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8. Der Zebraeffekt

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Was hinter der Magie der Partnerwahl steckt. Wie wir unseren Seelenverwandten finden und welche unschätzbaren Vorteile das hat.

Er: Wo gehst du hin?

Sie: Habe ich dir doch gesagt, ich habe heute Supervision.

Er: Wann kommst du nach Hause?

Sie (ungehalten): Weiß ich nicht.

Er: Das letzte Mal ist es so spät geworden.

Sie (verärgert): Ich kann es dir nicht sagen. Du wirst bestimmt schon schlafen, wenn ich komme, also ist es doch egal!

Er: Bitte sage mir, wann du kommst. Ich mache mir sonst Sorgen!

Sie schnaubt wütend, verdreht die Augen und macht die Tür hinter sich zu.

Es ist schon etwas Magisches daran: Wir gehen an einem Samstagabend mit Freunden aus, und da ist plötzlich jemand, der offenbar einen Magneten eingebaut hat. Beim bloßen Anblick dieses Menschen kribbeln Schmetterlinge im Bauch, wir bekommen Herzklopfen, unsere Wangen röten sich leicht. Alle anderen rundherum sind nicht mehr wichtig. Amor hat seinen Pfeil abgeschossen und getroffen. Wir haben uns verliebt.

Warum jedoch verlieben wir uns gerade in diese eine Person? Wir finden vielleicht mehrere attraktiv, aber diese eine Person hat es uns angetan – woran liegt das? Weil diese eine Person mit uns seelenverwandt ist. Und weil die Natur uns so ausgestattet hat, dass wir diese Seelenverwandtschaft intuitiv erkennen, obwohl wir sie kognitiv noch gar nicht erfassen konnten. Wir haben ein Erklärungsmodell für Sie, damit Sie sich das gut vorstellen können: den Zebraeffekt.

Ein Zebra hat, wie Sie wissen, ein gestreiftes Fell, am Rumpf ist es längs-, an den Beinen quergestreift, und dort, wo diese zusammenstoßen, entsteht ein Muster, das wie ein Daumenabdruck höchst individuell ist. Wird ein Zebrababy geboren, ist es abhängig von seiner Mutter, weil es nur von ihr genährt wird. Es ist also überlebenswichtig, die Mutter in der Herde jederzeit erkennen zu können. Daher macht sich das Zebrababy ein inneres Bild von diesem individuellen Streifenmuster seiner Mutter. Mit dem Strichcode hat die Natur also vorgesorgt, dass jedes Zebrababy überleben kann.

Auch für uns Menschen hat die Natur eine Art Strichcode vorgesehen. Ab dem Zeitpunkt der Geburt machen wir uns ein inneres Bild von unseren Eltern und anderen Bezugspersonen. Das geschieht natürlich alles unbewusst. Als hätten wir eine integrierte Kamera eingebaut, speichern wir viele Bilder ab: wie gut es ist, wenn wir vor Hunger schreien und schnell an die Brust genommen werden; wie beängstigend es ist, wenn Mama und Papa streiten; wie Mama und Papa nach Schulschluss nicht zu Hause sind und wie überfordernd es als Schlüsselkind ist, auch noch auf das jüngere Geschwister aufpassen zu müssen; wie einsam man sich fühlt, wenn sich in der Familie alles nur um den kranken Bruder dreht … All diese unzähligen Erfahrungen werden abgespeichert und ergeben unseren individuellen Strichcode, mit dem wir durch die Welt gehen. Wenn wir dann auf einen Menschen treffen, der einen ähnlichen Strichcode mit sich herumträgt, passiert es: Wir fühlen uns hingezogen und verlieben uns.

Je größer die Seelenverwandtschaft – je ähnlicher also der Strichcode –, desto stärker ist die Anziehung. Wir bekommen schwitzige Hände, Herzklopfen, die Hormone kribbeln im Bauch. Wir geraten in einen Zustand der Euphorie, kommen mit weniger Schlaf und weniger Essen aus. Ein ganzer Hormoncocktail sorgt dafür, dass unser Kritikzentrum ausgeschaltet ist. Wir finden diesen Menschen toll! „Er ist mein Fels in der Brandung“, sagen wir dann, oder: „Sie ist so wunderbar quirlig, ich liebe das!“ Wir sehen also quasi nur die hellen Streifen im Zebramuster, die dunklen blenden wir aus, die interessieren uns nicht. Umgekehrt zeigen wir uns auch von unserer besten Seite, präsentieren unser ganzes Potenzial und wagen dabei Dinge, für die uns sonst immer der Mut gefehlt hat. Das ist auch gut so, denn würden wir gleichzeitig auch die dunklen Seiten sehen, würden wir uns womöglich gar nicht verlieben und die Menschheit wäre längst ausgestorben!

Warum machen wir das? Die Wissenschaft ist sich einig darin, dass die Seelenverwandtschaft der entscheidende Aspekt für die unbewusste Partnerwahl und auch der Kitt in der Beziehung ist. Wir Menschen haben alle den Willen zur Entwicklung in uns, und dazu müssen wir Erfahrungen machen und Anregungen bekommen, um zu lernen. Auch in puncto Beziehung wollen wir Erfahrungen machen und uns in unserer Persönlichkeit weiterentwickeln, wir wollen unsere eigenen Themen, unsere Licht- und Schattenseiten neu sortieren, bearbeiten und vielleicht auch korrigieren. Seelenverwandtschaft heißt, dass wir zu ähnlichen Themen ähnliche Erfahrungen gemacht haben, sie aber meist unterschiedlich bewältigt haben. Ein Beispiel: Beide haben streitende Eltern erlebt und die Angst, die man als kleines Kind dabei empfindet. Der Mann hat als Kind beschlossen, dass er das nie wieder erleben will, und geht jedem Konflikt aus dem Weg. Die Frau entwickelte als Kind eine Loyalität zu ihrem Vater, der den Streit meistens angezettelt hatte, und ist dann diejenige, die Konflikte auf den Tisch legt und anspricht. Das heißt, wir suchen uns einen Partner, der uns einerseits an die hellen Streifen unserer Kindheit erinnert, der uns aber auch an unseren wundesten Punkten frustrieren kann.

Schon an diesem Beispiel können Sie erkennen, dass in der Seelenverwandtschaft auch das Potenzial für Krisen steckt. Und so nehmen Beziehungsgeschichten auch ihren typischen Verlauf: Sobald nach ein paar Monaten die Verliebtheit langsam abklingt und der Alltag einkehrt, wird auch die emotionale Bindung weniger und wir werden dadurch verunsichert. Haben wir den richtigen Partner gewählt? Was uns zu Beginn der Verliebtheit begeistert hat, bekommt Risse. Aus einem schwärmerischen „Er ist mein Fels in der Brandung“ wird ein frustriertes „Er ist so langweilig und unternimmt nichts mit mir“, aus „Sie ist so erfrischend quirlig“ wird ein „Sie nervt mit ihrer dauernden Quasselei“. Man könnte sagen, dass wir uns dann langsam darauf einarbeiten, uns mit den dunklen Streifen unseres Strichcodes zu befassen: Wir konfrontieren einander mit den unangenehmen und schmerzlichen Themen aus unserer Kindheit. Weil wir diese Themen selbst gut kennen, sind wir da als Partnerin bzw. Partner auch sehr kompetent!

So unangenehm das auch ist, so ist dies der Weg, den wir brauchen, wenn wir etwas weiterentwickeln wollen. Im Englischen heißt es: „You cannot heal, what you do not feel.” Unsere Partnerin, unser Partner konfrontiert uns mit unseren schmerzlichsten Themen, die wir ja meistens unbewusst in uns tragen. Indem uns unser Partner frustriert und einen Konflikt provoziert, spüren wir diesen Schmerz wieder, und nur so kann er auch geheilt werden.

Das macht Beziehungen so herausfordernd. „So hat mich noch nie jemand frustriert“, sagen wir dann und denken über Trennung nach. Dabei haben wir uns diesen Menschen doch selbst ausgesucht, und zwar aus gutem Grund: der Strichcode, die Seelenverwandtschaft, die der Nährboden dafür ist, damit wir alte Wunden heilen und uns in unserer Persönlichkeit weiterentwickeln können. Denn das ist die Kunst der Liebe: es zu schaffen, sich nicht nur in der Verliebtheit mit allen Ressourcen zu unterstützen, sondern ein Leben lang.

Seelenverwandtschaften sind nicht immer leicht erkennbar. In der Szene zu Beginn dieses Impulses haben wir einen Dialog von uns selbst abgebildet: Sabine reagiert ganz offensichtlich gereizt darauf, dass Roland wissen möchte, wann sie heimkommt. Sie fühlt sich dadurch eingesperrt, überwacht. Mit jedem „Wann kommst du wieder?“ drückt er bei ihr einen roten Knopf, der direkt in eine alte Erfahrung von ihr führt: Ihre Mutter hat sie überbehütet. Verständlich, wenn man die Geschichte kennt, denn zwei Jahre, bevor sie geboren wurde, starb ihre Schwester durch einen tragischen Unfall. Aus Angst, der jüngeren Tochter könnte auch etwas passieren, wurde sie quasi eingesperrt. Und noch etwas schwang mit, das ihr Vater einmal treffend auf den Punkt brachte: „Es war schlimm, dass deine Schwester starb“, sagte er, „doch dann kamst du, und dann war alles wieder in Ordnung.“ Es war also implizit ihr Auftrag, den Verlust wiedergutzumachen.

Auch in Rolands Geschichte gab es einen tragischen Verlust im Leben seiner Mutter, und auch er sollte etwas wiedergutmachen. In einem langen Gespräch mit seiner Mutter erfuhr er, dass sie im Krieg schon einmal verlobt war, ihr Verlobter aber im Krieg fiel. Wie es damals so war, sperrte sie ihren Schmerz und ihre Trauer in den hintersten Winkel ihrer Seele und beschloss unbewusst, nie wieder eine neue Liebe einzugehen. Doch wie das so ist mit negativ formulierten Beschlüssen6, kam es anders und sie verliebte sich – in Rolands Vater. Sie gebar drei Mädchen und dann kam endlich der lang ersehnte Stammhalter zur Welt. Und so hörte Roland tatsächlich denselben Satz wie Sabine: „Und dann kamst du zur Welt, und alles war in Ordnung.“

Ein weiterer Teil unserer Seelenverwandtschaft ist, wie wir als Kinder mit unseren Bedürfnissen gesehen wurden: Sabine, die zu viel Aufmerksamkeit bekam, so viel, dass es sie erdrückte und sie sich eingesperrt und unfrei fühlte. Roland, der viel zu viel alleine war, weil die Eltern sehr viel arbeiteten. Und so drücken wir beide in diesem Dialog auf den wunden Punkt des anderen und reagieren inadäquat: Roland drückt auf Sabines Wunde des Eingesperrtseins und Sabine drückt auf Rolands Wunde des Verlassenseins.

Das Wichtigste ist, dass wir wissen: Es ist die Seelenverwandtschaft, die starke Verbindungen erzeugt. Und jedes Mal, wenn wir dank dieser Seelenverwandtschaft auf wunde Punkte stoßen, sollten wir nicht böse auseinandergehen, sondern hinschauen, wie wir den eigenen Strichcode, den wir aussenden, verändern können. Zu jeder Beziehung gehören nun einmal nicht nur die hellen Streifen, sondern auch die dunklen. Und so, wie wir uns über die hellen Streifen freuen, sollten wir auch die dunklen als ein Geschenk, als Teil der gemeinsamen Entwicklung betrachten.7

6siehe auch Impuls Nr. 25

7Falls „Geschenk“ Sie ungläubig den Kopf schütteln lässt: Lesen Sie Impuls Nr. 10!

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