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12. Aufstiegshilfen

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Wie wir uns gegenseitig helfen können, die Herausforderungen des Lebens zu schaffen.

Er sitzt am Schreibtisch. Er beantwortet viele Mails, auf seiner To-do-Liste stehen mehrere Rückrufe und neben dem Bildschirm türmen sich Berge von Post und Informationen.

Sie (kommt herein): Ich suche das Protokoll von gestern, hast du es irgendwo?

Sie kramt in dem Papierberg auf seinem Schreibtisch.

Er: Ich kann es nicht ausstehen, wenn du in meinen Sachen wühlst. Wie meine Mutter!

Sie: Ich wollte nur das Protokoll überarbeiten, jetzt hätte ich Zeit. Er: Typisch. Wenn du Zeit hast, muss ich funktionieren.

Sie: Nun sei doch nicht so unfreundlich, ich will ja nur ein Protokoll.

Er: Und ich habe tausend Sachen zu erledigen und dann soll ich springen, weil du gerade Zeit hast.

Sie: Du hast immer tausend Sachen zu tun. Da könnte ich dich ja nie um etwas bitten.

Auseinandersetzungen wie diese sind nichts Außergewöhnliches. Es sind die alltäglichen Kabbeleien, ein Wort ergibt das andere und schließlich geht man verärgert oder beleidigt auseinander, ohne sie gelöst zu haben. Man fühlt sich wie in einer Grube, aus der man nicht mehr herauskommt. „Na super“, denkt man dann, „jetzt sitze ich da fest mit diesem Menschen, der mich nicht schätzt, der meine Grenzen nicht respektiert, der mich anschreit.“ In dieser Grube ist es dunkel und wir finden keinen Aufstieg.

An so einem Punkt, wo wir mit unserer Weisheit am Ende sind, tauchen unsere typischen Reaktionsmuster auf: Wir flüchten oder greifen an, wir erstarren oder unterwerfen uns. Auf dem Boden solcher Gruben wurden schon viele Beschlüsse getroffen, sich scheiden zu lassen oder zu resignieren. Auch uns ist es schon oft so gegangen. Diese Szene oben ist eine ganz typische, wie sie sich bei uns im Büro oft abspielt. Auch wir haben schon öfter an eine Trennung gedacht. Heute sind wir froh, dass wir uns für einen anderen Weg entschieden haben.

Immerhin ist man in einer solchen Grube ja zu zweit, also könnte man sich auch dafür entscheiden, sich gegenseitig zu unterstützen, damit beide herauskommen aus diesem finsteren Loch. Und auch wenn man nach einem geglückten Aufstieg bald wieder hineinfällt – Rückschläge gibt es immer. Wo Gruben sind, kann man auch hineinpurzeln. Doch während es beim ersten Mal noch ganz schlimm ist, weil man ja noch gar keine Idee hat, wie man da wieder herauskommt, ist es beim zweiten oder dritten Mal dann nicht mehr ganz so schlimm. Man hat ja immerhin schon Erfahrung mit ein paar Aufstiegshilfen!

Das Erste, was Sie bedenken müssen: Im Ärger sind wir voll mit einem Cocktail verschiedener Hormone. Wenn uns das Herz bis zum Hals klopft, sind wir meist nicht imstande, klar zu denken. Da ist ein Slow-down angesagt – die Wissenschaft sagt, dass man bis zu 20 Minuten brauchen kann, bis sich unsere Hormone wieder beruhigt haben. Unsere Erfahrung sagt, dass diese Zeit immer kürzer wird, je öfter man in dieselbe Grube gefallen ist. Spazierengehen ist beispielsweise eine gute Methode, um zur Ruhe zu kommen. Beim ersten Mal brauchen Sie vielleicht eine Zweistundenwanderung, irgendwann reicht dann eine Stunde, später nur noch ein Gang rund um den Häuserblock und schließlich genügt es, das Fenster weit aufzumachen und tief durchzuatmen.

Aktivitäten, die ablenken, können auch eine gute Idee sein, um sich zu beruhigen: Ein paar E-Mails zu beantworten schafft ein gutes Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben, und das tut gut. Finden Sie heraus, was gut für Sie ist. Wenn Sie sich selbst bereits gut durchschaut haben, verstehen Sie vielleicht, was Ihre Partnerin, Ihr Partner hinter dem offensichtlichen Ärger noch ausgelöst hat: ein altes Gefühl, gefangen zu sein, oder das Gefühl, nicht autark, ausgeliefert zu sein. Auch das kann Ihnen Hinweise darauf geben, was gut für Sie ist, um sich zu beruhigen. Der Sich-gefangen-Fühlende braucht Frischluft um die Nase, der Sich-ausgeliefert-Fühlende braucht sinnvolle Beschäftigung.

Im beruhigten Zustand können Sie sich dann weiteren Aufstiegshilfen zuwenden. Machen Sie sich bewusst, wie alt Sie sind, welche Kompetenzen Sie haben – und welches Glück Ihr Partner doch hat, Sie an seiner Seite zu haben! Im beruhigten Zustand ist es auch möglich, alten Urängsten den Stachel zu nehmen und zur Erkenntnis zu kommen: Es ist nicht wirklich realistisch, dass mich meine Partnerin deswegen verlassen wird, wir hatten schließlich nur einen Alltagskonflikt.

Ein wahres Wundermittel, um sich gegenseitig zu helfen, ist zu sagen: „Es tut mir leid.“ Es geht hier nicht um Entschuldigungen, denn in der Grube sind Sie beide nicht deshalb gelandet, weil einer schuld ist, sondern weil Sie beide, jeder auf seine Weise, dazu beigetragen haben. (Im Impuls Nr. 39 können Sie mehr darüber nachlesen.) Vielmehr geht es um Mitgefühl: Ja, ich weiß, du willst deine Arbeit in Ruhe erledigen. Tut mir leid, dass ich dich mit meiner Frage unterbrochen habe. Oder: Es tut mir leid, dass ich laut geworden bin. Das hast du nicht verdient.

Was Sie dann tun können: Erklären Sie Ihre Sicht der Dinge, ohne vorwurfsvoll zu werden. Das ist natürlich eine hohe Kunst, und wenn es eine besonders düstere Grube ist, ist es bestimmt ratsam, sich Hilfe von einem Coach oder einer Psychotherapeutin zu holen. Wenn Sie herausfinden, was es genau ist, das Ihnen in dieser Situation Stress bereitet hat, dann haben Sie schon viel dazu beigetragen, dass Sie beide seltener in diese Gruben fallen. Wir haben es schon an vielen anderen Stellen in diesem Buch angesprochen, und es gilt auch hier: Diese Gruben hat es auch schon in der Kindheit gegeben.

Wenn Sie es dann beide aus der Grube herausgeschafft haben, empfehlen wir gern unsere sogenannte „Erkenntnisübung“: Welche Erkenntnis habe ich über mich gewonnen? Über meine Partnerin? Und über uns beide, also über unsere Beziehung? Mit letzterer Frage ist gemeint, die Wechselwirkung zu betrachten, in der Sie beide stehen – wie interagieren Sie, wenn Sie in die Grube hineinfallen, und wie, wenn Sie wieder herausfinden? Das Aufschreiben hilft Ihnen, Ihr Bewusstsein zu schärfen, und das ist der Schlüssel für Veränderung: dass Sie Unbewusstes ins Bewusstsein heben.

Leiden ist leichter als Lösen, heißt es. Es ist leichter, in der Grube sitzen zu bleiben und sich dem vertrauten Schicksal zu ergeben, als sich nach geeigneten Aufstiegshilfen umzuschauen und mühsam herauszuklettern. Es ist Ihre Entscheidung!

Liebe, wie geht's?

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