Читать книгу Rosa, die schöne Schutzmannsfrau - Salomo Friedländer - Страница 5
Von der Wollust über Brücken zu gehen
Оглавление«’s ist Etwas faul...» (Hamlet)
Also Herr Doktor van der Krendelen, ein Mann von hoher Statur, mit mächtigen Augen von sanfter Schärfe, und einem hellblonden exakten Spitzbart – hatte das Mittel gefunden: Luft, Luft.
Ja es handelte sich um die Möglichkeit einer chemischen Reinigung der gesamten planetarischen Atmosphäre; und dadurch der Lungen; und dadurch des Blutes; und dadurch des Lebens.
Van der Krendelen ging mit federnden Schritten in sein Versuchslaboratorium, einen haushohen Saal aus nietenlosem Metall, der luftleer gepumpt werden konnte und Oberlicht hatte. Das Versuchstier war der Doktor in eigener Person. Diesen Saal hatte v. d. K. vom Erdklima sorgsamst isoliert; er konnte ihm von sich aus jedes beliebige verleihen, die Luft im Saal war geographisch regulierbar geworden. Herr van der Krendelen nahm die heutige Wetterkarte zur Hand, studierte sie mit träumerischer Konzentration und entschied sich für Nizza; d. h. er stellte künstlich in seinem Saale das Klima von Nizza her (durch ein paar äußerst einfache Manipulationen). Und sodann seufzte er in dieser wonnigen Witterung sehr tief auf. Denn er grämte sich über diese Künstlichkeit seiner Versuche. Und doch! Und doch!
Van der Krendelen konnte nicht anders. Wehe dem, dessen Gewissenhaftigkeit älter ist als sein Wissen! Hat nicht auch Darwin... aber lassen wir den Darwin. Das Bessere ist der Feind des Guten. Wenn Herr Dr. v. d. K. die Erde klimatisch revolutionierte – und wahrlich, das tat ihr not! –, so mußte er den bestehenden Zustand und mit ihm alle diesem angepaßten Lebewesen abschaffen: und das brachte er nicht über sein altmodisches Herz! Schon seine engere Familie, sein Papa, seine Mama, seine Amme Klelia, seine Schwester Margrith brauchten geradezu die schlechte und rechte Gesundheit; eine bessere würde Gift für sie werden. Daß nun so viele Leute – von anderen Organismen zu schweigen – auch nach oben, nach günstigeren Bedingungen hin so sehr begrenzt waren, das deprimierte Herrn v. d. K.s Gewissen derartig, daß er schon manchmal daran gedacht hatte, das Laboratorium luftleer zu machen, um sich der Mühe des Weiteratmens zu überheben. Du mein! wie wunderlich sind doch die Hemmungen gerade der erstaunlichsten Förderer des Menschengeschlechts! Und wie mancher Pythagoras ist vor seiner Wahrheit desertiert, bloß weil er zu viel Mitleid mit der Hekatombe Ochsen hatte, die dafür geopfert werden mußte...
Krendelen ging in seiner Laboratoriumsluft von Nizza, die linke Hand auf dem Rücken, die rechte um den Spitzbart gekrallt, auf und ab, auf und ab, und alles zitterte mit metallischem Klingen. Der Abend dämmerte herein. Und als es ganz dunkel geworden war, stand Krendelen still und hob den Kopf. Er hatte einen Entschluß gefaßt: und zwar G. m. b. H.
Jawohl, dies war der Ausweg. An sein Laboratorium als Zentrale sollten sich Freiwillige mit ihren Privatwohnungen oder Kasernen oder Fabrikräumen oder Ställen usw. usw. anschließen. Und so ließ er sich denn das Patent sichern und verkaufte es einer Gesellschaft Aktionäre, die ihn als wissenschaftlichen Leiter des Unternehmens anstellten und besoldeten. Je nun, mindestens waren seine Skrupel jetzt schwächer geworden; besonders zumal durch die Zuversicht, wie sehr bald die Menschheit mit ihrem robusteren Gewissen rücksichtslos von selber die Folgerungen von der Künstlichkeit auf die Natur ziehen würde! Gewiß, eine solche Verantwortung lastet zu schwer auf der einzelnen Person – hinaus, hinaus damit in alle, alle Menschenseelen!
So wurde es nun ruchbar, daß man, wenn man nur wollte, das Paradies der Lungen etablieren konnte – und Monarchen, Bankiers, Poeten und viele andere Existenzen suchten vorsichtig, indem sie die Ärzte zu Rate zogen, um Anschluß an die Kr.’sche Zentrale nach.
Die Wirkung dieser Hygiene läßt sich gar nicht beschreiben. Tatsächlich sind wir ja «ein Spiel von jedem Druck der Luft». Wer daher die Luft wenigstens ihrer Reinheit nach in willkürliche Gewalt bekam wie v. d. K., der konnte schließlich den Menschen zu einem Freudensprung der Natur machen. Schlechte Luft ist nämlich das ganze Unglück der Menschen; ja es ist am Ende der Mensch selber. Luftverbesserung bedeutet die gewisseste Menschenveredelung, mehr als alle philosophische Moralisterei!
Nun muß man sich aber diese Luftreinigung recht radikal vorstellen! Und hierin lag eben die ganze Gefahr: wer etwas auf dieser kranken Erde ganz und gar gesund macht, der steckt von diesem Punkte aus alles und jedes mit solcher Gesundheit an. Zuletzt konnte sich keiner der künstlich Gesundeten mehr nach außen begeben, ohne tot umzufallen. Es war eine zu tiefe Kluft zwischen der gewohnten und der ungewöhnlichen Gesundheit von der Zentrale aus aufgerissen worden. Selbst Krendelen, der noch das beste Amphibium beider Gesundheiten zu sein schien, drohte zu versagen. Und die obenerwähnten Herrschaften begannen sich durch ein langsames Training auf die alte Gesundheit zurückzuschrauben. Ein paar kränkelnde Monarchen hetzten ihre Polizei auf die G. m. b. H... Kurzum, Krendelen sah den Zeitpunkt heranrücken, an dem seine große Tat wirkungslos zunichte werden sollte. Nochmals hielt er in seinem Laboratorium eine Stunde der tiefsten Einkehr und Versenkung in sich selber. Dann hieb er sich mit der Faust auf den Schädel, daß er ihm dröhnte.
Sogleich ging er an die Arbeit. Er präparierte eine große Menge des von ihm erfundenen luftreinigenden Stoffes Atoxomyolyomulpollambixohoptotachylamolinovolmanombosusilotanbolinoxylpyramidolinoferosambulonolasinolins.
Den brauchte er jetzt nur durch ein elektrisches Verfahren zur Verdampfung zu bringen – und die Erdatmosphäre war nur noch für Kerngesunde atembar geworden. So machte er denn sein Herz stählern gegen alle auflösende Weichmut, und am Donnerstag vollzog er das Schicksal, zu dem er nun einmal ausersehen war – als der große Vakuumreiniger der Lebendigen.
Bereits Freitag Nacht wüteten Seuchen schrecklich dezimierend auf der gesamten Erdoberfläche. Herr v. d. K. hielt sich nur durch die Macht seines Gedankens aufrecht und mußte trotz allem über das große Sterben lächeln. Er wußte, was niemand wußte: daß die Seuche das anzeigende Symptom ihres noch latenten Gegenteils war; und daß dieses jetzt, von ihm heraufbeschworen, sich endlich leuchtend genug offenbaren werde. Außerdem verbrannten die Leichen in der prächtigen Luft – es war Vorfrühling – ohne allen Verwesungsgestank.
Oho! Nichts mehr von etwelchem faulen Rest. Sondern sieghaft wurde alles bald vertrieben und überduftet von der jungen Reinheit, welche jetzt förmlich eklatierte! Und merkwürdig, während die sog. Normalen, der «gesunde Durchschnitt» aller Orten rasch krepierte, korrigierten sich die Extreme, die Überstumpfen, die Überzarten, die Blöden und die Hypersensiblen zu einem ganz anderen Durchschnitt von ungemeiner Strenge und Präzision, wie wenn in ihre Leiber Mathematik und Musik gefahren wäre: sie paßten und stimmten plötzlich zur Natur; wogegen die Früheren sich wie zufällig in ihr ausgenommen hatten. Die allerersten, die buchstäblich aufatmeten, waren Frauen und Kinder, die Jugend überhaupt. Ferner trat bereits am Sonnabend eine sichtliche Verjüngung aller Greise ein. Was in der Vollkraft der mittleren Jahre gewesen war, ging aber dahin. Und es formte sich aus Kindheit und Greisentum eine ganz neue wie überirdische Jugend. Von Krendelens Familie florierte nur noch seine Schwester Margrith; Eltern und Amme waren unter den ersten Toten – juhu! Beim besten Willen, die Toten zu beklagen, mußte man doch lachen und frohlocken, weil die ganze Natur ein Feiergewand anzuziehen begonnen hatte; und weil die Menschen das feierlichste und festlichste geworden waren: weil sie viel festlicher und lieblicher wirkten als früher die Blüten. Und sonderbar, durch die strahlende Reinheit der Luft sah auch alles ätherischer aus: irdischer! Das Licht schien lichter. Man sah wohl, wie sehr die Erde an ihrer schlechten Luft gelitten hatte. Alles tat seine tieferen Atemzüge, und das Antlitz der Natur geriet in ein immer innigeres Lächeln – bis daß es am 27. März 1932 lachte: da nämlich tat die Natur ihren Freudensprung! Und Krendelens Operation war gelungen. Als das letzte peinliche Erdenrestchen aus der Atmosphäre getilgt war – dank Krendelens Kathartikon –, geschah es, daß die ganze Erde einen goldenen Klang tat wie ein gedrückter Ball, der sich, frei gegeben, rundet: jetzt erst schien alles zu stehen und zu dauern. Krendelen wußte in diesem Augenblick, der auch sein eigenes Herz richtig einstellte, daß das ganze vormalige Erdbebengeknurr und -gebrumm nur den schwer ächzenden Willen ausgedrückt hatte, richtig zu werden.
Am 28. cr. blieb die Sonne stehen – und alle Leute spürten das Erdgewicht als etwas frei Beherrschbares in den eigenen Gliedern, so daß sie mit der Erde um die Sonne spielten wie sie wollten; und in ihrem Willen war von selbst ein Unisono. So setzten sich, als der Frühling sich vom Winter getrennt hatte, und die Jahreszeit ebenfalls selbständig geworden war, auch Sterben und Werden wie Schlafen und Wachen sauber auseinander und verunreinigten nicht mehr ihren Mittelstand, so daß in jeder Beziehung das Aus und Ein exakt funktionierte, und alles und alle jetzt wußten, wo aus und wo ein.
Aber das allerbeste: an Stelle des Todes war das aus- und einatmende, zusammenhängende, nicht mehr unterbrochene Leben getreten; das Sterben hatte sich mit dem Werden jetzt lebendig und leibhaftig verständigt. Und nun vergaß alle Welt das vorige – und Krendelen vergaß es auch, so daß er nicht einmal berühmt wurde! In dieser einen Hinsicht war es vormals herrlicher.