Читать книгу Wach auf und finde den Arzt in deinem Herzen - Sabine Lesse - Страница 10
Vergib deinen Eltern, denn sie wussten nicht, was sie tun
ОглавлениеBei diesem Thema möchte ich zunächst etwas über Wölfe schreiben. Für die, die jetzt sagen, na super, dann hätte ich mir auch ein Tierbuch kaufen können, wartet ab. Am Ende werdet ihr hoffentlich verstehen, warum ich so weit aushole und dieses Thema gewählt habe.
Der Wolfsforscher Günther Bloch beschreibt in seinem Buch „Wölfisch für Hundehalter“ das Zusammenleben von Wölfen. Übrigens für die, die doch ein Tierbuch suchen und nebenbei ihren Hund besser verstehen wollen, sehr zu empfehlen.
Wie auch immer.
Wölfe in freier Wildbahn zeigen ein nahezu geniales Sozialverhalten. Es gibt zwei klare Rudelführer, ein Männchen und ein Weibchen, von denen immer einer eher offensiv und forsch, der andere eher defensiv und beobachtend ist.
Wichtig ist der Zusammenhalt des Rudels. Ist ein Tier verletzt, bleibt immer ein anderer Wolf bei ihm, leckt seine Wunden, beschützt, wärmt und tröstet ihn.
Er wird regelmäßig mit Futter versorgt, und wenn er sehr schwach ist, sogar mit Vorverdautem, bis er wieder mit jagen kann.
Ebenso werden auch die alten Tiere versorgt und weiterhin auch integriert. Sind sie bei der Jagd nicht mehr schnell genug, so stehen sie doch mit ihren Erfahrungen zur Seite und helfen so den unerfahreneren Jungwölfen.
Werden die Rudelführer zu alt, lösen ihre Kinder sie ab. Doch auch danach zollt das gesamte Rudel den alten Anführern Respekt und profitiert von ihren Erfahrungen.
Die Rudelführer werden übrigens mehr oder weniger gewählt, da sie sich als absolut vertrauensvoll für das Rudel erweisen. Sie müssen sehr soziale Tiere sein, die Streit schlichten, Schwache unterstützen, lernfähig sind und bereit sind, von erfolgreichen alten Wölfen zu lernen.
Sie sind also charakterstarke Persönlichkeiten mit natürlicher Autorität, denn von ihrem Verhalten hängt das Überleben des gesamten Rudels ab.
Wie Günther Bloch so schön schreibt, „Wölfe sind eben doch die besseren Menschen“.
Nehmen wir dagegen Wölfe in Gefangenschaft. In einem Wolfsgehege sieht das schon ganz anders aus.
Hier ist es nicht wichtig, dass altes Wissen weitergegeben wird und jedes einzelne Mitglied unterstützt wird, wenn es schwächelt, um das gesamte Rudel gesund zu halten.
Hier gelten andere Regeln. Das Revier ist klar definiert. Sie kommen zwar nicht raus, dafür aber auch kein anderer rein. Und jeden Tag wird das Essen frei Haus, ohne was dafür tun zu müssen, geliefert.
In einem Wolfsgehege ist Intelligenz nicht unbedingt nötig, hier geht es darum, möglichst aggressiv, stark und skrupellos zu sein, damit man das größte Stück Fleisch und den besten Liegeplatz bekommt. Alte, kranke und schwache Tiere werden gnadenlos weg gebissen, weil sie unnütze Fresser sind.
Die intelligenten und sozialen Tiere können den Aggressionen wenig entgegensetzen und werden an den Rand gedrängt.
Kurz, hier regiert nicht der weiseste Wolf, sondern das größte „Arschloch“.
Dem einen oder anderen dämmert es nun vielleicht schon, worauf ich hinaus will.
Sehen wir doch mal die Überflussgesellschaft an. Wir leben im „Wolfsgehege“, häufig auch mit den entsprechenden Anführern.
Doch was passiert in dem Gehege, wenn das Futter plötzlich nicht mehr angeflogen kommt, und die Gehegetüren aufgehen?
Genau das, was jetzt gerade rundherum passiert. Und genau so, wie es bei den Wölfen beim Auswildern auch passieren würde, fangen plötzlich die wirklichen Werte wieder an zu zählen, und die ehemaligen Außenseiter übernehmen nach und nach die Führung.
Nun zum eigentlichen Thema zurück.
Was hat das mit unseren Eltern zu tun?
Sie mussten im „Gehege“ klar kommen und wollten auch, dass wir es schaffen. Doch in ihnen tobt derselbe Kampf wie in ihren Kindern. Tief in ihrem Herzen sind die wahren Werte verankert und wollen gehört werden, aber ihr Verstand sagte ihnen schon in ihrer Kindheit, so wirst du nicht überleben.
Sie waren die besten Eltern, die sie sein konnten!
Denn auch sie tragen im Inneren die Weisheit der enttäuschten und missachteten Kinder, die sie mal waren und irgendwie auch noch sind.
Mit ihrem jetzigen Wissen und ihrer Erfahrung würden sie es heute vielleicht anders machen, aus deiner und ihrer Sicht vielleicht richtiger.
Aber es gibt kein Richtig und kein Falsch, es gibt nur ein Damals und ein Jetzt. Daher ist es auch völliger Quatsch, sich schuldig zu fühlen für etwas, was man in der Vergangenheit getan hat. Denn alleine die Tatsache, dass man sich jetzt schuldig fühlt, zeigt, dass man es nun anders sieht. Man hat also gelernt!
Diese Erklärung beruhigt vielleicht den einen Teil in dir, der die Eltern nun mit etwas mehr Verständnis sieht. Der andere Teil schreit jedoch noch und protestiert. Nach dem Motto, das ist ja alles toll, aber ich bin trotzdem verletzt und kann nicht einfach so verzeihen, da war einfach zu viel.
Wie du auch diesem Teil in dir Frieden bringen kannst, später in diesem Buch.