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6. Kapitel: Vernehmungen im Gericht

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Pünktlich um halb acht stand Benjamin Lukas in der Eingangshalle des Hauses der Gerichte und wartete auf Müller, Ella Sturm und Susan von dem Felde. Sicher würden die Kollegen ihn fragen, wie es seiner Frau und dem Baby in ihrem Bauch gehe und er hatte sich schon eine Erklärung zurechtgelegt. Sie sei noch im Krankenhaus, würde er sagen, und man habe bei ihr Wehentätigkeit festgestellt. Mit dieser Erläuterung würde sie jedenfalls nicht als hysterisch und er nicht als Weichei dastehen.

Svenja war tatsächlich im Krankenhaus. Insoweit wären seine Angaben immerhin nicht ganz falsch. Allerdings konnte von Wehentätigkeit keine Rede sein. Man behielt sie nur dort, weil sie unbedingt in der Klinik bleiben wollte. Aber Lukas musste seinen Kollegen nichts vorschwindeln. Keiner von ihnen fragte nach dem Befinden seiner Frau.

Der letzte Abend erschien Lukas wie ein Albtraum. Svenja hatte ihn zu Hause schluchzend empfangen und ihm allerhand Vorwürfe gemacht, weil er nicht früher gekommen war. Sie war schon seit zwei Wochen krankgeschrieben. Bei der zu diesem Zeitpunkt erfolgten Untersuchung hatte der Frauenarzt allerdings ohne Umschweife erklärt, dass sein Attest allein Svenjas Beruhigung dienen sollte. Leider war ihr psychischer Zustand seither nicht besser geworden. Sie war unfähig, irgendetwas zu tun, und ununterbrochen auf sich und ihren Bauch fixiert. Ständig rief sie Benjamin an und machte ihm Vorwürfe, wenn er nicht sofort reagierte und nicht umgehend nach Hause kam, um sich um sie zu kümmern. Ihm war nicht entgangen, dass einige der Kollegen des LKA ihn hinter vorgehaltener Hand bereits als Pantoffelhelden bezeichneten. Dazu gehörte mit Sicherheit auch Müller, mit dem er nun auch noch in dem aktuellen Fall zusammenarbeiten musste.

Svenja war sich sicher, dass das Kind noch in derselben Nacht kommen würde. Wenn sie nicht sofort ins Krankenhaus käme, hätte das Baby in der 28. Schwangerschaftswoche kaum eine Überlebenschance oder es würde zumindest sein Leben lang schwere Behinderungen davontragen, redete sie auf ihn ein. Deshalb waren sie mit gepacktem Koffer in die Klinik gefahren. Die behandelnde Ärztin versuchte zwar, beruhigend auf Svenja einzuwirken, um sie dann wieder nach Hause zu schicken. Als ihr das nicht gelang, hielt sie es aber dann doch für besser, sie über Nacht im Krankenhaus zu lassen, obwohl nicht die geringsten Anzeichen für eine kurz bevorstehende Geburt erkennbar waren.

Benjamin war das Ganze peinlich. Erst der hysterische Anruf seiner Frau vor den Kollegen mitten in einer wichtigen Besprechung, dann ihr Auftritt im Krankenhaus. In sehr angespannter Stimmung war er allein aus der Klinik nach Hause gefahren. Nach vielen unruhigen Nächten schlief er aber die letzte Nacht endlich einmal durch.

***

Gleich zu Beginn der Vernehmung des Wachtmeisters Sörensen surrte Benjamin Lukas’ Telefon. Er griff in seine Hosentasche und stellte den Benachrichtigungston ganz aus. Er wollte sich ganz auf die Vernehmung konzentrieren. Sörensen bestätigte nicht nur Steinhagens Angaben, sondern seine Aussage brachte noch weitere Details zutage: „Es stimmt, dass der Anwalt mich so gegen 8:15 Uhr vor dem Sitzungssaal angesprochen und nach Dr. Kaufmann gefragt hat. Ich hatte den Vorsitzenden an dem Tag noch nicht gesehen. Ich habe Steinhagen gesagt, ich würde nachsehen, ob der Richter jetzt im Hause ist. Ich habe ihn dann tatsächlich in der Geschäftsstelle getroffen. Frau Gerke, die Geschäftsstellenverwalterin, war auch dabei. Dr. Kaufmann sagte mir, ich sollte ihm Steinhagen vor der Sitzung bloß vom Hals halten. Das habe ich auch gemacht. Ich bin zurück zum Sitzungssaal gegangen und habe dem Anwalt erklärt, dass der Vorsitzende noch nicht da sei.“

„Da haben Sie den Anwalt ja angelogen. Befolgen sie alle Anweisungen Ihrer Vorgesetzten, auch wenn sie lügen müssen?“ Müller blickte mit provokativ vorgerecktem Kinn auf den Wachtmeister.

Die Antwort kam, ohne zu zögern: „Die Richter sind nicht meine Vorgesetzten. Aber jeder wusste, dass Kaufmann sehr unangenehm werden würde, wenn man nicht tat, was er wollte. Es war vielleicht falsch, Steinhagen anzulügen. Aber ich dachte, dass die beiden ja ohnehin in wenigen Minuten miteinander in der Sitzung sprechen würden. Deshalb fiel es mir auch nicht sehr schwer, nicht ganz die Wahrheit zu sagen.“

Der Wachtmeister ließ sich ohne Einwände seine Fingerabdrücke abnehmen.

***

Die anschließend durchgeführte Vernehmung der sehr attraktiven Mitarbeiterin Alina Gerke brachte zumindest neue Einblicke in die Interna des Verwaltungsgerichts. Schon bevor die Anhörung begonnen hatte, brach sie in Tränen aus. Ohne dass Lukas oder Müller nachfragen mussten, erzählte sie von ihrem ‚Superverhältnis’ zu dem Vorsitzenden der Kammer, deren Geschäfte sie verwaltete: „Er wurde sicher nicht von allen geliebt, weil er immer direkt und deutlich sagte, was er wollte und was er für richtig hielt. Ich kam aber ganz toll mit ihm aus und es gab nie Probleme zwischen uns.“ Im Übrigen bestätigte sie sowohl Sörensens als auch Steinhagens Angaben: „Dr. Kaufmann war etwa Viertel nach acht in der Geschäftsstelle. Dann kam Herr Sörensen und erzählte ihm, dass der Anwalt Steinhagen ihn vor der Sitzung noch sprechen wollte. Dr. Kaufmann hat ihn gebeten, er solle den Mann abwimmeln. Wörtlich hat er gesagt, er solle ihn ihm vom Hals halten.“

Die Frage, wann Dr. Kaufmann am Tag vor seinem Tod das Gericht verlassen habe, konnte sie allerdings nicht beantworten: „Wir sind schon gegen 16.30 Uhr nach Hause gefahren. Da war Dr. Kaufmann noch hier.“

Als Müller, der vorher der Vernehmung nur etwas gelangweilt und scheinbar unaufmerksam gefolgt war, einhakte: „Wen meinen Sie denn mit ‚wir‘?“ zeigte sich, dass Alina Gerke und der Wachtmeister Sörensen zusammen das Gericht verlassen hatten, um in ihre gemeinsame Wohnung zu fahren.

***

Währenddessen hörten Ella Sturm und Susan von dem Felde die beiden Richter an, die in der von Kaufmann geleiteten Kammer tätig waren. Ella Sturm fiel sofort auf, dass die recht junge Proberichterin Anna-Lena Pottschmidt ihren Vorsitzenden an Körpergröße deutlich überragt haben musste. Sie erinnerte sich daran, dass sie selbst während ihres Studienpraktikums ihren Ausbilder als ziemlich kleinen Mann empfunden hatte. Sie konnte ihm bei ihrer Körpergröße von 1,62 m direkt in die Augen blicken. Pottschmidt war seit drei Jahren im Gericht und würde in wenigen Tagen in eine andere Kammer kommen. „Während der Probezeit muss man verschiedenen Kammern angehören, damit man unterschiedliche Gebiete kennenlernt und auch, damit nicht nur ein Vorsitzender abschließend die Leistungen beurteilt“, erläuterte sie. In der Kammer habe eine sachliche Arbeitsatmosphäre geherrscht.

Zu dem anderen Beisitzer der Kammer, Karl-Heinz Herzog, passte der altmodische Ausdruck ‚beflissen’. Er schwärmte geradezu von seinem verstorbenen ‚Boss’ als einem herausragenden Juristen und hervorragenden Leiter der Kammer.

Beide Richter wussten, dass Dr. Kaufmann hochgradig allergisch gegen Wespenstiche war. Zu einer Beratung gut zwei Wochen zuvor habe Herzog einige Stücke Kuchen aus einer Bäckerei nahe dem Haus der Gerichte besorgt, berichteten sie übereinstimmend. Während der heißen Tage seien diese Insekten dort regelmäßig im Gebäck herumgekrabbelt. Eine davon habe zusammen mit den eingekauften Teigwaren den Weg in die Tüte gefunden. Während der Besprechung sei sie aus ihrer Behausung gekrochen und habe Dr. Kaufmann gestochen. Nur wenige Minuten später habe der Vorsitzende über starke Atemnot geklagt. Herzog habe sofort einen Krankenwagen geholt, der Dr. Kaufmann in das St. Georg Krankenhaus gebracht habe.

Beide Richter waren auch darüber informiert, dass man ihrem Vorsitzenden dort ein Notfallset verordnet hatte. Er habe ihnen am Tag darauf ausführlich die Funktion der ihnen präsentierten Medikamente erläutert.

***

Noch während die vier Ermittler nach den Vernehmungen einen kleinen Imbiss in einem Café einnahmen, klingelte Müllers Handy: „Bei euch nimmt auch keiner ab, was? Ich habe schon mehrfach versucht, Benjamin zu erreichen,“ es war Schlichting, „kommt bitte gleich zurück ins LKA. Die Fingerabdrücke auf dem Adrenalinpen stammen nicht von Steinhagen. Wir müssen überlegen, wie wir weiter vorgehen wollen. Habt ihr die Abdrücke von allen Vernommenen?“

Müller bejahte die letzte Frage. Benjamin Lukas sah auf sein Handy. Er hatte ganz vergessen, den Benachrichtigungston nach den Vernehmungen wieder anzuschalten. Es waren neun eingehende Anrufe zu verzeichnen. Der letzte stammte von Schlichting, die übrigen von seiner Frau.

Ein Toter im Haus der Gerichte

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