können, aber das tat er nicht. Irgendwer rief weiter hinten im Flur nach ihm, er faßte sich an die Stirn und zeigte Monika ein Zimmer, das genau vor ihnen lag und laut Namensschild Hans Eriksson gehörte.

»Eriksson hat Grippe. Du kannst dich dort niederlassen, tu was du kannst für die Fälle, die dort liegen. Richtig akute Fälle gibt es also nicht. Die Botschaftsgruppe sitzt weiter hinten im Flur, stör bitte nicht.«

Monika konnte die Nervosität des Kommissars nachvollziehen: Die halbe Truppe krank, Geiseldrama in einer Botschaft, Beschlüsse müssen unter Zeitdruck gefaßt werden, Beschlüsse, die später in aller Öffentlichkeit hin und her gedreht werden. Verstärkung, die zu spät kam und zu allem Überfluß auch noch unbrauchbar war. Trotzdem gab es keine Entschuldigung für sein unfreundliches Auftreten. Sie gab ihm in ihrer inneren Buchführung drei Minuspunkte und fühlte sich gleich besser.

Sie setzte sich an den Schreibtisch. Dort lag ein Stapel von angefangenen, aber nicht abgeschlossenen Fällen. Hans Eriksson kommunizierte mit sich selber offenbar durch Stichwörter. Unter der Plastikfolie der obersten Mappe lag ein ordentlich geschriebener Zettel:

Nr. 14

Großmutter

Warum nicht G.?

Spätestens Samstag

10 000

Monika las diese Punkte. Spätestens Samstag schien klar. Heute war Montag, und irgendwas würde in den nächsten fünf Tagen passieren. 10 000. Wenn damit Kronen gemeint waren, dann sollten sie wohl ein- oder ausgezahlt werden. Oder versteckt oder gefunden. Von G.? Oder von der Großmutter?

Monika kicherte kurz und las weiter in der obersten Mappe, da sie annahm, daß Hans Eriksson die Fälle nach ihrer Wichtigkeit sortiert haben könnte. Seine Notizen würden sicher verständlich werden, wenn sie erst einmal wüßte, worum der Fall sich drehte. Als sie drei Viertel des Berichtes gelesen hatte, war der Zettel nur noch schwerer zu begreifen. Nirgendwo war eine Großmutter erwähnt, keine 10 000 von irgendeiner Sorte, keine Person, die mit G anfing.

Mit dem nächsten Zettel war es genauso.

Warum hatte Hans Notizen gemacht, die nur er selber verstehen konnte, als ob es ganz undenkbar wäre, daß ihm ein Unglück zustoßen oder er an der Grippe erkranken könnte?

Der Kommissar, müde und genervt, blickte durch ihre halbgeöffnete Tür herein.

»Monika, kannst du mit der Pathologie im Västra Krankenhaus sprechen? Sie haben ein Problem mit einer Obduktion.«

Jobmäßig gesehen, wirkte alles verlockender als Hans Erikssons Fälle, und deshalb antwortete sie ruhig, er brauche die Pathologie nur durchzustellen. Der Kommissar hörte sie nicht, da er nicht auf ihre Antwort gewartet hatte, und das Telefon schellte fast augenblicklich. Es war der Professor der Pathologie, auch er müde und gereizt, weil er seine Geschichte nun schon mindestens fünf Personen erzählt hatte. Er fragte, ob er diesmal wohl bei der richtigen gelandet wäre. Monika antwortete, daß der Kommissar sie gebeten habe, den Anruf entgegenzunehmen, und da müsse sie doch die richtige sein. Sie hörte zu, stellte Fragen und machte Notizen. Als sie den Handlungsverlauf einigermaßen begriffen hatte, fühlte sie sich verwirrt und unsicher, und sie versprach, in einigen Minuten zurückzurufen und genauere Auskunft zu geben.

Sie ging in den Flur hinaus und suchte irgendwen, den sie fragen könnte. Die Botschaftsbande saß hinter ihrer Tür verschanzt, die nächstliegenden Zimmer waren so leer wie die Kaffeeküche. Sie blieb unschlüssig stehen, hörte dann aber jemanden die Abteilung betreten. Es war wieder der Kommissar, der sie blöde anglotzte, als er sie auf sich zukommen sah.

»Was ist los?«

»Ich habe eine Frage wegen dieses Anrufs vom Krankenhaus.« Die Körpersprache des Kommissars sagte deutlichst, daß er nichts anderes erwartet hatte, daß es aber wirklich das letzte war, wenn eine sogenannte Verstärkung nicht einmal ein schnödes Telefongespräch bewältigen konnte.

»Na und?«

»Sie haben während einer Obduktion gemerkt, daß etwas nicht stimmte, sie nehmen fast an, daß sich der Verstorbene unabsichtlich vergiftet hat, aber auch Mord oder Selbstmord lassen sich nicht ausschließen, wenn ich richtig verstanden habe.«

»Und warum solltest du das nicht richtig verstanden haben? Bist du in diesem Punkt unsicher?«

»Nein . . .«

»Dann sag so was nicht. Natürlich hast du richtig verstanden. Deshalb brauchst du dich doch nicht zu entschuldigen. Und was hast du nun vor?«

»Eine Voruntersuchung in die Wege leiten, nehme ich an.«

»Nimmst du an? Du bist an die Kriminalpolizei ausgeliehen und nimmst an, daß du bei einem unklaren Todesfall eine Voruntersuchung einleiten mußt. Natürlich brauchen wir eine Voruntersuchung, und dabei mußt du auch herausfinden, warum zum Teufel sie die Leiche in der Pathologie obduziert haben, wenn sie nicht wußten, wie der Mann gestorben ist. Weißt du, was du sonst noch zu tun hast?«

»Nicht genau, aber ich werde wohl die kleinen Grauen anwenden müssen, wie Poirot immer sagt.«

»Was willst du anwenden?«

»Tut mir leid, ich wollte sagen, ich werde mein Bestes tun.«

»Das ist ja wohl klar. Find jetzt erst einmal heraus, was passiert ist, und schreib einen Bericht.«

Er kehrte ihr den Rücken und ging zum Botschaftszimmer. Er schien die ganze Situation als ein Unglück zu erleben, das ihn unverschuldet getroffen hatte. Außerdem schien er Fieber zu haben, seine Augen glänzten, und seine Wangen konnten doch normalerweise nicht so rot sein?

Monika ging in ihr Zimmer und rief Bo Ekdal zurück. Sie teilte ihm mit, sie werde so schnell wie möglich ins Krankenhaus kommen.

Dünner als Blut - Schweden-Krimi

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