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Mein Sohn

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Mein Sohn, ein gewisser Herr Lehmann, dem ich vom Tage seiner Geburt an ein mir verwunderliches Interesse gewidmet hatte, ist heute ein dicker, melancholischer Mann von rund dreißig Jahren, der mir unsympathisch ist, weil er ungesetzlich verfährt. Er rechtfertigte sich mir gegenüber mit der Einwendung, man müsse sich beweisen, daß man nicht bloß aus Gutmütigkeit bei der Stange bleibe. «Du sollst nicht töten», sprach ich zu ihm mit väterlicher Stimme. Siehe da! Er fiel mir zu Füßen, zog aus seiner inneren Rocktasche ein braunes seidenes Tuch, darin lagen wohl eingewickelt mehrere Revolver, ein Fläschchen Gift, ein Strick, ein Döschen Pfeffer, kurz lauter Sachen, die Argwohn erregten. «Ich soll nicht», schluchzte mein Sohn, «allein ich muß es erst können.» Er tat die Sachen wieder in seinen Rock und vollführte einen Freudensprung. Bald darauf ermordete er meine Frau, eine schöne Matrone, die ihn mir geboren hatte. Ich hielt es ihm ernstlich vor. Aber mein Sohn, bei aller Zartheit ein harter Charakter, mißhandelte mich auf das roheste, so daß ich zum bösen Spiel gute Miene machte. Versteht sich, daß mein Sohn dem Gericht jedesmal ein Schnippchen schlägt. Bloß mir hat er es angeboten, daß ich der Mitwisser seiner Schändlichkeiten sei; und schließlich muß ein rechter Vater seinem Kinde auch ein paar mal durch die Finger sehen können. Ich billigte seine eigentümliche Methode, sich zu einem gesitteten Menschen zu erziehen, keineswegs: aber sie imponierte mir. Es genügte, daß er jemanden liebte, alsbald sann er auf die grausamsten Mittel, Partei gegen sich zu nehmen: er zwang sich zur Ermordung aller Triebe und Gegenstände seines Herzens. «Nur so», argumentierte er, «bekommt man sich in eigene Gewalt.» Bei diesen Worten weinte ich laut auf: «Du liebst mich nicht, mein Sohn», stöhnte ich, «denn ich lebe noch.» «Hoho!» lachte er: «ich bedarf eines Mitwissenden, es ist eine Schwäche – wer weiß, du hast etwa Hoffnung.» Am vorigen Mittwoch ertränkte mein Sohn seine Braut, er teilte mir es brühwarm mit: «Ich kann darüber weinen oder lachen – wie ich eben will», frohlockte er, «ich habe eine vollkommene Freiheit über alle Bewegungen meines Gemütes erlangt.» «Dann laß es doch endlich!» raunte ich ungeduldig. «Jetzt», sagte er, «wo es mir Spiel geworden ist, ein liebliches Spiel der Selbstfolterung, nicht zu vergessen, wie es dich quält, Papa? – Geduld, alter Herr! Du bist noch nicht an der Reihe.» –

Hierauf schoß er mir unversehens mit dem Revolver meinen Nasenknorpel weg und schickte unsere Dienstmagd zum Arzt. Ich tröstete mich mit einem Rückschluß auf die Stärke seiner Sohnesliebe. In der folgenden Nacht erdrosselte er meine Lieblingstochter Angelika. «Das räche der Himmel!» rief ich aus, ich verlor alle Selbstbeherrschung, mir graute. Lehmann wurde mir vollkommen unheimlich. War dieses Ungeheuer wirklich mein Sohn? «Alterchen, du bist ein drolliger Kerl», amüsierte er sich. «Ich gebe übrigens zu, daß die Möglichkeit des Todes schrecklich ist: aber wie, wann, wo wir sterben, ist recht sehr – Nebensache und sollte niemanden ernstlich aufregen.» «Du bist irrsinnig», schrie ich ihn an. «Deine Vernunft ist beim Teufel; wenn du jetzt kein Ende mit deinen Mordübungen machst, geh ich zum Gericht, ich hätte es schon beim Tode deiner Mama tun sollen.» – «Vater», sagte mein Sohn und sah mich auf eine unbeschreibliche Weise an, «Sie werden sofort Gift kriegen. Zuvor jedoch töte ich Ihre alberne Logik, welche die unendliche Vernünftigkeit des Wahnsinns lästert.» Er gab mir, so viel ich weiß, einen furchtbaren Klaps auf die Schädelkapsel. «Jetzt schweige, Idiot, der du nun bist», brüllte er, rauchte, in meiner Stube hin und her gehend, eine Zigarre, und entfernte sich verdrossen. Inzwischen kam ich wieder zur Besinnung, in meinem Speisezimmer fand ich die Dienstmagd in Gestalt einer Leiche, ein Anblick, der, trotzdem ich durch meinen Sohn abgehärtet dagegen war, mir doch dermaßen zusetzte, daß ich zu pfeifen aufhörte, ich hatte gerade eine Verdische Arie zwischen den Lippen gehabt. Ich kam mehr und mehr in eine wehmütige Stimmung. Plötzlich geriet mein Herzschlag in immer rasenderen Galopp, zugleich machte mir das Atmen Schwierigkeiten, und glühende Nadelspitzen stachen in meinen ganzen Körper. Kein Zweifel! Ich war während meiner Geistesabwesenheit vergiftet worden. Mit dem letzten Aufgebot meiner Kraft nahm ich ein Brechmittel, es wirkte, und ich begann, mich zu erholen. Da kehrte mein Sohn zurück. «Du lebst?» fragte er ungläubig lächelnd. «Ich lebe», antwortete ich fest und würdig. Das schien ihn nicht einzuschüchtern. Er zog ein Blatt aus der Tasche und rechnete einige Minuten. «Vater», verkündete er mir sein Resultat, «du hast die Lebenskraft von vier Rossen. Theoretisch bist du tot, und moralisch bist du es für mich längst. Hierauf schickte er zum Arzt. «Herr Doktor», erklärte er diesem, «mein Papa, der alte Herr, den Sie dort pfeifen hören, ist vor etwa einer halben Stunde gestorben; bitte konstatieren Sie das und fertigen Sie einen Schein aus.»

Rosa, die schöne Schutzmannsfrau

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