Читать книгу Das Erbe der Burgherrin - Sabine Müller - Страница 7
Kapitel 1
ОглавлениеSchwester Loretta wischte sich den Schweiß von der Stirn, als sie atemlos in der Klosterküche angelangte.
„Wo bleibst du denn?“
Amalie, die Köchin des kleinen Zisterzienserinnenklosters St. Thomas an der Kyll war eine kleine rundliche Frau mit wachsamen Augen. Vorwurfsvoll musterte sie die stämmige, ältere Laienschwester, deren linke Wange eine hässliche Narbe zierte.
„Hier, zieh dir die Schürze über.“
Sie hielt Loretta eine weiße Schürze entgegen.
„Eine Pilgergruppe ist gerade angekommen. Du weißt, was das bedeutet?“
Loretta wusste sehr wohl, was das hieß. Noch mehr Rübenschälen als sonst! Widerwillig nahm sie die Schürze und band sie sich über die Nonnentracht. Dann gesellte sie sich zu den anderen drei Schwestern, die bereits fleißig am Arbeiten waren. Loretta stellte einen Korb voller Rüben vor sich und begann mit einem rostigen Messer die dünne Schale von dem Gemüse abzuschaben.
Sie hasste diese Arbeit, genauso wie alles andere hier im Kloster. Wenn man doch nur die Zeit zurückdrehen könnte! Mit ihrem ersten Gemahl lebte sie als Gräfin auf der Burg Lichtenberg. Nach dessen Tod machte sie sich auf die Suche nach einem neuen Gatten, bevor die Kinder ihres Gemahls sie in ein Kloster stecken konnten. Auf der Homburg wurde sie fündig und heiratete den dortigen Burgherren, Graf Walther. Durch einen Unfall hatte dieser ein lahmes Bein, welches er hinter sich herzog. Es war leicht, ihn für sich zu gewinnen. Gemeinsam führten sie ein strenges Regiment. Genauso wie Walther fand auch Loretta schnell daran Gefallen, die Untertanen zu schikanieren. Walther hatte eine Leidenschaft für Ritterturniere und scharte viele raue Gesellen um sich. Um seine Ritter durchzufüttern und auszustatten, ließ er seine Untertanen und Hörigen hungern.
Als nach dem dritten kalten Winter in Folge die Nahrungsmittel knapp wurden, hatten sich die Bauern gegen ihn verschworen und baten die umliegenden Grafen um Hilfe. Diese fanden heraus, dass sich Walther den Grafentitel unrechtmäßig angeeignet hatte, und machten zusammen mit Walthers Tante Margareta den wahren Erben der Homburg ausfindig. Walther wurde hingerichtet und Loretta verbannte man in dieses düstere Kloster in der Eifel, wo sie von morgens bis abends arbeiten musste und niemand mehr da war, der sie bediente.
Sieben Jahre waren vergangen, doch noch immer sann sie nach Rache. Wenn sie nur einen Weg finden würde, wie sie Walthers Tod und ihre Verbannung rächen könnte! Wie gerne würde sie es Margareta und deren Sohn Konrad heimzahlen!
Irgendwann würde ihre Stunde schlagen, das wusste sie.
„Pass auf Loretta! Sonst schälst du die Rüben so sehr, dass nichts mehr von ihnen übrig bleibt!“, schalt Amalie.
Bald war das Gemüse geputzt und klein geschnitten. Die Köchin schürte das Feuer und hängte den großen Kessel über die Feuerstelle. Während der Eintopf vor sich hin köchelte und einen angenehmen Duft verbreitete, räumten sie die Küche auf, machten alles sauber und warfen den Abfall in die Latrine. Loretta ging mit den anderen zum Speisesaal der Nonnen und deckte den Tisch. Dann begaben sie sich ins Gästehaus und deckten auch dort ein.
Als die Glocke zur Sext läutete, kamen die Nonnen von ihrer Arbeit in den Speisesaal und beteten, bevor sie mit ihrem Mahl begannen. Loretta wurde damit betraut, sich im Gästehaus um die Pilger zu kümmern. Sie würde erst später essen. Zuerst hatte sie sich darüber geärgert, doch dann war sie froh über die Gelegenheit, mit den Fremden ein paar Worte wechseln zu können. Vielleicht hatten sie Interessantes zu berichten.
„Wo kommt ihr denn her?“, fragte sie, während sie eine Schüssel mit Eintopf auf den Tisch stellte und mit einer Kelle die Teller der müden und hungrigen Pilger füllte.
„Wir kommen aus Zweibrücken“, antwortete einer, der sogleich gierig anfing zu essen. Nicht überall bekam man als Pilger eine warme Mahlzeit.
„Das ist gar nicht so weit weg von meiner alten Heimat.“
Loretta strich sich die Schürze glatt, bevor sie mit dem Ausschenken fortfuhr.
„Und wo war das?“
Sie zögerte zuerst, antwortete aber trotzdem:
„Auf der Homburg.“
„Ah, dort war ich vor gar nicht all zu langer Zeit.“
„Was machen denn die Grafen dort?“
„Sie haben die Burg herausgeputzt und auch der Flecken im Tal wird immer größer.“
„Wie geht es Margareta?“
„Als ich dort war, hatte sie gerade Streit mit ihrer Schwiegertochter Mechthild, weil diese immer mit dem kleinen Arnold allein durch den Wald streift. Margareta wollte wohl, dass sie einen Ritter mitnimmt, damit kein Räuber ihnen etwas antun kann, aber Mechthild ist ein richtiger Sturkopf. Sie hat vor nichts und niemandem Angst. Sie ist ein sehr eigensinniges Geschöpf, aber Graf Konrad liebt sie über alles.“
Loretta hörte gespannt zu und begann zu überlegen. War das endlich die Gelegenheit, auf die sie so lange gewartet hatte? Mutter und Sohn allein im Wald, ohne Wachen? Da wäre es doch für ein paar Räuber ein leichtes Spiel, die beiden zu entführen! Was würde Margareta sagen, wenn ihr Enkelsohn verschwände? Ein Lächeln huschte über Lorettas Gesicht.
„Es reicht, es reicht“, rief der Pilger plötzlich, dessen Teller sie so reichlich füllte, dass er am Überlaufen war.
„Oh, verzeih mir, ich musste gerade an früher denken.“
Loretta wischte die verschüttete Suppe auf.
Nachdem die Pilger ihre Mahlzeit beendet hatten, räumte sie ab und trug das schmutzige Geschirr in den Küchenbau. Ihre Gedanken begannen um das gerade Gehörte zu kreisen. Wie könnte sie es nur anstellen, dass man die junge Gräfin mit ihrem Sohn entführte? Sie wusste, dass zwei von Walthers ehemaligen Rittern in der Nähe von St. Thomas weilten. Wie konnte sie nur die beiden von einer solchen Tat überzeugen? Geld hatte sie nicht, und ob deren Rachebedürfnis den Homburgern gegenüber genauso groß war wie ihr eigenes, wusste sie nicht.
Plötzlich kam ihr eine Idee. Man hatte im Kloster ein sehr wertvolles Gebetbuch angefertigt. Die Äbtissin war sehr stolz darauf. Vor ein paar Jahren war ein Goldschmied ins Kloster gekommen und hatte einen sehr filigranen Leben-Jesu-Rosenkranz eigens für die Gebete in diesem Buch angefertigt. Die Edelsteinperlen waren in pures Gold eingefasst. Seitdem gehörte dieser Rosenkranz zum Klosterschatz, der zusammen mit der Körperreliquie in einem Schrein in der Kapelle aufbewahrt wurde. Nur die Äbtissin hatte einen Schlüssel zu dem Schrein und bewahrte diesen in ihrem Schlafgemach auf. Loretta hatte ihren Plan gefasst.
Bei der Zubereitung des Abendmahls beklagte sie sich bei der Köchin und den anderen über Bauchschmerzen und gab vor, mehrmals das Latrinenhäuschen aufsuchen zu müssen. Als sich später alle beim Abendessen befanden, verzog sie schmerzhaft das Gesicht und ging hinaus. Sie drehte sich um und sah nach, ob ihr jemand folgte. Die Luft war rein. Geschwind rannte sie zur Unterkunft der Äbtissin. Abermals drehte sie sich um und vergewisserte sich, dass sie niemand sah. Im Schlafgemach suchte sie nach dem Schlüssel des Reliquienschreins. Als sie ihn gefunden hatte, überquerte sie schnell den Hof zur Kapelle und versuchte den Schrein zu öffnen. Zuerst klemmte der Schlüssel, doch schließlich gelang es ihr. Schnell nahm sie den Rosenkranz und ließ ihn in eine Tasche ihrer Kutte gleiten. Dann verschloss sie den Schrein wieder, brachte den Schlüssel zurück und ging zum Abendessen. Bis man den Verlust bemerkte, würden mehrere Wochen vergehen, da die Reliquien nur an den Feiertagen herausgeholt wurden. Keiner würde sie verdächtigen.
In der Nacht, als alle schliefen, schlich sich Loretta aus dem Dormitorium. Sie musste sich beeilen, wenn sie es in der kurzen Zeit, in der die Nonnen ruhten, bis nach Malberg schaffen wollte, wo Walthers ehemalige Ritter Hartmut und Wolfgang in den Dienst getreten waren. Sie huschte über den Klosterhof und verließ das Gelände durch eine kleine Pforte. Es war eine weite Strecke, die sie in der Nacht zurücklegen musste. Sie war dankbar, dass der Mond ihr den Weg leuchtete. Unterwegs erfrischte sie sich kurz an einer kleinen Quelle, bevor sie außer Atem die Burg erreichte.
Es gelang ihr, sich unbemerkt in die Vorburg zu schleichen, wo die Ritter untergebracht waren. Loretta klopfte leise an Hartmuts Tür. Als niemand reagierte, öffnete sie und trat ein. Der Ritter lag in den Armen einer Magd und schnarchte laut. Loretta trat an das Bett, vorsichtig darauf bedacht, nur Hartmut zu wecken. Dieser rieb sich erstaunt die Augen und wollte gerade hochfahren, als Loretta ihn besänftigte.
„Pst, sei leise, ich bin es, Loretta, deine alte Herrin.“
„Was wollt Ihr hier mitten in der Nacht?“, fragte Hartmut erstaunt, der eine Weile brauchte, um zu sich zu kommen.
„Rück ein wenig herüber, dein Liebchen braucht nichts mitzubekommen.“
Vorsichtig entwand sich der Ritter der Magd und ging mit Loretta in die andere Ecke der Kammer.
„Ich brauche deine Dienste und werde gut dafür bezahlen.“
„Dann lasst mal hören.“
„Ich habe von ein paar Pilgern erfahren, dass Mechthild, die neue Gräfin von Homburg, oft alleine mit ihrem Sohn Arnold im Homburger Wald unterwegs ist. Damals, als Walther hingerichtet wurde, habe ich Rache geschworen. Entführ diese Mechthild und ihren Sohn und ich werde dir dieses wertvolle Stück geben.“
Loretta zeigte Hartmut kurz den goldenen Rosenkranz, der im fahlen Mondlicht schwach glänzte.
„Und wenn du sie entführt hast, kannst du sie als Sklaven in ein Land verkaufen, wo sie niemand versteht und ihnen niemand helfen kann.“