Читать книгу Rosa, die schöne Schutzmannsfrau - Salomo Friedländer - Страница 12
Der Schutzmannshelm als Mausefalle
ОглавлениеWas ein Kolibri ist, werden so ziemlich alle gebildeten, ungebildeten und halbgebildeten Vernunftbesitzer wissen: ein schönes Vögelchen mit einem sehr langen graziösen Schwanz, der beim Fluge wie ein gefiederter bunter Blitz durch die Luft sirrt. (Hä, wie gemein ist diese gezierte Ausdrucksweise!) Aber wirklich, der Kolibri ist ein so allerliebst niedliches Tierchen, von der Natur so konfitürenmäßig entzückend ausersonnen, daß alle Literatur ihm einfach übel nachhinkt – nein, die Literatur ist kein Kolibri; sie ist weit, weit eher eine Verbalinjurie, an der ganzen lieben Welt begangen. Unser Kolibri schillerte magisch in Grün, Blau und Purpur, war klein wie das Auge eines Wasserköpfchens, hieß Pilili, gehörte Herrn Heinrich Bröhle (vorm. Zweischurz & Schwabbe), war der Liebling von jung und alt. Ja, das war einmal eine reiche Familie! Können Sie sich vielleicht einen Kolibri halten, teure Mynona? Können Sie sich überhaupt etwas halten?– nicht einmal eine Zeitung. Bröhles hielten alles sich, alles, das man irgend so hält: 54 Diener, 21½ Köche (1 Jungen!), 13 Hausmädchen, 5 Weißzeugnäherinnen, 8 Schuhputzer usw. usw. Zweischurz hatte schön spekuliert, Schwabbe brachte eigenes Geld hinzu; bis dann Bröhle auf den Gipfel der haute finance kraxelte. Oben befanden sich außer Pilili noch Bröhle Mutter, Bella; seine Frau, Molla (Amalie); und acht Kinder von 5, 7, 7, 7, 9, 9, 9 und 22 Jahren; wie man bei sorgfältiger Lektüre zwischen den Zahlen liest, hatte Molla zweimal Drillinge gew–geboren. Die lebten nun alle in feierlicher Vergnügtheit auf einem Schloß: einen Teil des Parkes hatten sie überglasdacht und in einen tropischen Urwald verwandelt; und hier sirrte, wehte, schnellte, zuckte, duftete der Pilili von Baum zu Baum. Gott, so ein lieber Vogel! Und doch einen Feind hatte er im ältesten Bröhle, Odoard. Gordon, Chlodwig, Seibolt sowohl wie Hulda, Tolla, Tixa und Finette vergötterten das Tierchen, küßten es, umarmten es, befreiten es von Ungeziefer, erzogen es, machten es zahm, rein, fromm, kinderlieb und bieder. «Pilili!» riefen sie, und so wippte es schon herbei, strich ihnen leicht wie eine Puderquaste mit seinem Schwanz über ihre sieben Bröhlenäschen und pickte von Tixas Nase, was just vorhanden war. So würden, ohne Odoard, Personen und Pilili ein Leben geführt haben, wie es im Paradies vor dem Sündenfall einfach en vogue gewesen ist. Gibt es denn gar kein Paradies ohne lauernde drohende Katastrophe?
Zwischen Pilili und Odoard war von Anfang an eine Spannung. Das ist so zu erklären: Es gibt schamhaft verkrochene Seelen, die beim Anblick, im Erleben eines Feinsten, Leisesten, Zartesten sofort gern trotzig tun, ja rüpelhaft werden. Sobald Odoard unsers Pilileins gewahrte, zuckte es schon nach einem Wurfgeschoß in seinen Fingern; hatte er sich doch zum Entsetzen seiner Geschwister tagelang trainiert, um den fliegenden Pilili mit einem Speichelspritzerchen zu treffen. Bella bekam Zustände, als sie es hörte; Molla warf sich längelang auf eine Causeuse und hauchte: «Oh, wen oder was gebiert man manches Mal mit Schmerzen?!» Bröhle sen. hatte mit Odoard eine längere Unterredung, in deren Verlauf er ihm den Schlüssel zum Urwald abnahm. Odoard geriet in eine maßlose Wut auf Pilili: daß ein solches...! ein solches...! ein solches «Tintenwisch-Aspirantchen», so ein «Zeppelin des Ungeziefers», «Riesenfloh mit Flügeln», «Luft-Aussatz», «Erbschleicher» usw. usw. imstande war, einen Odoard Bröhle um den Genuß eines ganzen Urwaldes zu bringen. Racheschnaubend strich er durch den offenen Park. Also natürlich: Sommerluft, impertinent blauer Himmel mit einem Aroma Abend, Baumrauschen, phlegmatisches Rasengrün, Vogelsingen, Vogelsingen – der ganze faule Naturzauber, unerträglich harm- und ahnungslos, unmenschlich gleichgültig. Aber wenn Gedanken töten könnten, wäre der Pilili bereits in Fäulnis übergegangen. (Der Gedanke, die Theorie ist leider lahm ohne die Praxis, der sehende Lahme leitet den gelenken Blinden.)
Odoards Rachegedanke wurde folgendermaßen praktisch. Er pfiff dem Kater Mucki und beide begaben sich auf die Mäusejagd in den Pferdestall. Dort stand ein Reitbursche in munterem Gespräch mit einem Schutzmann, der nicht interessanter aussah als die meisten Schutzleute. Seinen Helm hatte er abgenommen, an einen Haken getan, stand barhäuptig da und plauderte allerliebst – von einem bloßen Schutzmann gewiß alles Mögliche!! Aber was geschah? Etwas, das kein Schutzmann philosophisch hinnimmt: Mucki stöberte eine Maus auf, und die gehetzte, geängstigte Maus fuhr hoch und in den Helm hinein, der Helm fiel vom Haken, kollerte würdelos hin und her und überdeckte die etwas unbedenkliche Maus, die, sowie sie darunter zu entwischen versuchte, sofort von Mucki zurückgescheut wurde. Odoard, Schutzmann und Bursche standen zwei Sekunden starr vor Überraschung, dann schrie der Schutzmann wütend auf: (Uniformierte Beamte verbinden religiöse Assoziationen mit ihren Kleidungsstücken, empfinden leicht ihre anderweitige Verwendung als Profanation. So wenig man den Säbel eines Soldaten als Radier- oder Rasiermesser gebrauchen darf, so wenig ist der Schutzmannshelm ein buen retiro für Nagetiere.) Im lebhaften Gefühl dieses Axioms wollte der Bursche gleich zuspringen, um dem Helm zu Hilfe zu kommen; und der Schutzmann erhob schon den Schuhabsatz in entschieden mauszertreterischer Absicht – aber Odoard sagte wie die (angebliche) Jungfrau v. O.:
«Mein ist der Helm und mir gehört er zu.»
«Sie werden», sagte er zum Schutzmann, «doch keinen Helm mehr aufsetzen, den eine Maus jedenfalls schon verunsäubert hat! Hier sind 60 Mark, nehmen Sie einen neuen.» Der Schutzmann errötete bescheiden und kommt in dieser Geschichte gar nicht mehr vor. Desto mehr dagegen sein Helm.
Der Bursche mußte ein Stück Pferdedecke unter dem Helm wegschieben und fest herumschnüren, so daß die Maus im Helm gefangen war; eine Arbeit, bei der ihm Mucki die Finger arg zerkratzte. Nun muß man wissen, daß selbstverständlich Katzen und Mäuse vom Aufenthalt im Urwald ausgeschlossen waren. Odoard hatte vorgehabt, ein Mäuslein dort hineinzupraktizieren, um so der Katze eine Gelegenheit zu verschaffen – denn war erst der Kater zum Urwaldtier geworden, dann war eine gewisse zärtliche Verständigung zwischen ihm und Pilili nur noch eine Frage der kürzesten Zeit. Mucki, der mit der lebhaftesten Verständnisinnigkeit um Odoards rasch dahinschreitende Füße schlich, schielte schlau nach dem Helm, den dieser mit der Spitze nach unten in seinen Mörderhänden trug. Alles war im besten Gange, da – es mochte das um den Helm gewickelte Tuch schadhaft gewesen sein? – entschlüpfte hurtig die Maus, der Kater hinterdrein; Odoard stieß einen Fluch aus, warf den Helm zur Erde und zerknackte ihn mit einem Fußtritt. Er schlenderte durch den Park, den Helm vor sich herstoßend, mit ungeheuerlich antipililesken Gedanken. Es ist eine melancholische Sache um einen zerbeulten Schutzmannshelm! Überhaupt malträtierte Uniformstücke verstehen es, auf eine so intensive Weise zum Himmel zu schreien, daß Kain, wäre Abel uniformiert gewesen, den Tod lieber nicht erfunden haben würde. Odoard, in seinen über Vogelmord brütenden Gedanken, hatte gar nicht bemerkt, daß seine Helmschändung beobachtet worden war und zwar fatalerweise just von seinem Vater selbst. Wie sollte sich dieser gute Mann, der ans kaufmännische Kombinieren gewöhnt war, das wunderliche Benehmen Odoards erklären? Eines Sohnes Zorn, an Schutzmannshelmen ausgelassen, wirkt nicht immer beruhigend auf einen wohlmeinenden Vater. Bröhle sen. kombinierte: «Hat was ausfressen wollen. Schutzmann in Nähe ihn gesehen. Schutzmann ihn notieren wollen. Er Schutzmann Helm vom Kopf gehauen. Schutzmann außer sich! Verfolgung. Er mit Helm im Vorsprung. Hier sich an Helm brutal betätigt. Heillos dummer Junge! Unseliger Vater! Muß einschreiten. Muß verhüten, vermitteln. Sonst Unheil.»
Und richtig, in der Ferne sah er auch schon einen barhäuptigen Schutzmann auftauchen, denselben, der in dieser Geschichte nicht mehr vorkommt. Bröhle sen. rannte ihm spornstreichs nach – aber bevor er ihn noch eingeholt hatte, zwang ihn ein abenteuerlicherer Vorfall, inne zu halten und umzukehren; auch Bröhle jun. horchte auf: es erscholl vom Urwald her ein einziger Notschrei aus vielen Familienkehlen.
Ach, was ist der Mensch! Wie oft mißlingen die besten Absichten, so nahe sie schon der Erfüllung schienen; dagegen böse Pläne mühelos zuletzt gelingen, so dicht sie bereits am Scheitern waren.
Die Maus, dem Schutzmannshelm entronnen, schlug sofort den Weg nach dem Urwald ein, woselbst sie ein Familienidyll vorfand, gegen das die gesamte Gartenlaubenherrlichkeit sich geradezu dämonisch und dekadent ausgenommen hätte. Sie lagen in Hängematten. Kein störender Hauch. Der Pilili säuselte um sie her, über sie hin. Die Maus schnellte drauf los, erschrak, wollte zurück – aber fauchend fuhr der Kater auf sie los, er hatte sich durchgequetscht, er biß sie, spielte mit ihr. Die Hängematten pendelten wild, nach allen Gesetzen Galileis. Der Kolibri drückte sich (mit ziemlich ungesitteten Anzeichen der Angst) regungslos gegen einen Baumstamm. Der Kater – ihn sehen, anspringen, fassen, zerfetzen, daß die sanften langen Federn die Familie überwirbelten, das war eins. Die recht unegalen Leichen von Maus und Kolibri in der Schnauze, wollte Mucki das Weite suchen; allein, durch den gräßlichen Aufschrei der Familienmitglieder herbeibeschworen, erschienen jetzt Vater mit Sohn. Welche Pantomime! Welche stumme Szene! Hier versagen alle Ausdrucksmittel der Poesie! Es hagelte nur so von Stöhnern, Ohnmachten, Pathetik, Resignation. Lassen wir die Familie, lassen wir den ergriffenen Vater: uns interessiert allein der Seelenaufruhr Odoards. Odoard griff mit der einen Hand nach Mucki, mit der anderen nach Pilili. Er verschwand aus dem Urwald in die Tiefen des Parkes. Daselbst erwürgte er sofort den Kater mit größter Sorgfalt. Übrigens lernt man daraus leicht erkennen, daß die Überlegenheit des Katers über Pilili unecht war. Und überhaupt siegte Pilili auf der ganzen Linie mit erstaunlicher Konsequenz. Odoard verfiel in heillosen Trübsinn. Man fand ihn, wie er die kleine Leiche mit seinen Tränen marinierte. Ihm war gar nicht mehr aufzuhelfen. Den Pilili, den alle liebten, hatte Odoard mit jener überschraubten Liebe geliebt, welche ihren Gegenstand quälen muß. Diese Liebe hatte sich auf ein Seelchen geworfen, das viel zu fein, zu leicht zerstörbar war. Daraus folgt einer der Hauptsätze aus der gesamten Hygiene für Liebende: liebt, bitte, dauerhaft und Dauerhaftes! Große Trauer kann sonst auch schwer reiche Familien befallen. Liebt niemals einen Kolibri! Das schützt euch vor Melancholie.