Читать книгу Angst essen Freiheit auf - Sabine Leutheusser-Schnarrenberger - Страница 10
… ABER WIR SIND NOCH NICHT AM ZIEL
ОглавлениеDie Machtstrukturen in Wirtschaft und Gesellschaft sind mit Blick auf einige Branchen nach wie vor männlich geprägt. Das ändert sich trotz der bestehenden 30-Prozent-Frauenquote für die Aufsichtsräte von bestimmten Unternehmen nur langsam. In den Vorständen tut sich kaum etwas.
Im Zuge der #MeToo-Debatte, die im Oktober 2017 von den USA ausging, wird auch in Europa und in Deutschland über Sexismus und Gewalt diskutiert. Im Kern geht es um Macht. Um Machtmissbrauch, um Machtstrukturen und um Machtgefälle, die würdelos ausgenutzt werden. Die seitdem geführte Auseinandersetzung kann helfen, bestehende Mechanismen aufzudecken, die es meistens Frauen erschweren, einen „mächtigeren“ Mann wegen sexueller Belästigung anzuklagen – unabhängig vom Beruf. Es geht um Scham und um Angst vor den Konsequenzen, etwa vor dem Verlust des Arbeitsplatzes oder des Ansehens.
Die Gesellschaft verkennt und unterschätzt noch immer, wie groß das Machtgefälle in bestimmten Konstellationen tatsächlich ist. Es existiert mit Sicherheit in schlechter bezahlten Jobs ebenso wie in der gut dotierten Unterhaltungsbranche. Dieses Macht- und Hierarchiedenken in der Gesellschaft ist genau das Problem. Erniedrigung und verletzende Missachtung durch sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen sind inakzeptabel und müssen konsequent strafrechtlich geahndet werden. Die Strafbestimmungen sind immer weiter ausgedehnt worden, sodass es keine Strafrechtslücken, sondern eher Beweisprobleme gibt, da häufig Aussage gegen Aussage steht.
Jeder kann von Sexismus und/oder sexueller Belästigung betroffen sein, auch Männer. Die Hintergründe müssen als gesamtgesellschaftliches Problem erkannt werden. Es handelt sich eben nicht um „Kavaliersdelikte“, und es liegt in der Verantwortung der Gesellschaft, der Bagatellisierung entschieden entgegenzutreten. Die Gesellschaft ist sensibler geworden und das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Veränderung ist präsent wie nie zuvor. Das ist auch ein Erfolg des Grundrechts auf Gleichberechtigung. Und was hat das mit Artikel 3 GG zu tun? Was könnte oder müsste der Staat tun? Systemische und Wirtschaftsstrukturen können nicht mit einem Knopfdruck oder mit einem Gesetz verändert werden. Es geht um Chancengerechtigkeit, um Teilhabe, um faire Behandlung und um gesellschaftliches Bewusstsein. Das kann nicht der Staat verordnen, das muss aus der Gesellschaft heraus entwickelt werden.