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Kapitel 5
ОглавлениеAMANDA
Ich war vor Luca wach geworden und hatte direkt die Chance ergriffen, zu verschwinden. Auf keinen Fall konnte ich riskieren, dass er mich nach Hause brachte ... schließlich hatte ich kein Zuhause mehr.
Meine Eltern hatten sich nie die Mühe gemacht, mich zurückzuholen, geschweige denn herauszufinden, wo ich überhaupt war. Manchmal glaubte ich, sie hatten mich einfach aufgegeben, um sich weitere Probleme zu ersparen. Dabei hatte ich in dem Moment, in dem ich ging, ihre Hilfe nötiger gebraucht, als jemals zuvor.
Je näher ich dem Abbruchhaus kam, desto nervöser wurde ich. Es stand außer Frage, dass Matt mich für das bestrafen würde, was gestern geschehen war. Auch wenn Luca es nur gut gemeint hatte, Matt würde mich spüren lassen, dass ich einen Fehler gemacht hatte.
Ich ging um das Haus herum und stieg durch das zerbrochene Fenster, das in den Keller führte, ein. In der Nacht tat Matt alles dafür, dass man nicht durch den Haupteingang hineinkam. Vorsichtig rutschte ich an der Wand nach unten und tastete mich schließlich an ihr entlang, bis zur Treppe, die nach oben führte. Es war stockdunkel im Keller, doch Angst hatte ich keine. Ich kannte jede Ecke dieses Hauses und wusste, dass hier nichts lauerte, außer ein paar Spinnen. Leise schob ich die Tür auf und stand im Erdgeschoss. Ich lief die Treppenstufen nach oben und schlich in den Raum, in dem ich üblicherweise schlief. Abby lag auf der Matratze neben meiner, die Decke bis über den Kopf gezogen. Es war nicht fair, dass sie hier draußen schlafen musste, während ich den Luxus von Lucas Bett genießen durfte.
»Habe ich doch richtig gehört«, brüllte plötzlich jemand hinter mir, doch da war es schon zu spät. Matt packte mich grob am Arm und schleuderte mich an die Wand. Ich stöhnte vor Schmerz auf, während Abby aus dem Schlaf hochschreckte.
»Amy, es geht dir gut«, brachte sie erleichtert hervor und stand auf.
»Gleich nicht mehr«, knurrte Matt und umschloss meinen Kiefer mit einer Hand. Er drückte ihn zusammen und ich verzog schmerzerfüllt das Gesicht. »Lass mich mal überlegen, was ich gestern alles scheiße fand. Punkt eins, während Abby sich den Arsch für die Gruppe aufreißt, sitzt du in einem Café und gibst unser Geld aus. Punkt zwei, wir regeln unsere Angelegenheiten allein. Ich brauche dabei keinen aufgeblasenen Anzugträger, der sich einmischt.«
Matts Blick war vernichtend. Er hasste mich und irgendwie konnte ich es ihm nicht einmal verübeln. Ich hatte gestern wirklich nur an mich gedacht.
»Es ... es tut mir leid, Matt«, presste ich angestrengt hervor, doch er schüttelte nur den Kopf.
»Soll ich dir etwas sagen, Amy? Das interessiert mich nicht mehr. Wenn du kleine Prinzessin die Regeln nach zwei Jahren immer noch nicht verstanden hast, dann werde ich sie dir noch einmal beibringen.«
Blitzschnell löste er seine Hand von meinem Kiefer, packte meine Haare und schleifte mich mit sich. Panik breitete sich in meinem Inneren aus, denn ich hatte keine Ahnung, was er vorhatte.
»Lass sie in Ruhe«, kreischte Abby und versuchte ihn von mir wegzuziehen. Doch Matt drehte sich nur um und verpasste ihr eine Ohrfeige. Abby taumelte. »Matt, verdammt!«
»Halt die Fresse, Abby!«
Er schleifte mich weiter an den Haaren aus dem Raum. Tränen liefen über meine Wangen und ich versuchte mich zu wehren. Doch es war hoffnungslos. Er war viel stärker als ich.
»Lass sie los, Matt!«, sagte plötzlich eine tiefe Stimme und er blieb abrupt stehen. Erleichterung machte sich in mir breit. David war wieder da. Matt ließ mich los und ich brachte so viel Abstand wie möglich zwischen uns.
Ich sah hilflos zu David, der mich behutsam hinter sich zog, und Matt schließlich wütend anfunkelte.
»Ich habe dir gesagt, du sollst auf sie aufpassen, während ich nicht da bin.« Ich hörte Davids Stimme an, wie sauer er wirklich war, und dennoch würde Matt das letzte Wort haben. Auch wenn die beiden beste Freunde waren, war Matt noch immer der Anführer unserer kleinen Gruppe. Nur weil David auf mich aufpasste und mich beschützte, musste er das noch lange nicht tun.
»Dann bring deinem Püppchen endlich bei, wie sie sich hier zu benehmen hat«, knurrte Matt und ließ uns stehen.
Kopfschüttelnd drehte David sich zu mir um und wischte mir eine Träne von der Wange. »Alles okay?«, fragte er flüsternd und ich sank erschöpft an seine Brust.
»Ich will hier weg, bitte«, schluchzte ich leise und er presste mich fester an sich.
Vorsichtig löste ich mich von ihm und sah ihn an. Die paar Tage, die er bei seiner Schwester verbracht hatte, weil seine Mutter gestorben war, hatten ihm ganz offensichtlich gutgetan. David wirkte ausgeruht und seine blauen Augen munter. Er war rasiert, seine blonden, längeren Haare waren wirr, aber nicht unattraktiv in alle Richtungen verteilt. Mit der schwarzen Hose, dem weißen Top und der schwarzen Lederjacke sah er einen Moment aus wie Jamie Campbell Bower, den ich einige Zeit wirklich vergöttert hatte. Vielleicht war das auch der Grund, warum ich Gefühle für David hatte. Natürlich wusste er davon nichts und würde es vermutlich auch nie erfahren. Er hatte einmal zu mir gesagt, ich wäre wie eine kleine Schwester für ihn. Und obwohl er mir damit ein Messer ins Herz gestoßen hatte, wusste ich immerhin, woran ich war.
»Komm, wir packen ein paar Sachen und dann verschwinden wir mit Abby. Ein bisschen Abstand zwischen Matt und dich zu bringen ist vermutlich keine schlechte Idee.«
Bereits kurze Zeit später liefen wir durch Berlin und suchten uns einen gemütlichen Platz an der Spree. Es würde ein schöner Tag werden. Die Sonne schien warm vom Himmel, Wolken gab es kaum.
»Erzählt mir jetzt endlich jemand, was Matt so sauer gemacht hat?« David sah zwischen Abby und mir hin und her.
»Es ging Amy gestern nicht besonders gut, wegen ihrer Erkältung«, begann Abby schließlich. »Er wollte trotzdem, dass sie mit auf die Straße kommt. Ich habe sie in ein Café gesetzt und ihr etwas Geld gegeben, damit sie einen Tee trinken und sich aufwärmen kann, während ich Kohle besorgt habe.«
Meine beste Freundin wandte sich nun direkt an mich. »Als ich wiederkam, warst du nicht mehr da.«
»Matt war einige Zeit später aufgetaucht und hat mich aus dem Café gezerrt. Er hat mich angebrüllt und ... und ein Kunde aus dem Café hat mir geholfen.«
Ich wollte nicht, dass die beiden etwas von Luca erfuhren. Dafür war jetzt absolut nicht der richtige Zeitpunkt.
»Wo hast du geschlafen?«, erkundigte sich David.
»In einem Heim in der Nähe«, log ich und Abby runzelte die Stirn.
»Hast du die Klamotten von dort?«, fragte sie.
Ich sah an mir hinab und bemerkte, dass ich noch immer die Sachen trug, die Luca mir gegeben hatte. Daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht.
»Ja, ich ... ich hatte Glück.« Bedrückt senkte ich den Blick und hoffte, dass keiner der beiden weitere Fragen stellen würde. Ich wollte den gestrigen Tag einfach nur vergessen.
Glücklicherweise taten sie es tatsächlich nicht, doch ich bemerkte Davids intensiven Blick. Kurz erwiderte ich ihn und spürte das sanfte Kribbeln, das durch meinen Körper zog. Ich war mir ziemlich sicher, dass er genau wusste, dass ich nicht die Wahrheit sagte. Doch was sollte ich stattdessen tun? Ihnen sagen, dass ich die letzte Nacht so gut geschlafen hatte, wie seit zwei Jahren nicht mehr? Dass ich die Sachen von einem der reichsten Typen der ganzen Stadt hatte und dass er ganz nebenbei im Bett neben mir gelegen hatte? Abby würde es vielleicht irgendwie verstehen, doch David auf keinen Fall.
Wir verbrachten den Tag relativ entspannt. Irgendwann machten wir uns auf den Weg, um Geld und anschließend etwas zu essen zu besorgen. Da ich mich noch immer nicht besser fühlte, hielt ich mich im Hintergrund und versuchte, den Tag irgendwie zu überstehen.
Am Abend suchten wir uns eine geschützte Stelle in einem Hinterhof, zu dem ein altes Werkstattgebäude gehörte. Ich wusste, dass David hier manchmal Zeit mit einer anderen Gruppe Jugendlicher verbrachte.
»Jo ist cooler als Matt. Wir können sicher eine Nacht hierbleiben«, sagte er und wir gingen an einigen Hecken vorbei. Hinter ihnen tauchte eine kleine Rasenfläche auf, auf der einige Leute um ein kleines Feuer saßen. David hatte einmal erzählt, dass die Polizei ständig versuchte, die obdachlosen Kids hier wegzubekommen, doch mit den Jahren hatte man es aufgegeben. Solange sie keinen Ärger machten, waren sie geduldet.
David begrüßte einen jungen Mann, der wie er selbst kaum älter als fünfundzwanzig sein konnte.
»Das sind Amy und Abby«, stellte David uns vor und Jo begrüßte uns mit einem Nicken. »Ich will, dass den beiden nix passiert.«
»Wie lange kennen wir uns jetzt, David?«, stellte Jo eine rhetorische Frage.
»Ich weiß, ich wollte es nur noch einmal anmerken. Die beiden haben unter Matt genug zu leiden.«
»Und wie oft habe ich dir angeboten, mit hierherzukommen?« Jo sah David tadelnd an, während ich einen Blick mit Abby tauschte.
»Ihr seid zu viele hier, das weißt du genauso gut wie ich.«
»Das Angebot steht trotzdem. Für euch drei würde ich jederzeit einen Platz finden. Aber jetzt besorge ich euch erstmal etwas zur Ablenkung, als Willkommensgeschenk sozusagen« Jo zwinkerte Abby und mir zu und ich wusste genau, worauf das hinauslief. Er gab einem älteren Typen ein Zeichen, der direkt zu uns kam. Er holte ein kleines Tütchen mit Pillen aus seiner Tasche und David streckte die Hand aus, Abby tat es ihm gleich.
»Was ist mit dir?«, fragte mich David, als ich nicht darauf reagierte.
»Ich fühle mich wegen der Erkältung nicht so gut«, flüsterte ich und hoffte, dass es als Erklärung reichte. In Wirklichkeit war das nicht der eigentliche Grund, warum ich die Pille ablehnte. Ich wollte es einfach nicht mehr ... nicht nach dem letzten Trip.
Seufzend wandte ich mich ab und ging zu der Gruppe am Feuer. Ich fror fürchterlich, auch wenn es den gesamten Tag mit knapp siebzehn Grad noch relativ warm gewesen war. Jetzt wo die Sonne langsam unterging, wurde es mit einem Mal furchtbar kalt.
»Darf ich mich setzen?«, fragte ich und ein Mädchen, das wohl kaum achtzehn war, nickte. Ich sank auf den freien Platz neben sie und kuschelte mich fester in meine Jacke.
Es dauerte nur einige Minuten, bis David zu mir kam, sich hinter mich setzte und mich an seine Brust zog.
»Was ist los, meine Kleine?«, fragte er dicht an meinem Ohr und ich ließ mich erschöpft an ihn kippen. Die Auseinandersetzung mit Matt hing mir noch immer in den Knochen und ich musste ständig daran denken, dass Luca mir völlig selbstlos geholfen hatte.
»Ich fühle mich einfach nicht wohl«, erwiderte ich leise und David legte seine Arme etwas fester um mich.
»Ist das der einzige Grund, warum du gerade nichts wolltest? Früher hat dich das nicht gestört.«
Damit hatte er leider recht, doch mittlerweile tat es das. »Ich will es nicht mehr«, gestand ich und drehte mich leicht zu ihm. Davids Blick war leicht verklärt, was von den Drogen kam. Da er sich aber regelmäßig irgendwelche Pillen einwarf, erlebte er die Wirkung längst nicht mehr so stark, wie ich es tun würde. Er hatte mir einmal gesagt, er würde das Zeug nehmen, um seine Kindheit zu vergessen. Manchmal glaubte ich, da steckte auch noch etwas anderes dahinter.
»Das sagst du nur, weil du beim letzten Mal ...«
»Können wir bitte nicht darüber sprechen? Ich möchte nichts mehr nehmen und ich würde wesentlich ruhiger leben, wenn ich wüsste, dass du es auch nicht tust.«
»Du weißt, dass ich nicht mehr ohne kann.«
»Weil du es nicht versuchst, weil ... weil du es nicht willst.«
»Es hilft mir, zu vergessen.«
»Wenn du mit mir darüber sprechen würdest, dann könnte ich dir helfen.«
»Vergiss es einfach, Amy. Meine Probleme sollen dich nicht kaputtmachen.«
Seufzend schloss ich einen Moment die Augen und antwortete ihm nicht. Dieses Gespräch hatten wir bereits so oft geführt, dass ich es in Augenblicken wie diesen einfach aufgab. David hatte sich, was seine Vergangenheit betraf, völlig verschlossen. Obwohl unsere Freundschaft etwas Besonderes war, war auch ich nicht in der Lage, diese Mauer, die er um sich gezogen hatte, einzuschieben. Wahrscheinlich hätte ich ihn nie wieder darauf ansprechen sollen und es gut sein lassen, doch das konnte ich nicht. Auf der einen Seite, weil meine Gefühle für ihn mit jeder Sekunde, die er bei mir war, stärker wurden. Auf der anderen Seite, weil ich Angst hatte, ihn irgendwann an die Drogen zu verlieren.