Читать книгу Das Erbe der Burgherrin - Sabine Müller - Страница 8
Kapitel 2
Оглавление„Gehen wir heute wieder zur Merburg?“, fragte der kleine Arnold seine Mutter erwartungsvoll.
„Ja, wenn du möchtest. Wir holen uns nur noch bei Emma in der Küche einen Kanten Brot und Speck. Dann können wir an der Ruine etwas essen.“
Mechthild liebte es, mit ihrem Sohn durch die Wälder zu streifen. Sie rückte ihre weiße Haube zurecht und strich ihr dunkelgrünes Kleid glatt. Dann nahm sie Arnold an der Hand und ging mit ihm zur Burgküche. Arnold hüpfte vergnügt auf und ab. Plötzlich entwand er sich seiner Mutter.
„Ich hole schnell mein Schwert, damit ich dich beschützen kann!“
„Ja, mach das. Wir treffen uns am Burgtor.“
Mechthild schaute Arnold lächelnd nach. Wie gut der Junge seinem Vater glich! Das gleiche dunkelblonde, krause Haar und die strahlend blauen Augen. Auch das kleine Mal in Form eines Lindenblattes, welches schon seine Großmutter Margareta zierte, hatte er geerbt. Mechthild strich unwillkürlich über ihren Bauch. Ihre letzte Blutung lag eine Weile zurück und heute Morgen war ihr zum ersten Mal speiübel gewesen. Ob sie wohl endlich ein neues Kind in sich trug? Bei dem Gedanken an Konrad und was für ein Gesicht er machen würde, wenn er davon erfuhr, begann sie zu lächeln und dieses Lächeln trug sie immer noch auf dem Antlitz, als sie bei Emma in der Küche angelangte.
„Was strahlt Ihr so, Herrin?“, fragte die junge, hagere Köchin erstaunt. Sie stand erst seit wenigen Monaten in den Diensten der Grafen von Homburg.
„Ich musste gerade an etwas Schönes denken. Packst du mir schnell einen Kanten Brot und ein Stück Speck ein, Emma? Ich gehe mit Arnold zur Merburg. Er freut sich schon so darauf.“
„Wollt Ihr nicht einen der Ritter bitten, Euch zu begleiten?“
„Nein, das ist nicht nötig. Wir sind den Weg schon hundertmal gegangen!“
„Aber Eure Schwiegermutter wird das nicht gutheißen, Herrin!“
„Sie muss es ja nicht erfahren.“
Mechthild schnappte sich den Beutel mit Essen, den Emma zusammengeschnürt hatte, und beeilte sich zum Burgtor zu gelangen. Emma sah ihr nach und schüttelte den Kopf. Hoffentlich passierte nicht doch noch etwas.
„Mama, Mama, wo bleibst du denn?“, empfing Arnold seine Mutter ungeduldig.
„Emma hat ein bisschen länger gebraucht. Aber jetzt können wir los!“
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg am Ritterübungsplatz vorbei, der kurz nach Mittag immer verlassen da lag. Mechthild hatte keine Lust von einem Ritter begleitet zu werden, der möglicherweise die ganze Zeit den Kopf darüber schüttelte, dass sie als Gräfin mit ihrem Sohn im Wald spielte und sang. Die Frühlingssonne wärmte die Luft angenehm und die ersten Vögel zwitscherten. Bald würden die Büsche und Bäume ergrünen. Mechthild sog begeistert die Luft ein. Überall roch es nach Frühling.
„Sieh, dort vorne sitzt ein Hase!“, flüsterte Arnold und schlich leise in die Richtung des Nagetiers. Der Hase richtete sich auf, schnupperte kurz und ergriff hakenschlagend die Flucht, als er die Witterung der beiden aufnahm.
„Schade! Der sah so putzig aus, als er Männchen gemacht hat.“
„Jetzt, wo das Wetter wärmer wird, werden wir noch oft Gelegenheit haben, einen Hasen zu beobachten.“
Sie wanderten über die Bergnase und der Wald wurde dichter.
„Hätte ich doch nur ein Messer mitgenommen, dann könnte ich mir einen Stock schnitzen!“
„Da hast du aber Glück, dass deine Mutter an alles gedacht hat!“
Mechthild löste den kleinen Dolch, den sie immer bei sich trug, von ihrem Gürtel und reichte ihn dem Jungen.
„Danke!“, rief dieser erfreut und suchte sich gleich einen geeigneten Zweig, den er mit dem Messer bearbeiten konnte. Mit angestrengtem Gesicht schabte er mit dem Dolch über das Holz, bis das Ende des Steckens ganz spitz geworden war. Dann ritzte er vorsichtig ein Zickzackmuster in die Längsseite.
„Siehst du, wie spitz er geworden ist? Man kann ihn nicht nur zum Abstützen, sondern auch als Speer für die Jagd benutzen! Den muss ich unbedingt Vater zeigen!“
Mechthild fuhr andächtig über die Spitze.
„Ja, der ist richtig gut geworden, aber bis du mal zur Jagd gehst, dauert es noch ein Weilchen.“
„Vater hat gesagt, ich dürfte nächstes Jahr schon mit und mit meiner Armbrust schießen!“
Graf Konrad hatte seinem Sohn eine kleine, kindgerechte Armbrust anfertigen lassen und der Junge übte voller Stolz damit. Er stellte sich genauso geschickt an wie sein Vater und Großvater vor ihm.
„Jetzt lass uns erst einmal weiter zur Merburg gehen.“
Es dauerte nicht lange, bis sie zu den Felsen oberhalb des Fischweihers vor der Ruine gelangten.
„Mit dem vielen Moos sehen diese Felsen ganz weich aus!“
Arnold setzte sich auf den größten der Felsen und ruhte sich kurz aus. Auch Mechthild nahm Platz.
„Wusstest du, dass hier, vor langer Zeit, dein Onkel Simon bei einer Jagd ums Leben gekommen ist?“
„Hier auf diesen Felsen?“
„Nein, dort unten. Aber auf diesen Felsen hat der Knecht von Simons Vetter gelegen und ihn mit einer Armbrust erschossen.“
„Aber das ist ja entsetzlich! Warum hat er das getan?“
„Simons Vetter Walther wollte Graf von Homburg werden und wurde es später auch, bis man hinter sein falsches Spiel gekommen ist und erkannt hat, dass dein Vater der wahre Graf ist.“
„Das hört sich spannend an. Erzählst du mir genau, wie das war?“
„Vielleicht später einmal. Komm, wir gehen weiter.“
Arnold sprang auf und rannte zum Weiher. Bevor Mechthild etwas sagen konnte, hatte er sich seiner Lederschuhe entledigt, die Beinlinge hochgezogen und watete durch das seichte Wasser.
„Aber Arnold! Es ist doch noch viel zu frisch!“
„Vielleicht kann ich mit meinem Speer einen Fisch fangen!“
Der Junge watete durch das Schilf am Ufer und spähte angestrengt ins Wasser. Als er einen kleinen Fisch entdeckte, blieb er ganz ruhig stehen, kniff die Augen zusammen und hielt die Luft an. Blitzschnell stach er mit dem Speer zu, doch der Fisch war noch schneller und verschwand.
„Schade, beinahe hätte ich ihn erwischt! Dann hätte Emma uns Fisch braten können!“
„Das hätte bestimmt für die ganze Burg gereicht“, scherzte Mechthild.
Auch seine nächsten Versuche scheiterten. Arnold stieg aus dem Wasser und rannte durch die Wiese, bis seine Füße wieder trocken waren. Als er endlich genug davon hatte, gingen sie hinüber zur Burgruine. Dort band Arnold sein Holzschwert ab und begann wild gegen unsichtbare Feinde zu kämpfen. Mechthild setzte sich auf die Mauerreste und sah ihm zu. Wie würde es sein, wenn das neue Kind erst da wäre? Hätte sie dann überhaupt noch Zeit für Arnold? Ihre Spaziergänge im Wald würden seltener werden. Auch ließe sie Margareta hochschwanger überhaupt nicht mehr alleine ziehen. Aber bis dahin war noch Zeit. Vielleicht sollte sie noch warten, bevor sie von ihrer Schwangerschaft berichtete. Dann könnte sie noch ein wenig ihre Freiheit genießen.
Mechthild packte das Brot und den Speck aus. Sie schnitt beides in Stücke und rief dann:
„Ist da vielleicht ein hungriger Ritter?“
„Ja, gewiss!“
Arnold kam angerannt und ließ sein Schwert auf den Boden fallen. Er setzte sich zu Mechthild auf die Mauer und ließ es sich schmecken.
„Hm! Draußen an der frischen Luft schmeckt es immer am besten!“
Arnold langte reichlich zu. Er biss immer abwechselnd von Brot und Speck ab und musste fest kauen.
„Aua! Oh, sieh mal - mein Zahn!“
Arnold hielt Mechthild überrascht den kleinen weißen Milchzahn entgegen.
„Tatsächlich! Der erste Wackelzahn ist draußen! Mein kleiner Junge wird groß!“, Mechthild lächelte und betrachtete anerkennend den Zahn.
„Das müssen wir unbedingt Vater erzählen! Jetzt muss er mich auf die nächste Jagd mitnehmen! Komm wir gehen gleich zurück!“
Arnold war zu aufgeregt, um noch weiter zu essen. Mechthild packte alles zusammen und dann traten sie den Rückweg an. Arnold hatte den Zahn behutsam in seinen Beutel verstaut und begann begeistert Jagdlieder zu singen. Auch Mechthild stimmte mit ein. Als sie den Ritterübungsplatz erreichten, wo die Grafen gerade mit den Rittern übten, schaute Konrad erstaunt auf und kam ihnen entgegen.
„Na, ihr seid aber gut gelaunt!“
„Vater, Vater!“, rief Arnold, „sieh, was ich hier habe!“
Der Junge zog ganz aufgeregt den kleinen Zahn aus seinem Beutel und hielt ihn dem Vater hin.
„Was ist denn das? Das ist ja ein Zahn! Komm lass dich ansehen! Zeig mir deine Zähne.“
Arnold öffnete mit einem breiten Grinsen den Mund und zeigte seinem Vater die Zahnlücke.
„Unser kleiner Junge wird zum Mann!“, rief Konrad erfreut.
„Jetzt übertreib nur nicht,“ Mechthild lächelte, „sonst will er gleich nach Kirkel und Page werden.“
„So lange dauert das auch nicht mehr.“
Wehmütig wurde Mechthild bewusst, dass Konrad damit recht hatte. In spätestens zwei Jahren würde Arnold Page sein! Sie durfte gar nicht daran denken! Umso wichtiger war es jetzt, dass sie so viel Zeit wie möglich mit ihm verbrachte.
„Vater, hier sieh meinen Speer! Ich habe ihn selbst geschnitzt. Er ist vorne ganz spitz. Beinahe hätte ich einen Fisch damit gefangen.“
Während Arnold bei Konrad blieb und seinem Vater vorführte, wie er mit dem Speer Fische fangen konnte, verabschiedete sich Mechthild und ging zum Burgbrunnen, um sich ein wenig zu erfrischen. Sie bat eine Magd, einen Eimer mit frischem Wasser hochzuziehen und wusch sich Hände und Gesicht mit dem kühlen Nass.
„Grüß dich Mechthild!“, ertönte eine Stimme vom Oberhof der Burg herunter. An den Zinnen, die den Oberhof begrenzten, stand Mechthilds Schwester Irmgard mit ihren Töchtern Jutta und Katharina und winkte herab.
„Seid gegrüßt, ihr drei!“
Mechthild machte sich lächelnd auf den Weg die Treppen hinauf. Irmgard war ein wenig fülliger als Mechthild, aber ansonsten glich sie ihrer Schwester wie aus dem Gesicht geschnitten, die gleichen haselnussbraunen Haare und dunklen Augen und die Grübchen in den Wangen, die sich beim Lächeln besonders abzeichneten. Ihre Tochter Jutta war fast ein Jahr älter als Arnold. Sie trug das lange glatte, blonde Haar ordentlich geflochten. Über ihr blaues Kleid hatte sie eine weiße, saubere Schürze gebunden. Wie so oft sahen ihre blauen Augen leicht tadelnd auf Mechthild herab, deren Garderobe bei ihrer Wanderung durch den Wald ein wenig gelitten hatte. Doch die kleine Katharina, die kaum fünf Jahre zählte, war ein richtiger Wildfang. Ihre braunen Locken ließen sich einfach nicht bändigen und ihr braunes Kleidchen wurde immer von ein paar Flecken geziert. Sie war das Gegenteil ihrer großen Schwester und strahlte Mechthild aus ihren grünen Augen an.
„Warst du wieder im Wald, Tante Mechthild?“
„Ja, ich habe einen Spaziergang mit Arnold gemacht. Wir waren drüben an der Merburg. Es war wunderschön! Wollt ihr nicht auch einmal mit uns kommen?“
„Oh, ja!“, frohlockte Katharina begeistert.
„Aber Tante, das ist doch viel zu gefährlich!“, rief Jutta entsetzt.
„Wenn wir alle zusammen gehen und vielleicht noch Ritter Hanricus mitnehmen, wird das schon gehen,“ mischte sich Irmgard ein.
„Können wir gleich morgen losziehen? Bitte, bitte!“, bettelte Katharina begeistert.
„Wenn Konrad und Friedrich nichts dagegen haben.“
„Lasst uns nun zum Rittersaal gehen. Die Abendmahlzeit wird bald aufgetragen.“
Die Frauen und Kinder machten sich auf den Weg und nahmen an dem großen Herrentisch Platz. Es dauerte nicht lange, bis sich der Saal füllte. Konrads Mutter, Margareta, setzte sich auf ihren Platz in der Mitte der großen Tafel. Mit ihren zweiundsechzig Jahren war sie immer noch eine stattliche und würdevolle Frau. Sie trug ein schlichtes braunes Gewand und eine Kette mit einem goldenen Kreuz. Ihre grauen Haare hatte sie unter einer weißen Haube versteckt und ihr Gesicht wurde von Lachfältchen geziert. Die Grafen Konrad und Friedrich trafen mit ihren Rittern, Knappen und Knechten hungrig von ihren Übungen ein. Der kleine Arnold war immer noch an der Seite seines Vaters und redete mit ihm über Waffen. Auch das Gesinde fand sich ein und die Pagen begannen damit, das Essen aufzutragen.
„Hab ich einen Hunger!“, rief Graf Friedrich, Konrads Vetter, als der deftige Fleischeintopf seinen Duft verbreitete. Friedrich war nur wenige Jahre älter als Konrad, sein dunkelblondes Haupthaar begann sich zu lichten, doch dafür wuchs sein Bart umso dichter und sein grünes Wams spannte sich über seinem Bauch. Genau wie Konrad trug er den Titel „Graf von Homburg“. Gemeinsam und gleichberechtigt regierten sie über die kleine Grafschaft im Westrich.
„Das Frühlingswetter macht wohl Appetit“, lächelte Irmgard über ihren Mann.
Die Pagen füllten die Holzschalen mit Eintopf und die irdenen Becher mit verdünntem Wein. Altgräfin Margareta, die viele Jahre als Äbtissin einem Kloster vorgestanden hatte, erhob sich und sprach einen Segensspruch. Dann langten alle zu. Vor wenigen Jahren hatte in der Gegend eine Hungersnot geherrscht, doch die mageren Jahre waren endlich vorüber und das Essen reichte für alle.
„Morgen wollen wir wieder eine Wanderung zur Ruine der Merburg machen und Irmgard und die Mädchen wollen uns begleiten. Wir nehmen Ritter Hanricus zum Schutz mit, wenn du ihn entbehren kannst“, wandte sich Mechthild an Konrad.
„Oh, das geht leider nicht, Mechthild. Morgen reite ich nach Kirkel und ich hätte gerne, dass du mich begleitest. Magdalena geht es nicht so gut.“ Magdalena, die von allen nur Leni genannt wurde, war Konrads Ziehmutter. Sie hatte ihn als Säugling im Wald gefunden, nachdem sein Vetter Walther veranlasst hatte, dass man ihn aussetzte und für tot erklären ließ.
„Oh, ich verstehe. Dann müssen wir unsere Wanderung verschieben.“ Jutta atmete erleichtert auf. Sie ging nicht gerne durch den Wald. Die Bäume jagten ihr immer ein wenig Angst ein. Katharina hingegen verzichtete nur ungern auf das kleine Abenteuer.
„Magdalena geht es schlecht?“, mischte sich Margareta ein.
„Ja, Thea hat einen Boten geschickt. Sie hat so starke Schmerzen und kann kaum noch aufstehen.“
„Das tut mir leid. Richtet ihr die besten Grüße und Wünsche von mir aus. Ich werde für sie beten.“