Читать книгу AMANDA - Sabrina Heilmann - Страница 10
Kapitel 3
ОглавлениеAMANDA
Panisch schreckte ich auf und wusste im ersten Moment nicht, wo ich mich eigentlich befand und was zuletzt geschehen war. Ich schob die Decke von meinem Körper und sah mich in der fremden Wohnung um. Sie war stilvoll eingerichtet und wirkte verboten teuer. Wo war ich nur?
Plötzlich fiel mein Blick auf den schlafenden jungen Mann neben mir und die Erinnerungen kehrten langsam zurück. Ich hatte im Café gesessen, wo Matt mich aufgespürt hatte. Er hatte mich angeschrien und nach draußen gezogen, bis ... bis Luca eingeschritten war.
Stumm ruhte mein Blick auf ihm. Vor zwei Jahren hatte ich ihn kennengelernt und seitdem nicht mehr gesehen. Luca hatte sich in den letzten Jahren kaum verändert. Vielleicht trug er seine dunklen Haare nun etwas wilder und frecher und seine jungenhaften Gesichtszüge waren durch den Dreitagebart ein bisschen männlicher geworden. Doch sonst hatte er sich nicht verändert. Noch immer umgab ihn diese freundliche, charismatische Ausstrahlung, sein italienischer Charme, wie ich vor zwei Jahren gescherzt hatte.
Vor zwei Jahren ... als ich noch ein Teil der Gemeinschaft war, in der er verkehrte, und nicht der Abschaum Berlins, den man gern versuchte zu ignorieren.
Die Gemeinsamkeiten, die wir damals im Gespräch festgestellt hatten, waren nun durch eine unüberbrückbare Hürde voneinander getrennt worden. Die beiden Menschen, die sich einst gut verstanden hatten, existierten schon lange nicht mehr ... zumindest existierte die Amanda von früher nicht mehr.
Schnell stand ich auf, da ich auf keinen Fall hierbleiben konnte. Auch wenn ich mich nicht besser fühlte und mein Kopf immer noch unerträglich schmerzte, wollte ich so schnell wie möglich von hier verschwinden. Luca durfte nicht erfahren, was aus mir geworden war. Sicher hatten meine Eltern alles dafür getan, zu verheimlichen, dass ich abgehauen war und nun mit meinen asozialen Freunden, wie sie sie genannt hatten, auf der Straße lebte. Meinetwegen musste das auch niemand wissen, Luca schon gar nicht.
Leise nahm ich meine Jacke, die er mir ausgezogen hatte, und meine Schuhe, die neben der Couch standen, und schlich aus dem Wohnzimmer. Im Flur schlüpfte ich in meine Schuhe und wollte gerade die Hand an die Türklinke legen, als jemand das Licht anschaltete. Langsam drehte ich mich um und Luca stand im Türrahmen des Wohnzimmers, die Arme vor der Brust verschränkt, den Blick durchdringend auf mich gerichtet.
»Ernsthaft, Amanda, du würdest einfach so abhauen, obwohl wir uns zwei Jahre nicht gesehen haben?«
Ich kniff die Lippen fest aufeinander und erwiderte seinen Blick. »Du verstehst es nicht, Luca.«
»Dann erklär es mir und verschwinde nicht einfach.« Er seufzte leise und machte einige Schritte auf mich zu. Vorsichtig legte er seinen Handrücken an meine Stirn. »Du hast immer noch Fieber, ich lasse dich jetzt bestimmt nirgendwo hingehen. Pass auf, ich koche dir jetzt einen Tee und sicher habe ich auch noch irgendwo etwas gegen das Fieber. Und morgen Früh fahre ich dich nach Hause, einverstanden?«
Lucas Blick ruhte auf mir. Auch wenn ich ihn kaum kannte und unsere letzte und einzige Begegnung knapp zwei Jahre her war, war ich mir sicher, dass er ohnehin keinen Widerspruch duldete.
»Hmm«, brummte ich daher nur missmutig, schlüpfte aus den Schuhen und hing meine Jacke an den Haken. Ich folgte ihm in die Küche, wo er sofort das Wasser für den Tee ansetzte und schließlich einem Schrank nach Medizin suchte. Er fand nichts gegen Fieber, aber ein lösliches Pulver, das bei Erkältung helfen sollte, und Husten- und Bronchialtee. Ich trank das Glas mit dem aufgelösten Pulver leer und verzog angewidert das Gesicht. Luca goss in der Zeit den Tee auf und trug mir die Tasse ins Wohnzimmer.
»Luca?«, fragte ich leise und senkte meinen Blick auf meine schmutzigen Socken. Ich fühlte mich fürchterlich. Normalerweise nutzten Abby und ich die Zeit, in der wir für Matt Geld erschnorren sollten, auch dazu, in das nächstgelegene Obdachlosenheim zu gehen und wenigstens einmal am Tag zu duschen und wöchentlich unsere Kleidung zu waschen. Ein kleiner Luxus, den wir uns nicht nehmen ließen ... von niemandem.
»Ja?«
»Kann ich ... kann ich duschen gehen? Ich ... ich fühle mich fürchterlich. Und ... und hast du vielleicht ein paar Sachen für mich?« Unsicher sah ich auf und suchte seine ausdrucksstarken dunklen Augen.
»Natürlich, komm mit.« Zusammen gingen wir die Treppe im hinteren Teil des Wohnzimmers nach oben, die direkt in Lucas Schlafzimmer führte. Er öffnete seinen Kleiderschrank und suchte nach Sachen.
»Das sollte dir eigentlich passen«, sagte er und reichte mir einen Stapel Frauenkleidung und ein Handtuch.
»Will ich wissen, warum du die Sachen hier hast und von wem die sind?« Meine Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln.
»Wahrscheinlich nicht«, erwiderte er und lächelte ebenfalls. »Das Bad ist dort.« Er deutete auf die Tür auf der anderen Seite des Bettes.
»Danke!«
Ich ging um das Bett herum und verschwand in dem kleinen Badezimmer. Mir stockte der Atem, als ich das Licht anschaltete. Die Dusche war ebenerdig und riesig. Das Design des Bads war modern und in dunklen Tönen gehalten. Auch wenn ich bisher nicht alles von der Wohnung gesehen hatte, ließ es sich nicht abstreiten, dass Luca in den vergangen zwei Jahren noch erfolgreicher geworden war.
Ich schlüpfte aus meinen Sachen und stieg unter die Dusche. Es dauerte einen Moment, bis ich die Temperatur richtig eingestellt hatte, doch dann war es einfach nur herrlich. Das heiße Wasser prasselte auf meine Haut und ich genoss jede Sekunde davon. Ich wusch meinen Körper und meine Haare und stieg schließlich aus der Dusche. Nachdem ich mich abgetrocknet hatte, betrachtete ich die Sachen genauer, die Luca mir gegeben hatte. Irgendwelche schicke Spitzenunterwäsche, schwarze Leggings und einen kuschligen, cremefarbenen Oversize-Pulli, in dem ich beinahe verschwand.
Ich verließ das Badezimmer und stockte, als ich mich im Spiegel des Kleiderschranks entdeckte. Die Sachen, die ich trug, waren teuer, auch wenn sie so schlicht waren. Früher hätte ich sie mir wahrscheinlich selbst gekauft. Heute hatte ich dafür kein Geld mehr ... ich hatte überhaupt nichts mehr.
»Na, fühlst du dich besser?«
Luca tauchte in der Tür auf und ich sah ihn erschrocken an.
»Ja, etwas«, flüsterte ich und ging auf ihn zu. »Danke noch mal!«
»Nicht dafür. Jetzt solltest du dich aber wieder hinlegen. Außerdem wird dein Tee kalt.« Er deutete zu seinem Bett, wo bereits meine Teetasse auf einem der Nachtschränke stand.
Ich nickte und ging um das Bett herum, um mich hinzulegen. Luca setzte sich auf die andere Seite des Kingsize-Bettes, während ich mich in die Decke kuschelte und kurz meinen Blick senkte.
»Warum machst du das, Luca?«, fragte ich leise, als ich wieder aufsah.
»Warum mache ich was?«
»Wir haben uns irgendwann vor zwei Jahren gerade einmal eine Stunde unterhalten, wir kennen uns quasi kaum. Warum hilfst du mir jetzt?«
»Das steht doch außer Frage. Du bist von so einem Idioten schlecht behandelt worden. Ich will nicht wissen, was er mit dir gemacht hätte, wäre ich nicht da gewesen. Außerdem geht es dir ganz offensichtlich nicht gut, natürlich helfe ich dir.« Nun war es Luca, der meinem Blick einen Moment auswich. »Ich habe oft an den Abend gedacht, an dem wir uns kennenlernten, an unser Gespräch, aber auch daran, was danach passiert ist. Immer wieder habe ich mich gefragt, ob ich dir an dem Abend hätte folgen sollen. Als du letztes Jahr nicht zum Dezemberball gekommen bist – und glaub mir, ich habe so gehofft, dich zu sehen – habe ich mir noch mehr Sorgen gemacht.« Luca seufzte leise. »Ich hatte Angst, dass dir etwas passiert ist, Amy. Du warst so aufgelöst.«
»Ich lebe noch, wie du siehst«, flüsterte ich.
»Sag mir, was damals passiert ist.«
»Das kann ich nicht.«
»Und was wollte der Typ heute von dir? Er sah nicht wie jemand aus, mit dem ein Mädchen wie du Kontakt haben sollte.«
Lucas Fragen genügten, dass ich mich völlig verschloss. Ich konnte ihm nicht sagen, was an dem Abend vor zwei Jahren geschehen war, und er durfte schon gar nicht erfahren, wer Matt war.
»Ich kann nicht darüber sprechen«, erwiderte ich leise und drehte ihm den Rücken zu. »Ich sollte schlafen.«
»Amanda«, hauchte Luca hilflos, doch ich reagierte nicht mehr. Es war besser, wenn er nicht zu viel wusste. Er würde es ohnehin nicht verstehen.