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3. Kapitel: Obduktion der Leiche

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„Wir haben hier eine männliche Leiche, 59 Jahre alt, knapp 1,70 m groß, in gutem Allgemeinzustand.“ Prof. Mondry spulte sein Diktiergerät zurück, um zu überprüfen, ob der Bericht auch aufgenommen wurde. Er hatte das digitale Diktaphon gerade erst bekommen. Sein altes, ihm vertrautes Gerät war angeblich mit dem System nicht mehr kompatibel. Er fluchte leise. Die junge Pathologin, die mit ihm zusammen die Obduktion durchführen sollte, stand etwas abseits und legte die Utensilien zurecht, die für die Öffnung des Toten benötigt würden, ohne auf das Geschimpfe des Rechtsmediziners zu achten.

Oberstaatsanwalt Eriks nutzte die kurze Pause, um sich aus einem kleinen mitgebrachten Fläschchen mit japanischem Minzöl einige Tropfen unter die Nase zu reiben. An den süßlichen Geruch eines geöffneten Toten konnte er sich einfach nicht gewöhnen, obwohl er in den sogenannten Leichensachen seit Jahren von der Staatsanwaltschaft eingesetzt wurde. Hatte man den Duft erst einmal in der Nase, bekam man ihn tagelang nicht wieder heraus. Ähnlich roch es auch in Schlachtereien, weshalb Eriks solche Geschäfte mied. In den Fleischereien der Supermärkte bemerkte er das Aroma allerdings nicht. Wegen seines regelmäßigen Einsatzes im gerichtsmedizinischen Institut nannte man ihn in der Justiz und bei den übrigen Eingeweihten „Leichen-Eriks“. Selbstverständlich redete ihn niemand direkt mit diesem Spitznamen an, aber er kannte ihn und trug in mit einem gewissen Stolz.

Prof. Mondry und Eriks arbeiteten schon seit vielen Jahren zusammen. Sie waren fast gleichalt und standen beide kurz vor ihrem Ruhestand. Die Obduktion der Leiche des Vorsitzenden Richters am Verwaltungsgericht, Dr. Kaufmann, die Eriks auf Bitten der Mordkommission beantragt hatte, war an sich nicht spektakulär. Trotzdem empfand der Staatsanwalt es als etwas Besonderes, einen Kollegen aus der Justiz auf dem Tisch zu haben. Prof. Mondry ging es nicht anders.

Als der Gerichtsmediziner und die junge Pathologin den entkleideten Leichnam auf den Bauch drehten, war eine ausgeprägte Rötung und Schwellung auf dessen rechter Gesäßhälfte auszumachen. Mondry wandte sich kurz an den Oberstaatsanwalt: „Es spricht Vieles dafür, dass wir hier die eigentliche Sterbeursache haben, einen Wespenstich. Nun wollen wir uns mal auf die Suche nach Injektionseinstichstellen begeben.“ Bevor er dies weiter erläutern musste, winkte Eriks ab. Die Kripo hatte ihn schon über die Adrenalin-Autoinjektionen auf dem Tisch des Toten informiert. Ihn fröstelte. Er hatte ein für die sommerlichen Außentemperaturen geeignetes kurzärmeliges Hemd angezogen und dabei nicht daran gedacht, dass der Obduktionsraum stark abgekühlt war.

Diese Suche nach den Einstichstellen nahm fast eine viertel Stunde in Anspruch. Mondry, der sich seine Lesebrille aufgesetzt hatte, und die junge Ärztin waren mit ihren Nasen dabei sehr dicht am Untersuchungsobjekt.

„Auch nach eingehender äußerer Besichtigung des Verstorbenen sind keine Einstiche durch Injektionsnadeln auszumachen. Fazit: Der Tote hat sich sehr wahrscheinlich nach dem Wespenstich, der für die Anaphylaxie und damit für den Tod ursächlich war, keine Injektion gesetzt.“

***

Prof. Mondry gab dieses Ergebnis gleich nach der Obduktion telefonisch an den Ermittlungsleiter der Kripo weiter.

„Können wir sicher sein, dass er sich nicht gespritzt hat?“ Die Antwort auf diese Frage Schlichtings war wesentlich dafür, ob weitere aufwändige Ermittlungen angestellt werden mussten.

„Eine hundertprozentige Sicherheit hat man doch fast nie, das wissen Sie mindestens so gut wie ich. Es muss Ihnen genügen, wenn ich sage, dass ich davon überzeugt bin. Die Injektionsnadeln sind zwar sehr dünn, aber minimale Stellen hätten sie hinterlassen müssen, zumal der Tote sehr hellhäutig war.“

Eine toxikologische Untersuchung sollte auch durchgeführt werden. Wie der Mediziner erläuterte, würde der Wirkstoff Adrenalin bzw. Epinephrin aufgrund der äußerst kurzen Halbwertszeit dabei mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr festgestellt werden. „Anders ausgedrückt“, erklärte der Arzt, „wenn man den Wirkstoff nicht findet, lässt sich allein daraus auch nicht herleiten, dass er nicht gespritzt wurde.“

Schlichting hatte das Telefonat noch nicht ganz zu Ende geführt, als Müller mit nachdenklicher Miene in sein Büro trat.

„Wie abgesprochen haben Benjamin und ich uns von Dr. Macke dessen Angaben von gestern Abend noch einmal vor Ort bestätigen lassen. Als ich ihn schon beim Hinausgehen fragte, ob ihm sonst noch irgendetwas aufgefallen ist, erzählte er, dass er den Anwalt Steinhagen gestern kurz nach acht Uhr in den Richterflur gelassen hat. Der Bereich ist sonst nur für Gerichtsbedienstete mit Sicherkarte zugänglich, wie wir wissen. Steinhagen wollte zu Dr. Kaufmann.“

Außer Ella Sturm machten alle anderen bei der schnell anberaumten Besprechung lange Gesichter. Neben dem Ergebnis der Obduktion lagen inzwischen auch die daktyloskopischen Untersuchungen der Spusi auf dem Tisch.

„An den Türgriffen und an einigen Gegenständen wurden eine Menge Fingerabdrücke gefunden, die nicht zugeordnet werden konnten. Das ist auch kein Wunder, da viele Personen Zugang zum Zimmer hatten. Interessant ist aber, dass auch an einem der Adrenalinpens neben den Abdrücken des Toten weitere daktyloskopische Spuren waren. Es muss also außer Dr. Kaufmann noch ein anderer den Pen angefasst haben.“ Schlichting blickte in die Runde. Ohne weitere mit viel Arbeit verbundene Ermittlungen würde dieser Fall nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führen. Das war allen klar.

„Wollen wir gegen Steinhagen schon vor seiner Vernehmung etwas veranlassen?“ Lukas spielte auf einen Haftbefehl an. Schlichting winkte ab: „Wir müssen jetzt ernsthaft in Erwägung ziehen, dass nicht nur die Wespe für Dr. Kaufmanns Tod verantwortlich ist. Steinhagen kommt nach Frau Bader-Kaufmanns Aussage als Täter hier in Betracht. Aber einen dringenden Verdacht gegen ihn haben wir noch nicht. Für einen Haftbefehl reicht das also nicht.“

Ein Toter im Haus der Gerichte

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