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WEINENDE FUSSBALLER UND KAPUTTE KOMMISSARE. MÄNNER IM WANDEL

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Wirklich innovativ ist man nur dann,

wenn einmal etwas danebengegangen ist. 39

Auch wenn jeder Mann anders ist, so gibt es doch Faktoren, die uns alle – mehr oder weniger – prägen. Während sich die biologischen Grundlagen wohl nur langsam verändern, haben sich das Verständnis und die gesellschaftliche Bedeutung von Männlichkeit in den letzten Jahrzehnten gewaltig verändert. Mann kann versuchen, diese Entwicklung voranzutreiben oder sich ihr zu entziehen, Mann kann sie begrüßen oder sie bekämpfen – unbeeinflusst lässt sie uns nicht.

Bis 1958 hatte der Mann das gesetzliche Bestimmungsrecht über Frau und Kinder, ohne seine Zustimmung durfte beispielsweise seine Frau nicht erwerbstätig werden. Bis 1969 war eine verheiratete Frau nicht allein geschäftsfähig. Der §175 des Strafgesetzbuches, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, wurde in der BRD 1969 zum ersten Mal entschärft und erst 1994 ersatzlos gestrichen. 2004 zog die erste Frau in den Vorstand eines DAX-Unternehmens ein und seit 2005 hat Deutschland seine erste Kanzlerin. Vieles von dem, was in Sachen Mann und Frau vor 50 Jahren als selbstverständlich galt, kommt uns heute vor wie Geschichten aus dem grauen Mittelalter. Dennoch ist dieser Prozess bei weitem nicht beendet. Wir stecken mitten drin, und auch wir Autoren wurden und werden dadurch geprägt.

Saleem: Ich fühlte mich schon als Teenager anders, allerdings konnte ich das damals weder benennen noch würdigen. Meine Eltern lebten die klassische Rollenaufteilung, Vater arbeitet außer Haus, Mutter führt den Haushalt und kümmert sich um die Kinder. Meine Mutter hat sich darüber nie beklagt, im Gegenteil, sechs Kinder großzuziehen war für sie die größte Erfüllung, das betonte sie immer wieder. Einen Knacks bekam die häusliche Rollenidylle durch die Umwälzungen der späten sechziger Jahre, die meine älteren Geschwister ins Haus trugen, und nicht zuletzt durch meine fünf Jahre ältere, zeitweilig radikalfeministische Schwester. Durch sie las ich schon als Teenager Alice Schwarzer. Als ich mit Eintritt der Volljährigkeit der Papierform nach zum Mann wurde, fühlte ich mich gar nicht wohl in meiner Männerrolle. Ich konnte und wollte mich mit dem, was als männlich galt, nicht identifizieren. Ich war kein Mann der Tat, sondern eher ein Denker. Mein Auftreten war nicht souverän, sondern schüchtern. Bei Frauen kam ich nicht gut an, weil ich mich gar nicht erst traute, auf sie zuzugehen. Vor allem aber konnte ich mit dem üblichen Umgang von Männern untereinander nichts anfangen und sehnte mich nach etwas Anderem.

In einem Berliner Stadtmagazin las ich, dass andere Männer Gleichgesinnte für die Herausgabe des Männerkalender 1983 suchten. Das war der Einstieg, mich viele Jahre schwerpunktmäßig mit dem Thema Mann im Allgemeinen und männlicher Sexualität im Besonderen zu beschäftigen. Für den Männerkalender schrieb ich – ganz egalitär ohne Großbuchstaben – einen Artikel mit der überlangen Überschrift: der nestbeschmutzer – meine wanderung zwischen feministen-sympi und chauvi im softiegewande, heterotunte und bekenntnistransvestit – von meinen schwierigkeiten mit geschlechts- und sexuellen identitäten. Der erste Satz lautete dann: das ist manchmal so, als wenn ich die eigene bande verrate … wenn ich – als mann – andere männer wegen ihrer macken angreife. Ich fühle mich in der zwickmühle, weil ich auch zuneigung und wärme von männern möchte.

Auf diesen Text hin erhielt ich viele Zuschriften, von Männern und interessanterweise auch von Frauen. Einige wurden später gute Freunde. Ich wusste nun, dass ich mit meiner Vision von einem anderen Mannsein nicht allein war, engagierte mich in weiteren Männerprojekten, gründete beispielsweise das heute noch jährlich stattfindende bundesweite Männertreffen und fühlte mich als Pionier einer neuen Männerbewegung. Bestimmte Themen wurden heiß diskutiert, z. B. ob eine Männerbewegung profeministisch oder maskulinistisch orientiert sein müsse. Für die Männerberatungsstelle „mannege e.V.“ bekamen wir vom rot-grünen Berliner Senat sogar Fördermittel, nachdem die damalige Frauensenatorin in einem persönlichen Gespräch unsere frauenfreundliche Gesinnung sichergestellt hatte. Den Höhepunkt unseres Avantgarde-Stolzes entfachte die Einladung zu einer Expertenanhörung des Deutschen Bundestags, damals noch in Bonn. Das Thema lautete: Die Frauenfrage als Männerfrage. Ach, war das aufregend, als wir auf dieser Tagung von der ebenfalls eingeladenen Grünen-Ikone Joschka Fischer als Nabelschau-Truppe bemitleidet wurden, die niemals relevante politische Wirkung erzielen würde. Wir waren natürlich entsetzt über diesen Ökomacho.

Jahre später entdeckte ich im Tantra noch ganz andere Facetten meines Mannseins, doch die gesellschaftliche Dimension des Geschlechterthemas ließ mich nie ganz los. Mit der Arbeit an diesem Buch holt sie mich auf neue Weise wieder ein. Vor allem mein wachsendes Gespür für die subtile Abwertung, die wir uns als Männern entgegenbringen und die uns entgegengebracht wird, hat sich weiter verfeinert und differenziert.

Rainer: Ich gehöre noch zu einer Generation, in der die Dämonisierung von Sexualität mit der Muttermilch eingesogen wurde. Heute erscheint es vielen unglaublich, dass die Vermietung einer Wohnung an unverheiratete Paare als „Verschaffung der Gelegenheit zur Unzucht aus Eigennutz“ nach dem erst 1969 abgeschafften Kuppeleiparagrafen strafbar war. Mein Vater konnte in mir unwiderruflich die Furcht verankern, dass Onanieren nachhaltig das Gehirn schädigt. Die Mädchen meiner Klasse haben hartnäckig darauf bestanden, aus mir einen richtigen Mann zu machen, der ihnen in den Mantel hilft und die Tür aufhält. (Welch ein Schock, 40 Jahre später im Tantraseminar von Frauen zu hören: „Oh Gott, ein Mann, der es den Frauen recht machen will!“)

In der 68er Zeit gehörte ich zu dem Teil der Linken, der privat fasziniert war von Frauenemanzipation und sexueller Befreiung und gleichzeitig in politischen Debatten heftig den Vorrang der Klassenfrage gegenüber dem Nebenwiderspruch der Frauenfrage verteidigte. Aber das waren Debatten in der dritten Person. Mit Frauen oder gar mit Männern über meine sexuellen Wünsche oder Praktiken zu sprechen, war im wörtlichen Sinn für mich undenkbar. Das erste von mir gelesene Männerbuch mit dem Titel „Der letzte Mann“40 steht seit 1978 in meinem Regal. In ihren „Bekenntnissen“ fühlten sich vier italienische Linke „in Atem gehalten von den Problemen, die der Feminismus aufwirft (…) Sie verstehen sich als letzte Männer von früher, weil sie wissen, dass sie es nicht mehr fertigbringen werden, die ersten neuen Männer zu sein.“ Auch mir erschien mein Veränderungswille gegenüber den mich übermächtig prägenden und deshalb zu bekämpfenden Verhältnissen machtlos.

Ende der 1980er war ich dann stolz darauf, dass ich als erster Mann in meinem Großbetrieb Erziehungsurlaub beantragte. Das Staunen der Mütter auf dem Spielplatz konnte nicht verhindern, dass ich auf die Sisyphusarbeit eines Hausmannes mit Phasen tiefer Depression reagierte, zumal durch meine Abwesenheit im Betrieb meine mühsam erreichten gewerkschaftlichen Ämter in Gefahr gerieten. Politisch kritisierte ich die bürgerliche Kleinfamilie und auch die grenzenlosen Arbeitszeiten, die von Gewerkschaftsfunktionären erwartet wurden. Persönlich scheiterte ich bei dem Versuch, in einer Doppelverdienerehe gleichzeitig guter Vater und engagierter Politaktivist zu sein.

Für mich brauchte es den Anlass der Trennung, um mich mir als Mann mit einer Ernsthaftigkeit zuzuwenden, die ich früher als Rückzug in die Innerlichkeit verspottet hätte. Zunächst ging es mir allerdings darum, mich von „normalen“ Männern abzugrenzen und mich als einfühlsamer und zärtlicher Mann zu entwickeln. Erst Jahre später ließ ich mich in Männerseminaren auch von unbekannten schönen und schaurigen Männererfahrungen berühren, ohne sie abzuwerten. Und ein Versuch, endlich auch meine aggressiven Männerseiten zu entwickeln, endete mit einem Rippenbruch im Boxritual.

Ohne Blessuren geht es manchmal nicht ab, aber die berührenden Interviews und die Arbeit an diesem Buch lassen mich stolz auf uns Männer schauen, weil wir uns in wenigen Jahrzehnten aus Jahrhunderte wirkenden Prägungen freistrampelten und dabei ohne Vorbild sind. Ich bin kein Mann der alten Schule mehr, aber es fällt auch mir schwer zu glauben, dass ich ein wirklich neuer Mann werden kann. Es gelingt mir auch nicht, diesen Maßstab komplett loszulassen. Insofern wirkt mein erstes Männerbuch immer noch nach.

Lustvoll Mann sein

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