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Schwesterherz

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Während ich viel zu nah am Wasser gebaut bin, ist Isa grobschlächtiger und ihre Empathie, die ich prinzipiell gar nicht in Abrede stellen möchte, kaum spürbar. Wenn wir als Kinder rührselige Geschichte wie die von Bambi im Fernsehen anschauen durfte, heulte ich Rotz und Wasser und wollte mich gar nicht mehr beruhigen. Die ganze Nacht hindurch erschienen mir in meinen Träumen einsame, herzzerreißend weinende Rehkitze, die sich mit ihren Hufen an mich zu klammern versuchten, abrutschten und von einer großen, schwarzen Wolke eingesogen wurden, wie von einem riesigen Staubsaugerschlauch. Während ich ein Bündel Elend war, saß Isa still und ergeben neben mir. Sie blies ihre Backen auf. Und lies mit einem furzenden Geräusch die Luft durch den schmal gespitzten Mund entweichen, sie rollte die Augen, bis nur mehr das Weiße zu sehen war und versuchte, mit ihrer kleinen, spitzen Zunge ihr Nasenloch abzuschlecken. Dazu sagte sie in ihrer gespreizten, etwas abgehobenen Art Sätze wie: „Ich würde gern mal Reh essen, Mama.“ Vielleicht lag es daran, dass Isa älter und immer schon wesentlich abgeklärter war, als ich. Aber unabhängig davon war meine Mutter jedes Mal sichtlich erschüttert. Irgendetwas schien sie dennoch davon abzuhalten, der Gefühlskälte meiner Schwester auf den Grund zu gehen. Sie beließ es im Großen und Ganzen dabei und hauchte nur ab und zu ein wenig weinerlich, „ach, Isa …“. Von Geschwisterliebe zu sprechen zwischen mir und Isa wäre sicherlich übertrieben. Dafür waren meine Erinnerungen an unsere gemeinsame Kindheit zu präsent und die Kluft zwischen unseren Persönlichkeiten zu groß. Wir hatten uns, nachdem ich mir ihre Anerkennung in Paris erworben und sie mich einige Jahre später zu einer großen Überraschung gegenüber unseren Eltern in Schutz nahm, nachdem ich mein Studium abgebrochen hatte, auf eine Art Nicht-Angriffspakt geeinigt.

Wir telefonierten unregelmäßig, manchmal traf ich sie in ihrer Mittagspause zu einer Tasse Tee. Meine Kinder behandelte sie ordentlich, war aber ansonsten wenig interessiert an den beiden. Von meinen diversen Liebschaften wusste sie wenig und während sie meinen Noch-Mann langweilig fand, ermüdeten mich ihre immer selben Erzählungen von SM-Festivals, Bondage-Schulen oder unterwürfigen Liebhabern, die sie in allen Ecken des Landes zu halten schien. Auch wenn wir nie darüber sprachen, schien Isa für sich sowohl Mutterschaft als auch Beziehung auf Augenhöhe auszuschließen, so dass sich unser Gesprächsstoff auf sehr oberflächliche Themen wie Wetter, Beruf oder die geplanten Urlaube beschränkte. Dabei fiel es Isa immer schwer, die Verbindung zu halten. Ihr Blick hielt nur kurz dem meinen Stand, dann suchte sie sich immer neue Fixpunkte in der Umgebung, an denen sich ihre Augen festsaugten. Sie wirkte immer fahrig und auf dem Sprung, über die Jahre war ihr Körper nicht mehr schlank, sondern regelrecht mager geworden. Obwohl sie keinen Sport zu machen schien, nahm sie ohne Probleme an einem Wochenende drei Kilo ab, was ich ein wenig neidisch zur Kenntnis nahm, aber nie wirklich hinterfragte. Sidonie, meine Freundin aus Kindheitstagen, hatte einmal zu mir gesagt: „Ich habe nie herausgefunden, wonach deine Schwester sucht. Oder anders gesagt: Was sie verloren hat.“ Über diesen Satz habe ich lange nachgedacht und überlegt, ob meine Schwester das Produkt der Erziehung meiner Eltern war oder ob sie selbst dieses Leben für sich gewählt hatte und ob sie in der Lage war, Trauer oder Mitgefühl zu spüren.

So war das Erste woran ich denken musste, als ich vom Ableben von „Hase“ erfuhr, ein Experiment, dass der Schottenkönig Jacob IV. durchführen ließ. Er entzog Kinder kurz nach der Geburt Berührung und Geräusche der Mutter. Sorgte zwar dafür, dass sie gefüttert und warmgehalten wurden, aber verbot Gespräche oder Liebkosungen. Alle Säuglinge, die dieser Behandlung zugeführt worden waren, starben nach kurzer Zeit. Sie konnten nicht ohne die Liebkosungen, die körperliche Zuwendung und Liebe leben. Vielleicht war es „Hase“ ähnlich ergangen? Auch wenn er, was ich ihm zugute halten möchte, durchaus zäh am Leben gehangen hatte. Sicher ist, dass Isa mir ein paar Tage nach meinem letzten Besuch bei ihr mit ihrer melodischen Stimme mitteilte, dass „Hase“ verstorben sei. „Er ist morgens auf der Seite gelegen. Noch vor dem täglichen Frühstück. Und hat sich nicht gerührt“, erzählte mir meine ältere Schwester nahezu beiläufig am Telefon. Sie hatte vermieden, das Tier anzufassen. Es auch nicht aus dem Käfig herausgenommen oder angesprochen. Vielmehr war sie rund eine halbe Stunde später, nach ihrem obligatorischen Morgenritual im Bad, am Käfig vorbei gegangen und „Hase“ hatte seinen Platz noch immer nicht verlassen. Mit einem Schaschlik Spieß stach sie dann das Tier in die Seite. Ihren Erzählungen zu Folge hatte „Hase“ sich nicht bewegt und auch keinen Ton von sich gegeben. Was sie zu der Annahme geführt hatte, dass das Tier wohl verstorben war. Am Telefon beschwerte sich Isa bitterlich darüber, dass sich „Hase“ nicht selbst entsorgte. „Er liegt immer noch in seinem Käfig. Einfach widerlich. Ich denke darüber nach, in mit Haarspray zu besprühen und abzufackeln. So lange, bis nur mehr ein Haufen Asche übrig ist“. Ich vermied es, ihr zu erklären, dass ich das für keine gute Idee hielt. Andererseits war ich irgendwie sogar froh, dass „Hase“ endlich sterben durfte.

Bei seltenen Schwesternbesuchen stellte ich ihm Gemüseabfälle, ab und an auch ein Stück Apfel oder einen Getreidekolben hin, füllte seine Wasserflasche auf oder eine Handvoll Heu in die Futterraufe. Mein schlechtes Gewissen gegenüber dem Tier brachte mich dazu, bei jedem meiner Besuche meine Hand auf das schneeweiße Fell zu legen. Was wiederum „Hase“ völlig aus dem Konzept brachte und ihn zu verleitete, stundenlang hysterisch an den Stäben seines Gitterkäfigs zu knabbern und seine Streu neu zu ordnen. Ich werte dieses Verhalten als Übersprunghandlung und konnte mich wirklich ausgezeichnet in die Gefühlswelt des Tieres einfühlen. Mehr tat ich allerdings nicht für ihn. Ich hätte ihn Isa für Bruno und Lola abschwatzen können. Sie hätte mir „Hase“ bestimmt gegeben. Nicht aus übergroßer Zuneigung zu ihrer nächsten Verwandtschaft. Sondern weil sie das Vieh gerne losgeworden wäre, irgendwie. Ich hatte keinen Versuch gewagt und so war „Hase“ bis zu seinem plötzlichen Ableben schon mehr als acht Monate bei Isa, namenlos. Sie sah auch keine Veranlassung das Tier zu benennen. Schließlich wollte sie – das hatte sie mehrmals ausdrücklich gesagt - nicht vor, Freundschaft mit einem haarigen Nager zu schließen. Noch dazu mit einem, den sie sich nicht einmal selbst ins Haus geholt hatte. Es war nämlich ganz allein meine Idee gewesen, meiner Schwester etwas Lebendiges zu schenken. Warum ich das hilflose Tier dieser Frau aussetzte? Im Nachhinein frage ich mich das auch. Vor allem weil es mich jedes Mal wieder aufs Neue kränkte zu sehen, wie lieblos Isa mit „Hase“ umging. „Es ist ein wenig so, als würde ich mich selbst beobachten, inkarniert als Zwergkaninchen. Aber mindestens ebenso hilflos und ausgeliefert, wie ich es als Kind war“, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Aber andererseits entwickelte auch Isa eigenartige Strategien und Verhaltensweisen, die sich eigentlich nur auf die Gegenwart eines lebendigen Wesens in ihrem unmittelbaren Umfeld zurückführen ließen. So schien Isa oft schon das vorbei gehen an diesem Käfig schwer zufallen. Sie nahm Umwege in ihrer kleinen Wohnung auf sich, an manchen Tagen, die kaum zumutbar waren. Anstatt auf direkten Weg vom Flur zur Toilette zu gehen, in welchem „Hase“, angerichtet auf einem flachen Sideboard sein Dasein fristete, musste Isa sich Erleichterung verschaffen, indem sie zurück in die Küche, durch das kleine Durchgangszimmer ins Wohnzimmer und von dort, mit schnellem Schritt, den Blick starr auf die Toilettentür geheftet, lief. Kilometer hatte sie umsonst zurückgelegt, um das Vieh nicht anschauen zu müssen. Wenn sie hoch zu rechnen begann, wie viele Schritte sie umsonst gemacht hatte, packte sie der nackte Hass. Etwas „umsonst“ zu tun, ohne Profit oder Gewinn daraus zu ziehen, kam in ihrem Weltbild nicht vor. Niemand tat etwas „umsonst“. Und Isa war da keine Ausnahme.

Auch wenn sie aus Paris keinen Abschluss mit nach Hause brachte, hatte sie doch viel über sich im Speziellen und über die Menschheit ganz allgemein gelernt in ihren Jahren in Frankreich und war für sich davon überzeugt, dass der Beruf der Bankkauffrau sie glücklich machen würde. Er ließ ihr genügend Raum für ein Parallelleben und sicherte die Grundversorgung, die ihr wichtig war. Meine Eltern waren natürlich entsetzt, dass Isa ihnen die akademische Laufbahn verwehrte, um einem aus Sicht ihrer Sicht völlig stupiden Broterwerb nachzugehen. Aber Isas Beruf passt, wenn man ihre Auswahlkriterien kannte, hervorragend in ihr Lebenskonzept. Sie saß tagtäglich von neun bis fünf, mittwochs nur bis mittags hinter schusssichererem Glas in der örtlichen Filiale einer mittelgroßen Bank. Jeden Tag wickelte sie an ihrem Schalter den Zahlungsverkehr mit Bargeld ab. Sie war nun seit fast zwanzig Jahren in dieser Position und hatte nach ihrer Lehre in derselben Filiale nie den Ehrgeiz gehabt, etwas anderes zu tun als Geld zu zählen. Sie liebte die Ordnung in Ihrem automatischen Kassentresor, in dem sich mehrere Geldkassetten und – rollen befanden. Sie genoss die Klarheit, die Strukturiertheit ihres Tages. Jeder Handgriff war definiert, die meisten Kunden kannte sie persönlich und wenn sich doch einmal ein Fremder vor ihren Schalter verirrte, behandelte sie den mit derselben stoischen Sprachlosigkeit, wie jeden anderen auch. „300 Euro?“, „Ja, bitte!“, „Große oder kleine?“ „Große oder Kleine was?“ „Scheine, große oder kleine“, „Oh, kleine, bitte“. Die Dialoge waren minimalistisch. Und wer sich von ihrem Platz wegbewegte, hatte immer das unbehagliche Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Isa rangierte in der Beliebtheitsskala bei Kunden und Kollegen gleich hinter dem Bankauszugsdrucker. Aber das war nicht entscheidend. So lange ihr niemand das nahm, was sie für ihren täglichen Rausch brauchte, war alles gut. Ihre kleinen Gefälligkeiten gegenüber dem Filialleiter waren eine Art „Zusatzversicherung“ für sie. Ihr abgebrochenes Studium an der Sorbonne war für ihre Karriere wertlos, aber ihre Ausbildung zur Domina „Made in France“ war exquisit. Sie wusste, so lange der Mann im dunkelgrauen Einreiher - den sie während der Geschäftszeiten beflissen „Herr von Berg“ nannte und zwischen 18 und 18.45 Uhr entweder „Du dreckiger Köter“ oder nur „Mistvieh“ - nichts mehr liebte, als von ihr am Hundehalsband durch das Vorstandszimmer gezerrt zu werden, brauchte sie sich kein Sorgen um ihre berufliche Zukunft zu machen.

Milas Wunschliste ans Universum

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