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Auf die Nase gebunden – Männer und ihre Ideale

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Ideale sind mitunter die Kehrseite von Abwertung. Neue Männer braucht das Land, sang Ina Deter bereits vor Jahrzehnten. Vor allem Männer, die sich nicht trotzig hinter alten Rollenbildern verschanzten, machten sich auf den Weg, neue Männer zu werden. Trotz des durchaus zweifelhaften Erfolges kein Wunder, unsere Sehnsucht nach Lust und Liebe macht uns anfällig für die impliziten Glücksversprechen immer neuer Ideale, die uns Männern wie Karotten vor die Nase gebunden werden. Wir zeigen Einsicht, strampeln uns ab, fühlen uns aber nie gut genug. Warum? Weil wir gegen die Schwerkraft eines Klischees kämpfen, dessen Grundzüge wir selbst dann verinnerlichen, wenn wir dagegen ankämpfen. So entkommen wir ihm nicht. Eine ganze Sparte von Männerbüchern lebt jedoch von der ungebrochenen Hoffnung, der Last des Mannseins zu entkommen, indem wir endlich die Geheimnisse echten Mannseins entschlüsseln. Die für das jeweilige Männer-Entwicklungs-Konzept verwendeten Begriffe variieren, aber ihr Pathos vereint alle diese Ansätze:

•In „Neue Männer, muss das sein?“ geht eine Reihe von Männern der Frage nach, wie der Mann heutzutage sein soll und darf.26

•Bei Robert Betz steht das Ausrufezeichen bereits im Titel seines Buches So wird der Mann ein Mann! Frei, selbstbewusst und authentisch.

Ein neues Männerbild ist vonnöten. (…) Der phallische Mann (…) sucht wohl immer noch das Abenteuer, aber er sucht es nicht mehr so sehr im Außen, er sucht es im Innern. (…) Ein phallischer Mann schaut seine Ängste an und konfrontiert sich damit. (…) Der phallische Mann treibt Sport und genießt die Bewegung, er keucht nicht wie eine Dampfwalze joggend durch den Wald, sondern bekommt mit, was da um ihn herum und in ihm geschieht, dass die Vögel zwitschern, die Seele lacht. (…) Phallische Männer halten Konflikte aus, ohne in Feindseligkeiten zu geraten. (…) Der phallische Mann hat seine weibliche Seite, seine Königin, seine Anima, angeschaut und angenommen. (…) Der phallische Mann lebt seine vollständige Männlichkeit …27

Der bewusste, authentische Mann ist spirituell. (…) Und er ist gesellschaftlich engagiert. Jeder bewusste, authentische, selbstbewusste Mann muss sich fragen, ob er weiter den alten Ideologien und Geisteshaltungen der Angst, der Gewalt und des Krieges und damit auch der Zerstörung der Erde dienen möchte …28

Für diesen neuen Mann habe ich das Bild des „Herzenskriegers“ gewählt. (…) Ein Mann, der selbstbewusst seine Männlichkeit lebt, stolz und unabhängig ist. (…) Der Herzenskrieger spürt die Kraft der Liebe in sich und trägt sie kraftvoll in die Welt.29

Was „echte“ Männer ausmacht: Sie (…) arbeiten daran, den Planeten zu retten … lieben den Himmel (…) meditieren (…) lieben ihren Körper (…) sind nicht homophob (…) hören Musik (…) praktizieren die Einsamkeit (…) behaupten sich gegen ihre Süchte (…) sind großzügig …30

Wir möchten, dass Männer zu sich selbst stehen – nicht nur in Partnerschaften. Sie sollen Eier zeigen! Also entwickelten wir ein Alternativmodell, das nicht den Phallus, sondern die Hoden als Metapher verwendet. Die Autoren nennen ihn den testischen Mann.31

Es gibt für mich eine Hoffnung für die Menschheit, und zwar nur diese Hoffnung: Dass die Männer einen Weg durch die „Filter ihrer konditionierten Sexualität“ hindurch finden und ihre wahre männliche Autorität entdecken. Dann können sie mit ihren Frauen in Frieden zusammen sein und mit ihrem Körper, ihrem Herzen und ihrer Seele „Liebe machen.“32

Alle diese Bücher enthalten wertvolle Anregungen, wie wir unser Mannsein erforschen, erweitern und zur Freude aller Beteiligten von altem Muff befreien können. Aber hat diese Auflistung nicht auch etwas Erdrückendes? Wenn wir uns an solche Ratschläge halten, setzen wir uns permanent unter Druck, einem Ideal nachzueifern. Aber es ist nur ein Ideal! Mit einem Ideal kann Mann nicht ernsthaft konkurrieren. Die ausgewählten Textpassagen klingen jedoch so, als gäbe es diesen Idealmann leibhaftig. Wir könnten so sein wie er, wenn wir nur …

Robert Blys initiierte mit seinem Buch Eisenhans in den 1980er-Jahren eine ganze Bewegung hin zum Wilden Mann. Auch er schreibt mit viel Pathos, aber er macht zugleich deutlich: „Ziel ist nicht, der Wilde Mann zu sein, sondern Kontakt mit ihm zu haben. (…) Der Versuch, der Wilde Mann zu sein, endet mit einem frühen Tod und stürzt jeden in große Verwirrung.“33

Bernie Zilbergeld bringt die Tragik und Vergeblichkeit aller Bemühungen, einem Männerideal gleichen zu wollen, ironisch auf den Punkt: In unserer Gesellschaft ist Mannsein eine Gratwanderung. Genau wie ihre Väter und Großväter müssen Männer aufpassen, dass ihr Verhalten dem entspricht, was als männlich gilt. Es braucht nicht viel (…) und man hat seinen Platz im erlauchten Kreis der Männer verloren. (…) Aber wenn ein Mann kein Mann ist, was ist er dann? (…) überhaupt nichts!34

Wenn wir uns wirklich aus dem Einflussbereich der Klischees inklusive deren ideologischer Abwehr befreien wollen, dann sind wir gefordert, unseren eigenen Weg zu gehen. So entsteht Vielfalt anstatt Vorbildlichkeit. Wenn wir suchen, finden wir dafür Unterstützung. Hier einige Äußerungen, die der Vielfalt unserer Erlebnisweisen und Ausdrucksformen Raum lassen:

Das Leben ist übersprudelnde Vielfalt. (…) Beim Sex und dem Prozess zweier Wesen bei der Erschaffung eines dritten geht es ausschließlich um Vielfalt. (…) Schlussendlich sind Männer keine Probleme, die gelöst werden müssen, sondern tiefe, undurchdringliche Mysterien.35

Die männliche Seele ist ein unbekanntes Land – nicht nur für die Frauen, sondern oft auch für die Männer selbst.36

So trägt (…) jeder Mann zeitlebens all das weiter in sich, was er (…) nicht leben kann: das kleine Kind, das er einmal war, den weiblichen Anteil, den er abgespalten hat, die Ganzheit, die er in sein Denken und sein Fühlen, in seinen Kopf und seinen Körper zerlegt hat – die Liebe, die er einmal erfahren hat. Erträglich wird für ihn dieser Zustand nur durch bestimmte Vorstellungen, (…) die er in seinem Frontalhirn verankert hat: „Da muss man durch“ (…) Um glücklich zu werden, müsste er die durch diese negativen Erfahrungen entstandenen Verschaltungsmuster und die von ihnen generierten, einengenden Vorstellungen, Haltungen und Einstellungen irgendwann wieder auflösen. Das heißt, er müsste genau das loslassen können, was ihn bisher gehalten hat (…) das macht Angst …37

•Am offensten äußerte sich erstaunlicherweise ein Mann, von dem wir es kaum erwartet hätten: Oswald Kolle. Jeder Mann ist anders. (…) Den Mann an und für sich gibt es nicht. Ich stellte das des Öfteren fest. Es handelt sich immer um einen ganz persönlichen Mann, wie er leibt und lebt …38

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