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1.1 Eins

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Gegenwart

15. Juli 2019

Silke rieb sich die spannende Stirn und gab den Betrag, den die Kundin für ihre Gesichtsbehandlung bezahlen musste, in die Kasse ein. Sie vertippte sich zweimal, löschte die falschen Zahlen und nannte der Frau den Preis.

»Stimmt so«, sagte diese und schob Silke einen Fünfzig-Euroschein zu.

»Danke.« Silke lächelte müde, legte das Geld in die Kasse und druckte den Beleg aus. Sie reichte der Kundin die Quittung und verabschiedete sie freundlich.

Seufzend stützte Silke sich auf dem Kassentresen ab und ließ den Kopf hängen. Sie war am Morgen mit Kopfschmerzen aufgestanden, aber das hatte sie nicht gewundert. Am Abend war sie spät eingeschlafen und hatte lange wach gelegen.

Nicht aus Nervosität, weil sie am nächsten Tag Geburtstag hatte, sondern weil die Gedanken, die durch ihren Kopf wirbelten, nicht schwiegen. Sie waren seit über einem halben Jahr so laut, wie schon lange nicht mehr. Silke fand keine Ruhe, war rastlos und schlug sich die Nächte um die Ohren.

Alles nur, weil sie ohne eine Erklärung im Stich gelassen worden war.

»Hey, ist alles in Ordnung?« Silke spürte die Hand ihrer Kollegin Carina auf ihrer Schulter und sah sie aus müden Augen an.

»Ich habe Kopfschmerzen.«

»Und das an deinem Geburtstag.«

Silke richtete sich langsam auf und zuckte mit den Schultern. »Ich feiere ohnehin nicht.«

»Hast du noch eine Kundin?« Ohne auf die Antwort ihrer Kollegin zu warten, ging Carina an ihr vorbei und blätterte das Auftragsbuch durch.

»Nein«, antwortete sie, bevor Carina die richtige Seite gefunden hatte.

Silke hatte direkt nach ihrem Abschluss eine Ausbildung zur Kosmetikerin begonnen und arbeitete seitdem in einer großen Kosmetikkette, die in Dresden mittlerweile vier Läden besaß. Wenn sie sich gut anstellte, würde man ihr in zwei Jahren, sobald ihre Vorgesetzte Karin in Rente ging, die Filialleitung anbieten. Aber soweit dachte Silke noch nicht.

Sie wusste besser wie niemand sonst, wie schnell das Leben vorbei sein konnte, und dass es keinen Sinn machte, vorauszuplanen.

»Dann geh nach Hause. Ich komm allein klar. Meine letzte Kundin kommt in einer halben Stunde.«

»Aber ...«

»Hast du in den letzten drei Jahren, die ich jetzt hier arbeite, nicht gelernt, dass man mir nicht widerspricht?« Carina lachte und ihre brünetten, schulterlangen Haare wippten dabei. Lächelnd schüttelte Silke den Kopf und fiel ihrer Kollegin in die Arme.

»Danke, du hast etwas gut bei mir.«

Carina löste sich leicht und fixierte Silke mit ihren braunen Rehaugen. »Alles Liebe zum Geburtstag, noch einmal, und versprich mir, dass du den Tag nicht allein verbringst. Ja?«

Carina wusste nicht, was Silke in den letzten Jahren und Monaten hatte durchmachen müssen. Niemand bei der Arbeit kannte ihre Geschichte. Und doch kam es Silke so vor, als würde Carina mehr wissen, als sie sagte. Vielleicht hatte ihre Kollegin aber auch nur ein Gespür für die Gefühlslage anderer. Silke wusste selbst, dass sie sich in den letzten Monaten verändert hatte. Sie war ruhiger geworden, sprach und lachte nicht mehr so viel wie zuvor. Sie hatte ein paar Kilo abgenommen, weil sie keinen Appetit mehr hatte, und kümmerte sich nicht um die dunklen Ringe unter ihren grünen Augen, die sie den schlaflosen Nächten zu verdanken hatte. Ihre dunkelblonden Locken waren länger geworden, sie glättete und föhnte sie nicht und beim Friseur war sie seit Monaten nicht gewesen. Solange sich niemand beschwerte, sah sie nicht ein, etwas daran zu ändern. Silke verblasste wie ein Stern, nachdem er in die Erdatmosphäre eingetreten war.

Aber wie hätte sie auch glücklich sein können ...

»Versprochen«, flüsterte Silke und kreuzte in Gedanken die Finger hinter dem Rücken. Sie wollte niemanden sehen, sie wollte keine Geschenke und ihren Geburtstag nicht feiern.

Allein zu sein gab ihr im Moment so viel mehr als die Nähe zu ihren Freunden.

Eric, Jana und Jessi hatten ihr bereits am Morgen Nachrichten mit Glückwünschen geschickt. Sie hatte nur mit einem knappen ›Dankeschön‹ geantwortet. Auf Erics Frage hin, ob sie sich am Abend in der Neustadt treffen sollten, um ihren achtundzwanzigsten Geburtstag zu feiern, schob sie ihre Kopfschmerzen als Ausrede vor. Seitdem hatte sie nicht mehr auf ihr Telefon geschaut.

Kurz nachdem Silke das Kosmetikstudio verlassen hatte, zog sie ihr Handy aus der Handtasche und blickte darauf. Zwei verpasste Anrufe von ihren Eltern, unzählige Facebook-Meldungen von Pseudofreunden, die ihr gratulierten, und eine Nachricht von ihrem besten Freund Eric. Seufzend öffnete sie diese.

Eric

Dann kommen wir alle zu dir. Wir können Pizza bestellen und Filme schauen. Hauptsache, du bist nicht allein.

Silke atmete tief durch und wählte seine Nummer. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis er ihren Anruf entgegennahm.

»Hallo Geburtstagskind.«

»Ich habe wirklich Kopfschmerzen. Ich möchte mich nur hinlegen und ein bisschen schlafen«, rechtfertigte sie sich.

»Wir haben uns die gesamte letzte Woche nicht gesehen. Jana hat alle Prüfungen hinter sich und Semesterferien und ich habe diese Woche Urlaub. Lass uns irgendetwas unternehmen. Was hältst du davon, wenn wir ein paar Tage wegfahren? Jessi müsste auch mit ihren Prüfungen fertig sein.«

Erics Worte strömten auf Silke ein, bis sich alles in ihrem Kopf drehte.

»Eric ...«, seufzte sie und holte Luft. Seit Eric aus der gemeinsamen WG ausgezogen war und mit seiner Freundin Jana in einer gemütlichen Dreiraumwohnung im Dresdner Stadtteil Pieschen wohnte, sahen sie sich nur noch selten. Dass Silke allein in der großen Wohnung am Wasaplatz lebte, machte die Sache nicht besser. Nicht nur, dass es finanziell gerade so reichte – große Sprünge waren nicht mehr möglich – an manchen Tagen fühlte sie sich einsam. Eric hatte ihr zwar seine Unterstützung angeboten, aber Silke war viel zu stolz, um diese anzunehmen.

Seit Monaten suchte sie nach einer kleineren Zweiraumwohnung, aber immer schienen die anderen Bewerber bessere Voraussetzungen zu haben, als sie.

In ihrer Verzweiflung hatte sie sogar Janas jüngere Schwester Jessica gefragt, ob sie in Erics ehemaliges Zimmer ziehen wollte. Jessi kam aber erst in einem halben Jahr aus ihrem Mietvertrag heraus, also hatten sie die Entscheidung vertagt.

Es wäre ein leichtes, eine Annonce für ein freies WG-Zimmer online zu stellen, aber Silke wollte mit niemandem zusammenleben, den sie nicht kannte.

»Eric, ich habe keinen Urlaub genommen«, seufzte sie und stieg in die Straßenbahn. Während sie mit ihrem besten Freund telefonierte, war sie zur Haltestelle gelaufen.

Sie sah sich in der Bahn um und ließ sich auf einen freien Einzelplatz sinken.

»Aber wir nehmen an deinem Geburtstag immer zusammen Urlaub.«

»Es hat sich so viel verändert«, seufzte Silke. »Woher hätte ich wissen sollen, dass du ausgerechnet an dieser Sache festhalten willst?«

Erics Herz schmerzte, als er die Enttäuschung in der Stimme seiner besten Freundin hörte. Die letzten Monate waren nicht leicht für sie gewesen, das war ihm klar, und dennoch hatte er die naive Vorstellung gehabt, dass sich zwischen ihnen nichts ändern würde. Aber das war bereits passiert.

Silke blickte aus dem Fenster und presste das Handy fester an ihr Ohr. Sie ließ den Kopf gegen die Scheibe sinken und kämpfte mit den Tränen.

»Silke«, hauchte Eric. »Niemand sollte an seinem Geburtstag allein sein.«

»Ihr könnt morgen vorbeikommen. Ich ... heute ist kein guter Tag, okay?«

»Okay«, antwortete ihr bester Freund unzufrieden.

Aber es war nichts okay.

Sommerregengeheimnis

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