Читать книгу Das Erbe der Burgherrin - Sabine Müller - Страница 21
Kapitel 5
ОглавлениеHartmut, Wolfgang und die Räuber hatten fast die ganze Nacht nach Mechthild und dem Jungen gesucht, doch ohne Erfolg.
„Kommt, wir gehen zurück zum Lager. Bei Tageslicht haben wir bestimmt mehr Glück“, beendete Hartmut die Suche.
Doch auch am nächsten Morgen fehlte von den beiden Ausreißern jede Spur.
„Wir müssen sie finden. Dort vorne ist eine Hütte. Ich werde nachhören, ob jemand etwas gesehen hat.“
Wolfgang ritt mit Sveti zu der kleinen Behausung. An die Holzhütte war ein kleiner Verschlag angebaut und daneben hatte man einen kleinen Garten angelegt, der von einem niedrigen Zaun umgeben war. Wolfgang klopfte an die Tür. Von drinnen war eine dunkle Stimme neben Kindergeplapper zu vernehmen:
„Falls ihr betteln wollt, wir haben nichts, geht weiter.“
„Wir sind keine Bettler. Wir wollen nur wissen, ob ihr vielleicht eine Frau mit einem kleinen Jungen gesehen habt.“
„Warum fragt ihr?“
„Die Frau ist die Gattin unseres Herrn und ist von ihm weggelaufen und hat sein einziges Kind mitgenommen. Er zahlt eine saftige Belohnung, wenn er sie wieder hat.“
Die Tür öffnete sich und ein Mann mit einem aufgedunsenen Gesicht, in eine schmutzig braune Tunika gekleidet, trat heraus.
„Wie viel lässt denn euer Herr springen?“, wollte er wissen.
„Fünf Schillinge für denjenigen, der sie fängt.“
„Das ist schon ein bisschen was. Die Dame muss was Besonderes sein. Wie sieht sie denn aus?“
„Sie hat haselnussbraunes, langes, lockiges Haar. Ihr blaues Kleid dürfte mittlerweile nicht mehr das beste sein. Der Junge ist sechs oder sieben Jahre alt und hat dunkelblonde Locken.“
„Ich werde meine Augen offen halten“, verkündete der Mann und rieb sich die Hände. Das wäre schnell verdientes Geld! Als Flickschuster musste er für einen solchen Betrag schon viele Schuhe flicken, und was für einen guten Wein er sich davon leisten könnte! Das Wasser lief ihm im Munde zusammen.
„He, Sepp, wer ist denn da?“, ertönte eine Frauenstimme aus dem Innern der Hütte.
„Nur Reiter, die zwei Vermisste suchen.“
Sepp blickte den Reitern nach und ging zurück in die Hütte, wo Frau und vier Kinder unterschiedlichen Alters am Tisch saßen. Rainer war der Älteste, der nächst jüngere war elf und die beiden Mädchen zählten sieben und vier Jahre. Ihre Haare wirkten struppig und sie kratzten hungrig den kargen Hirsebrei mit ihren schmutzigen Händen aus den Schüsseln.
„Ich geh nach dem Essen in die Stadt und sehe, ob ich ein paar Schuhe flicken kann“, verkündete der Vater. Er hoffte, auf dem Weg dorthin eine Spur der beiden zu finden. Er hielt die Augen offen, doch auch er konnte nichts Verdächtiges entdecken. Als er am Abend mit einem Krug Wein zurückkehrte, war er enttäuscht, dass er sie nicht gefunden hatte. Er leerte beim Abendessen einen Becher nach dem anderen und funkelte seine Frau und seine Kinder böse an. Sein Verstand war noch so klar, dass er bemerkte, dass Rainer einen Kanten Brot unter seinem Kittel versteckte. Wollte der etwa abhauen, um sich vor der Arbeit zu drücken? Gerade wollte er mit seinem Arm ausholen und ihm die Flausen aus dem Kopf schlagen, als ihm eine Idee gekommen war. Was, wenn der Junge die Geflohenen gefunden hatte und sie durchfüttern wollte? Er verschloss den Weinkrug und beschloss, den Rest des Abends nichts mehr zu trinken. Er wollte mitbekommen, falls der Junge in der Nacht oder am Morgen in das Versteck der beiden ging. Dann würde er sie schnappen und die Belohnung einstreichen. Sepp murmelte, dass er müde sei, und legte sich schlafen. Rainer sah seine Mutter erstaunt an. Sie hatten befürchtet noch einige Schläge abzubekommen, bevor der Vater so viel getrunken hatte, dass er einschlief.
Die Mutter räumte auf und auch die Kinder legten sich in der Ecke des Raumes nieder, der als Schlafstatt galt.
Am nächsten Morgen waren sie zeitig wach. Der Vater saß bereits am Tisch, als Frau und Kinder aufstanden und das Morgenmahl zubereiteten. Es gab trockenes Brot und Milch, die bereits säuerlich schmeckte. Rainer aß von seinem Stück Brot nur die Hälfte, den Rest versteckte er unter seinem Kittel. Sepp hatte ihn beobachtet, tat aber so, als hätte er nichts bemerkt. Die Mutter räumte schließlich den Tisch ab.
„Du gehst heute zum Acker und hackst ihn durch und ich werde in die Stadt gehen. Ich muss noch ein Paar Schuhe hinbringen, die ich geflickt habe. Ein Händler hat mir einen größeren Auftrag versprochen, es kann also länger dauern, bis ich zurückkehre. Heute Abend will ich sehen, dass du mit dem Acker fertig bist. Sonst kannst du in Zukunft für deine Mahlzeiten selbst sorgen“, bedeutete der Vater seinem Ältesten.
Der Vater erhob sich, nahm seinen Umhang und ein Bündel und verließ die Hütte.
„Ich geh zum Acker, damit Vater zufrieden ist, wenn er wieder kommt“, sagte Rainer und erhob sich ebenfalls.
Sepp, der Flickschuster, bestellte als Tagelöhner einen Acker, der einer Witwe gehörte. Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Er ging nur in die Stadt Schuhe flicken und dem Wein frönen und sein Sohn musste die Feldarbeit erledigen, während die Frau sich um Kinder, Hütte und Garten kümmerte.
Der Junge grämte sich oft darüber, doch heute machte er sich gut gelaunt auf den Weg und bog Richtung Bach ab.
Alles hatte gut geklappt. Er hatte ein wenig Brot und der Vater würde den ganzen Tag wegbleiben. Er hätte also genug Zeit, um die Gräfin und ihren Jungen zu besuchen. Als er bei dem Unterstand angelangt war, saßen sie schon davor und Mechthild frischte Arnolds Verband auf.
„Guten Morgen, ihr beiden“, begrüßte er sie.
„Guten Morgen, Rainer. Schön dich zusehen.“
„Ich habe euch ein wenig Brot mitgebracht, es ist zwar schon trocken, aber ihr könnt es im Wasser aufweichen.“
„Vielen Dank. Das ist sehr nett von dir.“
Mechthild und Rainer stützten Arnold ab, gingen mit ihm an den Fluss und setzten sich ans Ufer. Sie tranken Wasser und aßen von dem Brot.
Dann erfrischten sie sich Arme und Gesicht.
„Tut dein Fuß noch sehr weh?“, wollte Rainer von Arnold wissen.
„Es ist schon besser, aber vor morgen werden wir nicht aufbrechen können.“
„So wie der Fuß aussieht, wohl eher nicht vor übermorgen“, verbesserte Mechthild ihn.
„Ich werde euch helfen, solange ihr hier seid. Ich kann dir einen Stock schnitzen, auf den du dich die erste Zeit abstützen kannst.“
„Das wäre sehr nett von dir.“
„Ich werde gleich nach einem geeigneten Ast suchen“, verkündete Rainer, erhob sich und schritt auf das nahe Wäldchen zu. Plötzlich knackte es im Unterholz und Rainer ging in Deckung. War da jemand? Doch gleich darauf flogen zwei Vögel auf. Rainer atmete erleichtert auf und machte sich auf die Suche. Es dauerte nicht lange, bis er einen Ast gefunden hatte, der sich am Ende gabelte, sodass Arnold ihn unter die Schulter klemmen konnte. Er brach ihn auf die richtige Länge zurecht und bearbeitete die Enden.
„Hier Arnold, probier ihn gleich aus“, hielt er ihm stolz die Stütze hin.
Dieser klemmte sie unter den Arm und versuchte, ein paar Schritte zu machen.
„Das klappt schon ganz gut. Vielen Dank, Rainer!“
„Ich muss mich jetzt um meinen Acker kümmern, sonst schlägt mich mein Vater grün und blau, wenn er nach Hause kommt. Später komme ich wieder zu euch“, verabschiedete sich Rainer von den beiden und machte sich auf den Weg. Er musste sich sputen.
Als er endlich das ganze Feld bearbeitet hatte und sich mit einem Lappen den Schweiß von der Stirn gewischt hatte, trat plötzlich sein Vater hinter ein paar Büschen hervor. Er hielt einen Lederriemen in der Hand und begann auf Rainer einzuschlagen, der sich erschrocken duckte.
„Du wolltest wohl die Belohnung für die beiden allein einstreichen und dich davon machen? Das könnte dir so passen!“
Immer wieder hieb er auf den Jungen ein, der sich ganz zusammenkauerte.
Schließlich trat er zu ihm und fesselte seine Hände auf den Rücken.
„Du gehst jetzt erst einmal nach Hause.“
Er trieb den Jungen mit der Peitsche vor sich her, bis sie an der Hütte angelangt waren. Die Kinder beobachteten mit Entsetzen, wie der Vater Rainer in den kleinen Verschlag schupste und die Tür mit einem großen Schlüssel abschloss, den er sich um den Hals hängte. Sepp rieb sich zufrieden die Hände und machte sich auf den Weg zum Lager der Männer, die bereit waren, eine hohe Belohnung zu zahlen.
„Seid gegrüßt! Ich habe eine gute Nachricht für euch. Ich kann euch zu euren Ausreißern führen.“
„Was sagst du? Wo sind sie?“, fragte Hartmut erleichtert.
„Erst gebt ihr mir die Belohnung.“
„Also gut, aber du wirst uns selbst hinführen und wehe, sie sind nicht dort!“
Hartmut zählte Sepp fünf Schilling in die schmutzige Hand und dessen Augen blitzten gierig auf. Schnell verstaute er die Münzen in seinem Beutel und schob ihn unter seine Tunika.
„Folgt mir“, bedeutete er den Männern, die schnell ihre Pferde nahmen und langsam hinter dem Mann herritten. Als sie in Sichtweite des Unterstands waren und Mechthild und Arnold schon von Weitem sahen, zügelten sie die Pferde und stellten sie in dem kleinen Wald ab.
Sepp beobachtete, wie die Männer sich vorsichtig an den Unterstand heranschlichen. Als sie nur wenige Schritte entfernt waren, wurden sie von Mechthild entdeckt, die zu schreien begann. Sie zerrte Arnold auf und versuchte mit ihm zu fliehen, doch sie kamen nur wenige Schritte, bis die Räuber sie erreichten.
„Ihr habt wohl gedacht, ihr könnt uns entwischen!“
Mechthild zog den Dolch heraus, den sie eingesteckt hatte, und wollte auf Hartmut losgehen. Doch Wolfgang, der nun auch bei ihnen angelangt war, trat gegen ihre Hand, sodass das Messer mehrere Fuß weit über den Boden flog. Schnell warf er Mechthild nieder.
„Das war knapp!“, bedankte sich Hartmut bei seinem Freund.
„Fesselt sie! Wir bringen sie zu den Pferden!“
Sie luden die beiden auf die Pferde, als sich Sepp noch einmal bemerkbar machte:
„Könnt ihr nicht noch einen Jungen gebrauchen, der für euch arbeitet?“
Hartmut wollte gerade verneinen, als Sveti sich einschaltete: „Warum eigentlich nicht? Er könnte helfen das Floß zu staken.“
In Gedanken fügte er hinzu: „Und in Warna verkaufen wir ihn als Sklaven!“
„Es ist ein fleißiger, kräftiger Junge, der gut anpacken kann. Ihr müsstet mir schon ein paar Schilling für ihn geben, schließlich fällt er bei mir als Arbeitskraft weg.“
„Warum willst du ihn denn hergeben?“
„Ich habe vier Kinder, die mir die Haare vom Kopf fressen. Mein Zweiter ist alt genug, um Rainers Arbeit zu machen, deshalb könnt ihr ihn haben.“
„Also gut, du bekommst fünf Schilling für ihn.“
„Fünf Schilling? Das ist ein Hohn! Fünfzehn ist das mindeste!“, rief Sepp empört. Sie einigten sich schließlich auf zehn Schilling und besiegelten den Handel per Handschlag.
„Ich bringe ihn morgen in aller Frühe zu euch.“
Sepp entfernte sich von den Männern, die mit den Flüchtlingen zum Lager zurückkehrten.
„In Zukunft werden wir sie wieder an Armen und Beinen gefesselt lassen. Die entwischen uns nicht noch einmal!“, beschloss Sveti.