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Zahlenspiele


Easy Rider in Brisbane

Zahlenspiele

Mit dem violetten Cruiser geht es auf dem Highway M1 endlich raus aus Brisbane, Richtung Norden, Richtung Traumstrände und Regenwald auf Fraser Island. Eigentlich ist alles erledigt und die Reise kann beginnen. Eigentlich heißt, es fehlt eine unbedeutende Kleinigkeit, der Land Cruiser muss noch auf meinen Namen zugelassen werden. Ein routinemäßiger Verwaltungsakt. Von der Zulassungsstelle in Brisbane wurde uns abgeraten, sie sei zu betriebsam, die Beamten von begriffsstutzigen Touristen genervt und Wartezeiten von zwei Stunden seien dort normal. Kein Problem, man kann zu irgend einer der mehr als 100 Zulassungsstellen im Bundesland gehen. Wir wählen einen Ort mittlerer Größe, direkt am Highway gelegen und parken die Mini-Pistenkuh kurz nach zwölf Uhr vor der Eingangstür zum „Department of Transport“. Ein modern eingerichtetes Verwaltungsgebäude empfängt uns. Es könnte eher die Schalterhalle einer modernen Bank sein als eine Amtsstube. Die 20 Sitzplätze für Wartende sind frei, von den fünf durchnummerierten Schaltern ist nur die Nr. 1 besetzt und damit unser Ziel. Die Dame, Mitte 50, Lippenstift vielleicht etwas zu dick aufgetragen, empfängt uns freundlich mit einem Lächeln. Das Gefühl, das sich bei mir in deutschen Behörden oft einstellt, man störe den Beamten gerade – egal zu welcher Uhrzeit – bei seiner wohlverdienten Pause oder im Fachgespräch mit dem Kollegen, stellt sich hier nicht ein. Doch bevor wir unser Anliegen vortragen können, werden wir genauso freundlich gebeten, doch am Servicecomputer eine Wartenummer zu ziehen.

Ich verstehe den Sinn nicht ganz, wir sind die einzigen Kunden, Besucher, Antragsteller, Bittsteller oder was auch immer, das wird sich noch zeigen, sie ist die einzige Mitarbeiterin am einzig besetzten Schalter. Egal. Einfach nicht drüber nachdenken und eine Wartenummer ziehen.

Sabine drückt den grünen Button am Touchscreen, der Automat spuckt ein kleines Zettelchen mit der Nummer 689 aus und im gleichen Moment ertönt eine Computerstimme: „Number 689 to service one“.

„Ah – jetzt verstehe ich, uns soll nur unsere Stellung in der Hierarchie verdeutlicht werden.“ Fünf Sekunden später stehen wir der netten Dame wieder gegenüber.

„Wir haben ein Auto gekauft und möchten dieses auf unseren Namen übertragen“, erklärt Sabine und ich füge hinzu: „Wir sind Deutsche, vor einer Woche angekommen und haben von nichts irgend eine Ahnung.“

„No worries. Das ist ganz einfach, haben Sie einen aktuellen TÜV-Bericht, Ihren Ausweis, eine Postanschrift, eine Kreditkarte und den Verkaufsbericht dabei?“ „Ja, alles dabei.“

„Dann füllen Sie diese beiden Formulare aus und dann war’s das schon. Too easy.“

Während sie das sagt, holt sie bereits die Formulare aus ihrer Schublade. An einem Schreibpult, etwa drei Meter entfernt, füllen wir die Formulare aus.

Ein weiterer Kunde nutzt die Ruhe der Mittagszeit für sein Anliegen. Die Sache ist schnell geklärt: Er ist besoffen zu schnell gefahren und will seinen Führerschein zurück. Doch den gibt es nicht ohne Idiotentest, weil er nicht das erste mal besoffen unterwegs war. Er begreift es nicht. Wie will der dann den Test schaffen? Der Besuch dauert keine zwei Minuten.

„So, alle Formulare ausgefüllt, hier bitte.“

„Ziehen Sie bitte eine neue Wartenummer.“

Ich habe einen Anflug von Verwunderung, was soll das? Kennt sie uns nicht mehr? Ich verstehe es nicht. Vielleicht müsste ich auch mal zum Idiotentest? Das gleiche Spiel: Sabine drückt die grüne Schaltfläche und die Computerstimme schickt die Nr. 691 zur Nr. eins.

„Ah, dem Computer soll Betriebsamkeit vorgegaukelt werden“, kombiniere ich. „Gegenüber der Maschine muss die menschliche Existenz gerechtfertigt werden.“ Zum weiteren Sinnieren fehlt die Zeit, egal.

Wir sind zwar in der Hierarchie etwas abgestiegen, werden aber genau so freundlich behandelt als zuvor.

„Den TÜV-Bericht bitte.“ „Kein Problem.“

„Den Ausweis bitte.“ „Kein Problem.“

„Die Kreditkarte bitte.“ „Kein Problem.“ Das Limit ist zwar überschritten, aber zur Identifikation tut sie ihren Dienst.

„Ihre Postanschrift bitte.“ „Kein Problem.“ Ich lege die Visitenkarte des Caravanparks in Brisbane auf ihren Schreibtisch.

Auf der Rückseite notierte der Manager seine Handy-Nr. für evtl. Rückfragen. Hotels und Campingplätze stellen Reisenden oft ihre Adresse für solche Behördengänge zur Verfügung und dies wird von den Behörden in der Regel auch akzeptiert.

„Die Visitenkarte reicht nicht, ich brauche eine Rechnung vom Caravanpark, dass Sie dort eine Unterkunft gemietet haben oder hatten.“

„Die habe ich weggeworfen“, sagt Sabine etwas leise. „Ach du Scheiße, vielleicht ist sie noch im Müllbeutel?“ „Ich gehe mal gucken.“

Während Sabine unseren Müll durchforstet, bewege ich mich schon mal zum Computer um die Wartenummer 692 zu holen.

„Das brauchen Sie nicht, Ihr Vorgang ist ja noch nicht abgeschlossen“, ruft die gelippenstiftete Dame zu mir rüber. Irgendwie habe ich das System noch nicht richtig verstanden.

Sabine hat die Rechnung gefunden, doch die kann man keiner Behörde auf der Welt vorlegen, sie lag zwei Tage mit Kaffeesatz und Möhrenschalen in unserer Biotonne.

„Wir haben die Rechnung, aber die kann man nirgends vorzeigen, das geht einfach nicht.“

„Geben Sie mal her.“ Aber die Dame weigert sich dann doch, die Rechnung anzufassen oder sie gar auf ihren Schreibtisch zu legen.

„No worries, wir nehmen die Adresse von der Visitenkarte und Sie lesen mir einfach die Rechnungsnummer vor. Too easy.“

„Okay, das ist ein guter Kompromiss. Hauptsache das Papier wird nirgends abgeheftet.“

„So, das war’s. Sind die 14.500 Dollar, die Sie hier eingetragen, das, was Sie für den Wagen gezahlt haben?“

„Ja.“ Es waren zwar Euro, aber ich will wegen der Kleinigkeit von 25 Prozent keine Diskussion über Umrechnungskurse beginnen.

„Dann bekomme ich von Ihnen 618 Dollar.“

Sabine neben mir ist geschockt, völlig sprachlos und ihr Sonnenbrand wirkt blass. Gleich kippt sie rückwärts um, befürchte ich, aber sie kommt wieder zu sich.

„Ich dachte, die Verwaltungsgebühr liegt zwischen 50 und 70 Dollar.“ „Ja, aber in Queensland fällt zusätzlich eine Steuer bei Eigentümerwechsel an, die sich nach dem Fahrzeugwert richtet.“

Ich habe den Kuli vom Ausfüllen des Formulars noch in der Hand, mit einem knappen „No worries“ ziehe ich das Formular zu mir rüber, streiche die Null am Ende und schwupps, sind nur noch 1450 zu versteuern. „Too easy“. Die Verwaltungsangestellte starrt mit halb geöffnetem Mund auf die geänderte Zahl.

„Das kannst du hier nicht machen, wir sind nicht in Afrika“, flüstert mir Sabine mit strengem Ton zu. „Da habe ich vielleicht etwas übertrieben“, geht es mir durch den Kopf. Die Angestellte reagiert immer noch nicht, das hat sie so wohl noch nicht erlebt. Ich ziehe noch mal das Formular zu mir, schreibe die Null wieder hin und streiche die vordere eins. Aus 1450 werden 4500 Dollar. Die nette Dame ist zurück im Leben: „Was haben Sie denn jetzt für den Wagen gezahlt?“, fragt sie in einem Ton, als sei sie nicht sonderlich amüsiert von meinen Korrekturen.

„14.500“, antworte ich ehrlich, sieht man mal von dem Umstand ab, dass ich nichts von Euro erwähne. „Aber der Verkäufer hat uns beschissen. Der Karren ist nur 4500 wert und in dem Preis waren ja auch noch Kaffeetassen, Angel und Bratpfanne dabei. Darauf muss ich ja keine Steuern zahlen.“

Sie zögert, schüttelt den Kopf, tippt was in den Computer und sagt: „Das macht dann 179 Dollar.“ Sabine legt schnell vier fünfziger auf den Tisch, steckt das Wechselgeld und die Papiere ein und dann nichts wie raus.

„Na, wie habe ich das gemacht? Mal gerade in einer halben Stunde 400 Dollar verdient, da ist heute Abend wohl ein Schuss Whisky in meiner Coke und nicht nur Eis.“

„Vielleicht hast du das nicht bemerkt, wir haben gerade keine 400 Dollar verdient, sondern 180 Dollar ausgegeben. So ist in den nächsten Wochen sicher kein Whisky in deiner Cola.“

Jetzt gehört der Toyota ganz offiziell uns. Fühlt sich gut an.

Zurück auf den Highway. Die Scheiben runtergekurbelt, im Radio läuft Kid Rock mit „All Summer long“, die Tachonadel steht bei 70 und die Sonnenbrille sättigt die Farben. Das ist es, was ich mag, einfach dahin cruisen, vollgetankt, Schlafsack auf dem Rücksitz, der Sonne entgegen. „Yeah“.

Wir haben unsere Reise nur grob geplant, haben keinen genauen Zeitplan. Es ist auch egal, ob die Reise zwei, drei oder fünf Jahre dauert oder ob wir nach drei Monaten keine Lust mehr haben und die Kutsche verkaufen. Wir müssen etwas auf unser Budget achten, die finanziellen Mittel sind begrenzt, daher wollen wir versuchen, langsam zu reisen und Campingplätze zu meiden.

Die Routenplanung richtet sich hauptsächlich nach den Klimatabellen. In der Regenzeit sind weite Landstriche im Norden unpassierbar und die Ortschaften werden aus der Luft versorgt. Zu dieser Zeit sind wir im trockenen Süden. Vorläufig sieht unsere Route erst mal so aus:

Von Brisbane nach Fraser Island. Durch die Glasshouse Mountains zurück nach Brisbane und Surfers Paradise. Entlang der Great Dividing Range nach Sydney und durch die Wälder der High Country im Bundesstaat Victoria zur Great Ocean Road mit ihren berühmten zwölf Aposteln. Den Stuart Highway hoch nach Alice Springs im Zentrum des Outback. Auf der sogenannten French Line quer durch die Simpson Desert nach Birdsville. Sind die Pisten des Old Telegraph Track auf Cape York befahrbar, soll es hoch zum nördlichsten Punkt Australiens gehen. Von dort „irgendwie“ möglichst offroad diagonal durch Australien zum südwestlichsten Punkt beim Cape Leeuwin, der Uluru und die Great Central Road sollen dabei auf der Route liegen. Perth und das selbst ernannte Königreich Hutt River Province wollen wir uns auf jeden Fall ansehen und die „längste und einsamste Offroad-Strecke der Welt“, die Canning Stock Route, ist ein Muss. Eventuell noch einen Umweg über die Gibb River Road und der Savannah Way bringt uns dann nach Cairns, wo der Cruiser verkauft werden soll. Findet sich kein Käufer, verschiffen wir ihn über Japan nach Wladiwostok und fahren zurück nach Köln.


No worries, too easy

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