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Was bisher geschah. Kleines Kaleidoskop der letzten Jahrzehnte

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Nicht nur bei uns beiden ist viel passiert. Schon lange haben Macho und Softie ausgedient. Der besagte Song Neue Männer braucht das Land wurde in den 1980ern auf vielen Partys frenetisch mitgesungen, aber Väter mit Kinderwagen waren damals noch fast eine Zeitungsmeldung wert, Fußballer hätten nach einem verlorenen Halbfinale niemals offen geweint und nach einem gewonnenen Finale nie und nimmer ihre Kinder aufs Spielfeld geholt. Journalisten stellten noch nicht die heute bis zum Abwinken banalisierte Frage: „Wie haben Sie sich gefühlt, als …?“ Stattdessen hätte es geheißen: „Lassen Sie uns das Thema mal ganz sachlich betrachten … wie beurteilen Sie …?“

Diese Veränderungen kamen nicht von ungefähr. Die rechtlichen und materiellen Verhältnisse zwischen den Geschlechtern haben sich seit Ende der 1960er-Jahre grundlegend und dramatisch gewandelt und damit auch das Leben als Mann. In einer Welt, in der die Arbeitsverhältnisse unsicherer werden, immer mehr Frauen von eigener Arbeit leben können und steigende Scheidungsraten (heute mehrheitlich auf weibliche Initiative) die Patchworkfamilie für viele zur Normalität werden lassen, wird der Mann als Alleinverdiener in einer stabilen Kleinfamilie zum Auslaufmodell.41 Mit den patriarchalen Familien- und Machtstrukturen entfallen auch die letzten Grundlagen einer androzentrischen Weltsicht, „in der Männer die Welt erklären und alle darauf hören“.42

Viele gesellschaftliche Veränderungen wurden zunächst von Frauen gefordert und schrittweise durchgesetzt, wie z.B. die Straffreiheit von Abtreibungen, Quotenregelungen für Wahlämter oder die Aufwertung des Erziehungsurlaubs. Männer wurden in dieser Hinsicht vor allem in ihren Reaktionen sichtbar, sei es als Gegner, Dulder oder Unterstützer der Frauenemanzipation. Frauen haben die Beziehung der Geschlechter in Bewegung gebracht. Allerdings verabschieden sich nicht alle Männer nur auf Druck von Frauen von ihrer traditionellen Rolle. Denn auch in patriarchalen Strukturen gehört die Mehrheit der Männer nicht zu den Gewinnern, sondern ist von Unterlegenheitserfahrungen geprägt. In den 1960er-Jahren widersetzten sich z. B. die „Gammler“ den Normen einer leistungsorientierten Männlichkeit. In der Hippiebewegung trugen Männer nicht nur bunte Kleider, sondern auch Schmuck, bis dahin ein Tabu für Männer. Die Schwulenbewegung erreichte nicht nur die Straffreiheit der Männerliebe, sondern öffnete für alle Männer neue Spielräume für Körperlichkeit und Erotik. Auch die Initiativen für Väterrechte sind keine Antwort auf Frauenforderungen, sondern auf die zunehmende Realität der Patchworkfamilie.

Im Vergleich zur Uniformität des Männerbildes vergangener Jahrhunderte hat sich in den letzten Jahrzehnten eine große Spannbreite und Vielfalt entwickelt. Auch die Einstellungen und Werte haben sich verändert und ausdifferenziert: Nur noch ein Drittel der Männer hält das traditionelle Rollenverständnis der Geschlechter in Familie und Arbeit für richtig. Dieser Anteil nimmt weiter kontinuierlich ab, während der Anteil, der auf der Suche nach neuen Rollenbildern ist, ständig zunimmt.43

Allerdings sind gerade suchende Männer häufig mit Widersprüchen konfrontiert, wenn sie z. B. zu Hause neue Qualitäten als Liebhaber und Vater einbringen wollen, im Berufsleben aber weiterhin an traditionell männlichen Eigenschaften gemessen werden und gleichzeitig – entgegen früherer Forderungen nach „5 Stunden mehr für Liebe und Verkehr“44 – der Druck durch überlange Arbeitszeiten wieder zunimmt. Männer sind in diesem schwierigen Suchprozess bisher weniger vernetzt als Frauen und von Frauen erhalten sie statt Verständnis für Veränderungsprobleme mitunter eher Schadenfreude, nach dem Motto: „Jetzt seht ihr mal, wie sich Doppelbelastung anfühlt.“

Während die materiellen Veränderungen greifbar sind, ist der mit ihnen einhergehende Wertewandel eher ein schleichender, aber er ist nicht weniger gravierend. Der Mann verkörpert heute nicht mehr den „Normalmenschen“ und schon gar nicht dient er noch als menschliches Vorbild. Männlichkeit gilt jetzt weithin als Problem. Kaum jemand würde es heute noch wagen, den größeren Anteil von Männern in Führungsetagen öffentlich mit ihrer größeren, genetisch bedingten Kompetenz zu rechtfertigen. Wir sind von einer echten Gleichberechtigung noch ein Stück weit entfernt, aber das Ansehen von Männern als Männer ist beträchtlich gesunken.

Auch in Forschung und Wissenschaft wurde der Mann zunehmend zum Objekt des Interesses, pikanterweise häufig im Rahmen einer von Frauen und feministischen Positionen dominierten Genderforschung. Unabhängige Ansätze einer Männerforschung, die das patriarchale Erbe nicht ausblendet, sich aber auch nicht von feministischer Ideologie vereinnahmen lässt, sind noch recht jung.45 Die Brisanz dieser Thematik zeigt sich schon in der umstrittenen Frage, ob Männerforschung aus Fördermitteln zur Gleichberechtigung der Geschlechter finanziert werden darf. Nehmen Männer damit den Frauen schon wieder etwas weg?

Gendermainstreaming hat inzwischen innerhalb der EU Gesetzesrang, d.h. bei jeder staatlichen Maßnahme müssen die Folgen für die Gleichstellung der Geschlechter berücksichtigt werden. In den letzten Jahren gerät zunehmend in den Blick, dass auch Jungen und Männer in mancherlei Hinsicht benachteiligt sind oder diskriminiert werden. Wer dies offen thematisiert, geht jedoch ein hohes Risiko ein, dass man ihn als Emanzipationsbremse brandmarkt. Obwohl Männer sich beispielsweise häufiger das Leben nehmen, suchtkrank werden, sich schlecht ernähren und vor allem früher sterben, kommt kaum jemand öffentlich auf die Idee, spezifische Hilfsangebote für Männer zu entwickeln oder überhaupt männerspezifische Forschung zu betreiben. Es scheint, als wenn die traditionelle Grundhaltung „Selbst ist der Mann“ immer noch die Perspektive auf die Lebenswirklichkeit von uns Männern dominiert und Unterstützung für Männer entbehrlich erscheinen lässt, obwohl manche Veröffentlichungen gar schon das Ende der Männer46 verkünden.

Durch die vielfältigen, hier nur skizzierten Veränderungen sind Männer vielfältiger geworden bzw. ihre Vielfältigkeit kommt deutlicher zum Ausdruck. Sie sind weniger mit ihrer Arbeit identifiziert, sie haben mehr Kontakt zu ihren Kindern, sie spüren und zeigen deutlicher ihre Gefühle, sie müssen Schwächen nicht mehr in solch hohem Ausmaß verleugnen, in der Beziehungskrise verweigern sie sich nicht mehr durchgängig einer Paartherapie und sie haben sich auch sexuell weiter entwickelt. Vor allem letztere Entwicklung geschieht weitgehend im Verborgenen. Obwohl auch die ausgefallensten sexuellen Themen heute talkshowfähig sind, sind die Scheu und die Scham, sich mit dem eigenen, oft widersprüchlichen erotisch-sexuellem Empfinden öffentlich zu zeigen, nach wie vor groß.

Zumindest halböffentlich kommt manches Intime heute in anonymen Onlineforen zur Sprache. Lassen sich hier relevante Entwicklungen ablesen? Nach unserem – zugegeben eher rudimentären – Einblick in diese virtuelle Welt klingen die Beiträge hier oft mehr nach Werbebotschaften in eigener Sache denn als verletzliche Selbstoffenbarung. Außerdem bleiben viele Subkulturen gerne unter sich, was der öffentlichen Transparenz dieser Entwicklungen auch nicht zuträglich ist.

Aus besagten Gründen kommen die sexuellen Veränderungen bei Männern in der öffentlichen Wahrnehmung bisher nur unzureichend vor. In den Medien verengt sich die manchmal reißerische Beschreibung aktueller sexueller Entwicklungen beim Mann immer wieder auf Klischees, nicht zuletzt auch deshalb, weil diese medientauglicher erscheinen als die vielschichtige, einzigartige Erlebnisweise eines einzelnen Mannes. Allerdings sind auch die Klischees selbst widersprüchlicher geworden. Inzwischen gibt es zu jedem klassischen Klischee einen gleichfalls klischeehaften Gegenpol:

•Männer sind Egoisten im Bett. – Männer wollen es immer nur der Frau Recht machen.

•Männer können immer. – Männer machen immer öfter schlapp.

•Männer weinen nicht. – Männer sind weinerlich.

•Männer wollen immer nur das Eine. – Männer ziehen den Schwanz ein, wenn die Frau Sex will.

•Männer sind prinzipiell untreu. – Ein einzelner Mann reicht nicht aus, um eine Frau zu befriedigen.

Solange wir diese Widersprüchlichkeit nicht durchschauen, sitzen wir in der Falle, es niemals recht machen zu können. Die Medien interessiert das wenig. Im medialen Mainstream wurden Männer immer mehr zur defizitären Spezies, die dringend der Nachbesserung bedarf.47

Wir könnten hier einfach Medienschelte betreiben, aber zeichnen die Medien nicht ein zwar betrübliches, aber doch auch realistisches Abbild des heutigen Mannes? Sind nicht sexistische Anmache und sexuelle Gewalt durch Männer nach wie vor Alltag? Zeigt nicht die Niveaulosigkeit der massenhaft von Männern konsumierten Pornografie, wie es um uns Männer wirklich bestellt ist? Niemand zwingt doch Männer, sich so etwas anzuschauen.

Es gibt stumpfsinnige Pornografie, es gibt sexuellen Missbrauch, es gibt sexuelle Gewalt. Auch wenn diese nicht ausschließlich von Männern konsumiert48 bzw. verübt wird: Sexualität, wie sie von uns Männern gelebt wird, hat unübersehbar Schattenseiten. Wir glauben aber nicht, dass Männerbashing der Weg ist, die Situation dauerhaft zu verbessern, weder für Frauen noch für Männer und auch nicht für nachfolgende Generationen. Stattdessen – und wir kommen im Schlussteil ausführlich darauf zurück – möchten wir hier zunächst anregen, Männer mit ihren sexuellen Vorlieben und Verhaltensweisen erst mal wahrzunehmen – möglichst ohne fixe Vorannahmen. Offenheit und grundsätzliche Wertschätzung: Mit dieser Grundhaltung sind wir in die Gespräche für dieses Buch gegangen und wir haben sie beibehalten, auch wenn wir Dinge erfuhren, die wir nicht für vorbildlich halten. Aber …eben: Es geht uns nicht um Vorbilder, sondern um Raum für Wahrheit und Vielfalt.

Lustvoll Mann sein

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